Aachener Friedenspreis für Pfarrer und Politikwissenschaftler

Aachen (epd). Der Aachener Friedenspreis geht in diesem Jahr an den Bethlehemer Pfarrer Mitri Raheb, die israelische Fraueninitiative MachsomWatch und den Frankfurter Politikwissenschaftler Andreas Buro. Der evangelische Theologe Raheb und die Frauen von MachsomWatch setzten sich auf beiden Seiten der von Israel errichteten Sperrmauer für das friedliche Zusammenleben von Juden und Palästinensern ein, erklärte der Friedenspreis-Verein am Donnerstag in Aachen.

Buro werde als herausragende Persönlichkeit der deutschen Friedensbewegung geehrt. Der Preis würdige zudem seine Entwicklung der zivilen Konfliktbearbeitung als Alternative zu Militäreinsätzen.

Der Aachener Friedenspreis wird seit 1988 an Menschen verliehen, die sich an der Basis für Frieden und Völkerverständigung einsetzen. Im vergangenen Jahr wurde der Verein "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren" geehrt. Vergeben wird die symbolisch mit 1.000 Euro pro Preisträger dotierte Auszeichnung jährlich am 1. September, dem Antikriegstag.

08. Mai 2008

Aachener Friedenspreis


Der Hoffnungsträger aus Bethlehem

Palästinensischer Pfarrer Mitri Raheb erhält Aachener Friedenspreis

Von Holger Spierig (epd)

Bethlehem/Aachen (epd). Bedrohung, Besetzung und Schikanen gehören zum Alltag von Mitri Raheb. Doch der palästinensische Pfarrer will sich mit dem zunehmenden Hass nicht abfinden. Palästinenser und Israelis brauchen eine Vision, wie sie gemeinsam leben können - so lautet das Credo des evangelischen Theologen, der seit 20 Jahren Pfarrer der Weihnachtskirche in Bethlehem ist. Sein langjähriges Engagement für das friedliche Zusammenleben im Nahen Osten wird in diesem Jahr mit dem Aachener Friedenspreis gewürdigt.

Raheb sei heute einer der Hoffnungsträger in der Region, begründete der Friedenspreis-Verein am Donnerstag in Aachen die Wahl. Der Theologe erhält den Preis gemeinsam mit der israelischen Friedensorganisation "MachsomWatch". Die Auszeichnung sieht der 45-jährige Theologe als "eine Ermutigung, dass unsere Arbeit gerade in Deutschland wahr- und ernstgenommen wird", wie Raheb in Bethlehem dem epd sagte.

Neben seinen Aufgaben als Pfarrer entwickelte Raheb nach und nach auf dem Kirchenareal ein weitgefächertes Angebot an Bildungszentren, Betrieben und touristischen Einrichtungen für internationale Gäste. So gibt es dort inzwischen ein Internationales Begegnungszentrum, eine Schule und ein Zentrum für Kunsthandwerk.

Nachdem das Gelände im Jahr 2002 von der israelischen Armee besetzt und zu großen Teilen zerstört wurde, setzte sich Raheb unermüdlich für einen Wiederaufbau ein. Die richtige Antwort auf eine Kultur der Gewalt, so argumentierte er, sei die Macht der Kultur. "Der Krieg kann uns nicht unsere Vision rauben, in Frieden mit unseren Nachbarn zusammenzuleben", verkündete er denn auch im ersten Gottesdienst nach dem Ende der Besetzung.

Krieg und Terror prägten Rahebs Leben bereits früh. "Die ersten Klänge, die mir im Gedächtnis geblieben sind, stammen von israelischen Flugzeugen, die über unsere Stadt fliegen", erinnert sich der Pfarrer an seine frühe Kindheit während des Sechs-Tage-Krieges 1967. Der 1962 in Bethlehem geborene Raheb studierte evangelische Theologie an der Universität Marburg, wo er auch promovierte. Heute unterhält er zahlreiche Kontakte nach Deutschland, Europa und in die USA.

Mit Leidenschaft streitet der Theologe für eine gemeinsame Zukunft von Palästinensern und Israelis. Dabei macht er aus Rückschlägen und Enttäuschungen keinen Hehl. Für eine Feier sehe er keinen Anlass, erklärte er mit Blick auf das 60. Jubiläum der Staatsgründung Israels, das in diesen Tagen begangen wird. Das Projekt Israel sei schon aufgrund der Besatzung und das Projekt Palästina am Konflikt zwischen den Organisationen Fatah und Hamas gescheitert.

Nach Rahebs Ansicht muss sich auch Europa stärker seiner Verantwortung für den Nahen Osten stellen. Denn die heutigen Spannungen und Konflikte seien der Preis, den die Region für die Schuld Europas zahlen müsse, betont er. Der Holocaust habe nicht nur dem jüdischen Volk geschadet, sondern auch den Palästinensern. "Denn wir sind die Opfer der Opfer", ist Raheb überzeugt.

Auch wenn der Pfarrer derzeit einem eigenständigen Palästinenserstaat kaum Chancen einräumt, schöpft er immer wieder neue Hoffnung. Etwa, wenn er das Engagement von Friedensinitiativen wie "MachsomWatch" sieht. Die Freiwilligeninitiative israelischer Frauen prangert Menschrechtsverletzungen der israelischen Kontrollposten gegenüber Palästinensern an. "Das sind für mich Israels neue Propheten, die Israel ins Gewissen rufen", würdigt Raheb die Initiative. Denn wirklich weise sei, so schreibt der Theologe in seinem jüngsten Buch "Bethlehem hinter Mauern", wer aus Feinden Nachbarn mache und nicht aus Nachbarn Feinde.

08. Mai 2008


Aachener Friedenspreis würdigt Nahost-Initiativen

Auszeichnung auch für Mentor der deutschen Friedensbewegung

Aachen (epd). Der Aachener Friedenspreis würdigt in diesem Jahr den Einsatz für ein friedliches Zusammenleben in Nahost und die Entwicklung der zivilen Konfliktbearbeitung. Die Auszeichnung geht an den Bethlehemer evangelischen Pfarrer Mitri Raheb, die israelische Fraueninitiative MachsomWatch sowie den Frankfurter Politologen und Bügerrechtler Andreas Buro, wie der Friedenspreis-Verein am Donnerstag in Aachen mitteilte. Buro gilt als eine herausragende Persönlichkeit der deutschen Friedensbewegung. Verliehen wird die mit 1.000 Euro pro Preisträger dotierte Auszeichnung am 1. September, dem Antikriegstag.

Raheb und den Frauen von MachsomWatch werde der Preis gemeinsam verliehen, "um ein Signal des Dialogs und der Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts auszusenden", erklärte der Vorsitzende der Friedenspreis-Initiative, Otmar Steinbicker. MachsomWatch ist eine 2001 gegründete Freiwilligenorganisation israelischer Frauen. Sie kontrolliert an rund 30 der 580 Kontrollposten der israelischen Armee das Verhalten von Soldaten und Polizisten im Umgang mit Palästinensern.

Die israelische Regierung behaupte, die Sperren dienten der Sicherheit Israels, sagte Steinbicker. "Tatsächlich sind sie dazu gemacht, die Palästinenser zu unterdrücken." Die allermeisten Posten lägen mitten im besetzten Gebiet und erschwerten den Palästinensern den Zugang zu medizinischer Versorgung, Schulen und Angehörigen. Mit ihrem gewaltfreien Protest verteidigten die Frauen von MachsomWatch die Menschenrechte der Palästinenser.

Den Pastor an der evangelisch-lutherischen Weihnachtskirche in Bethlehem, Mitri Raheb, nannte Steinbicker "einen der Hoffnungsträger in der Region". Der in Bethlehem geborene evangelische Pfarrer studierte und promovierte an der Universität Marburg. Seit 15 Jahren trete Raheb für seinen Traum vom friedlichen Zusammenleben von Juden und Palästinensern ein, sagte Steinbicker. Über seine Aufgaben als Pfarrer hinaus habe der 45-jährige Theologe mit seiner Gemeinde Bildungseinrichtungen, ein Begegnungszentrum und touristische Betriebe für internationale Gäste aufgebaut.

Andreas Buros Biographie liest sich nach Steinbickers Worten wie die Geschichte der deutschen Friedensbewegung nach 1945. "Er war bei allen wichtigen Etappen dabei, manche - wie den Ostermarsch - hat er mit initiiert." Wichtigster Beitrag des 79-jährigen Politikwissenschaftlers sei die Entwicklung der zivilen Konfliktbearbeitung als Alternative zu Militäreinsätzen. Dazu habe Buro "Monitoring-Dossiers" für die Konfliktregionen Iran, Türkei/Kurdistan und Israel/Palästina vorgelegt.

Der Aachener Friedenspreis wird seit 1988 an Menschen verliehen, die sich an der Basis für Frieden und Völkerverständigung einsetzen.


Interview mit Mitri Raheb

Dr. Mitri Raheb, Pfarrer der arabisch-lutherischen Weihnachtskirche in Bethlehem, hat den Aachener Friedenspreis 2008 zugesprochen bekommen. Der Preis wird am 1.September in Aachen verliehen. Die kirchliche Arbeit Dr. Rahebs, aber auch seine Bildungs- und Kulturarbeit, wird u.a. von der EKD unterstützt und begleitet.

Pfr. Raheb, trifft Sie diese Preisverleihung unerwartet?

Ja, ich habe nicht mit dieser Auszeichnung gerechnet, da ich den Eindruck habe, in der deutschen Szene nicht mehr so wie in früheren Jahren präsent zu sein. Ich habe zwar gehört, daß ich nominiert wurde, aber daß ich nun wirklich geehrt werde, überrascht mich und freut mich sehr.

Hat es eine besondere Note, daß die Ehrung an dem Tag, an dem die Palästinenser die al-Nakba („Katastrophe der Vertreibung“) und die Israelis ihren Unabhängigkeitstag begehen, verkündet wurde?

Ja, das hat für mich besondere Bedeutung. Denn eigentlich gibt es derzeit nichts zu gedenken oder zu feiern. Israel kann seinen 60. „Geburtstag“ nicht wirklich feiern, weil aufgrund der andauernden Besatzungspolitik das Projekt „Israel“, wie es sich seine Gründerväter und –mütter gewünscht haben, eigentlich gescheitert ist. Aber auch das Gedenken der Palästinenser ist fragwürdig, denn das Projekt „Palästina“ ist durch den Streit zwischen Hamas und al-Fatah ebenso gescheitert. Daher ist die heutige Preisverleihung schon etwas besonderes: Denn sie macht deutlich, daß der Friede weiterhin eine Aufgabe ist und nicht als bereits erreicht gelten kann.

Was bedeutet es für Sie, den Preis zusammen unter anderem mit der israelischen Friedensorganisation „Machsom Watch“ zugesprochen zu bekommen?

Ich fühle mich geehrt, weil „Machsom Watch“ sehr wichtig ist. Dies weniger für die Palästinenser, die durch die Beobachterfunktion von „Machsom Watch“ an den israelischen Checkpoints eine gewisse Unterstützung erhalten. Sondern vor allem für die Israelis selbst, denn „Machsom Watch“ ist für mich die prophetische Stimme im heutigen Israel. „Machsom Watch“ füllt das biblische Wort, daß Israel sich daran erinnern soll, daß es selbst Knecht in Ägypten war, mit Leben.

In diesen Tagen nehmen Sie an einer Tagung mit Partnerkirchen aus aller Welt teil, die in Bethlehem stattfindet. Was kann das Ausland – und dort insbesondere die Kirchen – zum Frieden im Heiligen Land beitragen?

Ich habe ein gewisses Misstrauen gegen die „Friedensplauderer“. Weltweit, aber auch in Palästina selbst wird viel zu viel vom Frieden nur geredet und für ihn gebetet. Viel wichtiger ist aber, daß man Fakten für den Frieden schafft. Fakten, die Hoffnung in den Menschen wecken und diese am Leben erhalten. Palästina muß tatkräftig aufgebaut werden, damit es eine Zukunft hat. Der Aachener Friedenspreis ist somit ein Zeichen für das „Dennoch“: für den Frieden muß gearbeitet werden, auch wenn aktuell es wenig Zuversicht gibt und alle Erwartungen schwinden. Die Fakten, die heute geschaffen werden, sind nötig, damit zumindest „übermorgen“, also auf lange Sicht, es eine Basis gibt. Kirchen aus aller Welt, besonders auch die EKD, helfen ungemein, in vielfältiger Weise diese Fakten zu schaffen. Ihr Beitrag ist wichtig, damit Palästinenser befähigt werden, selbst einen Beitrag zum Frieden zu leisten.

Welchen Beitrag erwarten Sie von Deutschland für den Frieden in Nahost?

Um ehrlich zu sein: Ich erwarte von Deutschland eigentlich nichts in diesem Zusammenhang. Ich befürchte, daß Deutschland noch nicht in der Lage ist, einen entscheidenden Beitrag zu leisten. Die Bundesrepublik mag sich vielleicht finanziell einbringen. Aber ihr sind durch die Geschichte doch sehr die Hände gebunden, um wirklich hier aktiv werden zu können.

Was ist denn aus Ihrer Sicht für einen Frieden zwischen Israel, den Palästinensern und den anderen arabischen Nachbarn notwendig?

Vor allem ist es nötig, daß es eine Gleichberechtigung zwischen Israelis und Palästinensern gibt. Und diese Gleichbehandlung muß rechtlich abgesichert sein. Zudem ist es nötig, daß diese Koexistenz auch ökonomisch eingebettet ist. Ich halte daher nichts von der aktuell wieder auflebenden Debatte, ob die Zweistaaten-Lösung sinnvoll ist, oder lieber ein binationaler Staat angestrebt werden sollte.

Ich sehe nur, daß Israel derzeit verzweifelt versucht, Konzepte zu implementieren, die bereits andernorts gescheitert sind. Ich nenne es das WAR-Konzept. W steht dabei für die „Wall“ (Sperrmauer): auch in Ostdeutschland hat man behauptet, daß das Einsperren eines Volkes der Sicherheit dient. A steht für Apartheid: die Bildung von abhängigen, hilflosen „Bantustans“, die selbst nicht lebensfähig sind, war die Politik, die in Südafrika untergegangen ist. Und R steht für Reservationen: in den USA wurde der Fehler begangen, Menschen zu degradieren und in unfruchtbaren Regionen zusammenzutreiben und festzusetzen. Dies ist der „war“ (Krieg), den Israel führt.

Ich wünsche mir, daß es beiden Völkern in diesem Land möglich sein wird, ihre Identität zu gestalten, ohne dafür andere diskriminieren zu müssen. Es ist nötig, daß sich die ganze Region vom Nil bis zum Eufrat neu gestaltet. Ansonsten verpasst sie ihre Chance für die Zukunft. Gegenwärtig erleben wir schon, daß sich der Fokus hin zu den Golf-Emiraten verschiebt.

Der Aachener Friedenspreis wird am 1.September übergeben werden. Was ist Ihr größter Wunsch, der bis zu diesem Tag in Erfüllung gehen sollte?

Ich wünsche mir vor allem, daß es bis dahin – und auch danach – zu keinem erneuten Krieg kommt: Weder hier im Land, noch im Libanon, mit dem wir heute bangen, noch in Syrien oder im Iran.

(Das Interview führte Jens Nieper / EKD)

08. Mai 2008