Predigt in der Osternacht (BR-Fernsehen) am 3. April 2021 in der Christuskirche in Landshut

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

Es gilt das gesprochenen Wort.

 

Matthäus 28,1

„Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.“

Liebe Gemeinde,

ganz nüchtern erzählt Matthäus von den zwei Frauen. Da ist Maria Magdalena - sie stand Jesus mit am nächsten. Sie war stark genug, zu hören und auszuhalten, als Jesus sein Leiden und Sterben ankündigte. Sie ist nicht davongelaufen, hat es nicht abgewehrt. Sie war es vermutlich, die ihn in Betanien gesalbt hat. Bis zum Schluss ist sie bei ihm geblieben.

Und „die andere Maria“? Vermutlich ist hier von der Mutter Jesu die Rede. Sie geht an das Grab ihres Sohnes. Aus der Distanz hat sie zuschauen müssen, wie ihr eigenes Kind gestorben ist. Konnte keine Hand halten. Konnte keinen Beistand leisten. Nur unter dem Kreuz stehen.

Die beiden Frauen am Grab Jesu – mich berührt diese Geschichte dieses Jahr ganz besonders. So viele Menschen haben ihren Lieben beim Sterben nicht die Hand halten können. So viele Menschen sind an Gräbern gestanden. An den Gräbern von lieben Menschen, die hochbetagt und lebenssatt – oder, aus ganz unterschiedlichen Gründen, lange vor der Zeit gestorben sind. Viele konnten nicht bei den Trauerfeiern von Menschen dabei sein, die ihnen am Herzen lagen.

Manche haben sich neben der Trauer über den Verlust ihrer Lieben quälende Fragen gestellt: Hätte ich noch mehr tun können, um in den letzten Tagen und Wochen da zu sein? Um dem Menschen, der mir im Leben so nahe war, auch im Sterben nahe sein zu können? Manchmal war da auch richtig Zorn über den verlorenen Abschied am Sterbebett. Über die Verbote, die ihn verhindert haben.

Auch die Frauen am Grab Jesu waren voll mit Gefühlen: Ohnmacht, Schmerz, Verzweiflung. Sie gehen zu zweit. Das stärkt. Und sie gehen vielleicht ohne alle Worte, weil es keine Worte mehr gibt. Nur eine große Stille.

Und dann kommt etwas, womit sie nicht gerechnet haben: Ein großes Erdbeben. Eine große Umwälzung, die ihr Leben verändert, neu macht, auf eine ganz neue Basis stellt.

II.

Was Matthäus über das Geschehen am Grab berichtet, sprengt alles, was wir uns vorstellen können. Die Vorstellungswelt der Menschen damals war eine ganz andere als unsere. Wir lesen seinen Bericht heute mit einem Weltbild, das durch die Aufklärung gegangen ist, das die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft wahrnimmt und ernstnimmt, die es damals noch gar nicht gab. Und dennoch war das, was die Frauen erfahren, damals genauso wie heute etwas absolut Unglaubliches, etwas nie Dagewesenes, etwas, was eigentlich gar nicht sein kann.

Ein großes Erdbeben.

Und jetzt kommt es, dieses Wort eines Engels, das mitten hineinspricht in das Erschrecken der Frauen. Das mitten hineinspricht in unser Erschrecken an den Gräbern dieser so unfassbaren Zeit.

„Fürchtet euch nicht!“ – sagt der Engel. Jesus ist auferstanden! Sagt es allen weiter. Und wenn ihr zusammen seid, wird er in eure Mitte kommen!

„Fürchtet euch nicht!“ – sagt der Engel zu uns. Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! Ihr braucht keine Angst mehr haben! Er nimmt euch und eure Lieben mit in ein neues Leben. Die Dunkelheit in euren Seelen weicht und es wird hell.

Die Frauen begegnen Jesus. Sie umfassen seine Füße. Sie berühren ihn. Und wissen dann: Es ist Jesus. Er ist auferstanden. Keiner kann es erklären. Aber sie erfahren es: Die Nacht wird hell wie der Morgen.

Ich habe in den letzten Monaten viele Mails und Briefe bekommen. Menschen haben mir erzählt, wie es ihnen geht. Und sie haben mir von ihren Lichterfahrungen erzählt. Zu den Briefen, die mich am meisten berührt haben, gehören die, die vom Tod eines lieben Menschen erzählt haben. Von dem unsäglichen Leid, das er verursacht hat. Aber auch von den Momenten, in denen sich die Dunkelheit gelichtet hat. In denen das Licht einer Kerze vor dem Bild der Verstorbenen die Seele ruhig gemacht hat. Wo Worte des Trostes anderer Menschen den Schmerz für Momente überwunden haben. Wo tiefe Erfahrungen der Verbindung mit den Verstorbenen das Gefühl gegeben haben, dass sie nicht im Nichts verschwunden sind, sondern ihre Namen in den Himmel geschrieben sind.

Die Osterkerze, liebe Gemeinde, die Osterkerze brennt jetzt. Sie gibt uns ein sinnliches Gefühl für etwas, was unser Verstand nicht verstehen kann. Die Seele aber kann es verstehen. Unsere Seele kann sich berühren lassen von der Botschaft der Frauen: Christus ist auferstanden! Am Anfang ist es ein ganz stilles Halleluja, das sie zusammen mit diesem Satz singen. Aber dann wird es immer lauter und erfüllt die staunenden Herzen.

III.

Wie ein Erdbeben, so mächtig war die Ostererfahrung der Frauen am Grab, dass die Osterbotschaft sich in die ganze Welt ausgebreitet hat. Religiöse Hirngespinste, Verschwörungstheorien, spirituelle Betäubungslehren sind gekommen und gegangen. Die Botschaft von der Auferstehung ist geblieben und wird immer bleiben. Und: sie hat sich bewahrheitet. Sie bewahrheitet sich bis heute milliardenfach. Überall auf der Welt feiern Menschen heute Ostern. Überall auf der Welt rufen Menschen: „Christus ist auferstanden!“ Und lassen sich trösten von einer tiefen Gewissheit: Der Tod hat nicht das letzte Wort. Jesus nimmt uns alle mit auf seinem Weg von der Dunkelheit des Todes ins Licht der Auferstehung. Der Tod verliert seinen Schrecken. Unsere Lieben haben uns nicht in die Dunkelheit hinein verlassen, sondern ins Licht. Und wir hoffen darauf, dass wir in diesem Licht einst wieder vereint sein werden.

Was hinter der Grenze des Todes ist, kann niemand jetzt sehen. Niemand kann davon berichten. Wir können es nur erahnen. Auch Menschen, die von Nahtoderfahrungen berichten, liefern keine Beweise. Hinweise, die uns staunen lassen, geben ihre Berichte von Lichterfahrungen uns schon. Sie halten die Frage nach dem ewigen Leben, einem Leben jenseits des Todes offen, auch für religiöse Skeptiker.

Aber das Licht in diesem irdischen Leben, das können wir sehen. Manchmal im Schein einer Kerze, der neue Kraft und ein Gefühl der Geborgenheit gibt. Manchmal als Lichtstreifen am Horizont einer dunklen Zeit im eigenen Leben oder wie jetzt in der Pandemiezeit, einer ganzen Gesellschaft, einer ganzen Welt. Und auch in Menschen, die sich um Kranke oder in anderer Weise besonders verletzliche Mitmenschen kümmern und ihnen ein tägliches Licht sind.

Die beiden Frauen in der Ostergeschichte sind zu den ersten Botschafterinnen der Auferstehung geworden. Unzählige Frauen heute bezeugen das Licht der Auferstehung, indem sie täglich für andere da sind und Licht in die Dunkelheit im Leben von Menschen bringen. 80 Prozent derjenigen, die in der Krankenpflege tätig sind, sind Frauen! Und in der Altenpflege sind es 83 %. Sie helfen und trösten die COVID-Kranken in den Heimen und in den Intensivstationen. Helfen ist keine Frage des Geschlechts. Aber oft genug gehen Frauen beim Helfen voran und bringen Licht, so wie die Frauen am Grab mit der Auferstehungsbotschaft uns allen vorangegangen und Licht gebracht haben. Ob Männer oder Frauen, wir begegnen Jesus im irdischen Leben viel öfter als wir meinen.

Wir spüren seine Gegenwart, wo zwei oder drei versammelt sind in seinem Namen. Wir sehen ihn in den Geringsten seiner Brüder und Schwestern, hier und überall auf der Welt. In der Mutter im Flüchtlingslager auf Lesbos oder in den bosnischen Wäldern, die Hunger und Durst hat und Angst um ihre Kinder. In dem Mann, der im Lockdown psychisch krank geworden ist und sein Leben kaum mehr erträgt. Ich bin hungrig und durstig, krank, nackt und fremd gewesen – und ihr habt mich in eurem Mitmenschen unter euch erkannt und gesehen, sagt Jesus.

Und so wird die Osterkraft im Jahr 1 nach dem Beginn der Pandemie spürbar: in den Kirchen und in den Wohnzimmern zu Hause, in denen Menschen über Radio und Fernsehen, über digitale Kanäle oder in einer Hausliturgie Ostern feiern, draußen in den Straßen und Plätzen, an den Osterfeuern, wo das Licht in der Dunkelheit leuchtet und auch in den Kliniken und Heimen und all den anderen Orten, an denen Menschen heute für andere Dienst tun, einen österlichen Dienst tun, weil sie mit ihren Taten die Botschaft von der Auferstehung bezeugen.

Christus ist auferstanden! Der Tod hat seine Macht verloren. Wir dürfen leben!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

AMEN

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