Predigt im Saalegottesdienst am Sonntag, 10. Juli 2022, am Saaleufer in Saalfeld

Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der EKD

Es gilt das gesprochene Wort

Gnade sei mit uns und Friede von Gott und unserem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde, Christina sagte mir letzte Woche: „Die Gemeinde will sicher auch in deiner Predigt was von dir erfahren.“ Ich unterstell dir Christina jetzt mal, dass du da an mein Amt als Präses, mein Wirken in dieser Institution, mein Bild von Kirche und wie ich eigentlich dazu gekommen bin mich in dem Laden zu engagieren, gemeint hast. Jetzt kommt das Erwartungsmanagement: All das werdet ihr hier in der Predigt nicht erfahren, denn nicht ich stehe ja heute im Mittelpunkt unseres Gottesdienstes, sondern Frieda.

Nun auch nochmal von mir, herzlich Willkommen, liebe Frieda. In den letzten Tagen hab ich immer wieder überlegt wie sehr ich unsere biographischen Überschneidungen von Taufe im ungefähr gleichen Alter, dem gemeinsamen Ort Saalfeld und einer Nele, die es wohl in leicht abgewandelter Form auch in meinem Leben gibt, überanspruchen sollte. Aber dann haben wir die Woche ja mal kurz telefoniert, du erzähltest mir, warum du dir deinen Taufspruch ausgesucht hast, ich überlegte währenddessen wie das eigentlich bei mir war und wir tauschten uns über Serien und Musik aus.

Kummer – „Der letzte Song“

„Ich wär' gerne voller Zuversicht
Jemand, der voll Hoffnung in die Zukunft blickt
Der es schafft, all das einfach zu ertragen“

So leitet Felix Kummer, eigentlich bekannt als Frontmann der Band Kraftklub, den Refrain des letzten Liedes seines Solo-Projekts ein. 2019 zieht er sich für unbestimmte Zeit raus aus Kraftklub und startet ein eigenes Projekt. Das sein Solo-Projekt – KUMMER (wie seinen Nachnamen) nennt er es – nicht auf Ewigkeit angelegt war, dass ahnten oder zumindest hofften wir Kraftklub Fans. Dass es aber so schnell wieder vorbei ist, damit hab ich eigentlich nicht gerechnet. Doch KUMMER konnte seine Pläne für die Jahre 20/21 an vielen Stellen nicht wie geplant umsetzen. So scheint auch irgendwie klar, dass „Der letzte Song“, kein großes Finale einer geilen Zeit ist und kein wirkliches Happy End hat, sondern mit ehrlicher Wucht einen Blick in die Realität gibt.

Die Welt ist im Arsch

Felix Kummer wirft ein Blick in die Realität, (so wie du Frieda es bei der Auswahl deines Taufspruchs auch getan hast). Es wird gesungen die „Welt ist am Arsch“, unser „Haus steht in Flammen“, „Leben liegt in Scherben“, „Menschen sind schlecht“. In nur wenigen Versen streift er alle Katastrophen, nach denen wir uns doch alle sehnen, dass wir sie überwinden können. Krieg, Klima, Krankheit, persönliche Krisen, Beziehungen und Menschen die gehen. Im Musikvideo sieht man Szenen aus Felix letzten Jahren vorbeiziehen: Menschen, andere Musiker:innen die mit ihm auf dem Weg waren, er rennt einfach vorbei, rempelt sogar welche an, scheint zu fallen. Irgendwie hat man das Gefühl er ist auf der Flucht vor all den desillusionierenden, demotivierenden, KUMMERvollen Sachen, ja vielleicht auf der Flucht vor sich selbst.

Und dabei singt er:

„Ich wär' gerne voller Zuversicht
Jemand, der voll Hoffnung in die Zukunft blickt
Der es schafft, all das einfach zu ertragen
Ich würd' dir eigentlich gern sagen“

Doch er sagts nicht, die Szene wechselt und sein guter Freund und Weggefährte Fred Rabe, der Frontmann von Giant Roots antwortet ganz ruhig:
„Alles wird gut
ja, Die Menschen sind schlecht und die Welt ist am Arsch
Aber alles wird gut
ja, Leben liegen in Scherben und Häuser stehn in Flammen

Aber alles wird gut
Fühlt sich nicht danach an aber alles wird gut“

Felix Kummer steht daneben, und hört lange einfach zu, wie ihm zugesungen: „Alles wird gut!“. (Doch) Am Ende steigt er mit ein und sie singen gemeinsam:

„Aber alles wird gut. Fühlt sich nicht danach an. Aber alles wird gut.“

„Alles wird gut!“ klingt allein gestellt ja oft wie ne Plattitüde, also eine nichtssagende nicht weiterhelfende Aussage, die Trost spenden soll, aber es oft nicht tut. Doch in der Gesamtkomposition des Lieds ist sie keine. KUMMER sehnt sich doch so sehr nach Halt, nach Zuversicht, ja vielleicht läuft er nicht weg vor etwas, sondern verzweifelt sehnend suchend hin zu etwas, auf das er vertrauen will auf das er vertrauen kann.

Verzweiflung und Hoffnung

Lenafor7 schreibt auf Youtube unter das Video: „Wie kann ein Song so viel Verzweiflung und Hoffnung in einem sein.“ Und sagt mit einem Herz dahinter: danke dafür! Verzweiflung und Hoffnung in einem. Solche Texte gibt es auch in der Bibel. Zum Beispiel in den Psalmen. Die Psalmen fangen in unterschiedlichen Formen vielfältige menschliche Erfahrungen, komplexe Realitäten des Lebens, das Sehnen ein. Dort findet sich an vielen Stellen immer wieder das Muster, Klage aus einer Verzweiflung heraus, dann ein Bitten aus dem ein Vertrauen auf Gott wächst, das dann Hoffnung bringt.

Ich hab als Taufspruch wohl den Basictaufspruch unter den Basictaufsprüchen mit auf den Weg bekommen. Wohl auch den Basicpsalm unter den Basicpsalmen, Psalm 23 „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“. Ich durfte mir den damals nicht selber aussuchen, sondern ich glaube der Pfarrer hat den ausgesucht. Ich hatte mich ehrlich gesagt nie weiter damit auseinandergesetzt, war eigentlich ganz froh, dass er so bekannt war, dass ich ihn mir wenigstens leicht merken konnte und dass man ihn in der Bibel immer schnell findet – Einfach in der Mitte aufschlagen und man ist bei den Psalmen.

Aber jetzt hab ich mich schon nochmal gefragt, warum eigentlich dieser Taufspruch? Jetzt hab ich ihn schon, aber als ich hörte, dass manche sich den auch selbst aussuchen können, hab ich mich gefragt, ob ich ihn mir auch selbst ausgesucht hätte. (Und deshalb hab ich mich gefragt, was wollte mir der Gebende mit auf den Weg geben?) Ist, „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. . […] Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich“, nicht auch einfach nur ein „Alles wird gut!“?

Ein Psalm gesprochen von einem Beter, der sich begleitet und behütet weiß auf all seinen Wegen. Vielleicht hab ich den Taufspruch deshalb mitgegeben bekommen, weil doch klar ist, dass es mir öfter wie Felix Kummer gehen wird. Ich nicht immer sagen werden, „alles gut wird“, ich mich nicht immer so leicht tun werden wie der betende im Psalm 23 auf Gott zu vertrauen und ihn an meiner Seite zu wissen. Aber wie Felix auch nicht in Verzweiflung und Klage stecken bleiben will, sondern Halt in aller Unsicherheit suche, nicht erstarren, sondern handlungsfähig bleiben will, nicht stürzen sondern weiter laufen will, und es immer wieder Situationen geben wird, in denen ich mich nach „Alles wird gut“ sehne, nach Zuspruch sehne.

Im Psalm 23 finde ich da mein „Alles wird gut“, nicht als Plattitüde, sondern eingebettet in Mitten vieler anderer Psalmen. Und wer weiß vielleicht würde Lenafor7 hier auch drunter kommentieren: „So viel Verzweiflung und Hoffnung in einem Buch“. Und sagt mit einem Herz dahinter: danke dafür!

Gott schenke uns allen diesen Blick und diese Zuversicht, auch in KUMMERvollen Zeiten.

Und der Friede Gottes, der höher ist alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen