Predigt im Festgottesdienst zum Pfingstsonntag in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche zu Berlin

Wolfgang Huber

www.offenekirchen.de

"Wir haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist. Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen. Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden. Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt. Denn "wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen?" Wir aber haben Christi Sinn." (1.Korinther 2, 12-16)

"www.offenekirchen.de" So heißt die Internet-Adresse für dieses Pfingstfest in Berlin. "www.offenekirchen.de": unter dieser Internet-Adresse kann man herausfinden, was die mehr als 130 Gemeinden anzubieten haben, die in der Pfingstnacht, in der Nacht von Pfingstsonntag auf Pfingstmontag ihre Kirchengebäude offenhalten. Eine ökumenische Nacht ist das unter breiter Beteiligung aus einer Vielzahl christlicher Kirchen. Eine vielgestaltige Nacht ist das. Turmbesteigungen, Kino in der Kirche oder ein Mitternachtseintopf gehören ebenso dazu wie Andachten, Meditationen und Konzerte.

"www.offenekirchen.de". Das ist eine gute Adresse nicht nur für das Pfingstfest. Denn es gehört zum Wesen der christlichen Kirche, dass sie eine offene Kirche ist. Wofür aber ist sie offen?

1.

Im Blick auf die Nacht, die vor uns liegt, wird man zuallererst sagen: offen für die Menschen, die bereit sind zu kommen, für die Neugierigen oder die Gelangweilten, für die Enthusiasten oder die Skeptiker, für Gläubige wie Ungläubige. Eine offene Kirche ist den Menschen zugewandt, ohne jede Vorbedingung. Sie verkriecht sich nicht im wohligen Einerlei der Gleichgesinnten. Sie sucht das Gespräch.

Da sind wir in den letzten Jahren manches schuldig geblieben, auch in Berlin. Wir haben uns oft im Kreis derer eingerichtet, die ohnehin dazugehören; wir haben so manchesmal auch die gleichgültig davonziehen lassen, die der Kirche den Rücken kehrten; wir haben uns damit abgefunden, wenn Konfirmanden nach dem Tag der Konfirmation in der Gemeinde nicht mehr zu sehen waren. Wir haben uns damit abgefunden, wenn in Teilen dieser Stadt die meisten Jugendlichen sich an die Jugendweihe halten, anspruchslos und inhaltsleer, wie sie ist – und das Angebot der Konfirmation gar nicht erst bemerken. Vielen sind wir das Evangelium auch schuldig geblieben; wir haben ihre Sprache weder gesucht noch gefunden. Deshalb sind wir dem Gespräch mit ihnen ausgewichen. Wir brauchen einen Neuanfang in der Zuwendung zu den Menschen. Dafür ist dieses Pfingstfest ein Zeichen. Wir bieten das Gespräch an und suchen es. Und wir tun das in ökumenischer Gemeinschaft.

2.

Offene Kirchen - das meint dann also auch: offen füreinander. Mit diesem Pfingstfest beginnt eine neue Etappe im ökumenischen Miteinander in dieser Stadt. Dabei haben wir nicht nur die Zusammenarbeit zwischen römisch-katholischer und evangelischer Kirche im Blick. Wir meinendie Vielgestaltigkeit auch der kleineren Kirchen in dieser Stadt. Wir machen uns auf den Weg, anderen christlichen Kirchen zu begegnen. Dabei verstecken wir unsere Verschiedenheit nicht, aber wir suchen Gemeinschaft. "Um Gottes willen keine Vereinigung der Kirchen!" hat der 85jährige Grandseigneur der evangelischen Theologie Heinz Zahrnt dieser Tage ausgerufen. Um Gottes willen keine Vereinigung – das gäbe nur neue Konfessionen. Nicht Vereinigung, sondern Gemeinschaft. Wir sind – weiß Gott – nicht auf dem Weg zu einer Einheitskirche. Aber wir sind auf einem Weg, auf dem das, was uns verbindet, sich als wichtiger erweist als das, was uns trennt. Dieses Pfingstfest ist für uns in Berlin eine wichtige Station auf dem Weg zum Ökumenischen Kirchentag im Jahr 2003. Dieses Pfingstfest ist für uns eine wichtige Station auf einem Weg, auf dem wir unseren Glauben in dieser Stadt miteinander bezeugen wollen.

3.

Offene Kirchen - damit ist dann aber auch gemeint die Bereitschaft zum Gespräch über die Grenzen der christlichen Kirchen hinaus. Wir leben mit Menschen anderer Religion und anderer Überzeugung zusammen. Wir weichen ihnen nicht aus.

Wir pflegen das Gespräch mit den Gliedern der jüdischen Gemeinde, mit der Gemeinschaft, die die ältere Schwester der christlichen Kirche ist. Das erweist sich übrigens auch am Pfingstfest, das aus dem jüdischen Wochenfest entstanden ist, sieben Wochen nach dem Passa, sieben mal sieben Tage nach diesem Fest der Befreiung. Das Fest der Tora ist das Wochenfest für die Juden vor allem, ein Fest der Dankbarkeit für Gottes Weisung. Gott wird gepriesen, der uns Menschen die Richtung weist, in die wir gehen können.

Die ältere Schwester der christlichen Kirche nenne ich das Volk Israel. Gott hat mit ihm einen Bund geschlossen, der gilt und nicht aufgekündigt ist. Deshalb wird die Beziehung von Christen zum Volk Israel immer eine besondere, eine – gerade auch angesichts der tiefen Verfehlungen der Kirche gegenüber Israel – einmalige Beziehung sein. Aber neben sie tritt dann auch die Beziehung zu anderen Religionen, hier in unserer Stadt insbesondere auch zum Islam. Wie anders sähe es aus, wenn wir lernten, nicht nur über den Islam, sondern auch mit Muslimen zu reden.

4.

Offene Kirchen: offen für die Menschen, offen für die anderen christlichen Kirchen, offen für die Vertreter anderer Religionen und Überzeugungen. Das sind alles zutreffende Erläuterungen. Aber entscheidend ist doch etwas anderes; daran erinnert Pfingsten. Offene Kirche – das ist eine Gemeinschaft von Menschen, die offen sind für Gottes Geist. "Wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist." Dieses Bekenntnis steht in der Mitte der Ermahnung, mit der Paulus die Gemeinde in Korinth zu einer offenen Kirche machen will, zu einer Gemeinschaft von Menschen, die offen sind für Gottes Geist. "Wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist." Das soll auch unser Pfingstbekenntnis sein, hier in Berlin beim ersten Pfingstfest des neuen Jahrtausends.

"Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten." So heißt das Pfingstbekenntnis in der Sprache Martin Luthers. Damit werden die eigenen Vernunfteinsichten und die eigenen Kräfte nicht geringgeschätzt. Aber sie werden auf menschliches Maß gebracht. Was ich mit der eigenen Vernunft einsehen kann, rückt ins richtige Licht, wenn ich es als Teil der Welt ansehe, die wir insgesamt Gott verdanken. Was ich mit meinen eigenen Kräften bewerkstelligen kann, verstehe ich erst zureichend, wenn ich diese Kräfte als Gaben ansehe, die mir anvertraut sind; ich gebrauche sie deshalb dann richtig, wenn ich sie anderen Menschen zugute kommen lasse, wenn ich sie in den Dienst der Liebe stelle.

Der heilige Geist sorgt dafür, dass wir Gottes Gegenwart erfahren. Er bürgt dafür, dass Gott, obwohl er nicht an die Grenzen unserer Welt gebunden ist, uns doch in dieser Welt begegnet. Der heilige Geist macht auch unsere Kirchen zu Orten, an denen diese Begegnung geschieht. Durch den heiligen Geist werden unsere Kirchen zu Orten, an denen wir dem Heiligen begegnen.

Natürlich haben wir in den Kirchen immer wieder versucht, den Geist Gottes zu bändigen und zu zähmen. An Pfingsten hat man dann eher den Geburtstag der Kirche als die Ausgießung, also das Geschenk des heiligen Geistes gefeiert. Die sprudelnde Quelle des Geistes sollte in einem festen Becken sicher aufgefangen werden; sie sollte sich nicht ihren eigenen Weg suchen. Dass "der Geist weht, wo er will", verkam daneben oft zum frommen Spruch.

Wenn wir es ernst meinen mit den "offenen Kirchen", werden wir uns an dieser entscheidenden Stelle ändern müssen. Das ist die Kirchenreform, die heute ansteht. Wir werden wieder anfangen, dem Geist Gottes etwas zuzutrauen. Kleingeistige Ängstlichkeit verträgt sich damit nicht. Auch in den sogenannten "Amtskirchen" müssen wir selbst ernst nehmen, was wir Ungläubigen wie Gläubigen verkündigen. "Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich berufen." Das gilt auch für die Kirche; sie wird nur zur offenen Kirche, wenn sie dem heiligen Geist mehr zutraut als sich selbst.

Wenn wir das gelten lassen, verkriechen wir uns nicht hinter die Mauern unserer kirchlichen Traditionen, Gewohnheiten und Ordnungen. Wir lassen uns von Gottes Geist auf neue Wege führen.

5.

Manche, die der Kirche fernstehen, können mit Pfingsten eher etwas anfangen als mit Weihnachten oder mit Ostern. Pfingsten, so hat einer gesagt, ist ein Fest auch für Intellektuelle. Auch wenn sie mit dem Bild von Gott als dem Vater Schwierigkeiten haben, auch wenn sie den Sohn nur schwer verstehen, der den Tod am Kreuz sterben musste und auferweckt wurde, an den Geist glauben sie. Gerade wer schöpferisch tätig ist, kennt die unplanbare Intuition, den plötzlichen Geistesblitz, von dem man nie wissen wird, wie er zustande kommt. Ohne diesen Geistesblitz, ohne überraschende Geistesgegenwart würde nie etwas wirklich Neues zustande kommen. Das wissen auch skeptische Intellektuelle. Sie wissen es sogar dann, wenn sie sich mit dem Glauben schwer tun.

Warum sollen wir uns nicht auch von den Skeptikern in unserem Glauben gewisser machen lassen? Glaube an Gott ist immer auch Glaube an seinen Geist. Aber Glaube an den Geist ist immer auch Glaube an Gott.. Sonst wäre es ja doch nur ein blindes Zutrauen zur eigenen Vernunft, zu den eigenen Kräften.

Dass wir den Geist Gottes wichtiger nehmen als uns selbst, ist die Botschaft dieses Pfingstfests. Dass wir den Geist Gottes wichtiger nehmen als die Kirche, ist das erste, was über eine offene Kirche zu sagen ist. Deshalb wollen wir aufhören, das lebendige Wasser des Geistes immer gleich in feste Becken zu leiten. Es wird dann schnell trübe. Wir wollen es sprudeln lassen. Nur so ist es lebendig.

Natürlich ist nicht alles, was als Geist auftritt, vom Geist Gottes getrieben. Natürlich kann sich unter dem Namen des Geistes auch Ungeist verbergen. Auch in religiöser Gestalt tritt nicht nur heiliger Geist auf; es kann sich in ihr auch Ungeist tarnen. Dann weichen wir dem Streit nicht aus; auch das gehört zur offenen Kirche. Es gibt keinen Zugang zu Gottes Geist ohne die Unterscheidung der Geister.

Woran aber erkennt man den Geist Gottes, den heiligen Geist? Wie gelingt die Unterscheidung der Geister? "Wir haben Christi Sinn" heißt die Antwort des Paulus. Kürzer geht es nicht. Der heilige Geist ist nichts anderes als der Geist Christi. Er aber ist ein Geist der Freiheit und der Liebe. Alle Geister, die andere knechten wollen, sind gegen den Geist Christi; denn er ist ein Geist der Freiheit. Er anerkennt die Würde der Menschen und achtet sie. Er zwingt die Menschen nicht, sich zu ducken, sondern lässt sie aufrecht Gott entgegentreten. Und es ist ein Geist der Liebe. Er macht andere nicht runter, sondern baut sie auf. Er setzt sich nicht mit Ellenbogen durch, sondern reicht dem anderen die Hand. Er trennt nicht, er versöhnt.

"www.offenekirchen.de". Das ist wirklich nicht nur eine Internet-Adresse für den heutigen Tag. Es ist ein Programm, über den heutigen Tag hinaus. Gott gebe dafür seinen Geist.

Amen