Predigt zum Eröffnungsgottesdienst der 4. Tagung der 12. Synode der EKD in der Kreuzkirche in Bonn

Manfred Rekowski, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland

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Gnade und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

„Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint...“, so hat der Jugendchor eben gesungen.

Verstehen kann ich diesen Wunsch nur zu gut.

Denn alles ist in Bewegung – vieles ist offen und ungewiss.

Wie gehe ich, wie gehen Sie mit der Angst um, die sich immer wieder meldet, wenn wir an morgen denken?

Wie mit den Sorgen und Ängsten anderer Menschen und wie mit der Sorge um die Zukunft unserer Welt?

Mich überrascht immer wieder, wie unterschiedlich Menschen reagieren, wenn es um die Zukunft geht.

Rheinische Alltagsphilosophen haben eine klare Position:

„Et kütt wie et kütt“, sagen sie.

Das klingt nüchtern, gelassen und irgendwie wohl temperiert.

Rheinische Alltagsphilosophen mit einem Hang zum Optimismus gehen noch ein Stück weiter: „et het noch immer jot jejange“, sagen sie.

Beides wirkt fast unbeteiligt, aus einer Zuschauerperspektive. Ist das die Lebenskunst, Bedrängendes zu verdrängen?

Wenn es um große Weltprobleme wie die drohende Klimakatastrophe geht, dann erleben wir eine ähnliche Haltung:

In manchen Teilen dieser Erde, etwa in Europa und Nordamerika, haben wir uns eingerichtet, und viele haben offenkundig die leise Hoffnung, es möge doch noch eine Weile so weiter gehen mit unserem Leben und unserem Wohlstand. Und wie gehe ich mit meiner eigenen Angst um? Manches halte ich auf Abstand, weil es mich sonst wohl ständig runterziehen oder gar lähmen würde.  Die Terrorgefahr etwa ist auch in unserem Land da, aber ich denke keinesfalls ständig daran.

Nahegekommen ist sie mir allerdings im Dezember letzten Jahres. Beim Anschlag in Berlin. Ich erfuhr im Radio davon.

Das Attentat geschah in unmittelbarer Nähe vom Arbeitsplatz eines Familienmitglieds.

Für mich blieb damals die Zeit stehen. Kein Gedanke an „et het noch immer jot jejange“.

Dann endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit der erlösende Anruf:

„Mir geht es gut, mir ist nichts passiert“.

Meine eigenen Ängste und Sorgen wirken vergleichsweise klein, wenn ich dagegen an die Menschen denke, für die es schon heute um „Sein oder Nicht-Sein“ geht:

Menschen auf der Südhalbkugel, wo viele unserer christlichen Glaubensgeschwister und auch ihre Landsleute anderer Religionszugehörigkeiten leben.

Die Folgen der Erderwärmung sind für sie keine zukünftige Gefahr. Sie leiden schon jetzt unter schlimmster Dürre als Folge des Klimawandels.

Viele leben in Slums ohne Schule, Arzt und Apotheke. Marodierende Banden, Selbstjustiz auf offener Straße oder Verbrechen im Folterkeller treiben Menschen in die Flucht.

In der Wüste und auf dem Meer kommen Unzählige von ihnen um. Das schreit zum Himmel!

Auch wenn viele von uns in völlig anderen Verhältnissen leben können, denke ich auch an die Menschen, die unter uns leben und zu kurz kommen:

In den Dörfern und Städten leben verwahrloste Kinder und pflegebedürftige Menschen, werden oft nur noch irgendwie verwahrt.

Menschen, die an der Tafel anstehen müssen, fragen sich, ob dieses Leben etwa schon alles gewesen sei. Das schreit zum Himmel!

Und das verlangt nach einem Himmel, der den Schrei nach Leben, nach Gerechtigkeit und Frieden aufnimmt. Ja, das verlangt auch nach einer neuen Erde, wo niemand auf der Strecke bleibt oder ums Leben kommt. Doch die Zeit der großen Utopien scheint vorbei. Menschen auf der Suche nach einer heilen Welt sammeln sich heute in Nischen und Subkulturen, oft mit fragwürdigem Anstrich.

Anders der Prophet Jesaja. Er geht auf´s Ganze.

Denn er war sich sicher, dass diese Erde und dieser Himmel nicht alles ist.

Kühne Sätze, schon zu Jesajas Zeit. Die Realität sah damals ganz anders aus: Das Gottesvolk war nach langen Jahren der Gefangenschaft zwar endlich wieder zuhause. Aber dort, in Jerusalem, lagen nur Trümmerberge wie heute in Aleppo. Auch der Tempel ein Schutthaufen. Kein Zeichen von Gottes Nähe.

Keine blühenden Landschaften. Ein Neuanfang war nur mit Schweiß und Tränen möglich. Dazu lauerten die Feinde an der Grenze. Keine guten Aussichten.

Doch Jesaja sieht mehr, als vor Augen ist. Er hat einen neuen Himmel und eine neue Erde im Blick. Nicht als weltentrückten Traum, sondern Hoffnung mit Bodenhaftung. Jesaja erwartet viel, bleibt aber dieser Erde treu. Gott ist schon am Werk. Neues beginnt – mitten in Jerusalem.

Wie wirken diese Worte auf Menschen, die an den Zuständen unserer Welt leiden? Was lösen sie bei ihnen aus?

Wunderschöne Bilder von Jesaja – aufgenommen in den Texten und der Musik von 2Flügel.

„Hinter´m Horizont geht´s weiter“, „We shall overcome“.

Trotzdem: So ganz leicht lasse ich mich stimmungsmäßig nicht umpolen. „Realistisch bleiben!“, sagt mir meine innere Stimme, die mich davor bewahren will, dass ich enttäuscht werde. Deshalb hoffe ich oft nur so viel, wie mir tatsächlich machbar erscheint.

„Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.", soll der verstorbene Bundeskanzler Helmut Schmidt, ein durchaus erfolgreicher Realpolitiker, gesagt haben.

Beschränkte Hoffnung als Prinzip, das vor Enttäuschung schützt? Oder tarnt sich hier nur Resignation als Realismus?

Realistisch bleiben, sagt die eine Stimme in mir. Und wie wird die andere wieder stärker?

Gemeinsam mit vielen Mitchristinnen und -christen bete ich in jedem Gottesdienst das Vaterunser. Zwei Sätze, zwei Bitten liebe ich besonders:

„Dein Reich komme!“ und „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.“ Dieses Gebet stimmt mich um. Wo die Not zum Himmel schreit, schenkt es mir ein „Trotz alledem!“: Gott wird diese Welt nicht sich selbst überlassen und auch nicht den Menschenfeinden.

In Gottes Reich wird niemand in die Flucht getrieben. Oder kommt ums Leben.

Die bestehenden Verhältnisse sind Auslaufmodelle. Gott verspricht uns sein Reich: Gutes Leben und gelingendes Zusammenleben sind möglich. Für alle.

Das ist Gottes Mission. Eine andere hat die Kirche auch nicht.

Wir sind durch die wunderschönen Bilder nicht verzückt - entrückt – völlig losgelöst. Wir pflegen keinen kurzsichtigen Optimismus: „Hauptsache, uns geht es gut!“

Wir legen auch nicht die Hände in den Schoß. Außer zu diesem Gebet, das unsere Welt anzählt: „Dein Reich komme! Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“

Jesu Worte und die Bilder des Jesaja sprengen immer wieder den Rahmen.

Und sie verrücken und beflügeln uns. Machen aus bodenständigen Realisten verrückte Hoffnungsträger. Wer „Dein Reich komme“ und „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“ betet, wird sich dafür engagieren, dass Menschen nicht umsonst arbeiten, dass Friede wird und dass Kinder eine gute Zukunft bekommen und allen ein erfülltes, sattes Leben geschenkt wird.

Denn „man soll … nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.“ Wir sind verrückt vor Hoffnung und setzen darauf, dass sich diese Welt ändert: Israelis und Palästinenser werden wie Nachbarn zusammenleben.

Christen und Muslime werden einander achten und respektieren und sich wechselseitig erzählen, was sie lieben. Die Abgeschriebenen in unserem Land werden wieder gebraucht. Die Facebook-Hetzer hören endlich einmal zu.  Populisten bekennen sich zu den Menschenrechten. Und trauen Politikern etwas zu. Vermögende suchen keine Steuerparadiese, sondern engagieren sich verstärkt für das Gemeinwesen. Ein vom Geiste Jesu und den Prophetenworten beflügelter Glaube sieht mehr als das, was ist. Deswegen lautet das Glaubensbekenntnis der Christenheit auch hier im Rheinland nicht „Et kütt wie et kütt“, sondern: „Was macht, dass ich so unbeschwert und mich kein Trübsinn hält? Weil mich mein Gott das Lachen lehrt wohl über alle Welt.“ Denn ihre Tage sind gezählt. Ein neuer Himmel und eine neue Erde sind versprochen.

Amen.