Jesu, meine Freude...

Robert Leicht

Morgenandacht im NDR

(Aus: Morimur, The Hillard Ensemble, Christoph Poppen, Band 2)

„Den Tod niemand zwingen kunnt!“ – Wir wissen, dass wir sterben müssen – aber wir wissen weder Tag noch Stunde. Das spüren wir, wenn jemand unter uns eine Verabredung auf mittlere Frist mit der Formel bekräftig: „So Gott will…“ – „Dagegen“, so heißt es im Jakobus-Brief vollständig, „solltet ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun.“


Weder Tag noch Stunde! Vor allem wissen wir nicht, wie wir sterben müssen. Manche unter uns sagen, vor dem Tod, dem Tod-Sein hätten sie weniger Angst als vor dem Sterben. Diese Angst vor dem Sterben ist groß, teils trotz der Erfolge der modernen Medizin, teils gerade wegen ihrer Fortschritte. Vielleicht hat es mit meinem eigenen fortschreitenden Lebensalter zu tun, dass ich immer mehr Menschen kennengelernt habe, die im Falle unaufhaltsamer Krankheit nicht nur keine lebensverlängernde Therapie mehr wünschen, sondern darüber hinaus sich vorstellen könnten, um aktive Sterbehilfe zu bitten.

Irgendwie verstehen kann ich solche Vorstellungen schon – und wer weiß, wie man selber einmal denken und wünschen wird, wenn es so fürchterlich ernst wird. „Lasst mich endlich sterben! Hört auf, an meinem Lebensrest euren medizinischen Ehrgeiz auszuprobieren!“ Einen solchen Verzweiflungsschrei kann ich verstehen – und ich würde ihn, wäre ich Arzt, achten; und mich auf pflegende Betreuung und menschliche Begleitung beschränken. Ach, und wer wollte dem Stoßseufzer wehren: „Wenn  mich Gott doch endlich sterben ließe!“

Aber das ist doch  noch etwas ganz anderes, als einem schwer kranken, dem Tode nahen Menschen den Rest zu nehmen – indem man ihm den Rest gibt. Ich will mich dabei gar nicht auf die anderenorts zu diskutierende (und wie ich entschieden finde: abzulehnende) Gesetzgebung über die aktive Sterbehilfe einlassen. Mir geht es um etwas viel Wichtigeres: Hinter all diesem Reden geht unter, dass Sterbehilfe eigentlich – nur als Lebenshilfe denkbar ist. Denn selbst die schwerste, letzte Strecke gehört zum ganzen Leben. Aktive Sterbehilfe, wenn wir es einmal bei diesem falschen Wort, dieser Lebenslüge über das aktive Töten belassen – sie ist doch nur eine doppelte Absage an jede Hoffnung: Manche denken an eine solche Sterbehilfe, weil sie fürchten, niemanden zu finden, der ihnen im Sterben beisteht, bis zuletzt – andere, weil sie sich nicht zutrauen oder verpflichten wollen, einem Sterbenden bis zum letzten Atemzug nahe zu sein. Verstehen, wiederum auf eine oberflächliche Weise: verstehen kann man solche Zweifel schon.
 
Aber welcher Vertrauensverlust auf beiden Seiten geht solchen Gedanken voraus! Welcher Tod des Vertrauens schon im Leben. Wer „aktive Sterbehilfe“ zu leisten gedenkt, mag meinen, dass er einem besonderen Vertrauen gerecht wird, aber er verkennt, dass er Vertrauen in Wirklichkeit schon zerstört hat – das Vertrauen auf Leben und Lebenshilfe. Auf aktive Lebenshilfe.

Jesu, meine Freude,
Meines Herzens Weide,
Jesu, meine Zier:
Auch wie lang, ach lange
Ist dem Herzen bange
Und verlangt nach dir!
Gottes Lamm, mein Bräutigam,
außer dir soll mir auf Erden
Nichts sonst Liebers werden

(Aus: Morimur, The Hillard Ensemble, Christoph Poppen, Band 15)