Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung

2. Bisherige Lösungsversuche und Fehlentwicklungen

2.1 Überblick: Entwicklung der Schäden rascher als die Schutzmaßnahmen

  1. Die Geschichte des Natur- und Umweltschutzes weist beachtliche Erfolge auf; sie ist eine Geschichte menschlicher Einsichtsfähigkeit -zugleich aber auch eine Geschichte der Fehler, der Versäumnisse und des Versagens. Sie ist durchaus bestimmt von Ideen, Konzeptionen, Wert- und Zielvorstellungen; noch stärker gekennzeichnet aber ist sie vom Zwang zum Handeln angesichts der schnellen Zunahme der Schäden.
  2. Raubbau an der Natur wurde auch in großem Maße bereits in Antike und Mittelalter betrieben. Im Gefolge der rasant fortschreitenden Industrialisierung und des raschen Wachstums der Weltbevölkerung jedoch nahm er Ausmaße an, die in ihren Wirkungen für jedermann sichtbar und spürbar wurden und Gegenmaßnahmen notwendig machten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam es zu einer ungeheuren Beschleunigung der Belastung unserer natürlichen Umwelt. Die Kurven des Bevölkerungszuwachses, des Energiebedarfs und der industriellen Produktionsausweitung gingen gleichzeitig mit der Verschmutzung von Gewässern und Luft (Phosphor, Schwermetalle, Schwefeldioxyd u. a.) nach 1950 weltweit steil nach oben, wenngleich es regional durch Umweltschutzbemühungen ab1970 zu deutlichen Abmilderungen kam. Gleichermaßen ansteigend verarmte die Biosphäre. Tier- und Pflanzenarten, teils durch Fang und Jagd ausgerottet, teils durch Vernichtung ihrer Lebensräume zum Tode verurteilt, starben und sterben in einem Maße aus wie nie zuvor in der Geschichte. Solchen Entwicklungen ist mit der ursprünglichen "Naturschutzromantik" nicht beizukommen. Die Bewältigung unserer Umweltkrise wird zu einem zentralen Thema unseres Lebens - und Überlebens.

2.2 Hauptrichtungen in der Geschichte des Umweltschutzes

  1. Drei Hauptrichtungen des Natur- und Umweltschutzes sind für bestimmte Phasen der Umweltschutzgeschichte kennzeichnend: Der herkömmliche Naturschutz (etwa seit 1880), das umfassendere ökologische Engagement (etwa seit Mitte der sechzigerjahre) und der neuere pragmatische Umweltschutz als eigenständiger Ansatz (etwa seit 1970). Diese hauptsächlichen Richtungen lösen einander jedoch nicht einfach historisch ab, sondern bestehen bis heute (mit Akzentverschiebungen) nebeneinander fort.

2.2.1 Der herkömmliche Naturschutz

  1. Der traditionelle Naturschutz, der als politisch wirksame Bewegung gegen Ende des 19. Jahrhunderts beginnt, legt entscheidende Grundlagen für den heutigen Umweltschutz. Naturschutz wird hier zunächst als Objektschutz ("Denkmalschutz") verstanden, als Schutz von besonderen Naturreservaten, Naturdenkmälern und Landschaften. Natur wird als Kulturgut gesehen. Eine besondere Bedeutung haben dabei Vorstellungen von Heimat, Kulturerbe, Naturreichtum, Erholung, und auch Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, z. B. für die Erholung der Menschen. Der herkömmliche Naturschutz konzentriert sich zunächst auf Flächenschutz und Artenschutz, entwickelt aber auch bereits früh umfassende Konzepte der Landesverschönerung und Landschaftspflege. Diese weitsichtigen Perspektiven setzen sich aber nicht in genügender Weise durch, sie sind später verflacht und reduziert worden. Es kommt zu zahlreichen Gründungen von Naturschutzvereinen, Wander- und Heimatvereinen, Verschönerungsvereinigungen und Schutzgemeinschaften. Der Wirkung solcher Zusammenschlüsse ist es mit zu danken, daß staatliche Stellen ihre Aufgabe erkennen und zuständige Behörden schaffen.
  2. Neben den vielen Verdiensten sind heute freilich auch die Grenzen derartiger Ansätze sichtbar: Herkömmlicher Naturschutz vertrat lediglich einzelne Schutzanliegen und duldete zugleich die fortschreitende Belastung der Landschaften neben den Schutzräumen. Zumeist verkannte man das Ausmaß der Bedrohungen. Als naturgefährdend wurden vor allem gewisse Verhaltensweisen und menschliche Unsitten betrachtet, weniger jedoch die übergreifenden wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge gesehen. Da man mit Hilfe des Naturschutzes Vorhandenes möglichst unverändert erhalten wollte, war auch, dem Stand der Erkenntnis entsprechend, die Zielsetzung relativ eng begrenzt, man begnügte sich mit der Schaffung von Reservaten. Genauere Kenntnisse der ökologischen Gesetzmäßigkeiten waren kaum vorhanden, den organisatorisch technischen Möglichkeiten waren Grenzen gezogen.

2.2.2 Das umfassendere ökologische Engagement

  1. Etwa seit Mitte der sechziger Jahre tritt neben den traditionellen Naturschutz ein mehr ökologiepolitisches Verständnis. Dieses Engagement geht weniger von Parteien, politisch Verantwortlichen und staatlichen Institutionen aus, als vielmehr von Betroffenen und Gruppen, die sich dafür einsetzen, und strebt eine Gesamtkonzeption des Umweltschutzes an. Umfassend ist dieses Engagement insofern, weil es nicht nur biologische und landespflegerisch-ökologische Aspekte verfolgt, sondern sich um gesamtgesellschaftliche und wirtschaftliche Zusammenhänge bemüht und das Prinzip einer umfassenden 'Vernetzung" erkennt. Charakteristisch für diese Bestrebungen sind die Wertbegriffe, die hier in den Vordergrund gerückt werden: Gerechtigkeit, Unversehrtheit, sogar Frieden. Man propagiert Güter wie Leben, Gesundheit, Artenreichtum, setzt sich für Tugenden wie Bescheidenheit, Sparsamkeit und Natürlichkeit ein und engagiert sich für Vorsorge, Pflege, Fürsorge und Schutz.
    Diese Richtung. wird getragen von einzelnen Vertretern der Wissenschaft (Landespflegern, Ökologen, Biologen, Futurologen, Theologen und Sozialethikern), Publizisten, politisch aktiven Bürgern in Parteien, Verbänden und Initiativen, aber auch von Anhängern einer "alternativen Subkultur". Kennzeichnend sind hier vor allem die engagierten Gruppen, angefangen von traditionsreichen Verbänden bis zu Bürgerinitiativen unserer Tage.
  2. Diese engagierten Ökologen haben mit ihren pessimistischen Prophezeihungen häufig Recht behalten. Inzwischen haben das eine breite Öffentlichkeit und der Gesetzgeber, wenn auch zeitlich verzögert, bestätigt. Es wurde deutlich, daß nicht selten hinter mancher Voreingenommenheit und ideologisch bestimmten Akzenten eigenwilliger Gruppen eine entscheidend wichtige Teilwahrheit und damit eine realistische Schadeneinsicht lag.
  3. Freilich werden auch Grenzen dieses Ansatzes deutlich:
    • Oft werden naturwissenschaftliche Einsichten, die empirische Erkenntnisse sind, unmittelbar in Wertpositionen und ethische Handlungsmaximen umgesetzt; aus Beschreibungen von Tatbeständen werden ethische und politische Forderungen; Zielkonflikte der handelnden Politik und die realpolitischen Bedingungen werden verkannt.
    • Gelegentlich werden allzu radikale Schlußfolgerungen gezogen, wie z. B. der Ruf nach prinzipieller Ablösung der Industriegesellschaft.
    • Mitunter verfällt man auch unlogischen Schlußfolgerungen und erhebt den Schutz des "empfindlichsten Lebewesens" zu einem ausschließlichen Maßstab, an dem sich die Ökologiepolitik in ihrer Gesamtheit orientieren soll.
    • Ökologiefragen werden nicht selten mit weltanschaulichen Prämissen überfrachtet. Die Argumentationen sind verschiedentlich von Antiinstitutionalismus, Technikfeindlichkeit und Überbetonung der "Gruppe" bestimmt; gegenwärtige Herrschaftsverhältnisse werden einseitig in die Überlegungen mit einbezogen. Manche wiederum machen die private Verfügungsmacht über Produktionsmittel als eine Hauptursache für die Umweltbelastungen verantwortlich; Zentralverwaltungswirtschaft und klassenlose Gesellschaft werden als "naturnäher" ausgegeben.
    • Vielfach erliegt man der Gefahr, weit ausgreifende theoretische Gesamtforderungen zu erheben, die keine Realisierungschancen haben. Nicht selten schlägt die dramatische Beurteilung der Entwicklung in eine pessimistisch-apokalyptische Sicht um, die von Resignation und Hoffnungslosigkeit gekennzeichnet ist.

2.2.3 Der pragmatische Umweltschutz als eigenständiger Ansatz

  1. Als Folge des wachsenden Problemdrucks entsteht (seit etwa 1970) ein pragmatischer Umweltschutz, der mit Gesetzen, Maßnahmen und Planungen auf praktische Abhilfe zielt. Das Anliegen dieser Art von Natur- und Umweltschutz ist nicht mehr primär an Naturschönheiten und -denkmälern orientiert, es geht vielmehr um reine "Schutzmaßnahmen". Die Vertreter dieses Ansatzes sind sich der Notwendigkeit eines Kompromisses zwischen Ökologie und Ökonomie bewußt und betreiben überwiegend Schadensminderung bzw. Belastungsminimierung (Festsetzung von Obergrenzen der Belastung, Auflagen für die Industrie, Ausgrenzung von Schonräumen, Förderung von Einzelprojekten zur Erprobung alternativer Technologien u. a. m.), wobei Kompromisse zwischen Ökonomie und Ökologie gesucht werden.
    Zu solchen Maßnahmen der Verantwortlichen in Kommunen und Staat kommt es vorwiegend durch den Druck der Naturschutzverbände, der Öffentlichkeit, der Basis politischer Parteien, von einzelnen Wissenschaftlern und aus der staatlichen Administration. Es fällt besonders auf, wie sehr hier die Anstöße aus der Bevölkerung kommen, die den Staat und die Kommunen zum Handeln drängen.
  2. Freilich werden auch die Grenzen und wunden Punkte dieser Umweltpolitik deutlich:
    • Obwohl viele getroffenen Maßnahmen notwendig und nützlich waren, wird dennoch ihre Engführung sichtbar. Sie beschränken sich auf die Schadensminimierung, Belastungsminderung, Erhaltung der Lebensgrundlagen und Schaffung verträglicher Umweltbedingungen für die Bevölkerung im Sinne einer .,Gesundheitspolitik". Weiterführende Zusammenhänge bleiben wegen des Zwangs zum kurzfristigen Erfolg zunächst meist außer Betracht, nicht zuletzt auch ,wegen eng begrenzter Kompetenzen.
    • Die Maßnahmen folgen einem zu engen "Nutzen- und Schadensdenken" (ohne Verständnis für die Eigenbedeutung und den Eigenwert der Natur).
    • Die Schutzgesetze und Verordnungen geben betont pragmatischen Ansätzen den Vorrang (möglichst keine Maßnahmen zum Nachteil der Wirtschaft). Nicht selten erweisen sie sich als bloße Verschiebung des Problems.
    • Die umweltpolitischen Schutzgesetze und Verordnungen lassen neben umweltentlastenden Maßnahmen (Detergenziengesetz, Luftreinhaltungsgesetz, Pflanzenschutzgesetz, Altölgesetz, Fluglärmgesetz u. a.) zugleich den Ausbau von Maßnahmen zu, die mit weiteren Umweltbelastungen verbunden sind (Verkehrsnetz, Kernkraftwerke, Flurbereinigung, Flußbegradigung u. a.).
    • Zwischen den weitreichenden und fortschrittlichen Zielvorstellungen in den Präambeln und Grundforderungen der Gesetze und der tatsächlichen Anwendungsrealität besteht ein unverkennbares Mißverhältnis. Ökologische Auflagen werden in der täglichen Entscheidungspraxis durch Bund, Länder, Gemeinden und Fachressorts bei konkreten Großvorhaben häufig ignoriert.
    • Als beschwerlich erweist sich auch die Vielzahl der Ausnahmemöglichkeiten ("Landwirtschaftsklausel" im Bundesnaturschutzgesetz, extensive Anwendung der Härteklausel des Abwassergesetzes, Einfügung einer Abwägungsklausel in das Bundesemissionsgesetz).
    • Immer wieder werden Maßnahmen durch die rasch voranschreitende Entwicklung und durch den späten Erlaß der Gesetze und Verordnungen überholt.

2.3 Der Beitrag der Kirchen zur Umweltschutzdiskussion

  1. Zu den früheren Naturschutzbemühungen und späteren konkreten Umweltschutzmaßnahmen des Gesetzgebers wurden aus den Kirchen durchaus Beiträge geleistet, sie gingen jedoch von Einzelpersönlichkeiten und Einzelgruppen aus. Seit Mitte der sechzigerjahre in der evangelischen Kirche und seit Anfang der siebzigerjahre in der katholischen Kirche ist jedoch der kirchliche Beitrag zur allgemeinen Umweltschutzdiskussion deutlich gewachsen. In kirchlichen Initiativen und Verbänden, theologischen Fakultäten, Instituten und Akademien, Kirchenkreisen und -gemeinden, schließlich auch in den Kirchenleitungen melden sich verstärkt deutliche Stimmen zu Wort. Meilensteine dieser Diskussion sind die Ratserklärung der EKD zur Energiediskussion (1977) sowie die EKD-Landwirtschafts-denkschrift (1984), die Erklärungen von Gliedkirchen der EKD und Regionalbeschlüsse zur Kernenergiefrage (1977), Äußerungen der Römischen Bischofssynode im Rahmen des Dokumentes "Die Gerechtigkeit" (1971), die Ausführungen von Julius Kardinal Döpfner als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz Zur Zukunft der Menschheit und den Bedingungen für ein künftiges Leben" (1974), die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz "Zukunft der Schöpfung, Zukunft der Menschheit" (1980) und die Erklärungen von einzelnen Bischöfen sowie regional kirchliche Verlautbarungen, die durch aktuelle Vorfälle veranlaßt waren. Andererseits beteiligten sich engagierte Christen auch an Kundgebungen und Demonstrationen und setzen sich zum Beispiel an Großbaustellen auf spektakuläre Weise ein, was in der kirchlichen Öffentlichkeit nicht immer unumstritten blieb. Dabei sind nicht selten die Grenzen zwischen persönlichen Überzeugungen und des der Kirche und ihrem Auftrag möglichen Engagements verwischt worden.
  2. In theologisch-wissenschaftlichen Beiträgen und kirchenamtlichen Erklärungen werden anthropologische Grundnormen in das Gespräch eingebracht. Die katholische Erklärung akzentuiert den Eigenwert der Natur ("Vorrang des Seins vor dem Nützlichsein"), die Stellung des Menschen zur Natur ("Der Mensch ist nur mit den Geschöpfen da") und zeigt Kriterien für dringende Einzelfragen auf (Erhaltung der Artenvielfalt, strenge Bedingungen für die Erlaubtheit der Kernenergie u. a. m.).
    In bezeichnender Weise wird dieses Anliegen der Kirchen deutlich, einen vor allem grundsätzlichen Beitrag zur Umweltdiskussion zu leisten, wenn der Rat der EKD erklärt: "Die in der Krise der Energiepolitik begründete Gefährdung der Menschheit ist viel umfassender und tiefgreifender, als daß sie allein materiell beschrieben werden dürfte." Der Rat weist darauf hin, daß die Menschen an Grenzen gestoßen sind, die ein grundlegendes Umdenken in politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen notwendig machen.
  3. Ein nicht zu unterschätzender Einfluß auf die Umweltdiskussion geht von der theologischen Wissenschaft aus, die das traditionelle, christliche Naturverständnis befragt, den Eigenwert der Natur unterstreicht und Kriterien für christliche Ethik und den Umgang mit der Natur entwickelt („Mitkreatürlichkeit" u. a.). Besonders bedeutsam für das ökumenische Gespräch ist die immer stärkere Öffnung evangelischer Theologie für die Schöpfungstheologie und naturale Vorgegebenheiten.
    Jedoch mit Ausnahme von Einzelpersönlichkeiten und der katholischen Erklärung von 1980 war es Kirche und Theologie bis jetzt nicht möglich, in der Umweltdiskussion eine weithin anerkannte theologische Aussage abzugeben und zu einer Geschlossenheit der kirchlichen Haltung zu kommen. Kirchliche Äußerungen und Positionen sind vielfach vorhanden. Aber den angestrengten Bemühungen um Gemeinsamkeit und um die Aufnahme von Impulsen aus den Gemeinden war selten Erfolg beschieden. Häufig erlag man der Gefahr, sich auf Einzelfragen der ökologischen Tagespolitik auszurichten und zu wenig die christlichen Grundfragen anzusprechen, oder aber sich mit der Beschreibung von Problemen zu begnügen.
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