Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung

5. Forderungen für ein neues Denken und Handeln

  1. Aus den angesprochenen Erfahrungen und den grundsätzlichen Überlegungen über den Schöpfungs- und Erlösungsglauben gilt es, Konsequenzen für ein neues Denken und Handeln zu ziehen. Diese Überlegungen führen uns zu Vorschlägen, die zwar nicht grundsätzlich neu sind, die aber im Lichte der biblischen Botschaft neu verstanden werden. Sie sollten nicht als kurzschlüssige "Patentrezepte" mißverstanden werden. Die Vorschläge setzen darauf, daß die Notwendigkeit grundlegender Veränderungen allgemein anerkannt ist, wenngleich die Wege, die erforderlichen Opfer und das Ausmaß der Einschnitte umstritten sind. Es gilt, einen gesellschaftlichen Konsens zu finden, der Grundlage für Konsequenzen hinsichtlich der Lebensführung des einzelnen, der Wirtschaftsordnung und einer ökologisch orientierten Politik sein kann. Die Kirchen haben die wichtige Aufgabe, auf die Herausforderung und das Maß der Verantwortung hinzuweisen, Bewußtsein zu schärfen, Beurteilungsmaßstäbe zu benennen, die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen zum konstruktiv-kritischen Dialog einzuladen und im eigenen Einflußbereich mit gutem Beispiel voranzugehen. Ihr Ruf zur Verantwortung für die Schöpfung konzentriert sich auf vier Hauptforderungen an menschliches Handeln, die auch sonst erhoben werden und neues Gewicht bekommen: auf die Forderung eines neuen Lebensstils, auf Möglichkeiten ökologisch verträglichen Wirtschaftens und Aspekte einer ökologisch orientierten Politik sowie ein neues Ernstnehmen der Lehre von der Schöpfung im Leben der Kirche.

5.1 Ein neuer Lebensstil

  1. Umweltverantwortung ist auch Sache des einzelnen und nicht allein Aufgabe der Gesellschaft, der Wirtschaft oder des Staates. Die Lebens- und Verbrauchsgewohnheiten, die Standards und Überzeugungen der vielen einzelnen müssen sich ändern, da sie sonst als "heimlicher Konsens" und Meinungsdruck der anonymen, schweigenden Mehrheit umweltpolitische Realitäten schaffen. Was die große Masse tut, wird nur zu oft auch für den einzelnen zum Maßstab und zugleich zu einer Möglichkeit, sich der persönliche Verantwortung zu entziehen.
    Ein grundlegendes Umdenken ist erforderlich. Der einzelne muß lernen, daß auch sein Verhalten Gewicht hat. Wenn er sich selbst viele unbedeutend scheinende Verschmutzungen der Umwelt großzügig gestattet, trägt er bei zu Gedankenlosigkeit, Umweltvandalismus und Zerstörungstoleranz.
  2. In einem Brief der „Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen" an die Gemeinden in der Bundesrepublik und Westberlin von 1980 wird hervorgehoben, wie sehr die fortwährende Steigerung der Ansprüche auf materielle Güter mit einer Ziellosigkeit des Lebens verbunden ist. "Eine solche Einstellung hindert den Menschen ... an der vollen Entfaltung seiner Persönlichkeit. Die Verneinung von Grenzen im materiellen Bereich und der Entschluß, von allen durch die Wissenschaft erschlossenen Möglichkeiten ausnahmslos Gebrauch zu machen, lähmen die Fähigkeit des Menschen zu personaler Zuwendung. Ohne eine Wandlung des Verhaltens des einzelnen kommt es nicht zu einem umfassenden Lernvorgang in unserer Gesellschaft."
  3. Hieraus wird deutlich, daß ein neuer Lebensstil, der von einer bescheidenen und maßvollen, ja zum Verzicht bereiten Lebensweise gekennzeichnet ist, der bedrohten Umwelt hilft. Es geht nicht darum, anspruchsloser, sondern im Blick auf die Vielfalt und Reichhaltigkeit unserer gesamten Umwelt anspruchsvoller zu leben. Es geht nicht darum, durch "Konsumverzicht" die Kreisläufe der Wirtschaft zu lähmen, sondern durch kritisches Verbraucherverhalten neue Akzente zu setzen.
  4. Ein grundlegendes Umdenken muß umfassen:
    • das Erkennen ökologischer Systemzusammenhänge und das verantwortliche Lebenund Handeln in dem Bewußtsein eben dieser Zusammenhänge;
    • den Verzicht auf Verhaltens- und Konsumgewohnheiten, die auf Kosten der natürlichen Umwelt gehen, Einüben neuer Verhaltensweisen;
    • eine Änderung der gebräuchlichen Entsorgungsgewohnheiten (z. B . Vermeidung unnötiger Abfälle, Abschaffung oder zumindest Reduzierung von Mischabfall zugunsten des aufwendigeren Sortierens von Abfällen in Glas, Papier, Kompost, Metall, Sondermüll u. a.);
    • die Bereitschaft, den Preis für umweltfreundlich produzierte und damit teurere Produkte zu bezahlen;
    • eine Hinwendung zu Mäßigkeit, Bescheidenheit, Lebensdisziplin, Naturnähe, Mitmenschlichkeit (Solidarität mit den armen Völkern der Dritten Welt);
    • die Aneignung neuer Fähigkeiten und den tätigen umweltbewußten Einfallsreichtum (z. B. die Tugend des Sichhelfens und Improvisierens mit umständlicheren, einfacheren, aber umweltnäheren Mitteln);
    • das verantwortliche Engagement des mündigen Staatsbürgers, das den demokratischen Widerspruch gegen Schädigung und Belastung der Umwelt vor Ort und im weiteren Kontext einschließt und den politischen Willensbildungsprozeß durch umweltpolitisches Engagement mit beeinflußt.
  5. Es ist anzuerkennen, daß die Bereitschaft des privaten Verbrauchers, umweltbewußter zu leben, gewachsen ist. In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat sich in der Bevölkerung ein Umdenken angebahnt. Das gewachsene Umweltbewußtsein ist freilich nicht frei von Widersprüchen: Vielen Menschen ist nur unzureichend bewußt, wie sehr ihre progressive ökologiepolitische Meinung und ihr persönlicher Lebensstil auseinanderklaffen. Umweltverantwortung beginnt in der Familie, im eigenen Haushalt, in Nachbarschaft und Wohnumfeld.
  6. Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung bedeutet also Disziplin und Einschränkung. Es führt zu schöpferischen Aktivitäten, beispielsweise zu sozialem und politischem Engagement, das sich freilich von sektiererischen und skurrilen Auswüchsen freihalten sollte.
  7. Zugleich ergeben sich Aufgaben, die nicht vom einzelnen wahrzunehmen sind, wohl aber auf den einzelnen abzielen: Bildungsbemühungen des Staates, der Kirchen und der gesellschaftlichen Gruppen müssen Zusammenhänge deutlich machen, Lebensmöglichkeiten und Fertigkeiten vermitteln und Beratungsarbeit leisten. Hieraus wird deutlich, daß die Förderung eines neuen Lebensstils nicht bloß eine individuelle, private Frage ist, sondern Anstrengungen der Gesamtgesellschaft voraussetzt. Zugleich muß auch ein „negativer Bildungsprozeß" zum Stillstand gebracht werden, der mit problematischen Leitbildern der Anspruchsmentalität und Selbstdurchsetzung das Verhalten des Individuums in hohem Maße prägt. Es gilt, Möglichkeiten einer Umweltpädagogik zu fördern und gelungene Bildungsbemühungen zu stärken, die von ökologisch engagierten kleinen Gemeinschaften ausgehen. Die Bildungsbemühungen müssen eine fundierte und offene Information der Bevölkerung einschließen und auf eine problembewußte Umweltverantwortung abzielen, sollten also nicht Teil einer fragwürdigen politischen Indoktrination sein.

5.2 Ökologisch verträgliches Wirtschaften

  1. Kein Lebensbereich wirkt sich so tiefgreifend und umfassend auf Natur und Umwelt aus wie die Wirtschaft. Eine große Zahl von Gesetzen und Verordnungen der vergangenen Jahre zielte deshalb darauf, die Belastungen für Luft, Wasser und Boden aus diesem Bereich zu reduzieren. Mit erstaunlicher Anpassungsfähigkeit haben sich die Volkswirtschaften in den westlichen Industrieländern auf solche Einschränkungen eingestellt. Die erschreckende Schadensentwicklung zeigt jedoch, daß alles das bei weitem noch nicht genug ist. Weitere gewichtige Anstrengungen der Wirtschaft sind zur Erhaltung der Natur und Umwelt und zur Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen erforderlich.
  2. Trotz des anerkennenswerten Beitrages der Wirtschaft ist ein grundlegendes Nachdenken unausweichlich, das beim Verständnis unserer Wirtschaftsordnung ansetzt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist aus grundsätzlichen Überlegungen die Notwendigkeit einer "Sozialen Marktwirtschaft" erkannt worden. Dieses Konzept muß jetzt um die ökologische Komponente erweitert werden.
  3. Es geht dabei um eine Wirtschaftsordnung, in der freier Wettbewerb durch Anreize und Auflagen Impulse zugunsten ökologischer Ziele enthält und der ein ökologiepolitischer Rahmen gesetzt ist, der den Wirtschaftsprozeß gegenüber der Umwelt in eindeutige Schranken verweist. Eine solche Wirtschaftsordnung setzt auf Einsicht, freiwillige Beschränkung und umweltbewußtes Verhalten der Unternehmen, schließt aber auch Auflagen und Sanktionen bei umweltschädigendem Verhalten nicht aus. Die Minderung der Umweltbelastung, der sparsame Verbrauch von Rohstoffen und Energie, die Wiederverwendung gebrauchter Waren und Abfälle sowie das Vorantreiben des technischen Fortschritts im Bereich umweltfreundlicher Technologie werden auf diese Weise "ökonomisch interessant", das heißt, in diesem, Bereich wird das Erwirtschaften von Gewinnen ermöglicht. Die Knappheit der Umweltgüter Wasser, Boden und Luft muß durch den Einsatz geeigneter Instrumente soweit irgend möglich preis-, kosten- bzw. gewinnwirksam werden. So werden die dynamischen Kräfte des Wirtschaftssystems genutzt und in Richtung auf die Erhaltung und Verbesserung der natürlichen Umwelt gelenkt. Der Gedanke einer "ökologisch verpflichteten sozialen Marktwirtschaft" setzt also auf die Anpassungsfähigkeit des wirtschaftlichen Systems sowie auf die unternehmerische Einsicht und das Interesse, bei gegebenen Anreizen Aufgaben aufzugreifen, die der Natur und dem Gemeinwohl dienen. Diese Konzeption berücksichtigt auch den Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft am Weltmarkt.
  4. Nur eine Änderung der wirtschaftspolitischen Ziele und entsprechende politische Entscheidungen führen zu Änderungen der Strukturen und Rahmenbedingungen und ändern somit auch das Handeln. Deshalb kommt der Formulierung dieser Ziele eine entscheidende Bedeutung zu. Der traditionelle Zielkatalog der Wirtschaft, "Vollbeschäftigung, Geldwertstabilität, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, angemessenes Wirtschaftswachstum und gerechte Einkommensverteilung", muß um das Ziel "Erhaltung der natürlichen Umwelt" erweitert werden. Damit wird unterstrichen, daß die Marktwirtschaft nur auf der Grundlage einer intakten Umwelt funktionieren kann und deshalb die ökologische Aufgabe durchaus ein genuines Ziel wirtschaftlicher Bemühungen sein muß. Dabei ist auszuschließen, daß der Wirtschaft zunächst falsche Anreize gesetzt werden, die zu Umweltschäden führen, deren Beseitigung wiederum Gewinne bringen. Es geht vielmehr darum, den Gedanken einer umfassenden Umweltverantwortung in ökonomische Zusammenhänge zu übersetzen und umweltpolitische Ziele in den gleichen Rang wirtschaftspolitischer Ziele zu setzen.
  5. Die Verpflichtung auf den Schutz der Umwelt stellt keine kosmetische Korrektur der bestehenden Wirtschaftsordnung dar, sondern einen grundlegenden Einschnitt. Eine ökologisch verpflichtete soziale Marktwirtschaft kommt ohne Gebote und Verbote, Abgaben, Kontrollen und Sanktionen nicht aus, wenn der Wirtschaftsprozeß umweltgerecht verlaufen soll. Wer gegen solche Normen verstößt, muß mit empfindlichen (und dadurch abschreckenden) Strafen zu rechnen haben. Soweit wie möglich muß das Verursacherprinzip gelten: Wer die Umwelt belastet, hat die Folgen zu tragen. Über Steuern und Auflagen läßt sich prinzipiell eine optimale Schonung der Umwelt erreichen. Je höher die Kosten bzw. Preise von umweltbelastenden Produktionsprozessen und Gütern sind, je vorteilhafter Produktion und Konsum umweltschonender Güter, desto stärker wird der Appell an die individuelle Verantwortung durch wirtschaftliche Erwägungen von Produzenten und Verbrauchern unterstützt.
  6. Hinzukommen muß jedoch auch eine Politik der gezielten Förderung von "sanften und alternativen Technologien", langlebiger und energiesparender Produktionsverfahren, umweltfreundlicher Techniken, landschaftsschonender Entwicklungspolitik u. a. in. Besonders zu fördern sind Arbeitsplätze aus Mitteln der öffentlichen Hand im Umweltbereich und in umweltrelevanten Bereichen. Dies gilt umso mehr, als Auszubildende und Studenten gerade in Berufe dieser Art drängen, wegen des verbreiteten Stellenmangels jedoch große Schwierigkeiten haben, am Arbeitsmarkt unterzukommen. Hierbei geht es nicht um ein "Aufblähen der Umweltbürokratie", sondern um einen Beitrag zur Arbeitsmarktpolitik durch die Förderung praktischer und planerischer Tätigkeiten.
  7. Eine ökologisch orientierte Wirtschaft sollte auch selbstorganisierte wirtschaftliche Projekte sowie Konzept und Versuche „alternativen Wirtschaftens" einschließen, die kleine und überschaubare Betriebsformen und Umweltfreundlichkeit besonders betonen. Von ihnen gehen wichtige innovative Impulse aus, auf die unsere Gesellschaft nicht verzichten sollte. Die Arbeitslosigkeits-Studie der EKD (1982) betont: "Die Freiräume einer sozialen Marktwirtschaft können für die Erprobung derartiger neuer Arbeits- und Betriebsformen von denen, die dieses Wagnis auf sich nehmen, durchaus genutzt werden!'
  8. Abzulehnen sind hingegen Forderungen, die auf ein alternatives Wirtschaftssystem setzen, das die Gefahr in sich trägt, die marktwirtschaftlichen Mechanismen gänzlich außer Kraft zu setzen und auf ausschließlich kleinteilige Wirtschaftsformen abheben oder auf eine bürokratische Lenkung der Wirtschaftsvorgänge im Interesse ökologischer Ziele. Dabei wird übersehen, daß auch zentrale Planwirtschaften bisher kaum Lösungen für die Umweltpolitik geboten haben. Von einem solchen Weg, der letztlich Zielkonflikten unserer Wirtschaft ausweicht und sich primär für einzelne ökologische Ziele entscheidet, sind ernste soziale und politische Folgen und nur mäßige ökologische Erfolge zu erwarten.

5.3 Eine umfassende ökologische Orientierung der Politik

  1. Die Forderung einer umfassenden ökologisch orientierten Politik geht von den Mängeln und Mißerfolgen der bisherigen umweltpolitischen Maßnahmen aus, die sich als sektorale Einzelmaßnahmen und ad-hoc-Regelungen defensiv an Belastungen und Schäden orientieren, meist auf raschen Erfolg aus sind und vom Zwang zum Provisorium bestimmt sind. Hier ist ein grundlegendes Umdenken erforderlich: Zu den mittlerweile umfassenden Einsichten in Wirkungs- und Nebenwirkungszusammenhänge muß auch ein umfassendes ökologiepolitisches Handeln kommen. Auch die bereits genannten Forderungen nach einem neuen Lebensstil und ökologisch verträglichem Wirtschaften sind nur im Rahmen einer solchen umfassenden ökologischen Umorientierung zu verwirklichen.
    Sicherlich waren die ad-hoc-Regelungen, das pragmatische Vorgehen des Staates und der Kommunen bei der raschen Schadensentwicklung der letzten Jahre in der unmittelbaren Entscheidungssituation unumgänglich. Weiterführende Ansätze und Forderungen stellten zumeist eine Überforderung der zum Handeln gezwungenen Politik dar, sie erschienen weder realisierbar noch praktikabel. Maximalforderungen trugen de facto eher zur Erschwerung als zur Erleichterung eines weiterführenden ökologiepolitischen Ansatzes bei. Anders als sonst in der Politik müßte Ökologiepolitik zuerst die Kunst des Notwendigen - und erst dann die Kunst des Möglichen sein.
    Der hier vorgetragene Gedanke einer umfassenden Ökologiepolitik konzentriert sich auf Grundgedanken, vermeidet als Handlungsrezepte. Er beschränkt sich auf vier Aufgaben der Politik: Setzung von Rahmendaten, Förderung, Kompetenzregelung und Versorgungssicherung.

5.3.1 Die Aufgabe der Setzung von Rahmendaten

  1. Erforderlich ist ein Prozeß der Umorientierung in den einzelnen Politikbereichen, der eine konsequente Abkehr von der Einstellung bedeutet, die Natur nur als Nutzungs- und Ausbeutungsobjekt des Menschen zu betrachten. Es besteht deshalb die Aufgabe, Rahmendaten zu setzen, die sich an folgenden Zielen orientieren:
    • Die Anerkennung des Eigenwerts der Natur, die Zuerkennung eines eigenen Existenzrechts der Natur im Sinne der oben genannten Mitkreatürlichkeit, die Erhaltung der Artenvielfalt und des Reichtums der Natur;
    • die Begrenzung der Nutzungsansprüche des Menschen gegenüber der Natur und der verantwortliche Umgang mit der Begrenztheit der Nutzungsmöglichkeiten;
    • die gerechte Teilhabe aller Menschen in unterschiedlichen Schichten und Nationen an den Leistungen und Gütern der Natur.

5.3.2 Die Aufgabe der Förderung

  1. Förderungsmaßnahmen sind als gezielte Investitionen zur Erhaltung des Lebens in der von Gott erschaffenen Welt zu verstehen. Ungeachtet der raschen Schadenseskalation der letzten Jahre ist der Gedanke gezielter Förderung zu sehr in den Hintergrund getreten. Aufwendungen für den Natur- und Umweltschutz müssen stärker unter dem Gesichtspunkt der" gutangelegten Investition in der Natur" gesehen werden. Eine umfassendere Umweltpolitik wird sich deshalb deutlicher in Förderungsmaßnahmen niederschlagen.
  2. Notwendig ist in diesem Rahmen:
    • Die nachdrückliche Förderung einer möglichst angepaßteren und intelligenteren Technik (sanfte Technik im Gegensatz zur Technik der harten Eingriffe, Förderung sogenannter "alternativer Technologie"), die einsichtsvoll die Grenzen der Natur mit einbezieht;
    • die Förderung solcher alternativer Lebensformen, die einen sinnvollen Beitrag zum Ganzen des Gemeinwesens darstellen;
    • die Förderung von Berufen (Ausbildungsförderung) und Stellen (Schaffung von Arbeitsplätzen in öffentlichen Bereichen, die Umweltschutzaufgaben und landespflegerische Aufgaben umfassen), die der Aufgabe einer intensiveren Verwirklichung umweltpolitischer Ziele dienen sollen;
    • die Förderung aller wirtschaftswissenschaftlichen Bemühungen, geeignete marktwirtschaftliche Instrumente für eine "ökologisch verpflichtete soziale Marktwirtschaft" zu entwickeln.

5.3.3 Die Aufgabe der Kompetenzregelung

  1. Der rechten Regelung der Kompetenzen kommt eine besonders wichtige Aufgabe zu. Die derzeitige ressortspezifische Bewirtschaftung von Umweltbelangen sowie die selbstständigen Fachpolitiken mit ihren Problemlösungen durch Arbeitsteilung und Abgrenzung unterliegen Gesetzmäßigkeiten, die eine langfristige und umfassende Grundlagensicherung nicht gewährleisten können. Sie führen im Gegenteil unter eingeengten Nutzungsinteressen zu irreversiblen Schäden. Zu beachten sind deshalb folgende Gesichtspunkte:
    • Erforderlich ist, die Zuständigkeiten, Aufgaben und Befugnisse (zum Beispiel der Fachverwaltungen und deren Planungen) neu zu regeln und derzeitige Widersprüche und Alleingänge sowie Konkurrenzverhältnisse abzubauen und die Verwaltungstätigkeit zu koordinieren.
    • Auf internationaler Ebene (besonders in der EG) sind flexiblere Kompetenzen und Entscheidungsmechanismen zu schaffen.
    • Die Betrachtung von Systemzusammenhängen erfordert ressortübergreifende und koordinierende Aufgabenbereiche. Entsprechende Aktivitäten wie Raumordnung, Umweltschutz, Landschaftspflege und Naturschutz müßten in ihrer Wirksamkeit politisch gestärkt werden. Dies ist nicht ohne geeignete Instrumente möglich. Deshalb sind die Verfahren und Einsatzmöglichkeiten der Technologiefolgenabschätzung sowie der Umweltverträglichkeitsprüfung öffentlicher und privater Maßnahmen erforderlich.
    • Eine ökologische Orientierung der Politik im ganzen bedeutet auch eine stärkere ökologische Orientierung jeglicher Planung als Umsetzung von Politik und Verwaltungshandeln. In dieser Hinsicht müssen die Eigenart und Eigenständigkeit von Landschaften und Teilräumen bei der räumlichen Entwicklungspolitik stärker beachtet werden. Damit soll erreicht werden, daß die räumliche Entwicklung nicht überall die gleichen Standards und Ziele verfolgt und somit angesichts unterschiedlicher räumlicher Potentiale eine vernünftige Funktionsteilung zwischen unterschiedlichen Räumen gewährleistet.

5.3.4 Die Aufgabe sparsamer Haushalterschaft

  1. Wohl an keiner Stelle zeigt sich die Notwendigkeit weitreichender und weitschauender Planung bei gleichzeitiger Notwendigkeit zur Berücksichtigung umfassender Zusammenhänge so deutlich wie beim Versorgungssystem, insbesondere bei der Versorgung mit Trinkwasser und Energie. Es ist deutlich geworden, wie sehr die Sicherstellung von Energie nicht nur technische, wirtschaftliche und ökologische, sondern auch innenpolitische, sozialpolitische, sozialpsychologische und andere Fragen oder Zusammenhänge mit betreffen kann. Auch in diesem Sinne bedarf es einer umfassenden Ökologiepolitik.
  2. Erforderlich ist
    • eine rationellere Nutzung der begrenzten Naturgüter, das heißt: gründliche Ausnutzung, Wiederverwendung nach Gebrauch, Nutzung von Abwärme und bisher vergeudeter Energie, Einschränkung nicht unbedingt notwendiger Nutzung, auch für die gesamte Volkswirtschaft.
    • die gezielte Berücksichtigung der Nebenwirkungen und Folgen bei der Nutzung der Naturgüter.

5.4 Die Aufgabe der Kirchen und Gemeinden

  1. Entschiedener und umsichtiger als bisher müssen Christen und Kirchen ihren eigenen Beitrag zur Erhaltung und Verbesserung der Lebensbedingungen in unserem Land und unserer Welt leisten. Bürger, Wissenschaftler und Techniker, Unternehmer und Politiker erwarten zu recht, daß die Kirchen sie in ihren Anstrengungen um die Sicherung unserer Zukunft nicht allein lassen. Unter Berufung auf ihre Verantwortung für das individuelle, jenseitige Heil dürfen sie sich nicht aus ihrer Verantwortung für die Gestaltung dieser Welt heraushalten. Von ihrem Selbstverständnis her haben die Kirchen einen vierfachen Beitrag einzubringen: das Licht der Wahrheit, die Kraft zur sittlichen Entscheidung, den Dienst der Versöhnung zwischen den widerstreitenden Positionen sowie Interessen und die Hoffnung ...
  2. Der Glaube an Gott, den Schöpfer, Erlöser und Vollender der Welt prägt das Denken und Verhalten des Menschen tiefgreifend und nachhaltig. Gerade die harte Kritik an den Kirchen, sie hätten das Licht der Wahrheit von der Schöpfung sträflich unter den Scheffel gestellt oder sie hätten das Irrlicht der selbstherrlichen Ausbeutung der Welt in der Geschichte entzündet, bestätigt indirekt doch die Macht, die man der geistlich-geistigen Orientierung bzw. Desorientierung zuschreibt. Die entscheidende Antwort auf diese teilweise nicht ganz unberechtigte Kritik kann nur lauten: Die Kirchen müssen ihre Lehre vom Menschen als Ebenbild Gottes und von der Welt als Schöpfung Gottes klarer und verständlicher formulieren, ihr Gehör verschaffen und die sittliche Verantwortung, die der Glaube verlangt und freisetzt, auch über den Kreis der Gläubigen hinaus plausibel und einladend verkündigen. In Predigt und Unterricht, in Lied und Gebet sollte der erste Glaubensartikel dazu anleiten, der Natur staunend in Dank und Lob des Schöpfers gegenüberzutreten und so ein Naturverhalten einzuüben, das über zweckrationales Nützlichkeitsdenken grundsätzlich hinausgeht. Zumal in unserem Lande stehen den Kirchen hierfür Einrichtungen zur Verfügung, die es zu nutzen gilt: Gottesdienst und Predigt, Gemeindekatechese und Erwachsenenbildung, theologische Fakultäten und Akademien, Kirchentage und wissenschaftliche Kongresse. Nicht nur die öffentliche Breitenwirkung, auch der sachkundige Dialog mit Wissenschaftlern und Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Politik sind Ziele, wofür die Kirchen alle verfügbaren Kräfte mobilisieren müssen. Wir Christen sollten uns angesichts der heute anstehenden Überlebensfragen von Menschheit und Welt und der bitteren Erfahrungen aus der Zeit des Dritten Reiches daran erinnern, daß auch verlegenes Schweigen und unschlüssiges Handeln schuldig machen können.
  3. Im Licht der Wahrheit sittliche Verantwortung aufzudecken wäre freilich zu wenig. Die Kirchen haben darüber hinaus den Auftrag und die geschichtliche Erfahrung einzubringen, Kräfte freizusetzen zur Wahrnehmung solcher Verantwortung. Wenn nicht die Kirche, wer sonst hilft den Gutwilligen, vor den ungeheuren Aufgaben nicht resigniert zu kapitulieren? Der gute Wille braucht überdies geeignete Einübungsfelder und gangbare Wege, um das Land der Zukunft zu erschließen. So unscheinbar die Anfänge auch erscheinen mögen, Alltagstugenden in Gruppen, Gemeinden und Bewegungen einzuüben - die Langzeitwirkung kann beachtlich sein, wie die Geschichte des Christentums ermutigend beweist. Die kulturschaffende Kraft der Orden in Altertum und Mittelalter, Diakonie und Fürsorge der christlichen Gemeinden und die soziale Bewegung der letzten hundert Jahre, die Pionieraufgabe der Kirchen in Deutschland in der Entwicklungshilfe nach dem Zweiten Weltkrieg sind Hoffnung spendende Beispiele für die Kirchen, auch die heute bedrängende Herausforderung der Ökologieproblematik und der damit verknüpften Probleme des Bevölkerungswachstums und der Verelendung der Massen in der Dritten Welt in der Kraft christlichen Glaubens anzunehmen. Die Nähe der Gemeinden und Verbände zum primären Lebensraum des Großteils der Bevölkerung sind eine einmalige Chance der Kirchen in unserer immer noch christlich beeinflußten Gesellschaft. Daß aus dem Raum des ehedem christlichen Abendlandes auch Ideologien in alle Welt ausgegangen sind, welche die verheerenden Zerstörungen der Lebensbedingungen in unserem Jahrhundert entscheidend mit ausgelöst haben, ist ein Grund mehr, daß sich die Kirchen in Deutschland ihrer geschichtlichen Verantwortung für die Welt stellen.
  4. Beispielhaftes Verhalten der Kirchen und Gemeinden als Grundeigentümer, Bodenbewirtschafter, Bauherr und Anstellungsträger muß daher die Bildungs- und Erziehungsbemühungen der Kirchen stützen, wollen sie ihren Kredit nicht verspielen. Die Sympathie für die franziskanische Bewegung, die Beheimatung umweltbewußter Gruppen und Bürgerinitiativen im Raum der Kirchen, die Bestellung von Umweltbeauftragten sowie die Feier der Schöpfung im Gottesdienst dürfen nicht länger ein ruhiges Gewissen schaffen, den christlichen Beitrag abgegolten zu haben. Deshalb müssen kirchliche Mitarbeiter und Einrichtungen mit gutem Beispiel vorangehen. Dazu zählen z. B. auch die Einschränkung von Dienstreisen mit dem PKW zugunsten einer stärkeren Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel, der Verzicht auf chemische Unkrautvertilgungsmittel in Gärten und Anlagen, die Verstärkung von Energiesparmaßnahmen in kirchlichen Gebäuden, eine getrennte Müllsammlung, so daß eine Wiederverwertung von Abfällen ermöglicht wird.
  5. Schließlich können und müssen Kirchen und Gemeinden den Dienst der Vermittlung und Versöhnung zwischen den Fronten leisten. Als Verkündiger des Glaubens können sie zur Versachlichung und Vertiefung der Diskussion beitragen, weil sie die gewiß ernsten Sachprobleme um Rohstoffe und Energie, Umwelt und Bevölkerungswachstum nicht voreingenommen und konfrontativ nach Art der Ideologen behandeln, sie auch nicht skeptisch und resigniert auf sich beruhen lassen, sondern in den Sachfragen die Grundfrage aufdecken: Was soll nach dem Willen ihres Schöpfers aus dem Menschen selbst und aus der Erde selbst werden? Dem Auftrag des Glaubens verpflichtet, können die Kirchen zugleich weniger abhängig von der Gunst und Zustimmung ihrer Mitglieder oder einflußreicher Förderer als demokratische Parteien sein, die sich alle paar Jahre zur Wiederwahl stellen müssen, als Unternehmer- und Gewerkschaftsverbände, welche die Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen zu vertreten haben. Von Kirchen wird deshalb erwartet, daß sie sich zum Anwalt der Schwächsten und Ärmsten machen: der vielen, die nicht in Interessenverbänden organisiert sind, der Völker der Dritten Welt, die der Kirche genauso nahe und wichtig sein müssen wie die Christen im eigenen Land, aber auch der bedrohten Schöpfung, der sie Stimme verleihen soll. Es steht den Kirchen nicht nur gut an, es ist sogar ihre von Gott gegebene Pflicht, diese Freiheit mit aller Kraft und Klugheit in die Waagschale zu werfen, um dem Recht aller Menschen und dem Eigenwert der übrigen Schöpfung im harten Ringen der Tagesfragen gebührend zum Sieg zu verhelfen. Für diese Rolle sind Kirchen und Gemeinden bislang nur unzureichend gerüstet. Die Aufgaben werden zwar mehr und mehr begriffen, aber nun müssen sie auch tatkräftig in Angriff genommen werden.
  6. Entscheidend aber ist, daß die Kirchen und Gemeinden Hoffnung vermitteln und deutlich machen, daß das Wahrnehmen von Verantwortung für die Schöpfung Gottes nicht gelähmt sein darf durch apokalyptische Ängste, vielmehr im Vertrauen auf Gottes Zusage schöpferische Kräfte des Menschen entdecken läßt und freisetzt. Im apostolischen Glaubensbekenntnis bekennt die Christenheit: Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde". Die gesamte Christenheit glaubt an den Schöpfer, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde", und also auch den Menschen mit der Erde als seiner Umwelt". Damit anerkennen Christen Gottes Anspruch auf die Welt und vertrauen auf die Zusage, daß der Schöpfer zugleich der Erhalter und Erlöser ist und bleibt. Wer diese Glaubensaussage mitspricht, unterscheidet Schöpfer und Schöpfung und läßt sie doch in Gottes Zuwendung beieinander bleiben. Die Schöpfung ist vergänglich und zerstörbar. Die Kräfte der Zerstörung und die Macht der Sünde gefährden und bedrohen sie. Wir Heutigen nehmen Gefährdung und Zerstörbarkeit von Natur und Mensch wahr, wenn wir nur bereit sind, die Welt unvoreingenommen zu betrachten. Aus solcher Sicht erwachsen ethische Aufgaben und Verpflichtungen. Um ihnen standhalten zu können, brauchen wir Gottes Hilfe. Deshalb bitten wir um die Erhaltung der Welt und hoffen auf die Erlösung aller Kreatur. Mit dem Psalmisten sprechen Christen: "Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und seine Bewohner. Denn er hat ihn auf Meere gegründet, ihn über Strömen befestigt" (Psalm 24,1.2).