Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung

4. Die christliche Botschaft von Schöpfung, Erlösung und Vollendung der Welt

  1. In unserer Gesellschaft wird seit Jahren in einem vielschichtigen Diskurs nach der ethischen Vernunft Im Umgang mit unseren naturalen Lebensgrundlagen gefragt. An diesem Diskurs beteiligen sich viele engagierte Christen, die aus ihrem spezifischen Verständnis von Welt von Welt und Geschichte heraus bestimmte Wegorientierungen und Grundhaltungen mitbringen. Es wird sich zeigen, daß der christliche Glaube eine vertiefte Sicht der Umwelt als Schöpfung erschließt und unserem Denken und Handeln einen neuen umfassenderen Sinnhorizont eröffnet. Dadurch werden wir befähigt, uns mit den Tendenzen der Gefährdung kritisch auseinanderzusetzen und positive Impulse zu ermutigen. Gewiß bilden sich auch sonst im Bewußtsein der Gesellschaft Elemente von ganzheitlicher Sinnerfahrung, entschlossener zeitkritischer Reflexion und vorwärtsdrängendem politischen Engagement heraus. Es wird jedoch deutlich, daß die christliche Botschaft von höchster Bedeutung nicht nur für eine vertiefte Motivation des Handelns, sondern auch für die Findung des richtigen Weges ist.

4.1 Kritische Anfragen an die herkömmliche Schöpfungslehre

  1. Dem Christentum wird heute verschiedentlich vorgeworfen, die ökologische Krise sei eine historische Folge des biblischen Schöpfungsglaubens, der die Welt entgöttlicht und dadurch dem schrankenlosen Zugriff des Menschen wehrlos ausgeliefert habe. Eine so pauschale Anklage ist weder historisch noch faktisch haltbar. Die gegenwärtige Umweltkrise hat vor allem mit Beginn der industriellen Revolution ihren Anfang genommen. Sie ist nicht eigentlich Folge des Christentums, sondern eines einseitigen wissenschaftlich-technischen Wirklichkeitsverständnisses und der damit verbundenen Verabsolutierung des Menschen. Ebenso wenig haltbar ist der gegenteilige, gleichfalls pauschale Vorwurf, das Christentum sei von jeher weltflüchtig eingestellt gewesen und habe deshalb in den letzten Jahrhunderten kein rechtes Verhältnis zum Fortschritt in Wissenschaft und Technik gefunden. Wenn auch die Kirchen beiden Tendenzen nicht immer entschieden genug widerstanden haben, sind sie ihnen doch nicht durchgängig erlegen.
  2. Die Kirche hat den Glauben an Gott, den Schöpfer, den ewigen Vater Jesu Christi, der die Welt uns Menschen als Lehen zur Erhaltung und Gestaltung gab, stets bekannt und im Gottesdienst gefeiert. Gleichwohl gehen die genannten Anschuldigungen an den Kirchen nicht vorbei. Denn die Krise des modernen Naturverständnisses und des Umgangs mit der Natur hat in bestimmten Interpretationen der christlichen Schöpfungslehre ihren Ausdruck gefunden. Wir Christen haben uns vielfach dem Zeitbewußtsein und dessen Abwertung der natürlichen Umwelt zu unkritisch angepaßt und darüber die Lehre von der Schöpfung faktisch verkürzt. Theologie und Predigt hatten diese Lehre fast ausschließlich auf das Verhältnis Gottes zum Menschen eingeengt, sie wurde mit den Einsichten der neuzeitlichen Naturwissenschaft erst spät ins Gespräch gebracht. Wie konnte es dazu kommen? Wir stellen diese Frage nicht anklagend, sondern um zu verstehen und Versäumtes nachzuholen.
  3. Auf die Ablösung des antiken und mittelalterlichen Denkens durch eine neuzeitliche Philosophie und neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse reagierten die Kirchen zunächst in der Weise, daß sie sich mit dem Aufweis der Vereinbarkeit der biblischen Schöpfungslehre mit dem naturwissenschaftlichen Weltbild begnügten und vor vermessenen Eingriffen in die Natürlichkeit des Menschen durch Medizin und Psychologie warnten. So trugen sie durch Wort und Tat dazu bei, daß in der industriellen Revolution erkannt wurde, wie notwendig die Wahrung von Menschenwürde und sozialer Gerechtigkeit war. Über diesen Aufgaben kam jedoch das Bemühen zu kurz, sich zum Anwalt der Natur und ihres Eigenwertes zu machen.
  4. Aus dieser Entwicklung heraus wird verständlich, daß die christliche Theologie die drohenden Gefahren für die Umwelt nicht rechtzeitig erkannte und in Verlegenheit geriet, als die Bedrohung der Umwelt plötzlich mit Macht ins allgemeine Bewußtsein trat. Inzwischen hat aber die Theologie die Herausforderung angenommen, durch die Wiederentdeckung und Vertiefung der biblischen Schöpfungslehre ihren Beitrag zu den Gegenwartsproblemen zu leisten. Bisher unbeachtete Schätze der Überlieferung wurden in biblischer und systematischer Theologie zu Tage gefördert.

4.2 Das Verhältnis des Menschen zur Natur im Licht der Bibel

  1. Aufgeschreckt durch das offenkundig gewordene Ausmaß der Zerstörung unserer Umwelt und angestoßen durch die moderne Schriftauslegung, befragen wir die Bibel des Alten und Neuen Testament nach dem gottgewollten Verhältnis des Menschen zu seinen Mitgeschöpfen. Dabei interessiert nicht allein die ursprüngliche Absicht des Schöpfers, sondern auch das Zerwürfnis dieses Verhältnisses durch die Sünde des Menschen wie schließlich seine Heiligung durch die Erlösung in Jesus Christus.

4.2.1 Der Herrschaftsauftrag des Menschen

  1. Wir Menschen sind vom Schöpfer berufen, als seine Beauftragten der Welt in Ehrfurcht vor dem Geschaffenen zu begegnen, sie zu gestalten, zu nutzen und ihrer Erhaltung zu dienen. In dieser Bestimmung zeigt sich die Würde des Menschen und zugleich seine Begrenzung.
    In der jüngeren der beiden Schöpfungsgeschichten der Bibel (Genesis 1) fragt der Verfasser angesichts der gegenwärtig gestörten Beziehung zwischen Gott und Welt zurück nach der ursprünglichen Absicht Gottes mit seiner Schöpfung. Die Schöpfungsgeschichte unterstreicht: "Gott sah alles, was er gemacht hatte: Es war sehr gut." Dieses abschließende Urteil betrifft die einzelnen Werke in ihrem Zusammenhang, aber auch ihre Zuordnung zueinander und ihre Hinordnung auf den Schöpfer. Die Geschöpfe sind für sich selbst und füreinander ein Geschenk, das mit Dankbarkeit und zum Lobe des Schöpfers angenommen sein will.
  2. Innerhalb der Schöpfungsordnung kommt dem Menschen in Unterscheidung von den Mitgeschöpfen eine Sonderstellung zu. "Macht euch die Erde untertan und herrscht über alle Tiere!", so läßt sich der göttliche Weltauftrag in knapper Form wiedergeben. Die beiden Schlüsselworte "untertanmachen/unterwerfen" und "herrschen" müssen weit behutsamer gedeutet werden, als dies vielfach geschah. Sie dürfen nicht im Sinne von "Unterdrückung" und "Ausbeutung" verstanden werden.
  3. In der Zeit der Entstehung dieser Texte herrschte ein Naturverständnis vor, das in numinoser Scheu bestimmte Gebiete der Umwelt tabuisierte und von Furcht vor der übermächtigen Natur bestimmt war. Damals konnte man sich nicht vorstellen, daß der Mensch jemals so stark werden würde, daß er die Erde aufbrauchen könnte. Den biblischen Autoren ging es vielmehr darum, die Befreiung des Menschen aus der Obermacht der Natur zu fördern. Heute hat sich die Problematik genau umgekehrt: Die Natur ist in hohem Maße vom Menschen bedroht.
  4. "Untertanmachen" (Genesis 1,28) bedeutet, die Erde (den Boden) mit ihrem Wildwuchs "botmäßig, gefügig machen". Dies geschieht etwa, wie der Gebrauch des Wortes im Alten Testament zeigt, in der Landnahme Israels in Kanaan (Numeri 32,29; Josua 18,1). Der Boden wird in ein Abhängigkeitsverhältnis gesetzt, vergleichbar dem Verhältnis eines Herrn zu seinem untergeordneten Knecht, der Gehorsam schuldet, zugleich aber auch nicht ausgebeutet und ohne fürsorgenden Schutz gelassen werden darf. Dem Menschen wird also von Gott in dem Herrschaftsauftrag aufgetragen, durch seine Arbeit das Angesicht der Erde zu schonen, zu gestalten, sie zu verändern, sie bewohnbar und fruchtbar zu machen.
  5. Das Herrschen des Menschen über die Tierwelt hebt sich von der Unterwerfung des Bodens nach biblischem Sprachgebrauch deutlich ab. Es erinnert an das Walten eines Hirten gegenüber seiner Herde (Ezechiel 34,4; Psalm 49,15). Gott legt dem Menschen das Leiten und Hegen der Tiergattungen auf (Genesis 1,26.28). Der Mensch soll Übergriffen einer Tierart auf die andere wehren, um auch auf diese Weise die Tiere vor ihren Feinden zu schützen. Wie wenig aber die Tiere menschlicher Willkür freigegeben werden, sieht man auch daran, daß der erste Schöpfungsbericht Mensch und Tier nur vegetarische Nahrung zuweist. Auch die Nahrungszuweisung für die Tiere wird in den Segen, der über den Menschen ergeht, eingeschlossen (Genesis 1,29f), seiner Fürsorge unterstellt. Der Herrschaftsauftrag des Menschen und seine sachgemäße Ausübung stehen und fallen mit der Gottebenbildlichkeit. Sie gilt dem Menschen innerhalb und außerhalb des Gottesvolkes; sie ist unabhängig von Geschlechtzugehörigkeit, Rassen und Klassen. Nur wenn und solange der Mensch in seiner einzigartigen, unmittelbaren Gottesbeziehung lebt - genau dies ist mit Gottesebenbildlichkeit gemeint - und wenn er nach der Weise Gottes, als Beauftragter Gottes seine Herrschaft ausübt, entspricht diese dem Willen Gottes.
  6. Der zweite, ältere Schöpfungsbericht (Genesis 2) bekräftigt auf seine Weise den Doppelbezug des Menschen zum Boden einerseits, zu den Tieren andererseits. Die Erdhaftigkeit des menschlichen Daseins wird hier besonders betont. Der Mensch (hebr. Adam) ist eng mit dem Boden (hebr. Adama) verbunden. Von ihm genommen und zu ihm zurückkehrend, erhält er sein Leben durch dessen Kräfte (Genesis 2,73,17f). Die menschliche Hauptaufgabe besteht darin) den Boden zu bearbeiten (Genesis 2,6; 3,23), was hebräisch so ausgedrückt wird, daß Adam der Adama zu "dienen" hat. Adam benennt in göttlichem Auftrag die Tiere und ordnet sie damit seinem Lebenskreis ein. So erkennt die Schöpfungsgeschichte das Tier als beseeltes Lebewesen an (Genesis 2,17-19).

4.2.2 Das Verderben der Erde durch die menschliche Sünde

  1. Seiner Bestimmung zur schöpfungsgemäßen Welterhaltung und Weltgestaltung weicht der Mensch nach der Bibel von Anfang an aus und veräußert dadurch nicht nur sein eigenes Dasein, sondern die Erde überhaupt.
    Die Erzählung von der Sünde des Menschen (Genesis 3) läßt keinen Zweifel daran, daß der Mensch zwar um seine Bestimmung weiß, ihr aber in selbstzerstörerischer Eigensucht zuwiderhandelt und dadurch seine ganze Lebenswelt in Mitleidenschaft zieht. Die Erzählung will den unbegreiflichen Widerstreit zwischen Gottes guter Ausstattung der Schöpfung und der Erfahrung des gestörten Daseins aufzeigen. Bemerkenswert ist, daß sich die Urverfehlung des Menschen Gott gegenüber auch auf die Schöpfung auswirkt. Unabhängig von Gott will der Mensch aus eigener Machtvollkommenheit sein Leben bestimmen und selbst festlegen, was seinem Dasein förderlich oder schädlich ist. Die Folgen der verkehrten Selbstorientierung (Genesis 3,7-24, Römer 1,18-32; 7,14-24) belegen, wie alle geschöpflichen Beziehungen - zwischen Mann und Frau, Mensch und Tier, Mensch und Erde, Mensch und Arbeit - vom Fluch dieser Tat betroffen werden. Tödliche Kräfte werden freigesetzt (Genesis 4,8-16).
    Die ursprüngliche Bestimmung der Kreatur ist vom Menschen zwar verwirkt, Gott hält jedoch seine Segensabsicht und damit die Bestimmung des Menschen weiterhin aufrecht (Genesis 12,13f).
  2. Eindringlich symbolisiert auch die Sintflutgeschichte die Abirrung vom göttlichen Auftrag. Sie beginnt mit der Feststellung, daß alles Fleisch (Mensch wie Tier) durch zunehmende Gewalttätigkeit die Erde insgesamt verdorben und sie mit Gewalt und Unheil erfüllt hat; nun kommt das Verderben über sie (Genesis 6,11ff). Drastisch heißt es danach von der Selbstherrlichkeit des Menschen gegenüber dem Tier: Furcht und Schrecken vor euch sei über allen Tieren der Erde ... Alles, was sich regt und lebt, sei eure Speise" (Genesis 9,20). Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ist auch von Fremdbestimmung und Angst bestimmt.
    Zugleich aber wird die Bundestreue Gottes erneut zugesagt (Genesis 8,21-9,7) und das dem Menschen entfremdete Tier einbezogen in den Gottesbund (Genesis 9,8f).
  3. Der verdiente Fluch über die ganze Kreatur und Gottes dennoch anhaltende Treue werden auch im Neuen Testament vorausgesetzt, wie am deutlichsten der Römerbrief (Römer 8,19-22) belegt: Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat; aber zugleich gab er ihr Hoffnung: Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt."

4.2.3 Der Mensch und seine Mitgeschöpfe

  1. Die von 1 Gott gewollte Erhaltungsordnung nach der Sintflut schränkt das hinfort zugestandene Nutzen, Ausbeuten und Töten tierischer Wesen durch den Menschen mit einem gewichtigen rituellen Vorbehalt ein: "Allein esset das Fleisch nicht mit seinem Blut, in dem sein Leben ist!" (Genesis 9,4). Dem alttestamentlichen Menschen gilt das Bluttabu als das Zeichen eines letzten Respekts vor der Verfügungsgewalt Gottes über die Tiere. Grundsätzlich ist dadurch das Tier mehr als eine Sache. Dem Tier eignet durch das von Gott gegebene Leben ein Eigenwert vor Gott, den der Mensch zu respektieren hat.
  2. Der eigene Rang tierischen Daseins macht erst begreiflich, daß im alttestamentlichen Sühneritual u. U. tierisches Leben stellvertretend für das menschliche vor Gott in den Tod geschickt werden kann (Levitikus 17,11). Hieran wird zugleich erkennbar, daß es eine Rangordnung des Lebens gibt, die das menschliche Dasein über jedes tierische stellt.
  3. Daraus ergibt sich selbstverständlich, daß das Verhältnis des Menschen zum Tier ethisch zu bestimmen ist: "Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs, aber das Herz der Gottlosen ist grausam" (Sprichwörter 12,10). Das alttestamentliche Gesetz stellt deshalb auch das Verhältnis zu Tieren und Pflanzen unter gewisse göttliche Sanktionen (Levitikus 19,19.23; Deuteronomium 22,6f u.ö.). Tierquälerei ist für die biblischen Autoren ein religiöses Vergehen. Zwischen dem Eigentümer und seinem Tier waltet eine Art Gemeinschaftsbezug. Das Tier ist mehr als nur ein Objekt zur Verwertung seines Fleisches, sein Wert geht über die bloße Nützlichkeit seiner Leistung hinaus.
    Die christliche Ethik wird sich nicht auf menschliches Leben allein beziehen können, sondern muß tierisches und pflanzliches Leben, ja auch die leblose Natur mit einbeziehen.

4.2.4 Sinn und Bestimmung der unbelebten Schöpfung

  1. Die Welt ist in Gottes Augen nicht nur deshalb "sehrgut" (Genesis 1,31), weil sie dem Menschen Nahrung und Behausung gibt. Sie soll ihm überdies den überwältigenden Eindruck einer Schönheit vermitteln, welche die Herrlichkeit Gottes und das geheimnisvolle Wirken seines Geistes widerspiegelt.
    Nach dem ersten Schöpfungsbericht dienen Sonne, Mond und Sterne dazu, den Zeitablauf der Schöpfung Gottes zu regeln. Nicht nur die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes (Psalm 19), sondern auch Bäche und Flur, wilde und zahme Tiere leiten den Betrachter zu dem Bekenntnis: "Herr, wie zahlreich sind deine Werke! Mit Weisheit hast du sie alle gemacht, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen" (Psalm 104, 24). Damit wird die Natur nicht als gleichrangige Offenbarungsquelle neben das Christusgeschehen gestellt, wohl aber eine Verbundenheit Gottes mit seiner Schöpfung vor Augen gestellt, die zu einem staunenden Umgang des Menschen mit der Natur führen und ihn auf ihren Schöpfer hin öffnen soll.

4.2.5 Die Hoffnung für alles Lebendige im Neuen Testament

  1. Die neutestamentliche Christusbotschaft greift die alttestamentlichen Aussagen über die Verbundenheit des Menschen mit allem Lebendigen auf und gibt ihnen vom Christusereignis her eine endzeitliche Zielsetzung. In den Zeichen und Wundern Jesu wird deutlich, zu welcher Herrlichkeit die Schöpfung berufen ist. Jesu Kreuz ist Erweis des Leidens in dieser Welt und schafft damit auch die Bereitschaft für die Christen, das Kreuz auf sich zu nehmen. Die Hoffnung der Auferstehung schafft eine Hoffnung für diese Welt; in sie ist die nichtmenschliche Kreatur mit einbezogen.
  2. Auf diese universelle Hoffnung verweisen auch apostolische Briefe. Die Erlösungstat Jesu Christi erstreckt sich nicht nur auf den Menschen, sondern auf alle Kreatur. Jesus Christus - so heißt es im Christushymnus des Kolosserbriefes (Kolosser 1,15-20; ähnl. Epheser 1,3-14) - ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung ... Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.» Durch Jesus Christus ist die Heilung der Schöpfung und ihre Rückführung zu Gott unwiderruflich in Gang gekommen. Dieser Prozeß nimmt zumal die Christen in die Pflicht. Das Ziel der Wege Gottes ist nicht nur die Erneuerung der Menschheit, sondern auch die Erneuerung der ganzen Schöpfung.
  3. Der Glaube an Gott den Schöpfer ist zugleich ein Glaube an Gott als den Erhalter und Lenker seiner Schöpfung. Viel zu oft ist das vergessen worden. Wenn die Menschen sich dieser Wahrhheit entgegenstellen und durch ihr Verhalten die Erde zerstören, handeln sie dem Schöpfer und dem Sinn der Schöpfung zuwider. Gottes Verantwortung für sein Volk legt der Menschheit wiederum Verantwortung auf für das Leben der Schöpfung. Nur in dieser Fürsorge wird die Bestimmung der Gottebenbildlichkeit im Gegenüber zur Welt voll verwirklicht.

4.3 Grundlegende theologische Folgerungen

  1. Aus diesen theologischen Einsichten lassen sich nicht unmittelbar konkret anwendbare Folgerungen ableiten, z. B. für Wachstumsraten, für Sicherheitsprobleme der Kernenergie und für zulässige Quoten der Umweltbelastung. Es gilt, fundamentaler und grundsätzlicher anzusetzen. Auf Grund dieser Einsichten muß es zu einer Kehrtwendung, zu einem neuen Denken und Handeln und zu einer Horizonterweiterung kommen. Der Beitrag der Christen zur Bewältigung der ökologischen Probleme besteht vor allem darin, jenes neue Denken anzustoßen, das zu einem sensibleren Verhältnis der Menschheit zu Welt, Geschichte und Natur führt. Es kommt darauf an, die Natur so zu "regieren", daß sie nicht zerstört wird. Dafür müssen alte Fähigkeiten des schonenden Umgangs neu eingeübt werden. Die Wiederentdeckung der Welt als kreatürlich bewohnte und genutzte Schöpfung Gottes sowie als Mitkreatur steht uns eigentlich noch bevor.

4.3.1 Der Schöpfungsglaube: Ruf in die Verantwortung

  1. Das durch die Offenbarung erschlossene Verständnis der Schöpfung Gottes eröffnet uns zunächst den Blick für unsere Herkunft, für die radikale Verbundenheit des Menschen als Leibwesen mit der Kreatur. Die Neuentdeckung menschlicher Verantwortlichkeit für die Natur und die Erfahrung des zutiefst beunruhigten Gewissens angesichts der Verfehlungen an der Natur können nicht durch wohlmeinende Beteuerungen abgegolten werden. Vielmehr muß der Mensch für die verhängnisvollen Auswirkungen seines Handelns einstehen und seine Verantwortung in Zukunft voll und ganz auf sich nehmen.
  2. Der Mensch ist verpflichtet, seine unwandelbare Verwurzelung in der Natur anzunehmen und auszugestalten, statt durch herrschaftliches Gehabe seinen Lebensraum und damit sich selbst zu gefährden. Der Mensch ist gehalten, den Eigenwert seiner Mitgeschöpfe zu achten, nicht durch einen auf totale Nutzung gerichteten Fortschrittsglauben die Natur bloß vordergründig nach ihrem Gebrauchswert zu bemessen. Denn Dinge und Tiere haben ihren Sinn und ihren Wert gerade auch in ihrem bloßen Dasein, ihrer Schönheit und ihrem Reichtum in. Der Mensch ist schließlich gehalten, die Welt als Gleichnis Gottes zu verwalten und zu erhalten.
  3. Das Zeugnis der Schrift von der Schöpfung öffnet uns für die Gegenwart die Einsicht in die Vielfalt und den Zusammenhang all dessen, was ist. Dies verlangt dem Menschen das ständige Bemühen ab, im gläubigen Vertrauen auf die vom Schöpfer geschaffenen Gesetzmäßigkeiten, Sinngestalten und Zielkräfte der Eigengesetzlichkeit, seiner Umwelt unter unendlichen Mühen und unter Hinnahme bitterer Enttäuschungen allmählich auf die Spur zu kommen und sich dabei bewußt zu sein, daß die aus der Erfahrung gewonnenen Einsichten immer korrekturbedürftig bleiben.
  4. Aus solchem Bewußtsein gewinnt der Mensch im Wissen um die Endlichkeit und die Hinfälligkeit der Schöpfung die Verantwortungsfähigkeit für ihre Zukunft. Darin nimmt er teil an der göttlichen Lenkung der Welt, der Ausführung des göttlichen Weltplanes. Er ist ermächtigt und verpflichtet, in der von Gott geschenkten Kraft und Weisheit die in der Schöpfung angelegten Möglichkeiten sinnvoll im Laufe der Geschichte zu entfalten. Dies geschieht dann richtig, wenn der Mensch sich seiner selbst und seiner Umwelt als Geschenk des Schöpfers bewußt wird und sein Handeln von Lob und Dank zu Gott, von Anbetung, Bitte und Fürbitte begleitet wird.

4.3.2 Die Christusbotschaft: Eröffnung von Zukunft jenseits der Geschichte

  1. Die Botschaft von der Erlösung, welche Hoffnung auf ein Heil begründet, das die innerweltliche Zukunft übersteigt, kann nicht ohne Folgen sein für ein ökologisches Ethos, das darauf abhebt, auch Verantwortung gegenüber der innerweltlichen Zukunft wahrzunehmen. Der Glaube an Jesus Christus entläßt den Menschen nicht aus seiner Weltverantwortung, nimmt ihm die Probleme seiner technischen Weit nicht ab. Er stellt den Menschen vielmehr in seinen dankbaren und durch keinen Mißerfolg enttäuschbaren Dienst an der Welt. Denn diese Welt, die dem Menschen nicht nur als Gabe, sondern auch als Aufgabe gegeben ist, soll er bebauen und bewahren. Was der Mensch aus seiner Welt macht, ist wie die sogenannten „Haushaltergleichnisse" (z.B. Matthäus 25,14ff, Markus 12,1f) des Neuen Testaments zeigen, keineswegs belanglos auch für die neue Welt jenseits der Geschichte.

4.3.3 Der Mensch unterwegs: Mahnung zu realistischer Weltverantwortung

  1. Die biblischen Aussagen von der Selbstbehauptung des Menschen ohne Gott und gegen Gott, die letztlich nur in der Selbsthingabe Jesu Christi überwunden ist, mahnen uns zu geschichtlicher Nüchternheit (2. Korinther 4,7ff). Der Hinweis auf die Gebrochenheit der menschlichen Existenz läßt uns auch menschlichen Fortschritt in einem anderen Licht sehen. Die biblischen Geschichten von der Urverfehlung (Genesis 3-11) samt der eigenen Erfahrung des Scheiterns und der Verfehlung lehren uns die Ambivalenz wissenschaftlich-technischen Fortschritts erkennen.
  2. Im Blick auf ein verantwortliches Leben in der alten Schöpfung wie auch im Blick auf ihre jetzige und zukünftige Zugehörigkeit zur neuen Schöpfung sind alle Menschen auf das eine Ebenbild Gottes, Jesus Christus, verwiesen. Dem Leben des Christen ist dadurch eine Grundrichtung gegeben, die durch eine fortschreitende Erneuerung gekennzeichnet ist: Der alte Mensch ist abgelegt, der neue ist angezogen. Diese Christusbeziehung bewährt sich im gestaltenden und sich selbst begrenzenden Gehorsam der Steuerung von Natur und Kultur. Darin ist der Mensch Mandatar Gottes in der Schöpfung und darf auch im technischen Zeitalter wagen, es zu bleiben.
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