Statement zu "Soziale Sicherung jenseits der Erwerbsarbeit" , Paulskirche Frankfurt/Main - DEKT

Manfred Kock

"Nur was die Lage der Schwächeren bessert, hat Bestand"

Es gilt das gesprochene Wort

I.

Hier in der Paulskirche in Frankfurt, am historischen Ort des Umbruchs und des Aufbruchs zur Demokratie in Deutschland, hat die Zukunftswerkstatt Arbeit den gegenwärtigen tiefgreifenden Wandel der Arbeitsgesellschaft analysiert und diskutiert und in der Theaterwerkstatt szenisch umgesetzt.

Was haben die biblische Botschaft und der christliche Glauben mit diesem großen Umbau zu tun, der mit unterschiedlicher Intensität die ganze Welt erfasst und darum gerne auch mit der Chiffre der "Globalisierung" beschrieben wird?

Der christliche Glaube ist Geschenk Gottes und menschliche Antwort auf Gottes große Umgestaltung und Neuschöpfung, an der Gott uns durch sein Wort um Christi Willen teilhaben lässt, uns elenden Menschen "zur vollkommenen Erlösung und Gerechtigkeit" (Heidelberger, 18).

Der christliche Glaube ist daher auch selbst eine große und beharrliche Kraft der Umgestaltung und Erneuerung. In einzelnen Christenmenschen und in Gemeinden ist diese Kraft lebendig. Sie schweigt nicht zum Unrecht. Sie kapituliert nicht vor Lieblosigkeit. "Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig" (2. Kor. 12 ,9).

Der christliche Glaube setzt sich auseinander mit gesellschaftlichen Veränderungen des Strukturwandels und der technologischen Entwicklungen, nimmt Anteil daran, beteiligt sich an den öffentlichen Diskussionen und gestaltet den Umbau mit. Christen "suchen der Stadt Bestes" und beten für sie zum Herrn. (Jer. 29, 7).

Die Kirchen beschäftigten sich intensiv mit den Fragen des gesellschaftlichen Umbaus. Sie selbst sind ja auch Teil des Wandels, aktiv und passiv, und müssen in rasch sich veränderndem Kontext Antworten finden in Verkündigung und Seelsorge, im Unterricht, im kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA), in der Diakonie und allen weiteren Bereichen. Die Kirchen sollen im Umbruch Halt finden und Halt geben.


II.

Arbeit und soziale Sicherheit

"Das Leistungsvermögen der Volkswirtschaft und die Qualität der sozialen Sicherung sind zwei Pfeiler einer Brücke. Die Brücke braucht beide Pfeiler. Heute ist die Gefahr groß, dass die Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten der sozialen Sicherung gestärkt werden soll. Nicht nur als Anwalt der Schwachen, sondern auch als Anwalt der Vernunft warnen die Kirchen davor, den Pfeiler der sozialen Sicherung zu untergraben". So hat das Gemeinsame Wort der Kirchen "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" den sozialethischen Grundsatz einer Untrennbarkeit von Marktwirtschaft und sozialer Sicherung, von Eigenverantwortung und sozialem Ausgleich formuliert. (1997, Ziffer 9)
Über vier Jahre lang wird das von uns zitiert. Viele sagen: das ist so richtig, dass es nichts mehr bewegt. Die eigentlichen Schwierigkeiten, um diese banalen Richtigkeiten politischen Handelns umzusetzen, sind nicht erfasst. Wie, so fragen die Kritiker, wie soll denn globales Wirtschaften sozial gesteuert werden ohne weltumspannende Regelungsinstrumente? Ich sage aber, so wie die Gültigkeit von Handelsverträgen oder Schifffahrtsregeln weltweit funktioniert, so muss es auch mit der Verabredung von Sozialstandards gelingen.
Eine Gesellschaft mit menschlichem Antlitz braucht internationale Verabredungen. Im Gemeinsamen Wort der Kirchen sind im 3. Kapitel die "Perspektiven und Impulse aus dem christlichen Glauben" (Ziffer 91 ff.) beschrieben. Zu seinen Kennzeichen gehört das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe, die vorrangige Option für die Armen, die biblisch verstandene Gerechtigkeit, die Gott schenkt und die uns Menschen als Gabe und Aufgabe übertragen ist, Solidarität und Subsidiarität und Schöpfungsverantwortung sind Voraussetzung für eine Weltinnenpolitik.

III.

Unser Beitrag zu einem Umbau in Solidarität und Gerechtigkeit

Ich will einige Beispiele nennen dafür, wie wir in den Kirchen in unseren Zeiten des Umbruchs das Evangelium bezeugen und damit mitbauen können an dem wohnlichen Haus, von dem noch niemand genau weiß, wie es nach dem großen Umbau aussehen wird.

3.1 Stichwort "Dialog"
In Zeiten des Wandels ist es besonders wichtig, nicht nur mit Gleichgesinnten den Meinungsaustausch zu pflegen, sondern verstärkt den Dialog mit Andersdenkenden, mit Betroffenen und Fachleuten zu suchen. Die Kammern der Evangelischen Kirche in Deutschland zeigen, dass dies möglich ist und gelingen kann. Auch die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland führt solche Dialoge. Sie bereitet jetzt ihre nächste Sitzung zum Thema "Globale Wirtschaft - verantwortlich gestalten" vor. In diesem Schwerpunktthema wird die Option für die Armen mit großer Entschiedenheit verdeutlicht werden. An diesem Dialog werden aber auch diejenigen beteiligt, die in der Globalisierung in erster Linie Chancen und lebensdienliche Möglichkeiten wahrnehmen und sich und anderen Vorteile versprechen.

3.2 Stichwort "Jobholder Value"
In der öffentlichen Diskussion über wirtschaftliche und soziale Fragen dreht sich oft alles um den Shareholder Value, um die Leistung, die für die Eigentümer erbracht wird, während der Jobholder Value, die Leistung von Unternehmen für die Beschäftigung, wenig Beachtung findet.

Vor vier Jahren war der Kirchentag der Ort, an dem durch die Initiative des damaligen Kirchentagspräsidenten, Dr. Rainer Meusel, mit großem Nachdruck die öffentliche Aufmerksamkeit auf den "Jobholder Value" gelenkt worden ist. Diesen Impuls hat die Evangelische Kirche im Rheinland aufgegriffen und hat das Arbeitsplatzsiegel "Arbeit Plus" in einem Pilotprojekt entwickelt, das seit zwei Jahren von der Evangelischen Kirche in Deutschland weitergeführt wird. Mit diesem Siegel werden Firmen ausgezeichnet, die vorbildliche Leistungen erbringen auf dem Gebiet der betrieblichen Beschäftigungspolitik. Firmen, die das Arbeitsplatzsiegel "Arbeit Plus" erhalten haben, sind z.B. die Allianz-Sachversicherung, Aluminium Essen, Oetker-Nahrungsmittel, aber auch die hiesige Flughafen AG, die zwar nicht auf  dem Gebiet der Ökologie, wohl aber, wie uns unabhängige Fachleute bestätigen, auf dem Gebiet der Beschäftigungspolitik Vorbildliches leistet.

Soeben ist das Arbeitsplatzsiegel ergänzt worden, so dass sich nun auch kleinere Unternehmen, die weniger als 50 Beschäftigte haben, um das Arbeitsplatzsiegel "Arbeit Plus" bewerben können. Sehr herzlich lade ich auch an dieser Stelle die Betriebe ein, sich um "Arbeit Plus" zu bewerben.

3.3 Stichwort "Innehalten"
Keine Woche vergeht, in der nicht öffentlich Forderungen gestellt werden, den Schutz des Sonntags- und der Feiertage weiter zu lockern. Videos sollen auch am Sonntag ausgeliehen werden können, Sportveranstaltungen sollen auch am Karfreitag durchgeführt werden können usw. usw.

 Demgegenüber halten die Kirchen an der vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantierten Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen fest. Die Menschen haben ein Anrecht darauf, am Rhythmus der Schöpfung und am gemeinsamen Wechsel von Arbeit und Ruhe, Arbeitsmühe und Feierabend zu  partizipieren. Vielleicht verändert der Umbau unserer Gesellschaft die Leitbilder und hilft dazu, dass das Leitbild des Güterwohlstandes, an dem weite Kreise der Bevölkerung sich orientieren, allmählich zurückgedrängt wird durch das des Zeitwohlstandes, das sich gegenwärtig, wie ich meine, in Herzen, Hoffnungen und Phantasien vieler Menschen einnistet.

3.4 Stichwort "Zivilgesellschaft"
Der moderne Sozialstaat bedarf einer ihn tragenden und ergänzenden Sozialkultur. Darum spielen die Familien, die Bürgerbewegungen und die Ehrenämter oder die der wechselseitigen Nachbarschaftshilfe im Gemeinsamen Wort der Kirchen eine hervorgehobene Rolle.

Ich meine, es geht darum, in Zukunft verstärkt Ressourcen zu mobilisieren, Freiwillige zu gewinnen und Betroffene zu Beteiligten zu machen. Ehrenamtliche geben der Gesellschaft das Kostbarste, was sie besitzen, nämlich etwas von ihrer Lebenszeit. Die Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement ist heute - trotz gegenteiliger Behauptungen - ungebrochen hoch. An vielen Orten der Bundesrepublik Deutschland sind inzwischen sogenannte "Freiwilligenzentren" entstanden. Selbstorganisation ist ihr Kennzeichen. In Kuratorien und Beiräten vereinen sich sachkundige und sozial interessierte Personen, Vertreter und Vertreterinnen der Kirchen, Verantwortliche verschiedener Verbände, Initiativen, selbstorganisierte Hilfegruppen und Entscheidungsträger. Auch die freiwillige Arbeit hat eine hohe Professionalität gewonnen.

Auffallend ist die starke Motivation, die Lernbereitschaft und das Engagement, das Freiwillige in die Arbeit mitbringen. Diese Menschen setzen ein Zeichen für ein menschliches Miteinander in unserer Gesellschaft. Freiwillige müssen aber erfahren, dass sie eine wichtige, nützliche, sinnvolle und notwendige Arbeit leisten. Das sind wir den Freiwilligen schuldig. Darum sind Freiwillige auch in Entscheidungen einzubeziehen. Motivation und Identifikation werden durch Partizipation außerordentlich stark gefördert. Diese Bewegung hin zu einem stärkeren zivilgesellschaftlichen Engagement ist in vollem Gange. Seit Jahren beobachten wir eine Zunahme der privaten Initiativen in Deutschland, in Europa und in den westlichen Industrieländern, eine beachtliche Zunahme der Stiftungen, der Spendentätigkeit, der Freiwilligenarbeit und der sozialen Netze vor Ort. Dies ist eine Entwicklung, die Mut macht. In unserem System sozialer Sicherung muss diese Entwicklung stärker anerkannt und gefördert werden.


IV.

Schluss

Zum Umbau einer Gesellschaft gehören hochgespannte Erwartungen, Goldgräberstimmung auf der einen und Skepsis und tiefe Ängste auf der anderen Seite. Der Wandel würfelt die Gewinner und Gewinnerinnen, die Verlierer und Verliererinnen der gesellschaftlichen Entwicklung durcheinander und neu zusammen. Darum braucht der große Umbau der Gesellschaft viel Zeit, Geduld und Aufmerksamkeit, Solidarität und Bereitschaft zu teilen und er braucht die Kraft gemeinsamer Hoffnung auf ein Leben in Solidarität und Gerechtigkeit, eine Kraft Gottes, die in den Schwachen mächtig ist.