Im Fokus dieser Wahl steht ja auch der sogenannte Bible Belt in den Südstaaten. Was ist das genau und welchen Einfluss haben diese Staaten auf den Ausgang der Wahl?
Kopania: Dort leben sehr konservative Christinnen und Christen. In Deutschland würden wir diese als Evangelikale bezeichnen. Sie sind so bibeltreu , dass sie Texte aus der Bibel wörtlich nehmen und auf Basis dessen ihre Meinung, Sichtweise und politische Überzeugung bilden. Im Bible Belt verfangen dann natürlich sehr schnell Fragen der Sexualmoral, LGBTQ, Ablehnung der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, Abtreibung – alles kritische Fragen. Von daher ist diese Region bei einem Präsidenten, der exakt auf diese Themen setzt – jetzt auch wieder mit der Benennung der letzten Bundesrichterin Amy Coney Barrett, die als katholische Christin sehr klar konservativ-christlich positioniert ist – sehr wichtig und auch für die Wahl ganz entscheidend. Weite Teile des Bibel-Belts wählen republikanisch.
Ist die Kirche in USA deutlich politischer als in Deutschland?
Kopania: Nein, das kann man so nicht sagen. Erstens gibt es ein Gesetz für religiöse Organisationen, dass sie sich nicht politisch betätigen dürfen. Sie dürfen natürlich ihre Meinung sagen als Staatsbürgerin oder Staatsbürger. Zweitens gibt es unter den Kirchen meiner Wahrnehmung nach eine Dreiteilung. Wir haben einmal die ganz konservativen Kreise, dazu zählen der Bible Belt und die Evangelikalen im weitesten Sinne, die ihre Kernthemen besetzen. Dann haben wir die sogenannten „Mainline-Churches“, dazu zählt unter anderem auch unsere EKD-Partnerkirche die ev.-luth. Kirche in Amerika, die im Grunde in derselben Schwierigkeit sind, wie die anglikanische Kirche beim Thema „Brexit“, das sie unter ihren Mitgliedern sehr starke konservative republikanische Kräfte haben und in ihrer Leitungsstruktur eher demokratisch arbeiten. Von daher geben sie keine Wahlempfehlung, sondern versuchen, über Themen die Spaltung der amerikanische Gesellschaft zu überwinden. Beispielsweise zu der Frage, wie wir mit Fremden umgehen und Einwanderungsgesetze so verändern, dass sie menschenwürdig gestaltet sind. Auch die Frage nach der Krankenversicherun
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g und der Zugang zu medizinischer Versorgung stehen im Fokus der thematischen Stellungnahme. Und dann gibt es wenige, aber nicht weniger bedeutsame Kirchen, wie die zweite Partnerkirche der EKD, die United Church of Christ (UCC), die sich sehr klar demokratisch positionieren.
Von daher kann man nicht davon sprechen, dass Protestanten eher demokratisch oder Mainline-Churches eher demokratisch sind, sondern diese Aufteilung macht es sehr schwierig, hier ein klares kirchliches Votum zu haben. Es gibt ein breites Spektrum an Meinungen.
Welche Beobachtungen haben Sie noch gemacht bei dieser Wahl?
Kopania: Die politische Einschätzung in den USA ist sehr spannend. Im Miami-Dade-County, in dem meine Familie wohnt, haben viele junge Hispanics offensichtlich für Trump gestimmt. Dass junge Einwanderer so wählen, sorgt natürlich erstmal für Verwunderung. Auch die spanisch-sprachige Gesellschaft ist da sehr gespalten. Miami-Dade ist zu 80 Prozent spanisch-sprachig. Die Kubaner tragen nach wie vor das Trauma der Schweinebucht und des Verhaltens John F.Kennedys mit sich herum und fühlen sich von den Demokraten verlassen. (Anm.: 1961 hatte Kennedy einen militärischen Angriff auf Kuba unternommen, der jedoch scheiterte. Dieser Angriff war die Folge auf die Machtübernahme von Fidel Castro mit seinen Revolutionären 1959. Woraufhin die USA jeglichen Warenhandel mit Kuba stoppten. Das Land sollte wirtschaftlich ausgehungert werden und seine Abhängigkeit gegenüber der Weltmacht Amerika spüren.) Aus dieser historischen Situation kommt für die Kubaner das Wählen der Demokraten nicht in Frage.
Für die Amerikaner ist das Funktionieren der Wirtschaft ein viel, viel größerer Faktor, als wir das in Deutschland so wahrnehmen. Da steht Donald Trump – zumindest bis vor der Covid-Krise – für einen absoluten Boom der Wirtschaft und für Arbeitsplätze. An diesem Boom hängt in den USA nahezu alles – von der Ausbildung über die Krankenversicherung, die Jobs, das Freizeitleben, bis hin zur Rente, die in Fonds angelegt ist. Wenn die Wallstreet nicht funktioniert, dann bröckeln die Rentenfonds zusammen. Das erleben junge Latinos ebenfalls so.
Das Zweite, was sehr stark verfängt, ist der Vorwurf des Sozialismus an die Demokraten. Gerade Lateinamerikaner kommen oft aus Gesellschaften, die teilweise dauerhaft oder in Teilen sehr sozialistisch geprägt sind. Diese Menschen haben in ihrem Leben schon erfahren, dass Gesellschaften zusammenbrechen können. Gerade viele ältere Einwanderer haben erlebt, dass man in den USA etwas erreichen kann, wenn man das will. Deshalb stehen sie den sozialstaatlichen Leistungen sehr kritisch gegenüber.
Diese beiden Stichworte: Wirtschaft und der Vorwurf des Sozialismus an die Demokraten bringen den Großteil der Latinos für Donald Trump an die Wahlurnen. Obwohl aus deutscher Sicht das Wahlprogramm der Demokraten ja eher an ein konservatives CDU-Programm erinnert.
Das ist für mich eine bemerkungswerte Entwicklung, der man noch weiter nachgehen sollte.
Was würde ein Präsident Biden für Europa bedeuten?
Kopania: Für Europa wäre es sicherlich unter einem Präsident Biden etwas weniger lautstark, was die Auseinandersetzungen angeht in den diversen Fragen von Verteidigung, Wirtschaft oder internationale Politik, aber die grundsätzlichen Forderungen wie zu den Leistungen an die NATO oder der höheren Beteiligung an den Ausgaben würden auch von demokratischer Seite – in einer sicherlich diplomatisch sehr viel angenehmeren Art und Weise formuliert – aber, dass es unbedingt sehr viel leichter werden würde, die transatlantische Zukunft zu gestalten, wage ich zumindest zu bezweifeln. Emotional und persönlich wäre es aber sicherlich auf einem völlig anderen Niveau. Aber mit den Forderungen wird sich Europa auch zukünftig auseinandersetzen müssen.
(Stand: 4. November 2020)