US-Wahl: „Das fühlte sich alles sehr irritierend an“

Interview mit Frank Kopania, Leiter der Auslandsabteilung der EKD

Frank Kopania ist Leiter der Auslandsabteilung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Als US-Bürger hat er bei der US-Wahl 2020 die Briefwahl genutzt. Wie er die Wahl erlebt hat und welche Rolle die Kirchen in den USA bei der Wahl gespielt haben, erzählt er im Interview.

Frank Kopania

Frank Kopania ist Leiter der Auslandsabteilung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Als US-Bürger hat er bei der US-Wahl 2020 die Briefwahl genutzt.

Welche Eindrücke haben Sie vom Wahlkampf und der Wahl in diesem Jahr?

Frank Kopania: Dass überhaupt der Wahlvorgang und alles, was damit zusammenhängt, von präsidialer Seite in Frage gestellt worden und auch aus diversen Ecken heraus torpediert worden ist – angefangen bei einem neuen Beauftragten für die Post, der Monate vor der Wahl eine Reorganisation der US-Post durchführen wollte – das fühlte sich alles sehr irritierend an. Zudem hat der amtierende Präsident offen gelassen, ob er die Wahl anerkennen wird oder nicht. Dazu passen die nun vollkommen ohne jede faktische Basis getroffene Erklärung Trumps über seinen Sieg und die sehr bewusst gesetzten Andeutungen über Unregelmäßigkeiten bei der Auszahlung. Dies alles gipfelt in die wirklich unsinnige Ankündigung den Supreme Court anzurufen, der faktisch zunächst gar nicht zuständig ist, da die Bundestaaten in eigener Verantwortung die Wahl organisieren und zunächst im jeweiligen Bundestaat gerichtliche Klärungen zu treffen wären.

Meiner Wahrnehmung nach erleben wir in den letzten 24 Stunden durch den Präsidenten einen absoluten Tiefpunkt der amerikanischen Demokratie. Ich nehme trotz aller Anspannung in den USA aber auch von meiner Familie und meinem Freundeskreis in Süd-Florida wahr, dass es vor Ort deutlich ruhiger zugeht, als dies in deutschen Medien teilweise auch sehr zugespitzt berichtet wird. Dies ist allerdings mein persönlicher Blickwinkel aus Miami. An anderen Orten der USA sind die Anspannungen, Konflikte und Auseinandersetzungen sicherlich brisanter. Trotz allem Wirbel habe ich ein großes Vertrauen in die amerikanische Justiz, die mit staatspolitischem Sachverstand notwendige Entscheidungen treffen wird, ohne Ansehen der Person. 

Wie groß sind die Spaltungen in der amerikanischen Gesellschaft, die in letzter Zeit häufig medial thematisiert wurden?

Kopania: Die Spaltungen in der Gesellschaft der USA sind enorm. Risse gehen durch ganze Familien hindurch. Das Thema Politik wird in vielen Familien kaum mehr diskutiert, wenn man weiß, dass Familienmitglieder unterschiedlicher Auffassung sind. Das hat schon eine Qualität, die ich vor vier oder auch vor acht Jahren so nicht erlebt habe. Vor 12 Jahren als ich in meiner damaligen Auslandsgemeinde begonnen habe, haben wir noch das Konterfei von Barack Obama in den Schaukasten der Kirche gehängt und auch ein nennenswerter Teil der Gemeindeglieder, die republikanisch gestimmt haben, hat das natürlich negativ benannt, aber in einer Art und Weise, dass man darüber miteinander sprechen konnte. Das hat sich mittlerweile deutlich verschärft. Das macht mir Sorgen für die kommenden vier Jahre, weil dieser Riss durch die amerikanische Gesellschaft wahrnehmbar schwieriger geworden ist.

Im Fokus dieser Wahl steht ja auch der sogenannte Bible Belt in den Südstaaten. Was ist das genau und welchen Einfluss haben diese Staaten auf den Ausgang der Wahl?

Kopania: Dort leben sehr konservative Christinnen und Christen. In Deutschland würden wir diese als Evangelikale bezeichnen. Sie sind so bibeltreu , dass sie Texte aus der Bibel wörtlich nehmen und auf Basis dessen ihre Meinung, Sichtweise und politische Überzeugung bilden. Im Bible Belt verfangen dann natürlich sehr schnell Fragen der Sexualmoral, LGBTQ, Ablehnung der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, Abtreibung – alles kritische Fragen. Von daher ist diese Region bei einem Präsidenten, der exakt auf diese Themen setzt – jetzt auch wieder mit der Benennung der letzten Bundesrichterin Amy Coney Barrett, die als katholische Christin sehr klar konservativ-christlich positioniert ist – sehr wichtig und auch für die Wahl ganz entscheidend. Weite Teile des Bibel-Belts wählen republikanisch.

Ist die Kirche in USA deutlich politischer als in Deutschland?

Kopania: Nein, das kann man so nicht sagen. Erstens gibt es ein Gesetz für religiöse Organisationen, dass sie sich nicht politisch betätigen dürfen. Sie dürfen natürlich ihre Meinung sagen als Staatsbürgerin oder Staatsbürger. Zweitens gibt es unter den Kirchen meiner Wahrnehmung nach eine Dreiteilung. Wir haben einmal die ganz konservativen Kreise, dazu zählen der Bible Belt und die Evangelikalen im weitesten Sinne, die ihre Kernthemen besetzen. Dann haben wir die sogenannten „Mainline-Churches“, dazu zählt unter anderem auch unsere EKD-Partnerkirche die ev.-luth. Kirche in Amerika, die im Grunde in derselben Schwierigkeit sind, wie die anglikanische Kirche beim Thema „Brexit“, das sie unter ihren Mitgliedern sehr starke konservative republikanische Kräfte haben und in ihrer Leitungsstruktur eher demokratisch arbeiten. Von daher geben sie keine Wahlempfehlung, sondern versuchen, über Themen die Spaltung der amerikanische Gesellschaft zu überwinden. Beispielsweise zu der Frage, wie wir mit Fremden umgehen und Einwanderungsgesetze so verändern, dass sie menschenwürdig gestaltet sind. Auch die Frage nach der Krankenversicherung und der Zugang zu medizinischer Versorgung stehen im Fokus der thematischen Stellungnahme.  Und dann gibt es wenige, aber nicht weniger bedeutsame Kirchen, wie die zweite Partnerkirche der EKD, die United Church of Christ (UCC), die sich sehr klar demokratisch positionieren. 

Von daher kann man nicht davon sprechen, dass Protestanten eher demokratisch oder Mainline-Churches eher demokratisch sind, sondern diese Aufteilung macht es sehr schwierig, hier ein klares kirchliches Votum zu haben. Es gibt ein breites Spektrum an Meinungen.

Welche Beobachtungen haben Sie noch gemacht bei dieser Wahl?

Kopania: Die politische Einschätzung in den USA ist sehr spannend. Im Miami-Dade-County, in dem meine Familie wohnt, haben viele junge Hispanics offensichtlich für Trump gestimmt. Dass junge Einwanderer so wählen, sorgt natürlich erstmal für Verwunderung. Auch die spanisch-sprachige Gesellschaft ist da sehr gespalten. Miami-Dade ist zu 80 Prozent spanisch-sprachig. Die Kubaner tragen nach wie vor das Trauma der Schweinebucht und des Verhaltens John F.Kennedys mit sich herum und fühlen sich von den Demokraten verlassen. (Anm.: 1961 hatte Kennedy einen militärischen Angriff auf Kuba unternommen, der jedoch scheiterte. Dieser Angriff war die Folge auf die Machtübernahme von Fidel Castro mit seinen Revolutionären 1959. Woraufhin die USA jeglichen Warenhandel mit Kuba stoppten. Das Land sollte wirtschaftlich ausgehungert werden und seine Abhängigkeit gegenüber der Weltmacht Amerika spüren.) Aus dieser historischen Situation kommt für die Kubaner das Wählen der Demokraten nicht in Frage. 

Für die Amerikaner ist das Funktionieren der Wirtschaft ein viel, viel größerer Faktor, als wir das in Deutschland so wahrnehmen. Da steht Donald Trump – zumindest bis vor der Covid-Krise – für einen absoluten Boom der Wirtschaft und für Arbeitsplätze. An diesem Boom hängt in den USA nahezu alles – von der Ausbildung über die Krankenversicherung, die Jobs, das Freizeitleben, bis hin zur Rente, die in Fonds angelegt ist. Wenn die Wallstreet nicht funktioniert, dann bröckeln die Rentenfonds zusammen. Das erleben junge Latinos ebenfalls so. 

Das Zweite, was sehr stark verfängt, ist der Vorwurf des Sozialismus an die Demokraten. Gerade Lateinamerikaner kommen oft aus Gesellschaften, die teilweise dauerhaft oder in Teilen sehr sozialistisch geprägt sind. Diese Menschen haben in ihrem Leben schon erfahren, dass Gesellschaften zusammenbrechen können. Gerade viele ältere Einwanderer haben erlebt, dass man in den USA etwas erreichen kann, wenn man das will. Deshalb stehen sie den sozialstaatlichen Leistungen sehr kritisch gegenüber. 

Diese beiden Stichworte: Wirtschaft und der Vorwurf des Sozialismus an die Demokraten bringen den Großteil der Latinos für Donald Trump an die Wahlurnen. Obwohl aus deutscher Sicht das Wahlprogramm der Demokraten ja eher an ein konservatives CDU-Programm erinnert.

Das ist für mich eine bemerkungswerte Entwicklung, der man noch weiter nachgehen sollte. 

Was würde ein Präsident Biden für Europa bedeuten?

Kopania: Für Europa wäre es sicherlich unter einem Präsident Biden etwas weniger lautstark, was die Auseinandersetzungen angeht in den diversen Fragen von Verteidigung, Wirtschaft oder internationale Politik, aber die grundsätzlichen Forderungen wie zu den Leistungen an die NATO oder der höheren Beteiligung an den Ausgaben würden auch von demokratischer Seite – in einer sicherlich diplomatisch sehr viel angenehmeren Art und Weise formuliert – aber, dass es unbedingt sehr viel leichter werden würde, die transatlantische Zukunft zu gestalten, wage ich zumindest zu bezweifeln. Emotional und persönlich wäre es aber sicherlich auf einem völlig anderen Niveau. Aber mit den Forderungen wird sich Europa auch zukünftig auseinandersetzen müssen.

(Stand: 4. November 2020)