„Ökumenische Aufgaben am Beginn des 21. Jahrhunderts“ - Nikaean Club des Erzbischofs von Canterbury, Lambeth Palace, London

Wolfgang Huber

I.

Als Papst Paul VI. im Jahr 1969 den Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf besuchte, begegnete er dort dem damaligen Generalsekretär des Rates, Eugene Blake, der von seinen Kollegen nur „Gene“ genannt wurde. Es wird berichtet, Seine Heiligkeit habe seine Ansprache mit dem würdevollen Satz begonnen. „We are Peter“; der Generalsekretär soll darauf geantwortet haben: „Call me Gene“.

Ich bin sehr dankbar dafür, hier in Lambeth Palace zu Gast sein zu dürfen, ohne mich gedanklich mit vergleichbaren Konstellationen auseinandersetzen zu müssen. Dass unsere Freundschaft und persönliche Zusammenarbeit, verehrter und lieber Bruder Rowan Williams, für unsere Kirchen so fruchtbar und weiterführend sind, ruht auf Grundlagen, die uns vorgegeben sind und auf denen wir dankbar aufbauen. Seit 1988 verbindet uns die Gemeinsame Erklärung von Meissen mit ihrer Entfaltung unseres gemeinsamen Glaubens und ihren Folgerungen für die Gemeinschaft unserer Kirchen. Darin verpflichten wir uns darauf, uns an unserem jeweiligen kirchlichen Leben Anteil zu geben, uns wechselseitig eucharistische Gastfreundschaft zu gewähren und nach sichtbarer Einheit zu streben.

Unsere regelmäßigen theologischen Gespräche führen uns in wachsendem gegenseitigem Verständnis zueinander. Immer wieder werden dabei zentrale theologische Themen aufgegriffen. Das kirchliche Amt und die Ausbildung zu diesem Amt – die uns beide aus nahe liegenden Gründen besonders interessiert – , das Verhältnis von Amt und Eucharistie oder – wie im vergangenen November in Düsseldorf-Kaiserswerth – das ökumenische Verständnis von Autorität und Gebrauch der Heiligen Schrift sind Beispiele dafür. In diesem Monat findet in Berlin ein englisch-deutsches kirchenhistorisches Symposion zum Thema „Sister Reformations“ statt, das mit einem gemeinsamen Gottesdienst im Berliner Dom endet. Diese Beispiele unserer gemeinsamen Arbeit an theologischen Grundfragen verdeutlichen die innere Kraft, die der Meissen-Prozess inzwischen angenommen hat.

Längst jedoch hat unsere Beziehung das Stadium allein theologischer Gespräche verlassen. Ganz im Geist von Meissen entwickeln sich vielfältige lebendige Begegnungen, die Gemeinden und Landeskirchen aus Deutschland und Diözesen der Kirche von England zusammenführen. Mir liegt natürlich ganz besonders die Partnerschaft zwischen London und Berlin am Herzen, die ich gemeinsam mit Bischof Richard Chartres ins Leben rufen durfte. Vorbildlich ist aber auch die Partnerschaft zwischen der Lutherischen Landeskirche in Braunschwieg und der Diözese Blackburn mit vielfältigen Besuchen, Konfirmandenprojekten und zahlreichen gemeinsamen Gottesdiensten. Im Blick auf diese Partnerschaft sind wir sehr dankbar dafür, dass der Braunschweigische Landesbischof Friedrich Weber bereit ist, auf deutscher Seite den Vorsitz der Meissen-Kommission zu übernehmen. Ich bin sicher, dass er gemeinsam mit Bischof Nick Baines dem Meissen-Prozess wichtige Impulse auf dem weiteren Weg zu sichtbarer Einheit geben wird.

Ein weiteres Feld unserer sehr fruchtbaren ökumenischen Gemeinschaft ist die geschwisterliche, vertrauensvolle und bereichernde Zusammenarbeit zwischen Gemeinden der Kirche von England und der Synode deutschsprachiger Gemeinden in Großbritannien. Wir sind dankbar für die tägliche Kooperation, die es diesen mit uns so eng verbundenen deutschsprachigen Gemeinden möglich macht, ihren Auftrag der Verkündigung in einem ökumenischen Geist zu erfüllen.

Es bleibt von großer Bedeutung, dass diese ökumenische Verbundenheit ihren Beitrag zu dem Versöhnungsprozess leistet, der zwischen unseren Völkern aus der Schuld und der Last unserer Geschichte von Feindschaft zu neuer Gemeinschaft in Frieden und gemeinsamer Verantwortung geführt hat. Vor wenigen Tagen haben wir uns an den Beginn des Zweiten Weltkriegs erinnert, der mit Hitlers Angriff auf Polen begann. Trauer und Scham angesichts der unzählbaren Zahl von Opfern verbinden sich mit dem staunenden Dank dafür, dass aus den Trümmern jenes Krieges die Bereitschaft zur Versöhnung wuchs. Wenn wir in diesen Wochen an das Geschenk der friedlichen Revolution vor zwanzig Jahren denken, erinnern wir uns auch daran, dass das europäische Friedensprojekt, das auf die zerstörerische Gewalt des Krieges antwortete, nun den ganzen europäischen Kontinent umfassen kann. Für die gemeinsame Verantwortung der europäischen Kirchen ergeben sich daraus große Chancen und große Verpflichtungen.

Auf das Jahrhundert der Weltkriege zurückzublicken, bedeutet aber auch, sich an Friedensinitiativen zu erinnern, mit denen weitsichtige Christen in unseren beiden Ländern der Dynamik kriegerischer Gewalt zuvorzukommen versuchten. Im Jahr 1908, sechs Jahre vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs, wurde das Vereinigte Kirchliche Komitee zur Pflege freundschaftlicher Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland ins Leben gerufen. Diese Gründung wurde ein wichtiger Baustein bei der Entwicklung der Friedens- und Freundschaftsarbeit der Kirchen, zu deren großen Früchten wir die Freundschaft zwischen Bischof George Bell und Dietrich Bonhoeffer zählen dürfen. Zwei Ökumeniker erwähne ich damit, die ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ökumenische Organisationen entstehen konnten, die unserer ökumenischen Verpflichtung eine bis dahin unbekannte institutionelle Gestalt gegeben haben.

Unsere beiden Kirchen sind verbunden durch eine gemeinsame ökumenische Erfahrung und durch eine gemeinsame ökumenische Verantwortung zugleich. Dankbar blicken wir auf die ökumenischen Neuansätze, die aus den Erschütterungen des Zeitalters der Weltkriege entstanden sind. Das Jahr 1925, in dem die Nicean Association entstand, ist ökumenisch ganz besonders durch die Erste Weltkonferenz für Praktisches Christentum (Life and Work) geprägt. Ich bewahre in meinem Archiv die Unterlagen auf, die meine Mutter von diesem Ereignis mitbrachte, da sie als junge Studentin ihren Vater, der Delegierter in Stockholm war, auf dieser Reise begleiten durfte. Es dauerte lange, bis aus diesem Anstoß der Ökumenische Rat der Kirchen wachsen konnte. Im vergangenen Jahr haben wir sein sechzigjähriges Jubiläum gefeiert; in diesem Jahr hat sich das fünfzigjährige Jubiläum der Konferenz Europäischer Kirchen angeschlossen.

II.

Der Dank dafür, dass es diese multilateralen ökumenischen Organisationen gibt, verbindet sich mit erheblichen Sorgen über ihren weiteren Weg. Umso ermutigender ist die Beobachtung, dass ein neues Nachdenken über ihre Funktion wie über eine Stärkung ihrer Wirksamkeit in Gang gekommen ist.

Bei der Vorbereitung der Vollversammlung der Konferenz Europäischer Kirchen und erst recht in den Debatten und Entscheidungen der Vollversammlung selbst, die im Juli dieses Jahres in Lyon stattfand, haben wir die Erfahrung wechselseitiger Unterstützung, gegenseitiger Beratung und eines gemeinsamen Erfolges gemacht. Die Beiträge der Kirchen in Großbritannien insgesamt und besonders der Kirche von England haben wesentlich dazu beigetragen, dass der ursprüngliche Antrag der EKD auf eine grundlegende Reform der KEK in präzisierter Form von einer Mehrheit von 90% der Delegierten angenommen wurde. Nun haben wir gemeinsam in den nächsten Jahren die Aufgabe, diese Reform der KEK auch tatsächlich zustande zu bringen. Wir wollen gemeinsam daran mitwirken, dass die KEK sich in ihrer Arbeit auf das konzentrieren kann, was multilateralen Organisationen in besonderer Weise möglich ist:

- die Gemeinschaft untereinander durch die Entdeckung und Erneuerung von Elementen gemeinsamer Spiritualität zu fördern,

- die Debatte um ethische Grundorientierungen so untereinander zu führen, dass sie in den Kulturen und Gesellschaften des zusammenwachsenden Europa gehört wird und zu ihrer Orientierung beiträgt,

- die Positionen der Kirchen zu wichtigen Fragen der europäischen Entwicklung so zu bündeln, dass sie mit größerer Wirksamkeit gegenüber den europäischen Institutionen wie in der Öffentlichkeit unseres Kontinents vorgebracht werden können.

Dabei leitet uns nicht das Bild einer uniformen Ökumene. Sichtbare Einheit setzt nicht das Verschwinden von Unterschieden voraus. Unsere Fähigkeit, uns in unserer Unterschiedlichkeit zu respektieren und mit Verschiedenheiten geschwisterlich umzugehen, wird ein besonders wichtiger Beitrag für die Zukunft unseres Kontinents und unserer Welt sein. Denn darin zeigt sich, was die christlichen Kirchen, ja die Religionen überhaupt zum Zusammenhalt einer Gesellschaft beitragen können, die durch Pluralität geprägt ist.

In gleicher Weise haben wir auch große gemeinsame Möglichkeiten, im Ökumenischen Rat der Kirchen dazu beizutragen, dass er in seiner Arbeit von den Mitgliedskirchen getragen wird und seine Aufgaben besser und wirksamer wahrnehmen kann. Während der Sitzung des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates vor wenigen  Tagen wurde sichtbar, dass die Initiative zur Reform der KEK auch auf den ÖRK zurückwirkt.

Die Perspektiven für den ÖRK sind bei seiner letzten Vollversammlung in Porto Alegre in Umrissen beschrieben worden. Die Aufgabe, dies weiter zu präzisieren, zu konzentrieren und vor allem umzusetzen, ist jedoch noch kaum in Angriff genommen. Ich habe die Hoffnung, dass die Wahl von Olav Fykse Tveit als neuem Generalsekretär und der in Gang gebrachte Arbeitsprozess zur Neuordnung des ÖRK weiterführende Impulse geben werden. Eine Arbeitsgruppe für Leitung, Rechenschaft und Arbeitsstrukturen (working group for governance, accountibility and staff policy) hat Vorschläge gemacht, die Kompetenzen und Ressourcen der Mitgliedskirchen einzubeziehen und so die öffentliche Bedeutung und Wahrnehmung des ÖRK zu steigern.

III.

Das mutige Stichwort „Sister Reformations“ hat schon deutlich gemacht, in welchen Kategorien heute die Beziehung zwischen unseren jeweils auf die Reformation zurückgehenden Kirchen betrachtet wird. Die gewonnene Nähe kann uns dazu ermutigen, das Verhältnis zu anderen Konfessionsfamilien aus einer gemeinsamen Perspektive zu betrachten.

Die Kirchen der Reformation sind wie die römisch-katholische Kirche Kirchen des Westens. Unbeschadet ihrer theologischen Unterschiede sind sie durch viele kulturelle Gemeinsamkeiten geprägt. Derzeit fällt es schwer, Perspektiven zu einer Vertiefung ihrer Gemeinschaft zu erkennen. Was auf dem Weg von Konsensdokumenten erschlossen werden kann, scheint weitgehend geklärt zu sein. Dass die wechselseitigen Verurteilungen des Reformationsjahrhunderts den heutigen ökumenischen Partner nicht mehr treffen, kann gemeinsam ausgesprochen werden. Umso gravierender treten bleibende Unterschiede hervor. Sie haben, jedenfalls aus unserer Sicht, im Kern mit Fragen des Amtsverständnisses zu tun. Dass die mangelnde Übereinstimmung im Amtsverständnisses die wechselseitige Wahrnehmung als Kirche deutlich erschwert, gehörte ohne Zweifel zu den belastenden ökumenischen Faktoren im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts. Meine Hoffnung ist, dass im zweiten Jahrzehnt, das vor uns liegt, sich ein veränderter Umgang mit dieser Frage abzeichnet. Denn ich bin davon überzeugt: Ökumenische Fortschritte kann es nur geben, wenn die ökumenischen Partner sich in ihrem Kirchesein wechselseitig respektieren.

In der weltweiten Ökumene bildete die Frage nach der Stellung und dem Beitrag der orthodoxen Kirchen in den zurückliegenden Jahren eine besondere Herausforderung. Ich knüpfe eine besondere Hoffnung daran, dass herausragende Kirchenführer der Orthodoxie, unter ihnen insbesondere der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Patriarch Bartholomaios, und der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill von der unaufgebbaren Bedeutung der ökumenischen Aufgabe überzeugt sind. Auswirkungen dieser Überzeugung haben wir auch darin gespürt, dass bei den Bemühungen um eine Reform der Konferenz Europäischer Kirchen wichtige Impulse von orthodoxen Kirchen und dabei ganz besonders vom Ökumenischen Patriarchat ausgingen.

Doch das Bild der weltweiten Christenheit hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte dramatisch verändert. Die Zahl der Mitglieder von charismatischen Bewegungen und pentekostalen Kirchen auf unserem Globus wächst schnell. Mit etwa 500 Millionen Christen sind diese Bewegungen und Kirchen nahezu gleich groß wie der ÖRK, zu dessen Mitgliedskirchen etwa 560 Millionen Christen gehören. Diese Entwicklungen entfalten nicht nur in Lateinamerika, Afrika und Asien eine erhebliche Dynamik. Auch in Europa ist ihre Wirksamkeit nicht zu übersehen. Wir brauchen einen Dialog über die sich daraus ergebenden theologischen Fragen. Nur so können wir uns und unsere Gemeinden vorbereiten und theologisch orientierende Impulse setzen. Solche Beiträge braucht auch der ÖRK für seine Debatte nach innen und für den Aufbau theologisch qualifizierter Beziehungen zu diesen Bewegungen.

Eine Kernfrage drängt sich auf: Welche Bedeutung hat in unseren Kirchen der Dritte Artikel unseres Glaubensbekenntnisses? Wie müssen wir ihn theologisch durchdringen und entfalten? Welche Wirkung entfaltet sich daraus für das gottesdienstliche und spirituelle Leben in unseren Gemeinden? Das sind Fragen, die auch mit den Möglichkeiten, die uns der „Meissen-Prozess“ eröffnet, bearbeitet werden können. Es handelt sich im Übrigen um Fragen, die ganz dem Geist dieses Abends entsprechen, wenn wir uns in die Tradition des Ersten Ökumenischen Konzils von Nizäa stellen und dabei die aus diesem Konzil hervorgegangene Frage nach der Wesensgleichheit (Homousie) des Geistes mit dem Vater und dem Sohn in der göttlichen Trinität vergegenwärtigen.

Der interreligiöse Dialog stellt die ökumenische Gemeinschaft vor vergleichbare Herausforderungen. Aufgrund unserer Erfahrungen mit diesem Dialog in England und Deutschland – insbesondere mit den Muslimen – haben wir dazu Wesentliches beizutragen. Wir können auch an die gemeinsamen Erfahrungen anknüpfen, die wir im trilateralen Dialog mit dem Institut für interreligiösen Dialog in Teheran und seinem Direktor Mullah Seyed Muhammad Ali Abtahi gesammelt haben. Mit Sorge verfolgen wir die Entwicklung im Iran und tun, was uns möglich ist, um seine Haft zu beenden und für die Menschenrechte und insbesondere für die Religionsfreiheit in diesem Land einzutreten.

Es gibt weitere Möglichkeiten für solche Dialoge. So hat die Evangelische Akademie Loccum über Jahre gemeinsam mit CEOSS, der diakonische Organisation der koptischen Kirche in Ägypten, sehr erfolgreich einen Dialog organisiert, in dem Christen und Muslime aus Ägypten sich über das Verhältnis von Religion und Staat und über die demokratische Gestaltung von Gesellschaften austauschten. Nun geht es darum, ob dieser Dialogansatz erweitert werden kann, um andere Länder und Erfahrungen in Europa und dem Nahen Osten einzubeziehen.

IV.

Von welchem Bild der Ökumene lassen wir uns bei solchen Überlegungen leiten? Worin besteht unsere ökumenische Vision? Viele beschreiben diese Vision im Sinn einer Einheit, die vor uns liegt, die wir anzustreben haben und der gegenüber die Spaltung der Christenheit als „Skandal“ gilt. Oft wird in diesem Zusammenhang die Bitte aus dem Hohepriesterlichen Gebet Jesu zitiert, „dass alle eins seien“ (Johannes 17, 21). Manchmal tritt dabei sogar in den Hintergrund, dass es sich um ein Gebet handelt; so stark wird die sichtbare Einheit als das Ergebnis unseres menschlichen Bemühens betrachtet. Persönlich möchte ich nicht nur nach dem Ziel, sondern ebenso nach dem Grund unserer ökumenischen Verbundenheit fragen. Für diese Frage lasse ich mich von dem Hohen Lied der Einheit leiten, dass sich im Epheserbrief findet: „Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen“ (Epheser 4, 4-6).

Dieser biblische Bekenntnissatz bezeugt eine ökumenische Wirklichkeit, die mit unserem Glauben selbst mitgegeben ist. Die Frage an uns heißt dann, ob wir dieser uns vorgegebenen Wirklichkeit entsprechen oder ob wir sie verfehlen. Wir sind gefragt, ob wir diese Grundlage in der Gestalt unserer kirchlichen Gemeinschaft Ausdruck verleihen, ob wir uns in erkennbarer Weise von dem einen Geist Gottes leiten lassen, ob wir in unserer Zeit Zeugen der einen Hoffnung sind. Der eine Herr mahnt uns, auch ein Leib zu sein. Der eine Glaube verpflichtet uns dazu, uns auch von einem Geist leiten zu lassen. Die eine Taufe macht uns zu Zeugen der einen Hoffnung.

Das Hohe Lied der Einheit aus dem Epheserbrief mündet in das Lob des einen Gottes und Vaters. Die im Christusbekenntnis, im gemeinsamen Glauben und in der einen Taufe begründete Gemeinschaft der Kirche in ihrem Zeugnis, in ihrem Dienst und in ihrer Hoffnung begründet das Lob des einen Gottes, der das All erfüllt und zur Einheit zusammenfasst.

Dieser biblische Text entwirft das Bild einer Ökumene des dankbaren Gotteslobs. Er beginnt nicht mit dem, was ökumenisch von uns gefordert ist. Er erinnert uns vielmehr daran, was uns ökumenisch anvertraut ist. Er sagt zuerst, was wir ökumenisch sind, bevor er fordert, was wir ökumenisch werden sollen. Hier begegnet uns auf großartige und eindrucksvolle Weise eine Ökumene des Indikativs. Durch die Erinnerung an das, was uns gemeinsam anvertraut ist,  wird die Berufung dazu verdeutlicht, gemeinsam Leib Christi zu sein.

Die Wahl dieses Bildes erinnert daran, dass ökumenische Zusammengehörigkeit nicht Uniformität bedeutet. Nicht an einer gleichförmigen Bestimmung des Verhältnisses von Amt und Gemeinde, nicht an einer überall gleichen Gestaltung des Gottesdienstes macht der Epheserbrief diese Einheit fest. Ob die Verschiedenen sich von dem gleichen Geist leiten lassen und die gleiche Hoffnung bezeugen, ist seine ökumenische Testfrage. Dass sie in der einen Taufe verbunden sind, sich auf den einen Glauben stützen und den einen Herrn, den gekreuzigten und auferstandenen Christus, bekennen, bildet dafür eine unverbrüchliche Grundlage.

Es handelt sich nicht um eine Ökumene von oben, in der aus der Einheit Gottes auf die Uniformität der Kirche geschlossen wird. Sondern es handelt sich um eine Ökumene von unten, die der Verschiedenheit Raum gibt, dabei aber auf die Kraft der Einheit vertraut. Aus dem Dank für die vorgegebene Einheit des Christusbekenntnisses wird nach Wegen gesucht, die verschiedenen Gaben zum gemeinsamen Zeugnis für diese Einheit zusammenzuführen.

Das ist ein dynamisches Verständnis von Einheit, zu dem wir in der jüngeren europäischen Geschichte sogar politische Entsprechungen erlebt haben. Zwanzig Jahre nach der friedlichen Wende in Europa bekennen wir dankbar, dass uns eine Einheit in Verschiedenheit geschenkt wurde, auf die wir lange Zeit kaum zu hoffen wagten. Ihr Gestalt zu geben, ist die große politische Aufgabe, vor der wir in Europa stehen. Als Kirchen wollen wir dazu unseren Beitrag leisten.

In einer solchen ökumenischen Vision können sich Vielfalt und Einheit, Weite und Konzentration neu miteinander verbinden. Die Weite der Themen und Netzwerke muss nicht verloren gehen, wenn wir uns auf unser gemeinsames Zeugnis besinnen. Unsere verschiedenen Traditionen müssen ihre Farbe nicht verlieren, wenn wir gemeinsam das eine Fundament sichtbar machen, auf dem wir stehen: Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe.

Die Einheit der Kirchen muss nicht neu erfunden werden. Diese Einheit ist der Grund, auf dem wir stehen. Dieser Perspektivenwechsel ist der entscheidende Schritt der ökumenischen Neuorientierung, die wir nach meiner Überzeugung heute brauchen. Er wird uns dabei helfen, in unserer Vielfalt nicht eine Bedrohung der Einheit, sondern deren Ausdruck zu sehen.

Ökumenisches Zusammenwirken setzt zuallererst voraus, dass wir uns immer wieder den gemeinsamen Quellen unseres Glaubens zuwenden. Denn aus ihnen wächst unserem Glauben immer wieder frische Kraft zu, aus der sich auch unser gemeinsames Zeugnis erneuert.

Ökumenisches Zusammenwirken zeigt sich ferner darin, dass ökumenische Partner im wechselseitigen Respekt vor ihrem jeweiligen Kirchesein miteinander verbunden sind. Denn so sehr ökumenisches Zusammenwirken auf der Treue der Beteiligten zur eigenen Kirche beruht, so sehr beruht es auch auf diesem wechselseitigen Respekt.

Ökumenisches Zusammenwirken kommt schließlich darin zum Ausdruck, dass gemeinsame Aufgaben auch gemeinsam wahrgenommen werden. In der Antwort auf die großen Krisen und Herausforderungen unserer Zeit muss sich deshalb unsere ökumenische Zusammengehörigkeit besonders bewähren. Die unverantwortlichen Irrwege, die in die gegenwärtige Wirtschaftskrise geführt haben, die noch immer nicht gebannte Gefahr einer Klimakatastrophe und der fortdauernde Unfriede in vielen Teilen unserer Welt fordern uns zum gemeinsamen Zeugnis heraus.

Die Gestaltung einer gerechten Gesellschaft, die die Überwindung der Armut als zentrale Aufgabe anerkennt, und der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft als Antwort auf die drohenden Veränderungen des Klimas bewegen uns alle. Darin liegt in ganz besonderer Weise auch eine gemeinsame ökumenische Aufgabe, die wir in den letzten Jahren – auch in gemeinsamen Stellungnahmen – verstärkt in den Blick genommen haben. Ich schlage vor, dass unsere Kirchen diese Zusammenarbeit weiterführen und vertiefen.

Wir spüren, wie sehr vielfältige kulturelle Verschiebungen uns zu klarer ethischer Orientierung herausfordern. Im gesellschaftlichen Wandel wird neu nach ethischen Leitlinien für Ehe, Familie und Sexualität gefragt. Der Anfang des menschlichen Lebens gerät genauso in die Diskussion wie sein Ende; der wissenschaftliche und medizinische Fortschritt verbindet sich mit der Frage, wie der Mensch in diesem Fortschritt als Person geachtet werden kann. Wie gelingt es uns, dem Zeugnis des Evangeliums treu bleibend, Antworten zu geben, die überzeugen und orientieren? Es wird uns helfen, wenn wir diese Fragen immer wieder miteinander beraten.

Das wird uns dabei helfen, unseren Glaubensüberzeugungen treu zu bleiben und unseren Zeitgenossen Antworten anzubieten, die ihnen über den Tag helfen und Hoffnung geben über das eigene Leben hinaus. Denn das ist ja unsere eigentliche Aufgabe: unserer Welt den Glauben an Christus zu bezeugen, damit sie Frieden und Gerechtigkeit – damit sie das Leben wählt.

Unsere gemeinsame Freude an der Theologie und unsere gemeinsame Verantwortung in der Leitung unserer Kirchen haben uns zueinander geführt in eine persönliche und freundschaftliche Beziehung. Es ist gut zu wissen, dass auch unsere Zusammenarbeit in diesen Jahren getragen war von dem gemeinsamen Glauben unserer Kirchen und von dem Bekenntnis zu unserem Herrn Jesus Christus, zu dem unsere Kirchen gehören.

Gott geleite uns mit seinem Heiligen Geist und segne unsere Kirchen.