Zivile Seenotretter fordern EU-Rettungsprogramm im Mittelmeer
Unter dem Titel „Mare Solidale“ haben vier zivile Hilfsorganisationen jetzt ein Konzept für eine staatlich organisierte, europäische Seenotrettung vorgestellt. Seit zehn Jahren leisten u.a. Refugees in Libya, Sea-Eye, Sea-Watch und SOS Humanity im zentralen Mittelmeer das, was eigentlich Aufgabe der Staaten wäre: Sie retten Menschen vor dem Ertrinken – oft unter widrigsten Bedingungen, gegen politische Widerstände, behördliche Behinderung und unter dem Risiko der Kriminalisierung. Unterstützt werden sie von dem kirchlich initiierten Bündnis United4Rescue.

Berlin, 18. Juni 2025 (ekd/ah) „Was Europa an seinen Außengrenzen geschehen lässt, ist ein moralisches Armutszeugnis“, so Sandra Bils von United4Rescue bei der Pressekonferenz in Berlin. „Doch die zivile Flotte ist gewachsen – und wir geben nicht auf.“ Seit 2015 sind nach Angaben der Organisationen mindestens 28.932 Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer gestorben oder verschwunden. Die Dunkelziffer sei hoch. Mehr als 21.700 Todesfälle seien im zentralen Mittelmeer – zwischen Libyen, Tunesien, Italien und Malta – registriert worden. Im Durchschnitt seien dort täglich 6 Menschen gestorben oder gelten als vermisst. Von 100 Menschen, die per Boot Italien erreichten, würden mindestens drei ihr Leben verlieren. Laut Schätzungen des UN-Kinderhilfswerks UNICEF sind in den letzten zehn Jahren etwa 3.500 Kinder beim Versuch, Italien über das zentrale Mittelmeer zu erreichen, gestorben oder wurden vermisst. Das entspricht durchschnittlich einem toten oder vermissten Kind pro Tag.
15 Rettungsschiffe, sieben Segelboote und vier Flugzeuge
„Zehn Jahre zivile Seenotrettung bedeuten zehn Jahre Ignoranz und Wegschauen der Politik“, kritisiert Anna di Bari von Sea-Eye. „Was wir in diesen Jahren erlebt haben, ist eine Abschottungspolitik, die Menschen wissentlich in den Tod treibt. Wir sehen hin. Wir fahren hin.“ Im Juni 2025 sind im zentralen Mittelmeer 15 Rettungsschiffe, sieben Segelboote und vier Flugzeuge im Einsatz, die jedoch nicht alle gleichzeitig, sondern zu unterschiedlichen Zeiten operieren. Das Watch the Med Alarm Phone ist ein transnationales Netzwerk, das seit über zehn Jahren eine 24/7-Notruf-Hotline für Flüchtende, die im Mittelmeer in Seenot geraten, betreibt. Europaweit sind 21 – darunter zehn deutsche – Nichtregierungsorganisationen in der Seenotrettung aktiv.
Es fehlen jedoch weiterhin Rettungskapazitäten, um das riesige Seegebiet zentrales Mittelmeer abzudecken, kritisieren die Hilfsorganisationen. „Diese Situation ist kein Zufall. Sie ist politisch gewollt – und sie kann von der EU-Kommission beendet werden“, so Giulia Messmer von Sea-Watch. Die Organisationen beklagen, dass ihre Rettungsschiffe regelmäßig behindert, blockiert oder beschlagnahmt werden, während staatliche Missionen kaum existieren. „Rettungsschiffe werden ohne rechtliche Grundlage festgesetzt. Das ist nicht nur unmenschlich, sondern auch ein Bruch internationalen Seerechts“, kritisiert Mirka Schäfer von SOS Humanity.
Klare Trennung von Rettung und Strafverfolgung
Seit 2015 seien mindestens 336.057 Menschen auf der Flucht abgefangen und nach Libyen und Tunesien zurückgebracht worden, wobei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen sei, teilen die Organisationen mit. Mit dem neuen „Mare Solidale“-Konzept hingegen würden alle Rettungen in sicheren Häfen gemäß internationalem Seerecht enden, argumentieren die Hilfsorganisationen. Unsicherere Drittstaaten wie Libyen und Tunesien sollten dabei künftig ausgeschlossen sein. Wichtig sei dabei die klare Trennung von Rettung und Strafverfolgung: Rettung sei künftig als Aufgabe des Zivilschutzes zu sehen und könne von zivilen Einheiten aus nationalen Katastrophenschutzeinrichtungen übernommen werden, koordiniert durch Maritime Rescue Coordination Centres (MRCCs).
Erstaufnahmezentren in EU-Küstenländern sollen danach die medizinische Versorgung und Registrierung übernehmen. Ein temporären Schutzstatus über drei Monate soll dem Konzept zufolge Bewegungsfreiheit innerhalb der EU erlauben. Danach könnten Anträge auf Asyl, Familienzusammenführung oder andere Aufenthaltsrechte gestellt werden. Die Kosten würden sich auf ein Jahresbudget von ca. 240 Millionen Euro (0,13 % des EU-Haushalts 2023) belaufen, rechnen die Hilfsorganisationen vor. Weitere Einsparungen würden sich durch bessere Integration, reduzierte Abschiebungskosten und geringere humanitäre Folgekosten ergeben.