Organtransplantationen

Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD, Gemeinsame Texte 1, 1990

1. Zur Situation der Gewebe- und Organtransplantationen

1.1 Entwicklung der Transplantationen

Ein alter Wunsch der Menschheit ist in Erfüllung gegangen: Organe können zur Lebensrettung, zur Lebensverlängerung oder zur Verbesserung der Lebensqualität Schwerkranker verpflanzt werden. Schon Jahrhunderte hat man sich mit diesem Thema beschäftigt. So berichtet die Legenda aurea (1263-1273), die frühchristlichen Ärztebrüder Kosmas und Damian hätten einem Kranken das Bein eines "heute begrabenen, noch frischen Mohren" übertragen. Künstler haben die Szene wiederholt dargestellt. Auch aus späteren Jahrhunderten werden Erzählungen von Transplantationen einzelner Körperteile überliefert. Aber erst zu Anfang unseres Jahrhunderts wurden die wissenschaftlichen Voraussetzungen für erfolgreiche Gewebeübertragungen (Blut, Haut und Augen-Hornhaut) geschaffen. Die Ära der Organverpflanzungen beginnt 1954 mit der ersten erfolgreichen Nierentransplantation. Mittlerweile sind weltweit etwa 350.000 Nieren verpflanzt worden; zu diesem Erfolg hat auch der medizinische Fortschritt durch die bessere Beherrschung der Organabstoßung beigetragen. Heute werden auch Transplantationen von Knochen, Gehörknöchelchen und Knochenmark sowie des Herzens, der Leber und der Bauchspeicheldrüse durchgeführt. Die Lungentransplantation wird sich weiterentwickeln. Der folgende Text befaßt sich allein mit Transplantationen von Mensch zu Mensch, nicht mit der Übertragung tierischer Organe auf den Menschen und nicht mit den Bemühungen um künstliche Organe.

1.2 Allgemeine ethische Überlegungen

Der Fortschritt der Medizin rückt vieles von dem, was einst schicksalhaft hinzunehmen war, in den Bereich menschlicher Planung und damit menschlicher Verantwortung. So stellen sich mit den heutigen Möglichkeiten der Gewebe- und Organtransplantationen auch ethische Fragen. Die ethische Beurteilung von Organtransplantationen erstreckt sich zunächst auf die Belange des Empfängers und des Spenders sowie auf die Aufgaben des Arztes. Daneben sind auch kulturelle und soziale Auswirkungen sowie rechtliche Bestimmungen von der Ethik mitzubedenken.

Die beiden ärztlichen Grundsätze: "Das Wohl des Kranken ist das oberste Gesetz" und "Dem Kranken nicht schaden" gelten auch für die Transplantation. Auf seiten des Empfängers ist der zu erwartende Nutzen gegen den möglichen Schaden abzuwägen. Transplantationen sollen Leben erhalten, verlängern und verbessern; sie können bestimmte Leiden verringern und bestimmte Erkrankungen heilen. Niemand hat allerdings einen Anspruch auf Körperteile eines lebenden oder toten Mitmenschen. Kranke dürfen jedoch zu ihrer Behandlung freiwillig gespendete Gewebe und Organe als Geschenk von anderen annehmen; sie müssen aber auch wissen, daß nicht alle Transplantationen gelingen. Der Empfänger eines Organs braucht keine Änderung seines Wesens zu befürchten, kann aber zuweilen bedenken, daß er das Organ eines anderen, meistens eines verstorbenen Menschen in sich trägt.

Auf seiten des Spenders bestehen neben medizinischen und rechtlichen auch ethische Grenzen der Organentnahme. Ein lebender Spender darf mit einer Organspende nicht seinen Tod herbeiführen. Er darf also nur ein paariges Organ (z.B. eine Niere) spenden, von unpaarigen Organen und Geweben nur Teile. Ganze lebensnotwendige Organe dürfen überhaupt nur von Toten entnommen werden. Die medizinisch utopische Verpflanzung des Gehirns verbietet sich ethisch, weil mit diesem Organ die persönlichkeitsbestimmenden Merkmale verbunden sind. Die Übertragung bestimmter Gehirnzellen von Embryonen auf Parkinsonkranke ist solange abzulehnen, wie sie eine Abtreibung voraussetzt. Die Transplantation von Keimdrüsen ist abzulehnen, da sie in die genetische Individualität des Menschen eingreift. Organentnahmen bei Anenzephalen (d.h. Neugeborenen ohne Großhirn) ohne Hirntodfeststellung sind auch ethisch nicht zu vertreten. Kein Lebender darf aus irgendeinem Grund zu einer Organspende genötigt werden. Eine Organspende aus ökonomischen Motiven ist ebenso wie der Organhandel ethisch nicht vertretbar. Der Verkauf eigener Organe ist ein Verstoß gegen die Würde des Menschen.

Handelt es sich um einen toten Spender, so gebührt dem Leichnam respektvolle Behandlung und dem Willen des Verstorbenen besondere Beachtung. Wer sich zu Lebzeiten zur Organspende nach seinem Tod äußert, nimmt seinen Angehörigen die zuweilen schmerzliche Last einer Entscheidung ab und erspart ihnen die Not von Mutmaßungen über seinen Willen.

Die Ärzte und ihre Mitarbeiter tragen nicht nur für die Durchführung und die Weiterentwicklung der Transplantationen Verantwortung. Sie sind vielmehr durch die Hoffnung und das Vertrauen der Kranken gerade bei unsicheren Erfolgsaussichten zu einer besonders gewissenhaften Prüfung verpflichtet, ob und inwieweit die angestrebte Transplantation helfen wird. Die Entscheidung muß stets beim Kranken und seinen Angehörigen bleiben, dem Arzt obliegt es, dabei zu helfen.

Bedenken über die sozialethische Berechtigung der Transplantationsmedizin und der dafür nötigen kostenintensiven Spitzentechnologie sind angesichts der Notlage vieler Völker der Dritten Welt verständlich. Unter Berücksichtigung der hohen Erfolgsrate der Eingriffe, die für den Patienten nicht nur eine Verlängerung des Lebens und eine Verbesserung der Lebensqualität bedeuten, sondern im Vergleich zu einer Langzeittherapie meist auch eine kostengünstigere Lösung bieten, stellen solche Bedenken dennoch keinen Grund zum Verzicht auf Transplantationen dar.

Trotz der Erfolge der Transplantationsmedizin muß freilich beachtet werden, daß sie nicht nur biologisch das Leben verlängern, sondern dem Kranken eine reale Chance für gesundes Leben bieten soll. Die neuen Organe sollen dem Leben neue Jahre schenken, die Jahre mit neuem Leben erfüllen helfen.

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