Organtransplantationen

Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD, Gemeinsame Texte 1, 1990

4. Leben und Tod im christlichen Verständnis

Die Bibel preist Gott als den Schöpfer und Erhalter des Lebens. Er setzt sowohl dem Kosmos wie dem Leben aller Kreaturen Grenze und Maß. Der Mensch, der als einziges Wesen sich seiner Endlichkeit bewußt ist, handelt klug, wenn er seines kommenden Todes eingedenk bleibt und die ihm gegebene Zeit verantwortungsbewußt nutzt.

Das Wissen um den eigenen Tod stellt den Menschen vor die Frage, wie er sein Leben angesichts des sicheren Todes versteht, welchen Sinn er seinem Leben und Sterben gibt. Hier gibt es in unserer Gesellschaft unterschiedliche Einstellungen. Der Tod kann verdrängt oder tabuisiert, als das natürliche Ende der Lebenskurve des Menschen hingenommen, philosophisch überhöht oder als die befreiende Trennung der unsterblichen Seele vom vergänglichen Leib betrachtet werden. Diese verschiedenen "Todesbilder" stellen eine Herausforderung an die christliche Sicht des Todes dar.

Wie alle Menschen haben auch die Christen Angst vor dem Tod, der nach dem Zeugnis der Schrift der letzte Feind ist (vgl. 1 Kor 15,26; Offb 20,14). Der Tod ist auch "Sold der Sünde", Zeichen der Entfremdung von Gott, der Quelle und Fülle des Lebens.

Doch der harten Wirklichkeit des Todes setzt Gott die unzerstörbare Kraft seines Lebens entgegen. Durch Jesu Tod und Auferstehung ist das Urteil über den Tod gefällt. Es besagt, daß nicht der Tod, sondern das Leben das letzte Wort behält. In der Nachfolge Jesu ist der Tod nicht mehr nur das Schicksal, das über uns kommt. Er kann christlich als Ausdruck des Willens des göttlichen Vaters verstanden und angenommen werden.

Für den christlichen Glauben ist der Tod Ende der Pilgerschaft und Durchgang zum ewigen Leben. Das ewige Leben ist zwar bereits in unserem irdischen Dasein gegenwärtig, aber noch nicht in seiner ganzen unbedrohten Fülle. Wer glaubt, ist bereits jetzt vom Tod zum Leben hinübergegangen (vgl. Joh 5,24; vgl. auch Röm 6,13). Deshalb sind wir in diesem Leben nicht nur vom Tod umfangen, sondern zugleich vom ewigen Leben Gottes erfüllt, und erst dadurch können wir die Todesangst überwinden. Wenn wir den Tod als Durchgang zum ewigen Leben bezeichnen, dann führt er nicht ins Nichts hinein oder in eine häufige Wiederverkörperung der Seele (Reinkarnation), sondern wir können aus der Offenbarung sein Ziel angeben. Nach dem Abschiedsgebet Jesu heißt dieses Ziel: dort sein, wo Jesus ist (vgl. Joh 17, 24). Die himmlische Herrlichkeit, in die Jesus uns durch Tod, Auferstehung und Himmelfahrt vorangegangen ist, wird auch unsere endgültige Heimat sein, zu der wir geschaffen und berufen sind (vgl. Joh 14,1-3).

Der Durchgang zum ewigen Leben ist eine für uns noch unvorstellbare Begegnung mit dem liebenden und richtenden Gott. Mit seiner ganzen Lebensgeschichte steht der Mensch unverstellt vor Gott. Wie der Übergang aus diesem Leben in Gottes Ewigkeit erfolgt, bleibt letztlich ein für uns nicht zu enthüllendes Geheimnis. Die Sterbensforschung gibt uns zwar wichtige Einblicke in den gesamtmenschlichen Prozeß des Sterbens; doch der Zustand des Todes ist davon zu unterscheiden. Die Toten gehören einer anderen Ordnung an als die Lebenden. Der christliche Glaube schenkt uns die Gewißheit, daß es ein Leben nach dem Tod gibt und daß die Toten auferstehen. Der Tod reißt den Menschen nicht von Gott weg, denn Gott ist "kein Gott von Toten, sondern von Lebenden; denn für ihn sind alle lebendig" (Lk 20,38). Das hat Gott bestätigt im großen Zeichen der Auferweckung Jesu von den Toten. Der Glaube an die Auferstehung Jesu ist das sichere Fundament unseres Glaubens an die Auferstehung der Toten (vgl. Röm 8,11; 1 Kor 15,12-22).

Leibliche Auferstehung bedeutet neue, durch den Geist Gottes verwandelte und verklärte Leiblichkeit. Diese zukünftige Wirklichkeit können wir uns nicht ausmalen. Sie ist nicht als Fortsetzung unseres irdischen Leibes vorzustellen, sondern bedeutet eine unaussprechliche Wirklichkeit, welche die irdische Leiblichkeit in eine neue Dimension überführt. So tief auch die Verwandlung reichen mag, es handelt sich nicht um einen totalen Bruch zwischen irdischem Leben und himmlischer Vollendung in der Auferstehung der Toten, sondern um die Verwandlung unseres jetzigen Lebens und um eine wesenhafte (nicht stoffliche) Identität auch des Leibes: "Denn dieses Vergängliche muß sich mit Unvergänglichkeit bekleiden und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit" (1 Kor 15,53).

Vom christlichen Verständnis des Todes und vom Glauben an die Auferstehung der Toten kann auch die Organspende von Toten gewürdigt werden. Daß das irdische Leben eines Menschen unumkehrbar zu Ende ist, wird mit der Feststellung des Hirntodes zweifelsfrei erwiesen. Eine Rückkehr zum Leben ist dann auch durch ärztliche Kunst nicht mehr möglich. Wenn die unaufhebbare Trennung vom irdischen Leben eingetreten ist, können funktionsfähige Organe dem Leib entnommen und anderen schwerkranken Menschen eingepflanzt werden, um deren Leben zu retten und ihnen zur Gesundung oder Verbesserung der Lebensqualität zu helfen. So verständlich es auch sein mag, daß mancherlei gefühlsmäßige Vorbehalte gegen die Entnahme von Organen eines Hirntoten bestehen, so wissen wir doch, daß bei unserem Tod mit unserem Leib auch unsere körperlichen Organe alsbald zunichte werden. Nicht an der Unversehrtheit des Leichnams hängt die Erwartung der Auferstehung der Toten und des ewigen Lebens, sondern der Glaube vertraut darauf, daß der gnädige Gott aus dem Tod zum Leben auferweckt. Die respektvolle Achtung vor Gottes Schöpferwirken gebietet freilich, daß der Leichnam des Toten mit Pietät behandelt und würdig bestattet wird. Die Ehrfurcht vor den Toten ist eine Urform der Sittlichkeit. In allen Kulturen zeigt sich die Haltung zum Leben auch in der Pietät vor den Toten. Die Beerdigungsliturgie weist darauf hin: "Dein Leib war Gottes Tempel. Der Herr schenke dir ewige Freude." So wird in Ehrfurcht Gott zurückgegeben, was er gegeben hatte, und der Zuversicht Ausdruck verliehen, daß allein Gott die Quelle des Lebens ist.
Zugleich kann in der Organspende noch über den Tod hinaus etwas spürbar werden von der "größeren Liebe" Joh 15,13), zu der Jesus seine Jünger auffordert.

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