Organtransplantationen

Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD, Gemeinsame Texte 1, 1990

3. Spender von Geweben und Organen

3.1 Gewebe und Organe von Lebenden

Die bekannteste und häufigste Gewebeübertragung ist die Bluttransfusion. Dem lebenden Spender können auch ohne größere Belastung und Gefährdung Teile des Knochenmarks entnommen werden. Der lebende Mensch kann von seinen Organen eine Niere und in besonderer Notlage ausnahmsweise einen Teil der Bauchspeicheldrüse, der Leber oder des Dünndarms spenden. Mit solchen Eingriffen verbinden sich jedoch besondere medizinische, rechtliche und auch ethische Fragen.

3.1.1 Medizinische Überlegungen

Die Entnahme (Explantation) einer Niere oder von Teilen anderer Organe ist für Gesundheit und Leben des Spenders nicht ungefährlich. Zwar schließen die sorgfältigen Voruntersuchungen ungeeignete Spender aus, und die bestmögliche Durchführung des Eingriffs kann die Risiken für den Spender gering halten. Aber derzeit weiß man noch nicht, ob die Explantation einer gesunden Niere auch noch nach 20 und mehr Jahren so gut vertragen wird wie in den ersten Jahren. Daher lehnen einige Chirurgen Nierentransplantationen zwischen Lebenden ab. Andererseits kann innerhalb einer Familie der Wunsch, einem kranken Angehörigen durch eine Organspende zu helfen, sehr stark werden. Für den Empfänger hat eine Organtransplantation zwischen Blutsverwandten große Vorteile: Sie läßt sich auf den günstigsten Zeitpunkt legen, vor allem aber bietet sie wegen der größeren Übereinstimmung der Gewebeeigenschaften (immunologisch) sehr gute Erfolgsaussichten. Dies gilt besonders für eine Nierentransplantation von einem Elternteil auf ein Kind. Deshalb transplantieren Ärzte in vielen Zentren Nieren zwischen Verwandten, wenn auch allgemein in begrenztem Umfang, in der Bundesrepublik Deutschland seltener als in Ländern, in denen es nicht für jeden Nierenkranken einen Dialyseplatz gibt.

Wesentlich stärkere Zurückhaltung ist gegenüber einer Organtransplantation zwischen nichtverwandten Lebenden geboten. Sie hat im allgemeinen keine immunologischen Vorteile. Die Bedenken ihr gegenüber haben aber noch tiefere Gründe: Zwar entwickelt sich der Spendewunsch meistens aus einer bewußt selbstlosen Hilfs- und Opferbereitschaft, aber zuweilen scheint er ungenügend bedacht zu sein. Das Geflecht von Beweggründen des einzelnen Menschen zur Organspende laßt sich auch ärztlich nur schwer und unvollständig durchschauen. Wie weit darf, wie weit muß der Arzt dabei gehen? Jedenfalls soll ausgeschlossen werden, daß die Beziehung zwischen Spender und Empfänger durch Abhängigkeit, finanzielle Abwicklung oder Erpressung belastet wird. Deshalb hat die Arbeitsgemeinschaft der Transplantationszentren beschlossen, grundsätzlich keine Organe zwischen nichtverwandten Lebenden zu transplantieren. Ausnahmen wie Organspenden zwischen Ehegatten oder von Adoptiveltern für Adoptivkinder bedürfen strenger, jedoch allgemein annehmbarer Richtlinien.

3.1.2 Rechtslage der Organspende von Lebenden

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es bisher kein Transplantationsgesetz, das die Rechtsfragen der Transplantation speziell regelt. Ihre Zulässigkeit bestimmt sich damit nach allgemeinen rechtlichen Grundsätzen. Nach ständiger Rechtsprechung erfüllt jeder, auch der notwendige und sachgerecht durchgeführte ärztliche Heileingriff den Straftatbestand der Körperverletzung, weil er die Unversehrtheit des Körpers berührt.

Gerechtfertigt und damit erlaubt wird diese Körperverletzung aber durch die Einwilligung des betroffenen Kranken. Wirksam ist die Einwilligung jedoch nur, wenn der Kranke einsichtsfähig ist und zuvor über Art, Ziel und gegebenenfalls andere Möglichkeiten der Behandlung sowie über die Folgen, Gefahren und Risiken des Eingriffs aufgeklärt wurde, wenn er also weiß, worin er einwilligt. Da die Organentnahme für den Spender keinen Heileingriff darstellt, werden an die Einwilligung besonders strenge Anforderungen gestellt. Der Spender muß bis in alle Einzelheiten, also auch über ganz fernliegende Risiken aufgeklärt werden. Seine Einwilligung in die Organentnahme muß freiwillig, d.h. ohne jeden Zwang und in Kenntnis aller Nachteile erfolgen, und er muß jederzeit von seinem Entschluß Abstand nehmen können. Nicht eingewilligt werden kann in die Entnahme von unpaarigen lebenswichtigen Organen; sie ist stets rechtswidrig. Die Einsichts- und damit Einwilligungsfähigkeit von Minderjährigen und geistig Behinderten in eine Lebendspende von Organen wird wegen der Tragweite des Eingriffs überwiegend verneint. Problematisch ist, ob die Sorgeberechtigten die Zustimmung erteilen dürfen. Diese Frage stellt sich vor allem bei - medizinisch aussichtsreichen - Transplantationen zwischen Geschwistern, besonders eineiigen Zwillingen. Wegen des unlösbaren Interessenkonflikts wird überwiegend die Auffassung vertreten, daß eine Einwilligung durch die Sorgeberechtigten nicht möglich ist. Ob ein gerichtlich bestellter Pfleger die Einwilligung geben kann, ist umstritten.

Anders ist die Spende von Knochenmark zu beurteilen, die aus medizinischen Gründen vorwiegend zwischen nahen Verwandten in Betracht kommt. Sie ist ein weitgehend ungefährlicher Eingriff, der keine bleibenden Auswirkungen und Gefahren hat, da das Knochenmark sich regeneriert. In eine Knochenmarkspende können daher die Sorgeberechtigten einwilligen, wenn die Gefahr für die Gesundheit des einen Kindes verhältnismäßig gering und auf der anderen Seite die Rettung des kranken Geschwisters zu erhoffen ist. Mit der Lebendspende ist die Gefahr eines Organhandels verbunden. Um sie für die Bundesrepublik Deutschland auszuschließen, haben sich die hiesigen Transplantationszentren verpflichtet, Lebendspenden grundsätzlich nur unter Verwandten durchzuführen.

Die Gründe für die Ablehnung eines Organhandels sind vielfältig:

  • Die Einwilligung des Spenders in eine Lebendspende muß freiwillig erfolgen, um wirksam zu sein. Niemand kann aber mit Sicherheit feststellen, ob der Spender die Einwilligung wirklich freiwillig, d.h. bewußt und gewollt und nach reiflicher Abwägung aller Risiken erteilt. Die Gefahr ist groß, daß in engen Beziehungen oder in persönlicher Abhängigkeit der Gesunde dem Druck ausgesetzt ist oder sich ihm ausgesetzt fühlt, dem Kranken eine Niere abzugeben. Genausowenig können finanzielle Absprachen vermieden werden.
  • Abzulehnen ist ein Verkauf von Organen auch unter dem Aspekt des Spenderschutzes. Der Spender ist davor zu bewahren, sich aus einer meist finanziellen Zwangslage heraus einem medizinischen Risiko - dem der Operation selbst und dem möglicher Spätfolgen - auszusetzen und irreversibel zu schädigen, wobei der Erfolg seiner Opfertat, das Funktionieren des Organs in einem fremden Körper, nicht einmal gewährleistet ist.
  • Der Organhandel würde die Gefahr bedeuten, daß die Verteilung von Organen nicht mehr oder nicht mehr ausschließlich nach medizinischen, sondern nach finanziellen Kriterien erfolgte. Damit würden zum einen mittellose Kranke gegenüber wohlhabenderen benachteiligt, zum anderen aber könnten sich materiell schwächer Gestellte unabsehbare finanzielle Verpflichtungen aufbürden. Auf jeden Fall wäre die Gleichheit in der medizinischen Behandlung aufgehoben.

Trotz des Risikos eines Organhandels erscheint eine ausnahmslose Ablehnung der Lebendspende nicht vertretbar. Für Verwandte, insbesondere für Eltern dialysepflichtiger Kinder, unter Umständen aber auch für Nicht-Verwandte wie vor allem Ehegatten würde es in vielen Fällen eine unzumutbare Härte bedeuten, wenn sie allein aus prinzipiellen Erwägungen heraus kein Organ spenden könnten. Auch würden für sie die psychischen Belastungen, dem ihnen nahestehenden Kranken nicht helfen zu dürfen, die gesundheitlichen Risiken unter Umständen übersteigen.

Eine rechtliche Handhabe, vor allem eine strafrechtliche Sanktion für Handlungen im Zusammenhang mit dem Kauf und Verkauf von Organen, gibt es in der Bundesrepublik Deutschland praktisch nicht. Zwar ist eine Einwilligung in eine Körperverletzung nach § 226a StGB unwirksam, wenn sie gegen die "guten Sitten" verstößt, die Körperverletzung ist dann also nicht gerechtfertigt. Auf diesem Weg könnten aber nur tatsächlich durchgeführte Organentnahmen von Lebenden - tatbestandsmäßige Körperverletzungen - strafrechtlich erfaßt werden. Eine reine Vermittlungstätigkeit, die nicht zu einer Organentnahme geführt hat, bleibt straflos.

Zivilrechtlich ist ein Vertrag, der den Kauf oder Verkauf eines Organs zum Inhalt hat, wegen Verstoßes gegen die "guten Sitten" nichtig (§ 138 BGB). Die guten Sitten sind verletzt, wenn der Vertrag nach seinem Inhalt, Beweggrund oder Zweck gegen das Anstandsgefühl aller "billig und gerecht Denkenden" verstößt. Das ist nach heutiger Anschauung der Fall, wenn Teile des menschlichen Körpers Gegenstand von Rechtsgeschäften sind. Die Rechtsfolge der Nichtigkeit des Vertrages bedeutet für den Spender, daß er das vereinbarte Entgelt nicht einfordern, und für den Empfänger, daß er keinen Anspruch auf das Organ geltend machen könnte, selbst wenn er schon bezahlt hätte. Für den Organvermittler hat die Nichtigkeit des Vertrages zur Folge, daß er von keiner Seite die vereinbarte Leistung verlangen könnte. Diese zivilrechtlich für alle Beteiligten nachteiligen Folgen können aber nicht als hinreichender Schutz gegen einen Organhandel angesehen werden.

Eine gesetzliche Regelung der Organtransplantation wird wegen der fehlenden rechtlichen Möglichkeiten, Organhandel und darauf gerichtete Tätigkeiten unter Strafe zu stellen, von vielen für wünschenswert gehalten. Außerdem sollte der Umfang der Zulässigkeit von Lebendspenden vom Gesetzgeber eindeutig festgelegt werden.

3.1.3 Ethische Beurteilung

Kein Mensch ist zu einer Gewebe- oder Organspende verpflichtet und darf deshalb auch nicht dazu gedrängt werden. Die Entscheidung über eine Lebendspende seiner Organe kann nur der einzelne persönlich treffen. Auch Eltern dürfen nicht über die Organspende ihres Kindes entscheiden; lediglich in eine Gewebespende (z.B. Knochenmarkspende) dürfen sie einwilligen. Der vermittelnde Arzt hat eine besondere Verantwortung, da niemand die wirkliche Freiwilligkeit der Organspende kontrollieren kann.

Wenn ein Lebender in freier persönlicher Entscheidung ein Organ spendet, dann ist die Organübertragung fachgerecht durchzuführen und für die medizinische Nachbehandlung des Spenders wie des Empfängers zu sorgen. Es muß auch beachtet werden, daß sich zwischen Spender und Empfänger keine problembeladene Beziehung entwickelt (Abhängigkeit, unangemessene Dankbarkeit, Schuldgefühle). Aus christlicher Sicht gibt es keinen grundsätzlichen Einwand gegen eine freiwillige Organspende. Bedenken ergeben sich nur aus der Möglichkeit des Mißbrauchs (z.B. Organhandel).

Nach christlichem Verständnis ist das Leben und damit der Leib ein Geschenk des Schöpfers, über das der Mensch nicht nach Belieben verfügen kann, das er aber nach sorgfältiger Gewissensprüfung aus Liebe zum Nächsten einsetzen darf. Das schließt eine Entschädigung von Aufwendungen für die Gewebe- und Organspende nicht aus, verbietet aber einen dadurch erstrebten Gewinn.

3.2 Gewebe und Organe von Toten

Gewebe von einem Verstorbenen können noch Stunden nach dem bleibenden Herzstillstand explantiert werden, Organe nur bei künstlich aufrecht erhaltener Herz- und Kreislauftätigkeit. Hirnverletzungen infolge von Verkehrsunfällen und Hirnblutungen infolge innerer Erkrankungen sind die häufigsten Todesursachen der zur Organspende geeigneten Toten. Die Eignung zu einer Organspende hängt nicht allein vom Alter ab. Auch Gewebe und Organe älterer verstorbener Menschen können transplantiert werden. Je nach den medizinischen Umständen und nach der Einwilligung können mehrere Organe desselben Spenders explantiert werden. Eine solche Spende mehrerer Organe hat eine besondere Bedeutung, weil sie einerseits die Behandlung mehrerer Kranker ermöglicht, andererseits eine größere Belastung für die Angehörigen, aber auch für das Klinikpersonal darstellen kann. Der Operationsschnitt wird auch am toten Spender gewissenhaft vernäht. Bei der Entnahme von Knochen oder von Teilen der Haut wird versucht, eine Entstellung der Leiche zu vermeiden.

3.2.1 Sichere Feststellung des Todes

Die meisten zu übertragenden Organe werden nicht lebenden, sondern hirntoten Spendern entnommen. Der äußere Unterschied zwischen Herztod und Hirntod kann irrtümlich so gedeutet werden, als ob Gewebe und Organe schon vor und nicht erst nach dem Tod des Spenders entnommen würden. Daher ist für das Vertrauen in die Transplantationsmedizin nicht nur die ärztlich selbstverständliche sichere Feststellung des Todes vor der Organspende entscheidend wichtig, sondern auch die allgemeine Kenntnis des Unterschieds zwischen Herztod und Hirntod. Herztod heißt bleibender Stillstand des Herzens und damit auch des Kreislaufs. Durch den allgemeinen Ausfall der Blutversorgung hört die Tätigkeit aller übrigen Organe gleichzeitig und so rasch auf, daß der Eindruck eines einzigen Ereignisses, nicht eines fortlaufenden Geschehens entsteht. Dagegen stirbt beim Hirntod das gesamte Gehirn vor allen übrigen Organen ab. Ihre Tätigkeit läßt sich von da an noch eine Zeitlang künstlich aufrechterhalten, aber doch eben nur noch künstlich und ohne jede Aussicht auf eine Erholung des Gehirns. Daher heißt Hirntod vollständiger und bleibender Verlust der gesamten Hirntätigkeit unter den Bedingungen der Intensivbehandlung, einschließlich der künstlichen Beatmung.

Der Begriff "Hirntod" wurde schon im Jahr 1800 geprägt, rund 150 Jahre bevor er durch die Entwicklung von Beatmungsgeräten für die medizinische Praxis wichtig werden konnte. Noch heute umschreibt er allein das Krankheitsgeschehen ohne Bezug zu irgendwelchen Zwecken. Dementsprechend kann der Begriff Hirntod nicht für noch so schwere Schäden oder Fehlbildungen (Anenzephalie) mit teilweise erhaltener Hirntätigkeit gelten, ebensowenig für das im Mutterleib wachsende Kind, dessen Hirntätigkeit sich erst entwickeln wird.

Der vollständige Verlust der gesamten Hirntätigkeit wird durch wissenschaftlich allgemein anerkannte und den Ärzten gut bekannte Befunde festgestellt, der bleibende Verlust wird durch die Verlaufsbeobachtung oder durch Untersuchungen mit Geräten bewiesen, die eine so schwere Hirnschädigung zeigen, daß sie eine Erholung sicher ausschließen. Die entscheidenden Untersuchungen müssen durch zwei Ärzte erfolgen, die nicht an einer später möglichen Organübertragung mitwirken dürfen. Der Hirntod wird auch festgestellt zur Beendigung einer zwecklos gewordenen Intensivbehandlung und ohne eine später mögliche Organspende. Der einwandfreie Beleg des Hirntodes läßt sich später jederzeit zweifelsfrei überprüfen. Der Nachweis des Hirntodes ist der Nachweis eines bereits bestehenden Sachverhalts, keine Beurteilung eines erst künftigen Krankheitsverlaufs, keine bloß rechtliche Todeserklärung.

Der Hirntod bedeutet ebenso wie der Herztod den Tod des Menschen. Mit dem Hirntod fehlt dem Menschen die unersetzbare und nicht wieder zu erlangende körperliche Grundlage für sein geistiges Dasein in dieser Welt. Der unter allen Lebewesen einzigartige menschliche Geist ist körperlich ausschließlich an das Gehirn gebunden. Ein hirntoter Mensch kann nie mehr eine Beobachtung oder Wahrnehmung machen, verarbeiten und beantworten, nie mehr einen Gedanken fassen, verfolgen und äußern, nie mehr eine Gefühlsregung empfinden und zeigen, nie mehr irgendetwas entscheiden. Nach dem Hirntod fehlt dem Menschen zugleich die integrierende Tätigkeit des Gehirns für die Lebensfähigkeit des Organismus: die Steuerung aller anderen Organe und die Zusammenfassung ihrer Tätigkeit zur übergeordneten Einheit des selbständigen Lebewesens, das mehr und etwas qualitativ anderes ist als eine bloße Summe seiner Teile. Hirntod bedeutet also etwas entscheidend anderes als nur eine bleibende Bewußtlosigkeit, die allein noch nicht den Tod des Menschen ausmacht.

Die Ärzte müssen den medizinisch eindeutigen Sachverhalt nicht nur feststellen, sondern auch den Angehörigen des Verstorbenen verständlich machen, bevor sie die Frage der Organspende stellen. Auf diesem Gebiet erfahrene Ärzte wissen, daß als häufigste Gründe für die Einwilligung in die Organspende die Hilfe für notleidende andere, die menschenfreundliche Hilfsbereitschaft des Verstorbenen und das Bemühen um einen Sinn des Geschehenen genannt werden.

3.2.2 Rechtliche Grundlagen der Organentnahme vom Toten

Die Organentnahme vom toten Spender ist ebenso wie die vom lebenden rechtlich nicht ausdrücklich geregelt. Auch hier bestimmt sich die Zulässigkeit deshalb nach allgemeinem Recht.

Erste und unabdingbare Voraussetzung für die Organentnahme von einem Toten ist die sichere Feststellung des Hirntodes. Der Hirntod ist heute in fast allen Ländern als das maßgebliche Merkmal für den Tod des Menschen anerkannt. Eine gesetzliche Definition des Todes und des Todeszeitpunktes gibt es bei uns, wie ganz überwiegend auch im Ausland, nicht.

Die Entnahme eines lebenswichtigen Organs von einem Patienten, dessen Hirntod noch nicht sicher eingetreten ist, wäre strafrechtlich Totschlag, die Entnahme einer Niere zumindest gefährliche Körperverletzung. Auch die Organentnahme vom Toten bedarf einer Rechtfertigung. Der Leichnam, in dem der Eigenwert und die Würde des Menschen nachwirken, ist durch das den Tod überdauernde sog. postmortale Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2 Abs. 2 Grundgesetz geschützt. Ein Eingriff in den Leichnam ist daher nur dann zulässig, wenn er gerechtfertigt ist. Als Rechtfertigungsgrund für die Organentnahme kommen nach derzeit geltendem Recht die vom Spender selbst zu Lebzeiten oder nach seinem Tod durch seine Angehörigen erteilte Einwilligung in Betracht sowie der Notstand.

  • Aus dem postmortalen Persönlichkeitsrecht folgt, daß der noch Lebende sein Selbstbestimmungsrecht über den Tod hinaus ausüben, also verbindlich festlegen kann, was mit seinem Körper nach dem Tode geschehen soll. Der zu Lebzeiten geäußerte Wille des Verstorbenen, sei es eine Organspendeerklärung oder ein Widerspruch, ist deshalb stets zu respektieren. Einwilligung wie auch Widerspruch können formlos schriftlich erklärt werden. Bewährt hat sich für die Einwilligung ein sog. Organspenderausweis, es genügt aber auch jede andere Form. Ungeeignet ist allerdings ein Testament, weil es in aller Regel nicht unmittelbar beim Todesfall vorliegt, sondern erst später gefunden wird und dann von einem Gericht eröffnet werden müßte.
  • Fehlt es an einer ausdrücklichen Zustimmung des Verstorbenen, so können seine nächsten Angehörigen für ihn in die Organentnahme einwilligen. Den Angehörigen steht das Totensorgerecht zu, sie sind damit gewissermaßen Treuhänder des postmortalen Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen, Sachwalter seiner Interessen. Sie sollen daher nicht ihre eigene Einstellung zur Organspende zum Ausdruck bringen, sondern dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen zur Geltung verhelfen. Die Angehörigen haben also kein Einspruchsrecht gegenüber einer vom verstorbenen Spender zu Lebzeiten erklärten Zustimmung.
  • Umstritten ist, ob und unter welchen Umständen eine Organentnahme durch Notstand gerechtfertigt sein kann. Der Notstand beruht auf dem Prinzip der Interessenabwägung: zugunsten der Rettung des höherrangigen Rechtsguts darf in ein anderes Rechtsgut eingegriffen werden, wenn kein anderes Mittel zur Abwendung der Gefahr besteht. Die Interessenabwägung gilt bei Transplantationsfällen als unproblematisch. Den Interessen des Organempfängers am Weiterleben und erst recht am Überleben ist, bei allem Respekt vor dem fortwirkenden Persönlichkeitsrecht des Toten, Vorrang einzuräumen. Bei einer beabsichtigten Herz- oder Leberverpflanzung liegt jedenfalls meist auch eine Notstandslage vor, denn in diesen Fällen besteht für den Organempfänger fast immer eine akute und nicht anders abwendbare Lebensgefahr.
  • Ungeklärt und streitig ist aber vor allem, ob die Rechtfertigung durch Notstand auch dann eingreifen kann, wenn ein Widerspruch des Verstorbenen oder seiner Angehörigen vorliegt. Dies wird überwiegend verneint, nicht nur, weil damit die Ausnahme, für die der Notstand gedacht ist, praktisch zur Regel würde, sondern auch weil niemand unter Mißachtung seines ausgeübten Selbstbestimmungsrechts zu mitmenschlicher Solidarität gezwungen werden darf. Ist dagegen eine Einwilligung der Angehörigen nicht zu erlangen, weil diese nicht ermittelt oder trotz aller Bemühungen nicht erreicht werden können, so ist nach verbreiteter Auffassung in der juristischen Literatur eine Rechtfertigung durch Notstand zu bejahen.     

Strafrechtliche Sanktionen gegen eigenmächtige Organentnahmen sind nach überwiegender Auffassung nicht möglich, da es derzeit kein entsprechendes Strafgesetz gibt. Ob zivilrechtlich ein Anspruch auf Schadensersatz, insbesondere ein Schmerzensgeldanspruch der Angehörigen besteht, ist umstritten. Festzuhalten bleibt, daß Transplantationen trotz des Fehlens einer gesetzlichen Regelung nicht in einem rechtsfreien Raum stattfinden. Auch kommt die Praxis mit der Auslegung des geltenden Rechts zurecht, zumal sie dem gewissermaßen kleinsten gemeinsamen Nenner aller Auffassungen folgt und damit rechtlichen Schwierigkeiten aus dem Weg geht. Zentrale Fragen bleiben allerdings bisher der Wertung und Abwägung der Rechtsanwendung überlassen, wo sie überdies kontrovers diskutiert werden. Es wird daher vielfach die Auffassung vertreten, auf Dauer sei der Gesetzgeber aufgerufen, aufgrund seiner Legitimation eindeutige Wertentscheidungen zu treffen und verbindlich festzulegen, unter welchen Voraussetzungen nach zuverlässiger Feststellung des Todes Organe von Verstorbenen entnommen werden dürfen. Dabei erscheint in Anlehnung an einige europäische Transplantationsgesetze auch eine Regelung möglich, daß eine Organentnahme zulässig ist, wenn die Angehörigen eines Verstorbenen, der sich nicht zur Organspende geäußert hat, über die beabsichtigte Organentnahme informiert werden und diesem Eingriff nicht widersprechen. Als regelungsbedürftig angesehen wird auch die Frage, welche Rechtsfolgen an eine unzulässige Entnahme geknüpft sind.

3.2.3 Ethische Beurteilung

Die Organentnahme von Verstorbenen ist der Lebendspende eindeutig vorzuziehen, da hierbei niemand eine Beeinträchtigung seiner Gesundheit oder gar eine Gefährdung seines Lebens auf sich nehmen muß. Die Pietät vor dem menschlichen Leichnam und die Achtung vor den Gefühlen der Angehörigen muß gewahrt bleiben. Der menschliche Leichnam war zu Lebzeiten Träger der menschlichen Person. Deshalb verbietet sich seine respektlose Behandlung.

Das Recht auf die Integrität des Leichnams besitzt keine absolute Gültigkeit. Es kann zurücktreten hinter der Solidarität mit einem Schwerkranken oder gar vom Tod bedrohten Mitmenschen. Für die Transplantation von Geweben und Organen eines Verstorbenen müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:

  • Die Möglichkeit einer Organentnahme darf die Bemühungen um das Leben des Spenders und seine Behandlung nicht behindern oder einschränken.
  • Der Tod des Spenders muß vor der Explantation zweifelsfrei feststehen.
  • Die rechtliche Voraussetzung der Explantation muß erfüllt sein.
  • Der Eingriff muß die Würde des Verstorbenen achten und darf die Empfindungen von Angehörigen nicht leichtfertig verletzen.
  • Die Organe müssen nach sachlich und ethisch vertretbaren Regeln verteilt werden.

Eine sachgemäße Explantation von Geweben und Organen verletzt weder die Würde des Verstorbenen noch die Ruhe des Toten.

Nächstes Kapitel