Verantwortung und Weitsicht.

Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur Reform der Alterssicherung in Deutschland, Gemeinsame Texte 16, 2000

1. Mut zur Wahrheit

Die Sicherung im Alter besitzt für die Menschen, die ein Leben lang hart gearbeitet haben und die sich auf die Systeme der Alterssicherung verlassen, hohe Bedeutung. Wenn diese Sicherung gefährdet ist oder sich großen Problemen gegenüber sieht, steht für den einzelnen und das Gemeinwesen viel auf dem Spiel. In Deutschland ist dies der Fall. Das ist der Grund, warum sich die Kirchen zu Wort melden. Grundlegende Reformen stehen an. Sie müssen mehr sein, als ein Kurieren an Symptomen. Es muß zu Weichenstellungen kommen, die von Verantwortung und Weitsicht bestimmt sind.

Die Finanzierung der Alterssicherung in Deutschland ist immer schwieriger geworden. Wenn dieses Problem nicht gelöst wird, sind die Alterssicherungssysteme mittel- und längerfristig gefährdet.

Viele Jahre verschloß man die Augen vor der Frage, wie sich der dramatische Rückgang der Geburtenzahl und die gestiegene und noch weiter ansteigende Lebenserwartung der Menschen auf die Alterssicherungssysteme auswirken. Es werden heute viel weniger Kinder geboren als zu einer gleichbleibenden Struktur des Bevölkerungsaufbaus notwendig ist. Außerdem hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten 30 Jahren stark erhöht. Tendenziell treten immer weniger junge Menschen ins Erwerbsleben ein. Entsprechend geht die Zahl der Beitragszahler zurück. Dies kann durch eine Verlängerung der Erwerbstätigkeit und die Erhöhung der Erwerbsquote zum Beispiel von Frauen nur teilweise ausgeglichen werden. Der Anteil der Rentner und Pensionäre nimmt zu. Erheblich verschärft haben sich die Folgen dieser Situation für die Rentenversicherung durch die Frühverrentungen.

Es gibt viele Vorschläge, wie die drohende Krise der Systeme der Alterssicherung vermieden werden kann. Sie haben jedoch nicht selten kürzere Zeiträume im Blick oder stellen gar auf den nächsten Wahltermin ab. Oder sie nehmen zu sehr Rücksicht auf das, was vermeintlich zumutbar ist. Manche sehen die Verantwortung nur auf einer Seite und verkennen die gemeinsame Verantwortung aller. Eine nachhaltige Reform der Alterssicherung braucht aber nicht nur den Willen zur Gerechtigkeit, sondern auch den Mut zur Wahrheit.

Die Kirchen können und wollen kein bestimmtes Modell der Alterssicherung vorschlagen. Ihnen geht es um Grundorientierungen und zentrale Eckpunkte. Sie rufen die Politiker und Sozialpartner auf, sich in dieser Frage von Weitsicht und der Gerechtigkeit leiten zu lassen.

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