Ökumene im 21. Jahrhundert

Bedingungen – theologische Grundlegungen – Perspektiven

3. Universalität und Partikularität im Heilshandeln Gottes: Biblische Einsichten

Nachdem die vorangegangenen Kapitel die Herausforderung beschrieben haben, die sich aus dem veränderten Verhältnis von Lokalität und Globalität ergeben und eine neue »Landkarte des Christentums« gezeichnet haben, fragt der nun anschließende Abschnitt nach dem Verhältnis von Universalität und Partikularität im biblischen Zeugnis von Gottes Heilshandeln. Altes und Neues Testament beschreiben und deuten Gottes Wirken sowohl gegenüber der gesamten Schöpfung als auch gegenüber einzelnen Menschen, Gruppen und Völkern. Der Blick auf diese Zeugnisse erfolgt als erster Schritt der Frage nach dem evangelischen Verständnis der Ökumene.

Von den alttestamentlichen Schriften sind die folgenden Gedanken und Motive für ein Ökumene-Verständnis aus evangelischer Sicht besonders wichtig:

Die schöpfungstheologische Perspektive bedenkt, dass der universale göttliche Grund alles Seins nicht bei sich selbst bleibt, sondern die Schöpfung ins Dasein ruft (Gen 1,27). Sie thematisiert das Gottesverhältnis der Menschen, die Erfüllung finden, wenn sie nicht bei sich selbst bleiben (Gen 2,24) und beschreibt die Verantwortung, die den Menschen für das Ganze der Schöpfung übertragen ist (Gen 3,21). In dem auf der Ebene der weltweiten Ökumene vom Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR zu Beginn der 1980er-Jahre angestoßenen Konziliaren Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung und auch im theologischen Dialog zwischen evangelischen Kirchen und Orthodoxie spielten und spielen die Schöpfungsverantwortung und die Haushalterschaft der Menschen eine zentrale Rolle.

Das Motiv der Erwählung entfaltet den Gedanken, dass ein von Gott erwählter Mensch bzw. ein von Gott erwähltes Volk zum Segen für alle Völker (Gen 12,1-4) wird. Nachdem christliche Theologie viele Jahrhunderte die Auffassung vertrat, die Erwählung sei Israel genommen und der Kirche übertragen worden, sodass die Aussage 1Petr 2,9-10, die Kirche sei »das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk seines Eigentums« als eine Disqualifizierung Israels zugunsten der Kirche verstanden wurde, begreift evangelische Theologie heute das Motiv des weitergegebenen Segens Gottes an alle Völker als einen Hinweis darauf, dass die Erwählungspartikularität in Abrahams Erwählung und in der Erwählung des Volkes Israel keinen exklusiven, sondern einen inklusiven Charakter trägt. Am Erwählungsmotiv wird deutlich, dass ökumenische Verständigung immer auch zu bedenken hat, was ihre Aussagen und Resultate im weiteren Kontext, etwa für die Frage des Verhältnisses der christlichen Kirchen zum Judentum, bedeuten.

Die prophetischen Verheißungen des Weges der Völker zum Zion, dem partikularen Ort des Heiligtums Israels, sind mit dem Versprechen des universalen Schalom verbunden (Jes 2,2-4) und komplementieren gleichsam die Motive der Schöpfungstheologie. In den Verheißungen werden Universalität und Partikularität durch den Friedensgedanken untrennbar miteinander verknüpft. Der Friedenskontext beschreibt die Qualität der Einheit. Dieses Motiv ist über die Gedanken zum Miteinander der Kirchen sowohl für die Frage des Verhältnisses von Israel und Palästina als auch für den Missionsbegriff bedeutsam.

Das Motiv vom stellvertretenden Leiden des Gottesknechtes setzt den Gedanken der Erwählung fort und bringt Gottes Erbarmen für die gesamte Schöpfung im Leid eines Einzelnen bzw. (in der kollektiven Deutung der Gottesknechtslieder) des Volkes Israel zum Ausdruck (Jes 53,4-5). Seit neutestamentlicher Zeit sahen Christen in dieser Beschreibung auch eine Präfiguration Jesu Christi (Mk 9,12), der geführt vom lieben den Geist Gottes den Weg der Niedrigkeit, Schwachheit und des Leidens ging und seinen Jüngerinnen und Jüngern auf diesem Weg vorausging (Mk 8,34-35). Die hier in den Blick genommenen Texte des Alten Testamentes berichten also sämtlich davon, wie Gott durch Schöpfung, Erwählung, Heiligung und Erlösung auf je unterschiedliche Weise (Hebr 1,1) an Einzelnen, an Gruppen und an der Gemeinschaft aller Völker handelt und so auch ihr Verhältnis zueinander gestaltet. Die in den Texten des Neuen Testamentes entwickelte inkarnationstheologische Perspektive nimmt diese Motive auf und bezieht sie auf Christus, der durch seine Gottesbeziehung zugleich eine neue Beziehung unter den Menschen schafft (1Kor 3,11). Dementsprechend beschreibt Paulus Christus als Anfang einer neuen Schöpfung (Röm 8,20-24) und greift damit die schöpfungstheologische Perspektive des Alten Testamentes auf. In gleicher Weise setzt der Auftrag Christi an die Apostel »in alle Welt zu gehen und alle Völker zu lehren« (Mt 28,28) den in der hebräischen Bibel entfalteten Gedanken der erwählten partikularen Gemeinschaft voraus, die zum Segen für alle wird und verbindet ihn mit dem Gedanken der bereits in Christus bestehenden Gemeinschaft. Die Entgrenzung des Heilswirkens, die die Völkerwallfahrt zum Zion beschreibt, begegnet in der Geschichte von Jesus und der syro-phönizischen Frau (Mt 15,21-28) und auch in der Aussage der Apostelgeschichte, dass auch in anderen Religionen Gott den Menschen »nicht ferne« sei (Apg 17,16-34). Und schließlich findet, wie bei der Figur des Gottesknechtes, das Leiden Christi stellvertretend und in Solidarität mit dem Leiden der Menschen statt.

Der inkarnationstheologische Ansatz versteht die Menschwerdung Gottes in Christus als Verbindung der Universalität des Schöpfergottes mit der Partikularität des kulturell und historisch begrenzten Lebens Jesu (Joh 1,1-5 und 14). Es ist die Vorstellung der Inkarnation, die der Bezeichnung der Jerusalemer Urgemeinde als »ein Herz und eine Seele« zugrunde liegt (Apg 2,44-47 und 4,32-37). Als ein Modell, in dem weder auf das Umfassende noch auf das Partikulare verzichtet werden kann, verdeutlicht die Inkarnation, dass die Kirche sich nicht selbst begründet, sondern von Christus getragen und »zusammengefügt« wird (Eph 4,15). Zugleich wirft die inkarnationstheologische Perspektive notwendigerweise einen wertschätzenden Blick auf die Vielfalt im Leben der Gemeinschaft durch die vielen Gaben des einen Geistes (1Kor 12,4-7).

Aus dieser Einsicht heraus ist jede Übersetzung der Bibel in eine andere Sprache, jede ihrer Auslegungen, jede Form des christlichen Lebens in ihrer kontextuellen Unterschiedlichkeit ein Ausdruck des »et incarnatus est«. Die Vielgestaltigkeit ist aus dieser Perspektive kein Defizit, Verlust und auch keine Profilschwäche, sondern Gabe Gottes und Ausdruck der Menschwerdung Gottes in unserer geschichtlichen und kulturellen Prägung und Begrenztheit. Inkarnation ist »Ökumene der Gaben« in ihrer radikalsten Form gedacht. In der ökumenischen Diskussion der Inkarnationstheologie versteht eine derartige Position die Kirche nun nicht als eine »verlängerte Inkarnation«. Vielmehr weist sie darauf hin, dass der Leib Christi ein »Leib im Geist« ist, der die Menschen in ihrer Schwachheit vor Gott vertritt (Röm 8,26) und die Schöpfung in Gott erhält. Dieses Verständnis einer »verborgenen Kirche« (und eines diese verborgene Kirche belebenden Heiligen Geistes) widerspricht zugleich jeder Instrumentalisierung des Heiligen Geistes als eines Besitzes. Weil Gottes Geist unverfügbar ist, bleibt die Gestalt der Kirche wandelbar.

Ein Blick auf die Topografie des frühen Christentums vertieft diese Einsichten zu Partikularität und Universalität im Heilshandeln Gottes: Dies wird deutlich an den zentralen Orten Jerusalem, Antiochien und Rom, die als Orte der frühen Christenheit Entwicklungen und Verständigungsprozesse widerspiegeln, die bis heute bedeutsam sind für Fragen des Kirchenverständnisses und der Gestaltung ökumenischer Beziehungen.

Zunächst stehen sie für theologische Entwicklungen und Auseinandersetzungen. Der gesetzestreu judenchristlich geprägten Gemeinde in Jerusalem steht in Antiochien eine Gemeinde aus (Diaspora-)Juden und Heidenchristen gegenüber. Paulus wird zu dem Theologen und Missionar, der gegen den Willen der Jerusalemer Gruppe den direkten Zugang von Heiden zum christlichen Glauben – ohne zuvor Jude zu werden – predigt und auch praktisch ermöglicht. Nach harten Auseinandersetzungen halten die Jerusalemer an ihrer Position für ihren Kontext fest, Paulus aber kann weiter Heidenmission betreiben.

Differenzen bleiben dennoch bestehen und zeigen sich im »antiochenischen Konflikt« mit der Frage, ob auch Christen nichtjüdischer Herkunft die jüdischen Speisegebote einhalten sollen. Dennoch kommt es nicht zu einer Spaltung, und Paulus müht sich immer wieder, wenn auch nicht immer erfolgreich, um die Verbindung nach Jerusalem. Mit Rom kommt die Botschaft von Jesus Christus wiederum in einen anderen Kontext. Die Auseinandersetzung mit dem römischen Staatskult und zahlreichen anderen Kulten, Weltanschauungen und Philosophien, wie wohl sie auch an den anderen Orten wie Jerusalem und Antiochien präsent waren, erreicht hier einen Höhepunkt. Schon bald werden die Christen als Feinde der Staatsmacht betrachtet, da sie den Kaiserkult ablehnen. Christlicher Glaube muss sich im Untergrund, in Widerstand und Verfolgung, bewähren.

Bereits diese Hinweise belegen, wie sehr der christliche Glaube schon in seiner Entstehung den Umgang mit innerer Diversität und die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen, Religionen und Weltanschauungen einüben musste. Der Blick auf die Anfänge des Christentums zeigt, dass es im Leben der ersten Gemeinden und der frühen Kirche nicht eine ursprüngliche Einheit gab, die dann zunehmend zerfiel. Vielmehr bestanden die christlichen Gemeinden von Anfang an aus Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen. Es gab viele Auseinandersetzungen in und zwischen Gemeinden. Der Streit um Einfluss und Macht unter »Aposteln« und Gemeindeleitern, auch Ausgrenzung und Vertreibung von Gemeindemitgliedern waren in Korinth virulent. Jerusalem, Antiochien und Rom zeigen, mit welchen Spannungen und Belastungsproben die ersten Christen zu kämpfen hatten. Diese zugunsten einer – wie auch immer gearteten – »Einheit« in Theologie und gelebtem Glauben aufzulösen, war nicht möglich und offenbar auch nicht notwendig. Denn erstaunlicherweise gelang es, trotz aller Differenzen in Verbindung zu bleiben – und mehr als das: Gerade Paulus, der mit seiner Theologie und Praxis der Heidenmission den Konflikt mit Jerusalem ausgelöst hatte, hat in seinen Briefen, vor allem an die Korinther, eine über die Zeiten hinweg lebendige Sprache gefunden, um die in Christus geschenkte Einheit und die gleichzeitig gegebene Vielfalt zu beschreiben. Viele Gaben – ein Geist (1Kor 12,1-14); viele Glieder – ein Leib (1Kor 12,14-27). Von Einheit wird im geistlichen Sinn gesprochen. Sie steht einer Anerkennung gegebener Vielfalt nicht entgegen. Gleichzeitig beinhaltet sie aber eine Verpflichtung, Vielfalt nicht als Selbstzweck zu pflegen, Streit nicht um des Streites willen zu suchen, sondern die Vielfalt im Licht der Einheit zu verstehen und zu leben.

Im Weg des Christentums von Jerusalem nach Antiochien und Rom ist erkennbar, wie jeder »Ort«, jeder Kontext den christlichen Glauben vor neue Herausforderungen stellt, ihm aber auch eine andere Farbe und im besten Fall eine neue Strahlkraft verleiht. Nach evangelischem Verständnis ist Vielfalt daher kein »Unfall« auf dem Weg zur Einheit, sondern ein Zeugnis für die Vielgestaltigkeit christlichen Lebens im Licht der in Christus geschenkten Einheit. Daraus ergeben sich nun Folgerungen für den Zusammenhang von Mission und Inkulturation einerseits und andererseits für den Zusammenhang von Mission und Solidarität:

3.1. Folgerungen für den Zusammenhang von Mission und Inkulturation

Paulus steht vor Augen als einer, der seinen jüdischen Wurzeln treu bleiben und sie verantwortlich theologisch reflektieren wollte – und als einer, der gleichzeitig vielfältige Übersetzungsleistungen erbrachte, um den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche zu werden. Damit hat er wesentliche Impulse gesetzt für den Zusammenhang von Mission und Inkulturation, denn er hat den christlichen Glauben so zur Sprache bringen können, dass Menschen aus unterschiedlichen kulturellen, religiösen und weltanschaulichen Hintergründen ihn für sich als bedeutsam erkennen konnten. Mission hat damit von Anfang nicht nur eine geografische, sondern vor allem eine theologische Dimension. Sie beinhaltet eine Grenzüberschreitung, die den christlichen Glauben vom anderen, vom Gegenüber her denkt. Mission kann demnach nicht zuerst als unmittelbare Weitergabe der christlichen Botschaft verstanden werden, »wie ich sie verstehe«. Sie sucht vielmehr nach den Anknüpfungspunkten im Denken und Fühlen des Gegenübers, um ihm oder ihr verständlich zu machen, was der christliche Glaube für ihn oder sie bedeuten kann. Mission wird so nur vorstellbar im Dialog, der das Gegenüber verstehen möchte und im Gespräch das eigene Zeugnis ihm anverwandelt.

Paulus ging es auf seinem Weg von Antiochien und Rom vor allem um die Übersetzung des Evangeliums für »Heiden«. Heute lebt das Christentum bereits in vielen kulturellen Kontexten. Auch in Deutschland leben Christen aus vielen Ländern und Kulturen. Dass sie – mehr als bisher – gemeinsam mit den einheimischen Christen als »ein Leib« erkennbar werden können, ist eine große Herausforderung insbesondere für die evangelischen Kirchen in Deutschland, die bislang erst in Ansätzen erkannt und aufgegriffen wurde.

3.2. Folgerungen für den Zusammenhang von Mission und Solidarität

Die prägenden Orte der ersten Christenheit berühren wichtige Fragen im Zusammenhang von Mission und Solidarität, die die Kirchen bis heute beschäftigen. Die Kollekte, zu der Paulus für Jerusalem aufruft, ist ein frühes Zeichen dafür, dass die unterschiedlichen Gemeinden nicht nur theologisch als »eins« verstanden wurden, sondern dass sich daraus auch unmittelbar eine Verpflichtung zu gegenseitiger Unterstützung ergab. Dabei reicht die Bedeutung dieser Kollekte weit über die materielle Dimension hinaus: »Wenn ein Glied leidet, so leiden alle anderen mit« (1Kor 12,26). Aus dieser Überzeugung innerer Zusammengehörigkeit erwächst Solidarität mit den jeweils anderen. Die berühmt gewordene Kollekte des Paulus ist nicht »für die eigene Gemeinde« bestimmt, sondern sie hilft den heidenchristlichen Gemeinden in Kleinasien, den Blick auf einen größeren Horizont zu richten und zu verstehen, dass sie ausgerechnet mit der judenchristlich geprägten Gemeinde in Jerusalem, die sich so schwer tut, sie als Christen anzuerkennen, geistlich und in praktischer Solidarität verbunden sind und bleiben.

Bestehende Differenzen sind also kein Grund, etwa die Gemeinschaft infrage zu stellen oder Spenden zurückzuhalten. Diese können offenbar im Gegenteil dazu beitragen, eine Verbindung aufrechtzuerhalten, auch da, wo das Gespräch schwierig geworden ist. Möglicherweise lässt sich hier ein Verständnis von Mission erkennen, das in seinem tiefsten Grund stark vom Gedanken des Teilens (im Sinne des englischen »Sharing«) geleitet ist. Mission ist demnach eine Bewegung aus dem eigenen Glauben heraus, die diesen Glauben ganz selbstverständlich mit anderen teilen will. In dieses Teilen wird auch der je eigene Frömmigkeitsstil und letzten Endes die ganze Person mit ihrem immateriellen und materiellen Besitz einbezogen. Teilen wird zum Ausgangspunkt von Mission. Das Evangelium weist also immer über den eigenen Kontext hinaus. Es überschreitet wie von selbst nationale und kulturelle Grenzen. Die Syrophönizierin überzeugt Jesus selbst von dieser inneren Logik seiner Verkündigung (Mk 7,24-30). Mission im Sinne von »Teilen« lebt von der Sprachfähigkeit im eigenen und in anderen Kontexten. Sie braucht die Selbstreflexion, die nach den Grenzen des eigenen Kircheseins fragt. Sie ist offen für die unterschiedlichen Inkulturationen des Evangeliums.

Die Emmaus-Geschichte aus dem Evangelium nach Lukas beschreibt, wie es zu einem Erkennen Christi und zur Erneuerung der Gemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger in der Begegnung mit dem Auferstandenen und nicht allein durch die Debatten über die Schrift kommt (Lk 24,13-35). Mit dem Brotbrechen in der von Christus gestifteten Gemeinschaft werden den beiden Jüngern die Augen geöffnet und sie erkennen Christus. Es ist hier folglich nicht die Weggemeinschaft des theologischen Bemühens um die Schrift allein, die automatisch zum Erkennen und Bekennen und der Bildung von Gemeinschaft führt. In der Emmaus-Geschichte kommt es vielmehr zur Erneuerung der Gemeinschaft, durch die Selbstmitteilung und die liebende Zuwendung Gottes im Brechen des Brotes. Nicht die Verständigung ist die Voraussetzung der Gemeinschaft, sondern die von Gott geschenkte koinonia ist die Voraussetzung der Verständigung.

Die Erzählung berichtet weiter, dass die Begegnung mit dem Auferstandenen in die Zeugenschaft führt. Als sich der Auferstandene den Jüngern entzogen hat, brechen diese auf und bekennen vor den übrigen Jüngerinnen und Jüngern die Auferstehung. Die Emmaus-Geschichte berichtet vom gemeinsamen Mahl als dem spirituellen Grund, auf dem Christus als Einladender unter den Christen Gemeinschaft stiftet. Zugleich wird das gemeinsame Mahl in dieser Geschichte als die Quelle verstanden, aus der sich alle Bemühungen um ein gelingendes Leben in menschlicher Gemeinschaft speisen.

In der Emmaus-Geschichte führt die Erfahrung des Nichtverstehens und des Verfehlens nicht zum Ausschluss aus der Gemeinschaft, sondern zur erneuten Zuwendung Christi. Dieser Einsicht ist es geschuldet, dass evangelische Gemeinden alle Getauften zum Abendmahl in eucharistischer Gastbereitschaft einladen. Diese Gastbereitschaft verstehen Evangelische ein Zeugnis der in Christus geglaubten und nach dem Maß unserer Möglichkeiten gelebten Einheit aller Christen.

Auch die Taufe ist »ein Zeichen der Einheit aller Christen« (Magdeburger Erklärung) [20]. Als ein gemeinsamer sakramentaler Grundvollzug eint sie die Christen – bei allem differenten Verständnis in Einzelfragen. So sagt es auch die Magdeburger Erklärung aus: »Trotz Unterschieden im Verständnis von Kirche besteht zwischen uns ein Grundverständnis über die Taufe«. Innerhalb der innerdeutschen Ökumene begrüßt die Evangelische Kirche, dass viele orthodoxe Kirchen mit der Unterzeichnung der Magdeburger Erklärung die westliche Taufe anerkannt haben und damit auch die Feststellung des Dokumentes von Lima bekräftigten, die Taufe sei »ein Ruf an die Kirchen, ihre Trennungen zu überwinden und ihre Gemeinschaft sichtbar zu manifestieren«.

Abendmahl und Taufe verbinden die Glaubenden und ihre Kirchen mit dem Grund des Glaubens und untereinander. Evangelische Theologie betont die biblisch begründete Einsicht, dass die so verbundenen Einzelnen und Kirchen in ihren geschichtlichen und kulturellen Bindungen nicht anders als verschieden sein können und doch im universalen Handeln Gottes füreinander berufen und an einander gewiesen sind.

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