Gelobtes Land?

Land und Staat Israel in der Diskussion. Eine Orientierungshilfe. Herausgegeben im Auftrag der EKD, der UEK und der VELKD, Gütersloh 2012, ISBN 978-3-579-05966-2, Preis 6,99 Euro. Bestellungen nur über den Buchhandel oder den Verlag.

6. Kirchliches Leben im „Heiligen Land“ heute

Die vielen im „Heiligen Land“ vertretenen christlichen Glaubensrichtungen bilden einen Mikrokosmos der christlichen Welt. Vor allem die einheimischen Kirchen fühlen sich mit dem „Heiligen Land“ in besonderer Weise verbunden und wissen sich in ihm tief verwurzelt. Die christlichen Gemeinschaften im Land Israel lassen sich heute in vier Gruppen einteilen:

  1. die orthodoxen Kirchen (griechisch-orthodoxe, russisch-orthodoxe, rumänisch-orthodoxe Kirche),
  2. die orientalisch-orthodoxen Kirchen (armenisch-orthodoxe, koptisch-orthodoxe, äthiopisch-orthodoxe und syrisch-orthodoxe Kirche),
  3. die römisch-katholische Kirche und die mit ihr unierten Kirchen (Lateiner, Maroniten, griechisch-katholische/melkitische, syrisch-katholische, armenisch-katholische, koptisch-katholische Kirche),
  4. die zahlenmäßig kleinsten und historisch jüngsten protestantischen Kirchen (Anglikaner, Lutheraner, Presbyterianer, Reformierte, Baptisten, Pfingstkirchen und evangelikal geprägte Gemeinschaften).

Dazu treten judenchristliche Gemeinschaften und messianisch-jüdische Gruppen.

Die christliche Präsenz im Land wird auch durch die große Zahl von jährlich um die drei Millionen Touristen sichtbar, von denen viele als Pilger kommen. Der Pilgerstrom aus Osteuropa (Polen, Russland, Rumänien u.a.) ist signifikant gewachsen.

Die meisten der christlichen Kirchengemeinschaften sind heute vom Staat Israel „anerkannte Kirchen“. Diese haben eigene Gerichte, die nach dem jeweiligen kanonischen Recht entscheiden und eigene Richter bestellen. Christen genießen, wie alle Staatsbürger, entsprechend der Unabhängigkeitserklärung Israels von 1948 Glaubens- und Gewissensfreiheit und das Recht auf die freie Ausübung ihrer Religion. Im Jahr 1967 wurde der freie Zugang zu allen heiligen Stätten gesetzlich garantiert.

Die Lebensverhältnisse der Christen im Heiligen Land sind wesentlich durch die politische Situation geprägt. Das trifft vor allem auf die palästinensischen Christen zu. Sie wissen sich von ihrer Herkunft her dem Land besonders eng verbunden. Palästinensische Christen im Staat Israel haben als Bürgerinnen und Bürger des Staates die Rechte und Pflichten aller Staatsbürger, beklagen aber politische und gesellschaftliche Diskriminierungen. Christen in den besetzten Gebieten leiden unter der Isolierung, der häufigen Abriegelung der Gebiete und den eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten. Für sie ist die tägliche Demütigung an den Kontrollpunkten auf dem Weg zu Arbeitsplätzen, Schulen und Krankenhäusern Realität; der Zusammenhalt der Familien, die Verbindung der Gemeinden untereinander sowie der Zugang zu den heiligen Stätten in Jerusalem sind erschwert und teilweise unmöglich. Christen in Ost-Jerusalem leben unmittelbar an der Nahtstelle des politischen Konflikts, auch ihre Bewegungsfreiheit ist erheblich eingeschränkt, darüber hinaus droht ihnen etwa durch die Beschlagnahme von Personalausweisen der Verlust des Bleiberechts in Jerusalem. Als Folge dieser Einschränkungen sind in den vergangenen Jahren viele Christen aus der Region ausgewandert, sodass ihre Zahl laufend abnimmt.

In den letzten Jahrzehnten arbeiten die Christen im Land verstärkt in ökumenischen Initiativen zusammen und melden sich regelmäßig mit gemeinsamen Voten zur Lage in Jerusalem und Palästina öffentlich zu Wort.

Zur Statistik

Über die Situation der lokalen Kirchen im Heiligen Land Staat Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten gibt die folgende Zusammenfassung Auskunft.

Bevölkerung des Staates Israel (inkl. Ost-Jerusalem) nach Religionszugehörigkeit 2010

  Drusen* Christen** Muslime Juden andere / keine Insgesamt
Zahl in Tausend 127,6 153,1 1.321,3 5.802,9 290,2 7.695,1
Anteil in % 1,66% 1,99% 17,17% 75,40% 3,78% 100,00%

* Den Drusen kommt in Israel eine besondere Stellung zu, seitdem sie im Jahr 1957 als religiöse Gruppierung anerkannt wurden.

** Diese Zahl umfasst palästinensische und nicht-palästinensische Christen. Tabelle nach: CBS, STATISTICAL ABSTRACT OF ISRAEL 2011 [2], Tabelle 2.2.

Die Angaben über die Zahl der Christen im Westjordanland und im Gaza-Streifen schwanken zwischen 40.000 und 75.000, d.h. zwischen 0,9 und 1,7% der Gesamtbevölkerung [3]. Etwa 80% davon sind palästinensische Christen. Die absolute Zahl von Christen hat in den vergangenen beiden Dekaden kontinuierlich zugenommen. Aufgrund der jüdischen Einwanderungen und des generellen Bevölkerungswachstums im Staat Israel nimmt allerdings der prozentuale Anteil von Christen an der Gesamtbevölkerung von 2,89% im Jahr der Staatsgründung 1948 auf ca. 2% im Jahr 2010 ab. Christen stellen also zahlenmäßig nur einen geringen Teil der Gesamtbevölkerung.

Entwicklung der Anzahl von Christen im Staat Israel (inkl. Ost-Jerusalem)

1990 1995 2000 2008 2009 2010
114.700 120.600 135.100 150.200 151.700 153.100

Tabelle nach: CBS, STATISTICAL ABSTRACT OF ISRAEL 2011,
Tabelle 2.2.

Sieht man sich die Geburtenraten unter Christen an, so ist deutlich, dass die zukünftige demografische Entwicklung die Christen tiefer in eine Minderheitensituation führen wird. Christen haben in Israel fast die geringste Geburtenrate.

Geburtenraten im Staat Israel (inkl. Ost-Jerusalem) 2010 nach Religionszugehörigkeit

Drusen Christen Muslime* Juden andere / keine Durchschnitt
2,48 2,14 3,75 2,97 1,64 3,03

* Im Jahr 2000 betrug die Geburtenrate noch 4,7. Tabelle nach: CBS, STATISTICAL ABSTRACT OF ISRAEL 2011, Tabelle 3.13.

Die muslimische Bevölkerung ist die am schnellsten wachsende Gruppe in Israel. Allerdings nimmt auch in dieser Gruppe die Wachstumsrate deutlich ab.

Wachstumsrate im Staat Israel (inkl. Ost-Jerusalem) 2010 nach Religionszugehörigkeit

Drusen Christen Muslime* Juden andere / keine Durchschnitt
1,8% 0,9% 2,7% 1,7% 1,9% 1,9%

* Im Jahr 2000 betrug die Wachstumsrate noch 3,8%.Tabelle nach: CBS, STATISTICAL ABSTRACT OF ISRAEL 2011, Tabelle 2.5.

Das Durchschnittsalter der Christen liegt über dem Gesamtdurchschnitt im Staat Israel und ist eher mit der jüdischen Mehrheitsgesellschaft zu vergleichen als mit den arabischen Muslimen.

Durchschnittsalter im Staat Israel 2010 (inkl. Ost-Jerusalem) ach Religionszugehörigkeit

Drusen Christen Muslime Juden andere / keine Durchschnitt
25,4 33,0 20,1 31,5 33,6 29,4

Tabelle nach: CBS, STATISTICAL ABSTRACT OF ISRAEL 2011, Tabelle 2.21.

Etwa 60% der palästinensischen Christen leben im nördlichen Distrikt, 14,4% im Haifa-Distrikt, 9,9% im Jerusalem-Distrikt, 6,4% im Tel Aviv-Distrikt, 5,9% im Zentral-Distrikt und 3,1% im südlichen Distrikt (nach: CBS, STATISTICAL ABSTRACT OF ISRAEL 2011, Tabelle 2.6.).

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