„Selig sind die Friedfertigen“

Der Einsatz in Afghanistan: Aufgaben evangelischer Friedensethik, EKD-Text 116, 2014

3. Die Lage in Afghanistan und das Leitbild des gerechten Friedens

  1. Dem ethischen Leitbild des gerechten Friedens zu Folge sind friedensfördernde Prozesse dadurch charakterisiert, dass sie in inner- wie in zwischenstaatlicher Hinsicht gerichtet sind auf
    • den Schutz vor Gewalt durch ein funktionsfähiges System kollektiver Sicherheit (Ziffer 87 der Friedensdenkschrift),
    • die Förderung von Freiheit durch die Gewährleistung der unteilbaren, universellen Menschenrechte (Ziffern 88-90),
    • den Abbau von Not (durch die Gewährleistung von Mindestbedingungen auch transnationaler Gerechtigkeit) (Ziffern 91-95) sowie
    • die Anerkennung kultureller Verschiedenheit (Ziffern 96-97).
    Handlungswirkungen in diesen vier Dimensionen verstärken sich wechselseitig in positiver wie in negativer Hinsicht: Wenn z.B. soziale Ungleichheit religiös oder ethnisch aufgeladen und die politische Legitimität staatlicher Instanzen oder Amtsträger in Frage gestellt werden, wächst die Wahrscheinlichkeit gewaltträchtiger Auseinandersetzungen. Fragt man, wie die Lage in Afghanistan mit Blick auf die vier Dimensionen eines gerechten Friedens heute zu beschreiben ist, so müssen die starke geographische, ethnische, politische und soziale Zerklüftung des Landes und die unterschiedliche Lageentwicklung in verschiedenen Landesteilen berücksichtigt werden [36]. Dies macht die Beurteilung schwierig. Bei aller Vorsicht lassen sich aber einige große Linien aufzeigen. Dabei stützen wir uns auf vielfältige Berichte und Untersuchungen vor Ort [37], die auch in die Fortschrittsberichte der deutschen Bundesregierung eingeflossen sind. Die Bemühungen um einen gerechten Frieden, um tragfähige Gewissensentscheidungen und der hohe persönliche Einsatz aller Beteiligten, besonders der Soldaten und ihrer Familien, aber auch der entscheidenden Politiker, stehen nicht in Abrede.

3.1 Schutz vor Gewalt

  1. Schutz vor Gewalt bedeutet auch für die Menschen in Afghanistan vor allem Schutz im Alltag ihres Lebens. Die Sicherheitslage ist allerdings nach wie vor in weiten Teilen des Landes äußerst prekär. Der weitaus größte Teil ziviler Opfer geht auf Angriffe der Aufständischen zurück. Der Trend einer sich seit 2006 von Jahr zu Jahr verschlechternden Sicherheitslage [38] konnte zwar im Jahr 2011 „vorerst gebrochen“ werden [39]. Im unter deutscher Führung stehenden ISAF-Regionalkommando Nord gilt die Entwicklung der Sicherheitslage als „grundsätzlich positiv“; insgesamt jedoch wird sie im Frühjahr 2012 als „angespannt und fragil“ eingeschätzt [40]. Neuere Untersuchungen im Norden Afghanistans weisen darauf hin, dass durch die Erhöhung des Gewaltpegels die subjektiv empfundene Sicherheit und die Zustimmung zu den internationalen Truppen gesunken sind [41]. Dass nach mehr als elf Jahren militärischer Präsenz auswärtiger Truppen (und zivilen Engagements) die innere Sicherheit im Land an vielen Orten als unzureichend beschrieben wird, erfordert eine umfassende Bewertung aus der Perspektive nachhaltiger Friedensprozesse und -strukturen. Elementare Bedingung des Schutzes vor Gewalt ist die Entprivatisierung von Gewalt durch ein rechtsstaatlich eingehegtes Gewaltmonopol des Staates, also ein Ende willkürlicher Herrschaft. Daher ist im Blick auf diesen Punkt folgendes festzuhalten:
  2. Sicherheit muss als Bestandteil von Rechtsstaatlichkeit begriffen werden. Vor allem erweist sich die Entprivatisierung von Gewalt in der gegenwärtigen Situation als äußerst schwierig. Die USA bedienen sich der militärischen Macht von Kriegsherren, Gewaltunternehmern und Milizen, um sich offener Zufahrtswege oder auch der Absicherung gegen Rückfälle eroberter Gebiete zu versichern [42]. Die ISAF macht geltend, dass die Milizen 43 unter Verhältnissen fragmentierter politischer Autorität als Machtfaktor im Einsatzraum in Rechnung gestellt werden müssen. Was dies jeweils konkret bedeutet, ist nicht immer klar. Jedenfalls kann eine Zusammenarbeit auswärtiger Truppen mit lokalen Milizen die erklärte Absicht der Beförderung von Rechtsstaatlichkeit vor Ort unglaubwürdig machen [44], zumal Präsident Karzai sich seinerseits einer Strategie des Ausbalancierens von Macht bedient [45]. Seit den von Fälschungen geprägten, aber vom Westen anerkannten Präsidentschaftswahlen von 2009, ist die Legitimität der Regierung Karzai zusätzlich geschwächt [46]. Diese Legitimationsschwäche könnte auf den Aufbau ausreichend stabiler und rechtsstaatlich kontrollierter nationaler Sicherheitskräfte ausstrahlen. Andererseits können diese bei fortgesetzter ethnisch ausbalancierter Rekrutierung auch eine künftige Chance sein, institutionell in einem multiethnischen Staat eine nationale Klammer zu bilden [47]. In der Summe bleibt festzuhalten: Sicherheit muss als Bestandteil der Rechtstaatlichkeit begriffen werden und darf nicht, losgelöst von rechtsstaatlichen Institutionen, von politischen Akteuren für eigene, partikulare Interessen missbraucht werden.
  3. Seit der Londoner Konferenz von 2006 werden große Anstrengungen unternommen, eine zentrale afghanische Polizei und Armee aufzubauen, allerdings ohne dass die Zentralregierung bisher die Kontrolle über das ganze Land besitzt. Nach dem Mandat des Deutschen Bundestages unterstützen die deutschen Kräfte eine Reform des Sicherheitssektors, insbesondere durch den Aufbau funktionsfähiger afghanischer Sicherheitskräfte — Afghan National Army (ANA) und Afghan National Police (ANP) 48 — u.a. durch Ausbildung, Mentoring und Partnering. Aber die Sicherheitskräfte leiden an (durch finanzielle Anreize etwas verringerten) Verlusten: die Polizei durch Fluktuation, die Armee durch eigenmächtige Abwesenheiten und Desertionen [49]. Im weiteren Verlauf sind die afghanischen Kräfte an vielen Stellen selbständig tätig geworden und inzwischen allein verantwortlich für die Sicherheit im Land. Sie hatten deutlich mehr Verluste zu beklagen, während andererseits die ISAF-Truppen entsprechend deutlich geringere Zahlen getöteter Soldaten aufweisen [50]. Polizei und Armee werden mit Waffen ausgerüstet, ohne dass zugleich absehbar ist, was diese großen Waffenpotenziale in einem Land bewirken, in dem nur eine fragile demokratisch kontrollierte Rechtsstaatlichkeit existiert [51]. Die Polizei wurde im Rahmen von ISAF nicht nach einer einheitlichen Konzeption ausgebildet; seit 2007 sind jedoch Bemühungen erkennbar, dem abzuhelfen. Die Annahmen über den für den Aufbau erforderlichen Zeitrahmen differieren. Es sind deshalb verstärkte Bemühungen erforderlich , eine solche demokratisch kontrollierte Rechtsstaatlichkeit mit einer funktionierenden Justiz und staatlichem Gewaltmonopol unter Einbeziehung der örtlichen Traditionen aufzubauen.
  4. Wegen der Unsicherheit im Land lässt die afghanische Regierung inoffizielle Sicherheitskräfte zu, denen schwere Menschenrechtsverbrechen vorgeworfen werden. 52 Dies zeigt auch, dass die offiziellen Programme zur Entwaffnung und Reintegration unzureichend sind und zum Teil als leichte Einkommensquellen genutzt werden. Die verbreitete Beauftragung privater Sicherheitsfirmen durch im Land befindliche Organisationen aus dem Ausland soll durch das Präsidentendekret 62 von 2010 unterbunden werden. Mit der Existenz von Dorfmilizen außerhalb der ANP wird aber in Kauf genommen, dass sich Waffen und nicht rechtmäßig ausgeübte Gewalt verbreiten [53] — eine Gefahr, der die deutsche Bundesregierung entgegenwirken möchte. Die Empfehlungen der International Crisis Group zum „Transitionsprozess“ stellen entsprechend die Fortführung von Programmen für die Afghan Local Police in Frage [54]. Als besonders bedeutend für die die rechtsstaatliche Einhegung der Sicherheitsakteure gilt hier die „Unabhängige Afghanische Menschenrechtskommission“ (AIHRC), die nach der afghanischen Verfassung die Aufgabe hat, die Einhaltung der Menschenrechte zu überwachen. Diese Kommission gilt es in ihrer Arbeit zu unterstützen, wie auch der Fortschrittsbericht 2012 (S. 26) hervorhebt.

3.2. Förderung der Freiheit

  1. Das Ziel der „Förderung der Freiheit“ (Friedensdenkschrift Ziffer 82) verlangt Maßnahmen zur Gewährleistung von Grundfreiheiten und inklusiver demokratischer Beteiligung der Bevölkerung sowie ausreichende Rechtsgebundenheit von Justiz und Exekutive. Hier zeigt sich folgende Situation:
  2. Bei der unter UN-Schirmherrschaft im November 2001 durchgeführten Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn waren Mudschahidin der Nordallianz und Exil-Afghanen vertreten. Einheimische zivilgesellschaftliche Gruppen fehlten jedoch, wohl auch, weil sie sich zu jener Zeit noch nicht hinreichend formiert hatten. Am 22.12.2001 wurde Hamid Karzai als Interimspräsident eingesetzt und nahm mit einer kommissarischen Regierung seine Arbeit auf. Es wurde eine Präsidialverfassung ausgearbeitet und in Wahlen angenommen. Nach der ersten Wahl (2004) wurden weitere Wahlen durchgeführt: für das Parlament (2005) und für die zweite Amtsperiode des Präsidenten (2009); sie waren jeweils von massiven Betrugs- und Täuschungsmanövern überschattet [55]. Bei der zweiten Präsidentschaftswahl von November 2009 ist die Glaubwürdigkeit jedenfalls der UNAMA als politischer Unterstützungsorganisation der Vereinten Nationen in Afghanistan, die für die Wahlen zuständig ist, beschädigt worden [56]. Im Zwischenbericht 2011 wird mit Blick auf den unaufgearbeiteten Korruptionsfall der Kabulbank von einem weiteren Glaubwürdigkeitsverlust der afghanischen Regierung gesprochen [57]. Wichtige Gruppierungen wurden in Afghanistan von vornherein aus dem politischen Prozess ausgeschlossen. 58 Es gibt bisher zu wenige Ansätze, um auf lokaler Ebene legitime Vertreter und Vertreterinnen für politische Entscheidungen zu gewinnen. Anders als in der Verfassung vorgesehen wurden bisher keine Gemeinde- und Distrikträte gewählt [59]. Die Zielsetzung einer inklusiven demokratischen Beteiligung der Bevölkerung wurde erst durch die Internationale Afghanistankonferenz 2011 (Bonn II) zu einem der sieben Grundprinzipien erhoben.
  3. Bedeutende rechtsstaatliche Prinzipien werden in Afghanistan nicht nur wegen der Wahltäuschungen und unzureichenden demokratischen Inklusion verletzt, sondern vor allem aufgrund der Verzahnung zwischen Zentralregierung, Kriegsherrensystem und Drogenökonomie. Detaillierte Analysen zu dem daraus resultierenden Korruptions- und Patronagesystem liegen vor [60]. Präsident Karzai hat immer wieder in Justizprozesse direkt eingegriffen [61]. Dieses System delegitimiert die zentrale Regierung und die involvierten Kriegsherren und trägt zu einem gigantischen Transfer von Hilfsmitteln in die Taschen der Kriegs- und Drogenherren bei. Der Fortschrittsbericht 2011 konstatiert darüber hinaus ein „fehlendes staatliches Gewaltmonopol, mangelnde Entschlossenheit, willkürliche Entscheidungsprozesse sowie unzureichende personelle Kapazitäten der Regierung“ und beklagt willkürliche Haft und Folter. Zur Förderung einer rechtsstaatlichen Kultur hat Deutschland u.a. 2011 „mit dem Aufbau der Balkh School of Public Administration (BSPA) an der Universität in Masar-e-Scharif begonnen“ [62]. Dies ist ein vielversprechender Ansatz. Insgesamt muss jedoch im Blick auf den Vorrang ziviler Friedenssicherung auch im Interesse eines möglichst geringen Einsatzes von militärischer Gewalt festgehalten werden, dass bisher zu wenig Kraft auf das Errichten eines staatlichen Gewaltmonopols und insbesondere rechtsstaatlicher Institutionen zur Kontrolle dieses Gewaltmonopols verwendet wurde. Dies sollte allen weiteren politischen und zivilen Bemühungen vorausgehen [63].

3.3 Abbau von Not

  1. Dass der Abbau von materieller Not in Afghanistan besonders relevant ist, wird allseits anerkannt. Doch die Lebensbedingungen sind für viele Menschen nach Jahrzehnten von Krieg und Bürgerkrieg weiterhin von großer Armut gekennzeichnet. Die Friedensdenkschrift hat — orientiert am Prinzip der local ownership — die Aufgaben benannt, die zur Entfaltung lokaler friedensfördernder Ökonomien beitragen, so insbesondere die Stärkung der Frauen als Nahrungsmittelproduzentinnen bei der Entwicklungszusammenarbeit sowie die Rechenschaftspflichtigkeit der multinationalen Unternehmen [64]. Gemessen an der Perspektive menschlicher Sicherheit und einer nachhaltigen Friedens- und Entwicklungspolitik sind bei den Bemühungen zur Verbesserung der Situation in Afghanistan trotz mancher guter Ansätze Weichen in die falsche Richtung gestellt worden:
  2. Der beabsichtigte Aufbau staatlicher Strukturen wird teilweise durch die Etablierung von Parallelstrukturen in Gestalt internationaler und nationaler Nichtregierungsorganisationen (NGOs) konterkariert: Z.B. wurden eigens regierungsnahe NGOs gegründet, um die auswärtigen finanziellen Hilfsmittel in Empfang nehmen zu können [65]. Während große internationale NGOs zum Teil wenig Kenntnis von der Lage vor Ort haben, sind nationale NGOs nicht selten in die herrschenden Machtverhältnisse verstrickt. Lokale afghanische Akteure haben zu wenige Chancen, ihre Kompetenzen für Friedensbildungsprozesse und für den wirtschaftlichen Aufbau einzubringen und weiterzuentwickeln — wobei dies von den verschiedenen NATO-Truppenstellern unterschiedlich gehandhabt wird [66]. Selbstverständlich gibt es unter den bis zu 1.700 NGOs in Afghanistan zahlreiche Organisationen, die kenntnisreich, engagiert und in einer nachhaltigen Friedensperspektive agieren. Doch hat auch unter deutschen NGOs eine kritische Selbstreflexion über nicht intendierte Folgen des eigenen Tuns begonnen. Die Abwerbung gut gebildeter afghanischer Kräfte [67] durch externe Organisationen und Formen der Hilfe, die nicht örtlichen Bedürfnissen, sondern sicherheitspolitischen Lagebeurteilungen folgen, gehören zu den Problemen, die zu bedenken sind, wenn dem allgemein akzeptierten Prinzip „do no harm“ Rechnung getragen werden soll [68].
  3. (29) Die sehr arme ländliche Bevölkerung in Afghanistan würde sich kaum in großem Umfang auf die gesundheitsgefährdende Drogenökonomie einlassen [69], wenn sie sich nicht durch die Verhältnisse dazu gezwungen sähe. Billigprodukte aus dem östlichen Ausland, aber auch Produkte aus Hilfslieferungen können die lokale kleingewerbliche Produktion und landeseigene Produkte verdrängen. Internationale Hilfe sollte vor allem zur lokalen Wertschöpfung beitragen. Sie kann nur von Nutzen sein, wenn sie kleinräumig und unter Berücksichtigung des vor Ort artikulierten Bedarfs und der lokal organisierten Interessenklärung Mittel zur Selbsthilfe gibt. Anders orientierte Entwicklungshilfe läuft Gefahr, regionale Konflikte zu fördern, z.B. wenn von der internationalen Gemeinschaft oder einzelnen Staaten in bester Absicht sehr schnell sehr viel Geld ausgegeben wird [70]. Es ist zu klären, ob die sog. Gemeindeentwicklungsräte in Afghanistan für nachhaltige Entwicklung arbeiten. Die kürzlich auch vom US-Senat nachgewiesenen Fälle von Korruption und Patronage bei Bauund Verkehrsprojekten sowie im privaten Sicherheitswesen laufen der Etablierung nachhaltiger friedensfördernder Strukturen zuwider [71].
  4. Die deutsche Bundesregierung hat seit 2010 die Mittel der zivilen Ressorts ganz erheblich ausgeweitet. An positiven Entwicklungen, die seit 2009 mit deutscher Hilfe in Afghanistan (davon drei Viertel in Nordafghanistan) zu verzeichnen sind, werden vor allem Maßnahmen der Infrastrukturbildung im Bereich der Grundbedürfnisse (Wasserversorgung, Straßen, Energie, Krankenhäuser, Mikrokredite) sowie der Schul-, Aus- und Fortbildung genannt [72]. Es ist unter allen Umständen zu vermeiden, dass Entwicklungsprojekte wider Willen soziale Ungleichheiten vertiefen oder zu ethnisch-religiös aufgeladenen Konflikten führen — etwa mit Blick auf die pasch tunische Be- völkerungsgruppe, die sich im Norden als Verlierer fühlt [73]. Es ist besorgniserregend, dass im Zwischenbericht 2011 einerseits auf „beachtliche“ Entwicklungserfolge hingewiesen, andererseits in Aussicht gestellt wird, dass „steigende Lebensmittelpreise [...] einen Großteil der afghanischen Bevölkerung zusätzlich unter die Armutsgrenze fallen lassen“ [74]. Die FAO schätzt, dass bis zu 70 Prozent der afghanischen Gesellschaft von Lebensmittelunsicherheit betroffen sein können. Landwirtschaftliche Entwicklung sollte entsprechend dem Ziel der lokalen Lebensmittelproduktion dienen [75].

3.4 Anerkennung kultureller Verschiedenheit

  1. Die Proteste gegen den respektlosen Umgang auswärtiger Truppen mit kulturellen und religiösen Symbolen haben im Februar 2012 viele Opfer unter Zivilpersonen und Soldaten gefordert. Die Verbrennung des Koran hat auch das Vertrauen der Einheimischen, die nicht den Taliban angehören, dauerhaft beschädigt.
  2. Friedensfördernde Prozesse und Strukturen bedürfen einer gleichberechtigten Koexistenz von Kulturen und Religionen im Rahmen gemeinsamer Regeln. Andernfalls besteht die Gefahr, dass verhandelbare Interessenkonflikte zu (scheinbar) unversöhnlichen Identitätskonflikten werden. Kulturelle Sensibilität bedeutet aber nicht die Duldung von Praktiken, die den Zielen eines gerechten Friedens widersprechen, wie Willkürjustiz im Zusammenhang des Kartells von Drogenhandel und politischer Patronage [76].
  3. Hinsichtlich der Schutzdimension der Anerkennung kultureller Vielfalt kommt es in Afghanistan auch darauf an, das Erbe der Geschichte kolonialer, willkürlicher Staatsgrenzen und eines geringen Grads zentraler Staatsgewalt zu beachten, möglichst viele lokale Friedensallianzen zu befördern und die zivilgesellschaftlichen Stimmen mit Gemeinwohlinteresse in den offiziellen und inoffiziellen politischen Kontakten zu stärken [77].
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