„Selig sind die Friedfertigen“

Der Einsatz in Afghanistan: Aufgaben evangelischer Friedensethik, EKD-Text 116, 2014

6. Schlussbemerkung

  1. Das friedensethische Leitbild des „gerechten Friedens“ bewährt sich mit Blick auf eine friedenspolitische Bewertung der Situation in Afghanistan. Es steht für ein Konzept, das Frieden und Gerechtigkeit eng aufeinander bezieht, den Einsatz militärischer Gewalt an hohe rechtliche Schranken und verlässliche völkerrechtliche Verfahrensregeln bindet und einen politischen Prozess in Richtung auf menschliche Sicherheit und menschliche Entwicklung in den Blick nimmt.
  2. Im Blick auf den Afghanistan-Einsatz stellt sich allerdings die ernste Frage, ob nicht die militärischen Mittel eine Eigendynamik entwickelt haben, die dazu führte, dass das Leitbild des „gerechten Friedens“ aus dem Zentrum des Handelns herausgerückt ist. Auch wenn anzuerkennen ist, dass die Einsatzregeln für COM ISAF zivile Verluste und Schäden so weit wie möglich zu vermeiden suchen, kommen Beobachter zu dem Urteil, dass der Einsatz von militärischer Gewalt — als Reaktion auf die asymmetrische Gewaltanwendung der oppositionellen militärischen Kräfte - an manchen Orten zu einer Spirale der Gewalteskalation geführt hat, die nur schwer rechtlich eingehegt oder in rechtsstaatliche Formen überführt werden konnte. Konsens innerhalb der Kammer war es, dass ein möglichst umfassendes friedenspolitisches Konzept unter Einschluss von Szenarien für die Beendigung des Einsatzes für den Afghanistan-Einsatz gefehlt hat (und noch fehlt). Aufgrund dieser konzeptionellen Leerstelle gab und gibt es auf Seiten der intervenierenden Staaten eine Unsicherheit im Urteil über Art und Umfang der einzusetzenden Mittel, dies auch in Hinblick auf konsistente Abstimmungen aller Truppen stellenden Nationen. Insbesondere zeigt sich, dass das Verhältnis von militärischen und zivilen Anteilen sowohl für den deutschen Einsatz als auch für die internationalen Partner des Afghanistaneinsatzes einer genaueren Abstimmung bedurft hätte.
  3. Aus diesem Konsens werden innerhalb der Kammer unterschiedliche Folgerungen gezogen:

    Ein Teil der Kammer sieht durch die Situation in Afghanistan die Prinzipien und Kriterien der Friedensdenkschrift bestätigt und bewertet die friedensethische Legitimität des Einsatzes trotz gegebener völkerrechtlicher Mandatierung sehr kritisch. Es würden zum Teil erhebliche Diskrepanzen gegenüber den in der Denkschrift formulierten Bedingungen für internationale bewaffnete Friedensmissionen sichtbar. Die zivilen Anstrengungen seien nicht Teil eines konsistenten friedenspolitischen und strategischen Gesamtkonzepts gewesen.

    Ein anderer Teil der Kammer betont die Legitimität des Einsatzes unter dem Gesichtspunkt, dass die ursprüngliche Interventionsentscheidung durch nicht erkennbare Faktoren und Entwicklungen im laufenden Einsatz zu zuvor unvorhergesehenen und ungewollten Gewaltmaßnahmen gezwungen habe. Die beträchtlichen zivilen Anstrengungen seien in der öffentlichen Darstellung und Wahrnehmung nicht angemessen gewürdigt worden. Es sei geboten, nicht die Prinzipien, wohl aber die auf einzelne Handlungssituationen bezogenen Kriterien der Friedensdenkschrift weiterzuentwickeln.
  4. Im Arbeitsprozess der Kammer ergaben sich eine Reihe von konkreten politischen Anregungen und Aufgaben für die ethische Urteilsbildung, die in der Friedensdenkschrift noch nicht gesehen werden konnten.
    1. Für die politischen Verfahren der Mandatierung von Einsätzen durch den Deutschen Bundestag legt es sich nahe, den militärischen Teil in eine umfassende Mandatierung einzubinden, in der die zivilen friedenspolitischen Ziele und Maßnahmen konkretisiert werden.
    2. Die Friedensdenkschrift unterzog die Kriteriologie des „gerechten Krieges“ einer umfassenden Revision und ordnete sie dem ethischen Leitbild des „gerechten Friedens“ unter. Damit konzentrierte sie sich stark auf ein völkerrechtskonformes ius ad bellum, das konsequent zu einem ius contra bellum weiter zu ent wickeln sei. Aus den Erfahrungen der Auslandseinsätze der Bundeswehr erscheint es geboten, künftig den ethischen Fragen des ius in bello, d.h. der Beachtung und Fortentwicklung des humanitären Völkerrechts stärkere Aufmerksamkeit zuzumessen. Hierzu gehört unter anderem die umstrittene Frage, welchen Status Parteigänger in Anspruch nehmen können, die sich außerhalb von direkten Kampfhandlungen bewegen, gleichwohl aber im dringenden Verdacht stehen, an Kampfhandlungen beteiligt zu sein oder solche direkt zu unterstützen. Außerdem ist eine gründlichere ethische Reflexion der verantwortlichen Beendigung von militärischen Einsätzen erforderlich.
    3. Drängende Fragen ergeben sich durch den Einsatz der „Drohnen“-Technologie. Eine sorgfältige ethische Bewertung steht noch aus, wird aber auch mit Blick auf verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Bedenken zunehmend in der medialen und politischen Öffentlichkeit eingefordert.

EKD-Text 116 (pdf)

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