Der kleine Lord - Familienfrieden zu Weihnachten
Theologische Auslegung zum beliebten Weihnachtsfilm − von Pfarrer Martin Vorländer
Der Weihnachtklassiker „Der kleine Lord“ um einen Halbwaisen und seinen mürrischen Großvater läuft jedes Jahr wieder in der ARD. Der Film zeigt, wie vergiftete Familienbeziehungen heilen können. Und er erzählt davon, wie Freundlichkeit und Liebe Menschen verwandeln.
Der achtjährige Ceddie, „Lord Fauntleroy“, verwandelt seinen Großvater, den Earl von Dorincourt, von einem herrischen Griesgram in einen lebensfröhlichen Menschenfreund. Das hat viel mit Weihnachten zu tun. An Weihnachten feiern Christ*innen: Jesus, das Kind in der Krippe bringt Gottes Liebe vom Himmel auf die Erde. Und Gottes Liebe verwandelt Menschen.
Nun ist der achtjährige Ceddie in „Der kleine Lord“ natürlich nicht Jesus. Aber er ist ein Kind, das wieder Freude und Güte in das Leben seines Großvaters bringt. Und das verändert den Großvater – positiv!
In England auf seinem Schloss fristet der alt gewordene Earl von Dorincourt, gespielt von Alec Guiness, den Rest seines Lebens. Er hat Gicht, kann nur noch schwer laufen und ist verbittert. Mit Familie und Freunden hat er sich zerstritten. Seine Söhne sind tot. Er hat nur noch einen Enkel in New York. Den hat er noch nie gesehen, weil er die Ehe seines verstorbenen jüngsten Sohnes mit einer einfachen Amerikanerin zutiefst missbilligt.
Vergiftete Beziehungen in Familien
Aber jetzt lässt er seinen Enkel Cedric „Ceddie“ (gespielt von Ricky Schroder) aus Amerika nach England bringen. Notgedrungen darf dessen Mutter, die jung verwitwete Mrs. Errol (dargestellt von Connie Booth), mitkommen. Aber sie soll nicht mit ihrem Sohn auf dem Schloss wohnen. Der Earl will sie nicht sehen. Der Junge darf seine Mutter besuchen, soll aber bei seinem Großvater leben. Der Großvater will ihn zu seinem Nachfolger als Earl von Dorincourt erziehen.
Der Film beschreibt, was es auch heute an Weihnachten in manchen Familien gibt. Vergiftete Beziehungen. Menschen, die nicht mehr miteinander reden. Kinder, die dem Streit und den Sorgen der Erwachsenen ausgesetzt sind.
In der Erwachsenen-Welt mit ihren unguten Seiten kommt auch das Jesuskind zur Welt. Gottes Sohn thront nicht im Himmel über allen irdischen Problemen. Er wird selbst mitten hinein geboren. Schaut, da liegt Gottes Sohn! In einem Futtertrog für Ochs und Esel. Im Stroh, wo das Leben piekt und sticht. Wo die Eltern nicht wissen, wie sie mit der Situation klarkommen sollen, und am Rande ihrer Kräfte sind.
Und doch verkünden die Engel: In diesem Kind ist der Heiland geboren! Und die Weisen aus dem Morgenland wollen den neugeborenen König sehen, dessen Stern sie haben aufgehen sehen. Ein Herrscher im Futtertrog. Jesus ist ein König, der andere nicht zu Untertanen macht. Er macht nicht andere klein, sondern sich selbst. Jesus zeigt, wie viel Kraft zum Guten im Kleinen liegt.
Frieden im Kleinen mit großer Wirkung nach außen
Im Film „Der kleine Lord“ denkt der Earl von Dorincourt: Diesen vorlauten Bengel aus Amerika forme ich schon. „Diesen Knaben erziehe ich nach meiner Fasson.“ Bei der ersten Begegnung zwischen Großvater und Enkel sieht alles einschüchternd aus für den achtjährigen Ceddie. Der Großvater thront in einer Halle an einem riesigen Kamin in einem Stuhl mit Armlehnen, neben ihm eine gewaltige Dogge. Statt einer Begrüßung hält sich der Großvater ein Monokel ans Auge, und betrachtet seinen Enkel kritisch.
Nichtsdestotrotz geht Ceddie unbekümmert auf den alten Mann zu und begrüßt ihn herzlich. Die Kraft zum Guten im Kleinen. Ceddie geht selbstverständlich davon aus: Das ist mein Großvater. Der hat mich lieb. Und er ist ein guter Mensch.
Ceddies unerschütterlicher Glaube an die Liebe und an das Gute bewirkt, dass der Großvater mit der Zeit in Bewegung kommt. Äußerlich und innerlich.
Die Lebendigkeit seines Enkels holt ihn raus aus dem Armsessel. Seine Gicht wird besser. Auch innerlich wirkt Ceddies Fröhlichkeit wie ein Gegengift gegen Verbitterung. Erstaunt stellt der bislang gefühlskalte Earl von Dorincourt fest: „Ich bin kein Mensch zum Gernhaben. Aber er vermag mich gernzuhaben.“
Die Welt ein wenig besser machen
Liebe, die einfach da ist. Liebe, die einen Menschen gernhat, so wie er ist. Und die ihn gerade dadurch verändert.
Der Earl bleibt nicht, wie er ist. Er entdeckt und entfaltet seine besten Seiten. Das ist weihnachtlich. Weihnachten ist das Fest der Liebe Gottes. Bedingungslos, ohne dass wir vorher etwas dafür tun müssen, verändert Gottes Liebe die Welt, macht sie heller und freundlicher.
Der Großvater erlebt das Glück, dass sein Enkel ihn bedingungslos gernhat. Dadurch wird er selbst mitfühlender mit anderen. Auch mit seinen Untertanen.
Mit Ceddie an seiner Seite reitet der alte Earl von Dorincourt durch ein Dorf, das zu seinem Gebiet gehört. Die Menschen dort versinken im Elend. Der Großvater war seit Jahren nicht dort und sieht erstmals, wie schlecht es denen geht, für die er verantwortlich ist. Er sagt zu seinem Enkel: „Ich hoffe, du wirst dem Titel Earl von Dorincourt besser gerecht werden als ich.“ Ab dem nächsten Tag lässt er das Dorf instand setzen.
Sein Enkel Ceddie hat ihn dazu bewogen. Ceddie hat im Herzen, was seine Mutter ihm immer wieder sagt: „Jeder Mensch sollte mit seinem Leben die Welt ein ganz klein wenig besser machen.“
Der Weihnachtsmoment
Zum Schluss von „Der kleine Lord“ gibt es ein Fest. Ein Weihnachtsfest! Alle kommen zum Weihnachtsfest auf Schloss Dorincourt. Die Schwester des Earl, mit der er sich zerstritten hatte und nun wieder versöhnt ist, samt ihrem schrulligen Mann. Ceddies Freunde aus Amerika, Mr. Hobbs, der Gemischtwarenhändler, und Dick, der Schuhputzer, setzen über den Atlantik über und retten für Ceddie den Titel als Lord. Die Adeligen genauso wie die Bediensteten feiern zusammen in der großen Schlosshalle.
Das schönste Weihnachtsgeschenk für Ceddie: Er dachte, er müsste getrennt Weihnachten feiern − erst mit seinem Großvater und dann mit seiner Mutter. Aber als er am Weihnachtstag zum Christbaum stürmt, tritt dahinter seine Mutter hervor. Sie und der Großvater lächeln sich an.
Im echten Leben ist das nicht immer so. Nicht jede Geschichte hat ein Happy End. Menschen bleiben entzweit. Abgründe lassen sich nicht überbrücken. Einsamkeit bleibt bitter. Umso wichtiger ist die Hoffnung auf Gottes Liebe, die wir an Weihnachten feiern. Gottes Glanz zieht in die Welt ein, so bescheiden sie auch sein mag, so kalt sie sich oft anfühlt.
Der große Gott kommt ins Kleine. Darum zählt an Weihnachten jedes kleine Zeichen, das Verbundenheit ausdrückt. Eine Weihnachtskarte. Ein Anruf. Ein Besuch. Eine freudig überraschende Begegnung. Ein schönes Erlebnis. Ein Weihnachtsmoment, ob still für sich oder mit vielen anderen als Fest wie in der Schlussszene des „Kleinen Lord“. Ceddie, Lord Fauntleroy, ruft den Menschen in der Schlosshalle zu: „Frohe Weihnachten wünsche ich Ihnen allen! Und allen Menschen überall! Frohes, gesegnetes Fest!“ Amen.
Gebet (Fürbitten)
Großer Gott, der du dich im Kleinen zeigst, wir bitten dich für die Kinder – für alle Kinder in unserer Welt. Dass sie ein gutes Leben haben, eine glückliche Kindheit. Und dass sie ohne Sorgen aufwachsen können.
Gott, Weihnachten ist ein Fest. An den Festtagen spüren viele besonders, wenn jemand am Tisch fehlt. Wir bitten dich für alle, die sich entzweit haben. Wir bitten dich für alle, die um Verstorbene trauern. Oder bangen um einen lieben Menschen. Sei mit deinem Licht, deiner Hoffnung und deinem Trost bei ihnen.
Gott, frohe Weihnachten wünschen sich viele. Wir beten für alle, die keine Freude mehr empfinden. Schenk ihnen Momente und Menschen, die ihr Leben neu leuchten lassen!
Gott, stärke unsere Verbundenheit, unser Anteilnehmen und Anteilgeben an dem, was uns traurig macht, und an dem, was uns freut.
Zum Autor:
Martin Vorländer, geboren 1972 in Erlangen, aufgewachsen im Libanon, im Allgäu und in München. Er studierte evangelische Theologie in München, Paris und Heidelberg. Von 2014 bis 2023 arbeitete er als Rundfunkbeauftragter für den Hessischen Rundfunk im Medienhaus der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Seit Oktober 2023 ist er Senderbeauftragter für Deutschlandradio und Deutsche Welle.Sternstunden im Radio sind für ihn: Wenn Worte zu guten Wegbegleitern werden in den kleinen und großen Passagen des Lebens.
Programmtipp:
Der Film "Der Kleine Lord" ist am 19.12. (20.15 Uhr) und am 25.12. (16.15 Uhr) im Ersten zu sehen. Außerdem bis zum 5.2.26 in der ARD-Mediathek abrufbar. Weitere Sendetermine bei RBB, NDR und SF1.