Hoffnung und Haselnüsse für Aschenbrödel

Eine kritische Auslegung zum beliebten Weihnachtsklassiker − von Gereon Terhorst

Libuse Safránková und Pavel Trávnícek in dem Weihnachtsklassiker „Drei Haselnüsse für  Aschenbrödel“
Endlich kann der Prinz sein Aschenbrödel in die Arme schließen: Auch dieses Jahr zeigt die ARD den Märchenfilm „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“

Drei Haselnüsse für Aschenbrödel ist ein absoluter Weihnachtsklassiker. Der Film von Václav Vorlíček stammt aus dem Jahr 1973 und ist längst fester Bestandteil des Weihnachtsprogramms. Trotzdem sollte man sich einige Fragen stellen, bevor man diesen Film für die Arbeit in der Gemeinde heranzieht.

Vor allem sollte man sich fragen, für wen man mit diesem Film eigentlich ein Angebot schaffen will. Gerade weil der Film etliche Jahrzehnte auf dem Buckel hat, wirkt er heute auch etwas aus der Zeit gefallen. Für Menschen jüngerer Generationen (10-35 Jahre), die keinen Bezug zu dem Film haben, dürfte der Film so ziemlich jeder Sehgewohnheit widersprechen. Die Kostüme dürften für manche lächerlich wirken und die Bildqualität ist – verständlicherweise – nicht in 4K. Hier sollte man ernsthaft überlegen, ob ein Film wie „Der Polarexpress“ oder gar „Frozen“ (ja, auch mit dem Disney-Klassiker kann man was machen) sich besser eignen würden.

Zugleich kann man aus meiner Sicht aber auch mit dem Film arbeiten, ohne ihn noch einmal in Gänze zu zeigen. Gerade, weil der Film so bekannt ist, mag es lohnend sein, dass man nur einzelne Filmszenen herausgreift oder einfach nur über den Film spricht, ohne Bildmaterial zu zeigen. Die „Bilder im Kopf“ dürften ausreichen, wenn sie entsprechend geweckt werden. Dazu kann möglicherweise auch die Musik des Films beitragen.

Aus theologischer Perspektive mag zunächst einmal auffallen, dass der Film kein theologischer Film ist. Gott und Religion spielen in diesem Film keine Rolle. Weihnachten übrigens auch nicht, sollte der Film doch ursprünglich im Sommer spielen. Vom „Hereinlesen“ einer theologischen Bedeutung würde ich daher abraten. Das bedeutet aber nicht, dass der Film aus theologischer Sicht uninteressant ist. Um im filmischen Kontext zu bleiben, möchte ich im Folgenden einige „Kamera-Einstellungen“ betrachten und den Film so noch einmal neu erschließen.

1. Detailaufnahme: Drei Haselnüsse – ein unscheinbares Geschenk

Beginnen wir mit einem Blick auf das Element, das dem Film seinen Namen gegeben hat. Die drei Haselnüsse gelangen im Film eher zufällig zu Aschenbrödel. Sie fallen dem Knecht durch einen Zufall zu, der sie mitnimmt, weil er vergessen hat, etwas anderes für das Aschenbrödel mitzubringen. Ein vergessenes Weihnachtsgeschenk könnte man also übertragen sagen. Die Stiefmutter lacht über dieses Geschenk. Doch Aschenbrödel weiß es zu schätzen. Und für sie werden diese drei Haselnüsse der Türöffner für eine Zukunft, von der sie nicht zu träumen gewagt hat.

Die Weihnachtsgeschichte kann man durchaus ein bisschen wie diese drei Haselnüsse betrachten. Die Geschichte, die im Stall zu Bethlehem beginnt, die wird alles verändern. Sie ist ein Geschenk an uns Menschen, Gottes Geschenk – und es liegt an uns, dieses Geschenk wertzuschätzen. Zudem kann uns dies daran erinnern, dass es nicht immer die großen Dinge sind, die das Leben verändern, sondern viel häufiger die kleinen und eher versteckten Dinge. Dafür wieder einen Blick zu haben, dazu lädt der Film ein.

2. Großaufnahme: Aschenbrödel – ein hoffnungsvoller Charakter

Wir erleben im Film mit der Aschenbrödel eine Figur, die immer wieder durch eine positive Einstellung auffällt. Aus filmischer Sicht würde ich sagen, dass Trauer im Film äußerst schwach ausgeprägt ist, selbst wenn es genug Anlässe für Aschenbrödel gäbe, traurig zu sein. Wir erleben im Film vor allem einen Charakter voller Hoffnung und Fröhlichkeit. Wie passend für einen Weihnachtsfilm, wird wohl so mancher sagen.

Hier zeigt sich jedoch aus meiner Sicht auch eine große Schwäche des Genres „Weihnachtsfilm“. Trauer hat hier selten einen Raum und wird – wenn überhaupt – nur dazu genutzt, dass sie durch Hoffnung überwunden wird. Das wirkt auf den ersten Blick realitätsfremd. Auch an Weihnachten sterben Menschen, gibt es Unfälle, sind Krieg und Gewalt nicht einfach beendet. Warum also findet sich dieses Thema kaum im Genre der „Weihnachtsfilme“ wieder?

Doch mit einem genauen Blick fällt uns vielleicht auf, dass im Advent und Weihnachten auch in den Gottesdiensten und Andachten viel häufiger der Fokus auf (Vor-)Freude und positive Emotionen gelegt wird. In gewisser Weise ist das fast die DNA des Weihachtsfestes, das all die Jahre unerbittlich gegen die Hoffnungslosigkeit ankämpft. Jedes Jahr wird Weihnachten, ob wir wollen oder nicht. Jedes Jahr hören wir in den Weihnachtsgottesdiensten von Maria und Josef, von den Hirten und von den Engeln, die singen: „Friede auf Erden!“

Aus meiner Sicht ist gerade die Theologie aufgefordert, sich mit dem Genre der „Weihnachtsfilme“ ernsthaft auseinanderzusetzen und das Fehlen von Räumen für Trauer nicht unreflektiert zu lassen. Gerade in Kirchen braucht es vielleicht auch Räume, die auch in der Weihnachtszeit für diese Gefühle Platz haben. Wo können sie geöffnet werden?

3. Nahaufnahme: Aschenbrödel zwischen Tierliebe und Liebe

Gerade der Beginn des Films zeichnet ein Bild von Aschenbrödel, die sehr auf die Tiere, ihre Freunde, achtet. So helfen ihr die Tauben bei ihrer Strafarbeit, Pferd und Hund begleiten sie und die Eule bewacht ihre Schätze. Wo also menschliche Freunde ausfallen, springen die Tiere offenbar ein.

Zugleich fällt auf, dass diese Freundschaft offenbar sehr begrenzt ist. So erleben wir Aschenbrödel kurz darauf bei der Jagd − wobei dann der Tod von einigen Tieren billigend in Kauf genommen wird − um den Prinzen zu beeindrucken. Hier ist das Bild Aschenbrödels also bei genauerer Sicht gar nicht mehr so freundlich zu den Tieren.

Der Gegensatz zwischen beiden Blickwinkeln kann gerade in der Weihnachtszeit auch auf Christ*innen übertragen werden. Gibt es nicht in der Weihnachtszeit viele Dinge, bei denen aus einer ethischen Perspektive nicht auch ein Fragezeichen zu setzen wäre? Damit ist nicht nur der Konsum mit Blick auf Weihnachtsgeschenke gemeint. Wie sieht etwa die Öko-Bilanz eines Weihnachtsbaums aus? Oder wie war das mit dem Stromsparen und der Weihnachtsbeleuchtung? Nicht selten werden in der Weihnachtszeit Dinge gemacht, die man die restliche Zeit des Jahres eher lassen würde. Warum? Und rechtfertigt das Ziel am Ende die Mittel?

4. Totale: Aschenbrödel und sein Stand

Aschenbrödel wird im Film immer wieder durch die böse Stiefmutter gedemütigt, obwohl sie eigentlich aus der Familie kommt, der der Hof vorher gehört hat. Bei den am Hof arbeitenden Menschen scheint sie hingegen durchaus beliebt zu sein, bringt ihr doch der Knecht die drei Haselnüsse mit, die dann ihr Leben verändern. Diesem Stand entflieht sie wiederum mehrfach durch ihre Wünsche, die ihr Zugang zu den höchsten Kreisen und damit dem Prinzen geben.

Der Blick auf die einzelnen Stände in diesem Film ist ein spannendes Unterfangen, weil er gleich mehrere Facetten aufmacht. Da ist zum einen die Frage, wie sehr die Stände ganz offenbar an Kleidung hängen. „Kleider machen Leute“, das wird in diesem Film mehr als einmal erfahrbar. Ist das heute auch noch so? Braucht es das teure Auto, die schicke Jacke, die Rolex, um den eigenen Stand zu zeigen?

Ein anderer Blick ist der auf die Stiefmutter, die Aschenbrödel ausnutzt und schikaniert. Sie scheint kaum eine Gelegenheit auszulassen, um zu zeigen, dass sie Aschenbrödel nicht wertschätzt.

Die Weihnachtszeit ist für viele Menschen eine Zeit, in der sie endlich mal ein paar Tage frei haben. Das lässt außer Acht, wie viele Menschen arbeiten müssen, damit Weihnachten gelingen kann. Und nein, ich meine damit nicht nur die Pastoren in den Kirchen, sondern die Menschen bei der Feuerwehr, den Rettungsdiensten und der Polizei, im Krankenhaus, in den Bussen, Zügen, Schiffen und Flugzeugen, in Sicherheitsbehörden, in Altenheimen und anderen Einrichtungen. Die Liste könnte man noch weit fortführen. In der Coronazeit hat man diese Berufe gerne auch als „systemrelevant“ bezeichnet. Aber gehen wir mit Ihnen eigentlich auch so um? Wie häufig nehmen wir diese Arbeit als selbstverständlich an? Sehen wir, wo diesen (und weiteren) Berufsgruppen zusätzliche Arbeit aufgedrückt wird, wo sie in dieser Gesellschaft viel zu wenig wertgeschätzt werden?

 

5. Panorama: Das Märchen und die Weihnachtsgeschichte

Es ist schon zur Sprache gekommen, dass der Film eigentlich kein „Weihnachtsfilm“ im engeren Sinn ist. Trotzdem hat gerade dieses Märchen zur Weihnachtszeit Hochkonjunktur. Warum schauen sich Menschen einen Film, den sie längst kennen, der zudem nicht mehr den eigenen Sehgewohnheiten entspricht, heute noch an? Wegen der Story? Wegen der Tradition? Wegen der Gefühle, die er wachruft?

Hier lässt sich nun noch einmal eine Verbindung zur Weihnachtsgeschichte ziehen: Warum ist für uns heute eine Geschichte von vor 2000 Jahren noch so relevant, dass wir sie jedes Jahr am 24.12. zu Gehör bringen? Natürlich mag man als Christ*in schnell auf Jesus verweisen, aber vielleicht ist es ja doch auch eine Kombination aus mehreren Dingen. Könnten Sie sich einen Weihnachtsgottesdienst ohne „O du fröhliche“ vorstellen? Was spricht an in der Weihnachtsgeschichte? Vielleicht lohnt auch an dieser Stelle noch mal ein genauer Blick.

Im Folgenden stelle ich für jeden der fünf Bereiche Material zur Verfügung. Dieses besteht aus ein bis zwei Schlüsselszenen, Impulsfragen für einen Gemeindeabend und einem kurzes Gebet zu jeder Perspektive.

 

Perspektive 1:

Szene: 00:33:33-00:38:07

Mögliche biblische Referenzen: Lk 2,1-20

Gesprächsimpulse:

  • Welche unscheinbaren Geschenke oder Zufälle gab es in Ihrem Leben, die etwas verändert haben und warum?
  • Wie kann Wertschätzung kleiner Geschenke und Gesten im Alltag (besser) gelingen?
  • Wo finden Sie im Glauben solche kleinen Geschenke?

Gebet:

Gott,
Du wirkst in den kleinen Dingen,
dem, was uns häufig verborgen bleibt.
In Gesten, die leicht zu übersehen sind.
In manchen Ereignissen, die wir erst im Nachhinein richtig sehen.
Schenke uns ein waches Herz,
das die kleinen Dinge wertzuschätzen weiß.
Und lass uns darauf vertrauen,
dass du auch aus den kleinen Dingen Großes erwachsen lassen kannst.

 

Perspektive 2:

Szene: 00:05:37-00:13:51

Gesprächsimpulse:

  • Erscheint Ihnen die Fröhlichkeit des Aschenbrödels realistisch? Warum?
  • Was würden Sie sagen: Ist in der Advents- und Weihnachtszeit Zeit für Traurigkeiten? Wenn ja, wo? Wenn nein, warum nicht?
  • Was ist der Unterschied von echter Hoffnung und nur aufgesetzter Fröhlichkeit?

Gebet:

Gott,
du kennst unsere Freude, aber du kennst auch unsere Traurigkeiten.
Vor dir müssen wir sie nicht verstecken, auch wenn wir sie nicht nach außen zeigen wollen.
Schenke uns und allen Menschen Trost, auch in dieser Zeit, die häufig so fröhlich wirkt.
Zeige uns, wo wir Räume schaffen können, in denen Menschen auch in ihrer Trauer einen Ort finden.


Perspektive 3:

Szenen: 00:16:00-00:17:12 und 00:38:36-00:44:11

Mögliche biblische Referenzen: Pred 3,1-15 oder Mt 26,41

Gesprächsimpulse:

  • Wo handeln Sie anders, als Sie eigentlich wollen?
  • Was empfinden Sie in der Weihnachtszeit als widersprüchlich?
  • Gibt es für Sie Momente, in denen ein Anlass (z.B. Familienfeier) moralische „Grauzonen“ erzeugen kann (z.B. bei bestimmten Themen etc.)

Gebet:

Gott,
Du weißt, wie zerrissen unser Leben manchmal ist:
Wir wollen Gutes tun
und handeln doch widersprüchlich.
Schenke uns Geduld mit uns selbst, damit wir nicht resignieren.
Leite uns, damit wir mehr und mehr danach handeln, wie du es uns in deinem Sohn Jesus Christus offenbart hast.

 

Perspektive 4:

Szene: 00:45:44-00:47:11

Mögliche biblische Referenzen: Mt 25,40 („Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“)

Gesprächsimpulse:

  • Wo erleben Sie heute sichtbare und unsichtbare „Standesmerkmale“ in Beruf, Gesellschaft und Gemeinde? Wie wirken sich diese auf das Zusammenleben aus?
  • Wo sehen Sie Menschen und Berufe, die viel leisten, aber am Ende kaum gewürdigt und gesehen werden?
  • Wie könnte die Gesellschaft (oder die Gemeinde) die Arbeit von Menschen besser wertschätzen? Warum geschieht das nicht?

Gebet:

Gott,
du siehst jeden Menschen mit dem gleichen liebevollen Blick –
die Übersehenen, die Belasteten, die Unscheinbaren.
Öffne unsere Augen, damit wir einander nicht nach äußeren Maßstäben bewerten,
sondern erkennen, dass alle Menschen die gleiche Würde haben.
Zeige uns, wo wir dazu beitragen können, dass Menschen sich mehr gesehen fühlen.

 

Perspektive 5:

Szene: Bezieht sich auf den ganzen Film

Gesprächsimpulse:
•    Was finden Sie an dem Film nach all den Jahren schön?
•    Gibt es weitere „Weihnachtsfilme“, die Sie in ähnlicher Weise regelmäßig sehen? Welche und warum?
•    Was glauben Sie: Warum spricht uns ein alter Film oder die alte Weihnachtsgeschichte immer noch an?

Gebet:

Gott,
du begleitest uns durch die Zeiten. Die Geschichten, die Menschen mit dir erlebt haben, lesen und hören wir noch heute und sie sind uns ein Zeugnis deiner Güte und Liebe. Wir bitten dich, lass uns diese Geschichten weiter wertschätzen. Lass uns erkennen, wo wir selber Geschichten erleben, die wir weitergeben können, damit andere durch sie ermutigt werden.

Gereon Terhorst
Gereon Terhorst

Zum Autor:

Gereon Terhorst (*1990) ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster und schreibt eine Dissertation über die Darstellung des Abendmahls in aktuellen Kinofilmen aus liturgischer Perspektive. Auf Instagram veröffentlicht er unter @kinopfarrer regelmäßig Filmkritiken zu aktuellen Kinofilmen und schaut im Podcast „Vier Augen für ein Halleluja“ (gemeinsam mit Christian Engels) aus theologischer Perspektive auf die Filmwelt. Er ist Teil des YEET-Netzwerks und im Vorstand von Interfilm Deutschland e.V.

Programmtipp:

Der Film „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ ist am 24.12. (12.50 Uhr) und 25.12. (15.25 Uhr) im Ersten zu sehen. Außerdem bis 12.1. in der ARD-Mediathek abrufbar. Weitere Sendetermine in vielen anderen ARD-Sendern.