Die güldne Sonne

Ein Loblied der Liebe Gottes

Aufgehende Sonne über einer Hügellandschaft

1. Die güldne Sonne voll Freud und Wonne
bringt unsern Grenzen mit ihrem Glänzen
ein herzerquickendes, liebliches Licht.
Mein Haupt und Glieder, die lagen darnieder;
aber nun steh ich, bin munter und fröhlich,
schaue den Himmel mit meinem Gesicht.

2. Mein Auge schauet, was Gott gebauet
zu seinen Ehren und uns zu lehren,
wie sein Vermögen sei mächtig und groß
und wo die Frommen dann sollen hinkommen,
wann sie mit Frieden von hinnen geschieden
aus dieser Erden vergänglichem Schoß.

3. Lasset uns singen, dem Schöpfer bringen
Güter und Gaben; was wir nur haben,
alles sei Gotte zum Opfer gesetzt!
Die besten Güter sind unsre Gemüter;
dankbare Lieder sind Weihrauch und Widder,
an welchen er sich am meisten ergötzt.

4. Abend und Morgen sind seine Sorgen;
segnen und mehren, Unglück verwehren
sind seine Werke und Taten allein.
Wenn wir uns legen, so ist er zugegen;
wenn wir aufstehen, so lässt er aufgehen
über uns seiner Barmherzigkeit Schein.

5. Ich hab erhoben zu dir hoch droben
all meine Sinnen; lass mein Beginnen
ohn allen Anstoß und glücklich ergehn.
Laster und Schande, des Luzifers Bande,
Fallen und Tücke treib ferne zurücke;
lass mich auf deinen Geboten bestehn.

6. Lass mich mit Freuden ohn alles Neiden
sehen den Segen, den du wirst legen
in meines Bruders und Nähesten Haus.
Geiziges Brennen, unchristliches Rennen
nach Gut mit Sünde, das tilge geschwinde
von meinem Herzen und wirf es hinaus.

7. Menschliches Wesen, was ist’s gewesen?
In einer Stunde geht es zugrunde,
sobald das Lüftlein des Todes drein bläst.
Alles in allen muss brechen und fallen,
Himmel und Erden die müssen das werden,
was sie vor ihrer Erschöpfung gewest.

8. Alles vergehet, Gott aber stehet
ohn alles Wanken; seine Gedanken,
sein Wort und Willen hat ewigen Grund.
Sein Heil und Gnaden, die nehmen nicht Schaden,
heilen im Herzen die tödlichen Schmerzen,
halten uns zeitlich und ewig gesund.

9. Gott, meine Krone, vergib und schone,
lass meine Schulden in Gnad und Hulden
aus deinen Augen sein abgewandt.
Sonsten regiere mich, lenke und führe,
wie dir’s gefället; ich habe gestellet
alles in deine Beliebung und Hand.

10. Willst du mir geben, wormit mein Leben
ich kann ernähren, so lass mich hören
allzeit im Herzen dies heilige Wort:
Gott ist das Größte, das Schönste und Beste,
Gott ist das Süß’te und Allergewiss’te,
aus allen Schätzen der edleste Hort.

11. Willst du mich kränken, mit Galle tränken,
und soll von Plagen ich auch was tragen,
wohlan, so mach es, wie dir es beliebt.
Was gut und tüchtig, was schädlich und nichtig
meinem Gebeine, das weißt du alleine,
hast niemals keinen zu sehre betrübt.

12. Kreuz und Elende, das nimmt ein Ende;
nach Meeresbrausen und Windessausen
leuchtet der Sonnen gewünschtes Gesicht.
Freude die Fülle und selige Stille
hab ich zu warten im himmlischen Garten;
dahin sind meine Gedanken gericht’.

Text: Paul Gerhardt (1666)
Melodie: Johann Georg Ebeling (1666)

Als „Morgenlied aller Morgenlieder“ wird es gerne bezeichnet. Das Kirchenlied „Die güldne Sonne“ ist in vielen Gesang- und Liederbüchern weltweit enthalten. Im Evangelischen Gesangbuch (EG) steht es unter der Nr. 449.

Der Theologe und Dichter Paul Gerhardt, neben Martin Luther der bedeutendste Liedschöpfer des deutschen Protestantismus, schrieb den Text während seiner Zeit als Pfarrer der Berliner Nikolaikirche. Das Lied erschien 1666 im dritten Band von „Pauli Gerhardi Geistliche Andachten“, herausgegeben von Johann Georg Ebeling, seit 1662 Kirchenmusiker an der Nikolaikirche und als solcher ein enger Partner von Gerhardt. Ebeling steuerte auch die Melodie und einen vierstimmigen Chorsatz bei. Im selben Jahr wurde das Lied, mit einer alternativen Melodie von Jacob Hintze, auch in einer Neuauflage des Gesangbuchs „Praxis Pietatis Melica“ veröffentlicht.

Das Bild der Sonne als Symbol für Gottes Liebe zu den Menschen hat Paul Gerhardt in 25 Liedern verwendet, etwa auch im Weihnachtslied „Ich steh an deiner Krippen hier“. Die 12 Strophen von „Die güldne Sonne“ sind wie eine Predigt aufgebaut. Das Sonnenlicht bescheint Gottes Schöpfung, versinnbildlicht seine Wohltaten für die Menschen – ohne die Schattenseiten des Lebens auszublenden: Strophe 7 besingt die Vergänglichkeit, den allgegenwärtigen Tod. „Willst du mich kränken, mit Galle tränken, und soll von Plagen ich auch was tragen“ – so beginnt die vorletzte Strophe.

Der 30-jährige Krieg hat Gerhardts Leben geprägt, er verlor vier seiner Kinder. In den 1660er Jahren hatte er überdies massive Probleme mit seinem Dienst- und Landesherrn, dem Brandenburgischen Kurfürsten, die schließlich zu seiner Kündigung in Berlin und seinem Rückzug in die sächsische Provinz führten. Diese Erfahrungen mit den Wechselfällen des Lebens fließen in Gerhardts Liedtexte mit ein. Dagegen setzt er eine schier unerschütterliche Glaubensgewissheit. „Über allem Niederdrückendem geht die Sonne Gottes auf und verbreitet ein göttliches Licht, das von der Auferstehung Jesu her auf unserer Leben fällt“, wie der frühere badische Landesbischof Ulrich Fischer in einer Liedpredigt schrieb.

Jörg Echtler

©Foto:

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