Einverständnis mit der Schöpfung

V. Zum Umgang mit der Gentechnik: Perspektiven für Wahrnehmung, Urteil und Handeln

Ein verantwortlicher Umgang mit der Gentechnik hat ein neues Naturverhältnis zur Voraussetzung. Es besteht, wie wir gesehen haben (s. oben S.000), im Kern darin, zu einem Einverständnis mit der Natur und damit zu einem bewahrenden Umgang mit ihr zu gelangen. Was bedeutet das konkret im Blick auf die Gentechnik?

Die im folgenden aufgezeigten Perspektiven sollen Wahrnehmung, Urteil und Handeln leiten. Sie nehmen die konkreten Ergebnisse im Umgang mit der Gentechnik nicht vorweg, sondern nötigen zu einer sorgfältigen Analyse des jeweiligen Sachverhalts. Sie benennen die Hinsichten, unter denen die einzelnen Aspekte und Probleme der Gentechnik zu prüfen sind und gegenüber denen sich somit ein verantwortbares Handeln ausweisen muß. Insofern haben sie auch den Charakter von Grenzmarkierungen: Das menschliche Handeln, gerade auch in der Gentechnik, bedarf einer klaren Begrenzung. Zunächst sind dies schon die Grenzen der wissenschaftlichen Erkenntnis und des technischen Könnens. Aber sie decken sich nicht mit den Grenzen dessen, was ethisch begründbar ist. Nicht selten können Menschen in dem Bereich, in dem sie handeln, nicht genug. Vor allem jedoch können sie technisch oft mehr, als sie verantworten können. Aber die Menschen dürfen nicht alles tun, was sie tun können. So setzt das Einverständnis mit der Natur dem menschlichen Handeln auch in der Gentechnik Grenzen.

Unter Ethikern herrscht weitgehend Einverständnis darüber, daß die geforderte Ethik für die technologische Zivilisation (s. oben S.00) nicht allein eine Gesinnungsethik, sondern gerade auch eine Verantwortungsethik sein muß. Das heißt, daß für die Beurteilung von Handlungen nicht so sehr die (mehr oder weniger) gutgemeinten Absichten des oder der Handelnden als vielmehr die (mehr oder weniger) guten Folgen der Handlungen ausschlaggebend sind. Außerdem gibt es Übereinstimmung insofern, als den bekannten obersten ethischen Prinzipien (Verallgemeinerbarkeit, Gleichheit, Gerechtigkeit) nicht mehr die ausschlaggebende Bedeutung beigemessen wird, so daß allein aus ihnen das moralisch richtige Handeln abgeleitet werden könnte. Zwar ist es weiterhin notwendig, in jedem einzelnen Fall die Vereinbarkeit der Handlungen und ihrer Folgen mit diesen Prinzipien zu überprüfen. Im übrigen aber kommt es darauf an, sich ein eigenes Urteil aufgrund konkreter Perspektiven zu bilden. Für solche Perspektiven werden im folgenden einige Vorschläge gemacht und auf drei verschiedenen Konkretisierungsebenen dargestellt:

  • allgemeine ethische Perspektiven,
  • allgemeine Perspektiven für das menschliche Handeln gegenüber der Natur und
  • besondere Perspektiven für die Gentechnik.

Die drei Ebenen sind einander in einem hierarchischen Verhältnis zugeordnet. In den allgemeinen Perspektiven kann an Einsichten angeknüpft werden, die bewährt und bereits anderswo erprobt sind. Die Gentechnik ist nicht der Punkt, an dem wir erst auf diese Fragen stoßen. Die allgemeinen Perspektiven zeigen dabei notwendige, nicht aber hinreichende Bedingungen für Wahrnehmung, Urteil und Handeln.

1. Allgemeine ethische Perspektiven

a) Abschätzung der Folgen

Es wäre unverantwortlich, wider besseres Wissen zu handeln. Möglichst alle Erkenntnisse müssen eingesetzt werden, um die Folgen angemessen abzuschätzen. Die Angemessenheit bestimmt sich zunächst danach, was sich aus dem Stand des Wissens ergibt. Freilich reicht häufig das verfügbare Wissen nicht aus, so daß neues Wissen zusammengetragen und erworben werden muß. "Neues" Wissen kommt aber nicht nur durch quantitative Vermehrung zustande, sondern es ist damit zu rechnen, daß Erkenntnisse gebraucht werden, die auf veränderten, qualitativ neuen Voraussetzungen beruhen. Zum angemessenen Überblicken der Folgen gehört es auch, die Erforschung von Alternativen mindestens gleicher Reichweite zu bedenken und gegebenenfalls zu fördern (s. unten S.00). Es reicht nicht aus, lediglich Akzeptanz oder Verzicht als Handlungsmöglichkeit in den Blick zu nehmen.

Streng genommen lassen sich die (beabsichtigten und noch mehr die unbeabsichtigten) Folgen nicht vollständig überblicken. Dennoch muß gehandelt werden. Das menschliche Handeln an die Bedingung zu knüpfen, erst müßten alle Folgen überblickt werden, hieße, alles Handeln zu blockieren. Der Mangel an umfassender Übersicht über die Folgen gehört zu den Bedingungen menschlichen Lebens und Erkennens und macht eine sorgfältige ethische Abwägung erforderlich. Dies führt zum Problem des Umgangs mit Risiken.

b) Bewertung der Risiken

Erprobung neuer Möglichkeiten und damit wissenschaftliche und technische Innovation sind auf das Eingehen von Risiken angewiesen. Darum kann es kein vernünftiges Ziel sein, Risiken auf jeden Fall zu vermeiden. Aber das Eingehen von Risiken, zumal von besonders hohen Risiken, schafft eine ausdrückliche Begründungspflicht: Die Unsicherheit ist gegen die Notwendigkeit oder den Vorteil, so zu handeln, abzuwägen. Dazu bedarf es möglichst genauer Kenntnisse über die Art des Risikos, speziell über die Höhe des möglichen Schadens und seine Eintrittswahrscheinlichkeit. Eine solche Risikoabwägung bezieht sich auf konkrete, einzelne Schritte. Sie kann, wie dies für die Gentechnik in der "Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit" (ZKBS) geschehen ist, institutionalisiert werden. Solche Institutionen und Gremien müssen sich jedoch immer wieder die Prüfung gefallen lassen, ob sie in Zusammensetzung und Arbeitsweise den zu bearbeitenden Fragen gerecht werden. Neben der Risikoabwägung im Einzelfall muß eine regelrechte Risikoforschung installiert und gefördert werden.

Eine grundsätzliche Maxime könnte lauten: Es darf nichts ohne Not riskiert werden. Dies schließt nicht ein, daß mit Not alles riskiert werden dürfte. Im übrigen wird die "Notwendigkeit" von sehr unterschiedlichen Zwängen - bis hin zum Konkurrenzdruck - bestimmt. Es ist unerläßlich, die Begründungen und Legitimationen von "Notwendigkeit" genau zu befragen. Risiken haben eine objektive und eine subjektive Dimension. Denn die Einschätzung eines Risikos richtet sich nicht nur nach den wissenschaftlich belegbaren Fakten, sondern wird auch davon beeinflußt, wie wir es persönlich wahrnehmen.

Dabei spielt es beispielsweise eine Rolle, wie gut wir uns informiert fühlen und ob wir den Experten, die uns die Information vermitteln, vertrauen. Die gesellschaftliche Akzeptanz eines Risikos hängt wesentlich von diesen Faktoren ab. Die subjektive Risikodimension ist aber auch von erheblichem Gewicht im Blick auf das Verhalten der Wissenschaftler: Die Risikowahrnehmung hat Auswirkungen darauf, welche Experimente und Anwendungen vorgenommen bzw. unterlassen und welche Anforderungen dabei gestellt werden. Wissenschaftler können aufgrund ihres Erkenntnisinteresses und einer relativen Toleranz gegenüber überraschenden Ergebnissen dazu tendieren, Unsicherheiten und die damit verbundenen Risiken eher als gering und als beherrschbar einzuschätzen. Würde ständig mit Risiken gerechnet, so würde dies die Arbeit wegen der einzuhaltenden Sicherheitsmaßnahmen erschweren. Ein Irrtum in der Einschätzung des Risikopotentials kann sich unter diesen Umständen schwer für sie selbst und möglicherweise für die Umwelt auswirken. Laien neigen in stärkerem Maße dazu, in den Unsicherheiten des Forschungsprozesses Risiken wahrzunehmen. Irren sie sich, so bedeutet dies lediglich, daß die befürchteten Risiken nicht vorhanden sind. Ihr Irrtum hat weniger schlimme Konsequenzen, als wenn davon ausgegangen würde, es gäbe keine oder vernachlässigbare Risiken.

Menschen sind in ihrem Leben ständig mit den unterschiedlichsten Risiken konfrontiert. Dazu gehören Risiken natürlichen Ursprungs wie die Gefährdung durch Steinschlag oder Infektionen und zivilisatorische Risiken wie das Autofahren oder das Rauchen. Im Rahmen der Technikbewertung wird darüber diskutiert, ob und auf welche Weise Risiken miteinander verglichen werden können. Verschiedentlich wird die Akzeptierbarkeit technischer und zivilisatorischer Risiken mit dem Vorhandensein und der Unausweichlichkeit natürlicher Risiken begündet. Doch liegen naturbedingte Katastrophen außerhalb menschlichen Einflusses, während bewußtes Handeln und die dadurch hervorgerufenen Risiken in der Verantwortung der Handelnden stehen. Auch beim Vergleich der Risiken moderner Großtechniken wie der Kerntechnik oder der Gentechnik mit denen anderer Techniken ist Vorsicht geboten. Dies gilt besonders dann, wenn es sich einerseits um mehr oder weniger freiwillig eingegangene Risiken und andererseits um kollektive bzw. unfreiwillige Risiken handelt. Erstere wie etwa das Unfallrisiko betreffen mit ihren Schadensfolgen nur einzelne oder vergleichsweise wenige Menschen, und vor ihnen erscheint ein individueller Schutz noch möglich. Letztere wie etwa die Freisetzung von Radioaktivität oder neuen Krankheitserregern betreffen große Bevölkerungsgruppen und die Umwelt, und vor ihnen kann sich ein Individuum kaum schützen. Beim Vergleich unterschiedlicher Risiken kommt es also darauf an, gemeinsame Vergleichsmaßstäbe zu gewinnen. Dazu ist es erforderlich, Verfahren zu etablieren, in denen Wissenschaftler und Laien ihre Positionen darlegen und eine Verständigung darüber herbeiführen, welches Risiko gemeinsam akzeptiert werden kann.

Insgesamt führen Risikoabwägung und Risikoforschung zu größerer Klarheit über die Kosten, mit denen bei einem bestimmten Handeln und den damit verbundenen Risiken zu rechnen ist. Dies kann zu der Einsicht in ein grundlegendes Problem führen: Unter Umständen erkennen wir nämlich, daß wir uns die entstandenen Kosten gar nicht leisten können. Je strenger Risikoabwägung und Risikoforschung angesetzt werden, desto unausweichlicher wird die Einsicht. Aber sie ist notwendig.

c) Abwägung von Kosten und Nutzen

Schon bei der Risikobewertung stellt sich die Aufgabe, die Unsicherheit und den Vorteil gegeneinander abzuwägen. Sie ist Teil einer umfassenderen Nutzwertanalyse. Dabei sind die Kosten und der Nutzen keineswegs nur ökonomisch zu verstehen: Zu den Kosten gehören auch die Risiken, der Nutzen kann auch in einem Erkenntnisgewinn bestehen. Die Begründung von Forschung und technischer Anwendung lebt vom Nachweis eines Nutzens. Der Nachweis eines Nutzens ist jedoch ohne eine möglichst weitgehende Kostenrechnung nicht sinnvoll. Von größter Bedeutung ist es in diesem Zusammenhang, zu klären, was als Kosten zählt und wie der Nutzen bestimmt wird: Nach welchen Maßstäben werden Kosten und Nutzen bemessen? Auf wessen Kosten geht ein bestimmtes Handeln? Wem nutzt es? Wessen Kosten und Nutzen sind ausschlaggebend?

Wo Kosten und Nutzen ökonomisch berechnet werden, entsteht das Problem, einen angemessenen Maßstab zu finden. Der Bezug auf den Zeitraum der Kapitalverwertung allein reicht nicht aus. Auch ökologische Kosten sind einzubeziehen. Aber die Internalisierung ökologischer Kosten stellt noch vor erhebliche Schwierigkeiten. Auf jeden Fall ist die ökonomische Begründungspflicht ethisch relevant; sie darf nur nicht auf die ökonomischen Interessen der einzelnen Wirtschaftssubjekte begrenzt bleiben, sondern muß Kosten und Nutzen aller in einem bestimmten Zeitraum in den Blick fassen.

d) Einbeziehung von Alternativen

Meistens führen verschiedene Wege zum Ziel. Im Falle von Entscheidungen, die ein besonderes Gewicht haben oder mit besonderen Risiken verbunden sind, ist es geboten, die Alternativen sorgfältig zu erwägen und gegebenenfalls zu erproben und zu fördern. Hierzu gehört schon die Überlegung, ob die eingesetzten oder einzusetzenden Mittel verhältnismäßig sind und ob nicht auf einem anderen - mit Einsatz von weniger Mitteln verbundenen oder risikoärmeren - Weg dasselbe Ziel erreicht werden kann. Vor allem aber geht es im Zusammenhang technologie- und industriepolitischer Richtungsentscheidungen um die Erwägung von weitreichenden, systemaren Alternativen.

Das Verständnis für die Bedeutung der Frage nach systemaren Alternativen ist durch den am 27.Juni 1980 dem Deutschen Bundestag vorgelegten Bericht der Enquete-Kommission "Zukünftige Kernenergie-Politik" nachhaltig gefördert worden. Diese Kommission hat auf der Grundlage einer gemeinsamen Zieldefinition verschiedene "Pfade" zu diesem Ziel erarbeitet, deren jeweilige Chancen und Risiken aufgewiesen und damit die Voraussetzungen für einen rationalen politischen Entscheidungsprozeß geschaffen. Zur Beurteilung wurden vier Verträglichkeitskriterien eingeführt:

  • Umweltverträglichkeit,
  • Sozialverträglichkeit,
  • internationale Verträglichkeit,
  • Wirtschaftlichkeit.

e) Gerechtigkeit

Gerechtigkeit wird neben Verallgemeinerbarkeit und Gleichheit (im Sinne von Gleichbehandlung) zu den grundlegenden Prinzipien ethischer Aussagebildung gezählt. Auch die hier entfalteten Perspektiven für Wahrnehmung, Urteil und Handeln bedienen sich dieser Prinzipien. In der jüdisch-christlichen Welt ist Gerechtigkeit ein besonders traditionsreicher Begriff. Er wird darum hier gesondert betrachtet.

So wenig wie in früheren Zeiten steht freilich heute ein fertiger Kriterienkatalog zur Verfügung, um die Suche nach dem, was gerecht ist, abschließend zu befriedigen. Darum wird mit gutem Grund auch gefordert, daß in konkreten Fragen der Gerechtigkeit alle, die es angeht, an Entscheidungen beteiligt sein sollen. Aber auch, wenn diejenigen, die es zunächst angeht, in der Suche nach gerechten Entscheidungen zusammenwirken, ist damit noch nicht gesagt, daß das, was sie entscheiden, allen und allem gerecht wird. Was an der einen Stelle als gerecht erscheint, kann an anderer Stelle als höchst ungerecht empfunden werden.

Es dient der Verständigung über Gerechtigkeit, wenn sie als "Verträglichkeit" ausgelegt und anschaulich gemacht wird. Gerechtigkeit als Verträglichkeit bedeutet beispielsweise, daß ein Handeln nicht schon dadurch gerechtfertigt ist, daß es ein einzelnes bestimmtes Ziel ansteuert. Vielmehr ist zu fragen, wie sich ein bestimmtes, in sich durchaus berechtigtes Handeln mit dem Handeln und dem Leben in anderen Kontexten verträgt, damit zusammenhängt und vereinbar ist. Ein Handeln, das gerecht genannt werden soll, muß immer das Leben anderer und das Zusammenleben mit ihnen wollen. So wird das Bewußtsein dafür geschärft, daß alles Handeln seine Folgen für andere Lebensbereiche berücksichtigen muß. Gerechtigkeit durch Verträglichkeit auszulegen enthält somit den Imperativ der Suche nach Einverständnis und entspricht darin der Forderung nach demokratischen Verfahrensregelungen.

Was aus der Forderung nach Verträglichkeit für die Mitgeschöpfe des Menschen folgt, wird an späterer Stelle gesondert erörtert. Von wachsender Bedeutung ist aber heute - neben der Gerechtigkeit im Verhältnis der heutigen Generation zu den nachfolgenden Generationen - auch die Berücksichtigung der Folgen technischer und wirtschaftlicher Entwicklungen für den Bereich der Dritten Welt. Was für die hochentwickelten Gesellschaften im Norden der Welt vorteilhaft ist, muß nicht auch in seinen Auswirkungen auf die weniger entwickelten, armen Länder im Süden der Welt oder beim Gebrauch in ihnen verträglich sein. Das Gebot der Gerechtigkeit verlangt es vielmehr, solche technischen und wirtschaftlichen Projekte und Entwicklungsrichtungen bevorzugt zu fördern, die auf die Verhältnisse der Dritten Welt zugeschnitten und für sie in besonderem Maße geeignet sind.

2. Allgemeine Perspektiven für das menschliche Handeln gegenüber der Natur

a) Respekt vor dem Gegebenen

Die Natur ist von den Menschen nicht geschaffen - auch dort nicht, wo sie sie tiefgreifend verändert haben oder technisch reproduzieren können. Sie ist ihnen gegeben. Sie begegnet ihnen in der ihr eigenen Lebendigkeit und Stimmigkeit und nötigt ihnen in ihrer sinnhaften Fülle Bewunderung und Dank ab (s. oben S.000). Je genauer die Erscheinungen des Lebens erkannt werden, desto mehr bieten sie Anlaß zu dankbarem Staunen. Auch die fortschreitende wissenschaftliche Aufdeckung und Erhellung hat nicht notwendig den Effekt, das Wunder zu entzaubern, sie kann eher dazu beitragen, das Staunen über die Weisheit des Naturzusammenhangs zu vergrößern. Es kommt aber darauf an, die entsprechenden Wissensgebiete etwa im Biologieunterricht oder im Studium (Morphologie, Evolutionsgeschichte, Wissenschaftsgeschichte u.a.) nicht zugunsten der anwendungsorientierten Technik zu vernachlässigen. Das Staunen angesichts der Erscheinung des Lebens darf kein flüchtiges Gefühl bleiben; es muß gelernt werden und als bleibende Einstellung zur Welt Handeln und Verhalten bestimmen. Dies schließt ein, daß nach dem Gegebenen immer neu zu fragen ist. Wer mit der Lebendigkeit der Natur rechnet, achtet das Gegebene auch als das, was er noch nicht erfaßt hat. Menschen, die die Natur in der Haltung dankbaren Staunens wahrnehmen, werden ihr auch mit mehr Achtung und Scheu begegnen. Denn aus dem Respekt vor dem Gegebenen folgt die Regel: Überlege, was erhalten werden muß! Sei vorsichtig, langsam, nicht vorschnell! Tu kleine Schritte!

b) Solidarität mit den Mitgeschöpfen

Menschen leben als Lebewesen unter anderen Lebewesen. Sie stehen in einem vielfältigen Zusammenhang miteinander: Das eine Lebewesen lebt mit dem anderen und von dem anderen. Alle sind sie von den gleichen elementaren Lebensäußerungen und -vollzügen bestimmt: Geborenwerden, Gedeihen, Lieben, Reifen, Kämpfen, Leiden, Sterben.

Schon das Prinzip der Gerechtigkeit erfordert es, daß die Menschen Lebensrecht und Lebensmöglichkeiten ihrer Mitgeschöpfe berücksichtigen. Sie können nicht ihre Interessen ohne weiteres auf Kosten ihrer Mitgeschöpfe realisieren. Das Handeln der Menschen muß sich vielmehr mit dem Leben der Mitgeschöpfe vertragen, muß damit zusammenstimmen. Die nichtmenschlichen Lebewesen haben freilich im Unterschied zu den meisten Mitmenschen keine Möglichkeit, im Konfliktfall ihr Recht geltend zu machen und gemeinsam nach einem Ausgleich zu suchen. Darum bedarf es entsprechender rechtlicher Vorkehrungen (etwa im Tierschutzgesetz oder durch die Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz) und der konkreten Bereitschaft von Menschen, den stummen Mitgeschöpfen ihre Stimme zu leihen.

Darüber noch hinaus führt der Gedanke der kreatürlichen Solidarität. Sie äußert sich bei vielen Menschen ganz spontan in der Betroffenheit angesichts der Zerstörung von Landschaften oder des Leidens von Tieren. An ihrem Grunde liegt die Empfindung: Laß das Leben leben! Dies ist eine Aufnahme und Ausweitung des ursprünglich nur auf den Menschen bezogenen Tötungsverbots. So bindet der Gedanke der kreatürlichen Solidarität Menschen und nichtmenschliche Lebewesen in ihrem Geschöpfsein zusammen, erinnert an ihre fundamentale Verwandtschaft und appelliert an das Gefühl einer tiefen Verbundenheit. Dabei bestehen in der Verbundenheit der Menschen mit ihren Mitgeschöpfen offenbar Abstufungen. Im Sinne einer Verwandtschaftsethik fühlen sie sich den Tieren näher als den Pflanzen und innerhalb des Tierreichs den Säugetieren näher als etwa den Insekten. Aus der größeren Nähe aber resultiert die Anforderung größerer Fürsorge und Sorgfalt. Dabei spielt auch der Gesichtspunkt der Leidensfähigkeit der verschiedenen Lebewesen eine Rolle.

Weder der Gedanke der Gerechtigkeit noch der der Solidarität heben jedoch die grundlegenden Unterschiede zwischen den Menschen und ihren Mitgeschöpfen auf. Sie stehen nicht auf der gleichen Stufe. Nur beim Menschen kann von der unveräußerlichen Würde und dem uneingeschränkten Lebensrecht jedes einzelnen die Rede sein. Insofern bleibt es auch durchaus sachgemäß, von einer Sonderstellung des Menschen gegenüber der Natur zu sprechen, und diese kann in biblischer Rede (1.Mose 1,28; Ps 8) auch als Herrschaftsstellung gedeutet werden. Nicht diese besondere Stellung selbst ist strittig, sondern die Art und Weise, in der sie wahrgenommen wird. Herrschaft verlangt Demut. Sie muß im Rahmen des Schöpferwirkens Gottes zugunsten allen Lebens geschehen, sich also in den Dienst des Lebens auf der Erde stellen. Dazu gehört allerdings auch, zugunsten des Lebens gegen die Zerstörungskräfte einzugreifen (s. oben S.00).

c) Eigenwert und Eigenrecht der Mitgeschöpfe

Als Mitgeschöpfe dürfen andere Lebewesen nicht nur und nicht zuerst unter dem Gesichtspunkt des für Menschen gegebenen Nutzwerts betrachtet werden. Dies würde im übrigen auch ein universelles Wissen über den Sinn und Wert von Leben voraussetzen. Darum kann auch nicht verlangt werden, den Eigenwert eines Lebewesens allererst nachzuweisen oder zu begründen. Zwar läßt es sich rechtfertigen, daß die Menschen pflanzliches (und tierisches) Leben zu ihrer Ernährung, ihrer Versorgung und ihrer Freude gebrauchen und verbrauchen. Aber sie können nicht allein sich selbst eine Daseinsberechtigung zuschreiben und die Daseinsberechtigung aller anderen Lebewesen davon ableiten wollen. Die Blume ist nicht bloß dazu da, damit Menschen sich an ihr freuen; das Huhn ist keine reine Eierlegemaschine zur Bereitstellung menschlicher Nahrung; viele Lebewesen haben überhaupt keinen erkennbaren und benennbaren unmittelbaren Nutzen für den Menschen.

Im Zusammenhang mit Haustieren wird deutlich und erfahrbar, daß auch nichtmenschliche Lebewesen ihre eigene Individualität besitzen. Das gilt auch für Wildtiere, sobald sie in ihrem eigenen Lebenszusammenhang wahrgenommen werden. In gewisser Weise läßt sich das sogar von Pflanzen sagen; innerhalb einer Art gleicht auch hier kein Exemplar einem anderen. So ist es irreführend, Pflanzen und Tiere ausschließlich als Vertreter von Arten und Gattungen zu betrachten und nur diesen ein - relatives und abgestuftes - Lebensrecht zuzuerkennen, wie es in der Gesetzgebung vielfach geschieht (bloßer "Artenschutz"). Beim Übergang von der individuell gepflegten Haustierhaltung zur industriebezogen rationalisierten Tier- und Pflanzenproduktion zeigen sich die Defizite einer solchen Einstellung: Kinder beispielsweise dürfen Großställe nicht mehr betreten, damit die Tiere sich nicht erregen und der Fleischertrag nicht vermindert wird.

Das pflanzliche und tierische Leben samt den niederen Formen des Lebens hat zunächst eine Bedeutung für andere Lebewesen neben den Menschen und für den Lebensprozeß insgesamt. Schon dies legt den Menschen bei ihrem Umgang mit der Natur Rücksichten auf. Sie dürfen sich nicht nur an ihren eigenen Interessen ausrichten, sondern müssen die möglichen Auswirkungen auf die Lebensmöglichkeiten anderen Lebens mitbedenken. Vor allem aber haben die Mitgeschöpfe des Menschen unabhängig von ihrem Nutzwert einen Eigenwert - allein schon darin, daß sie auf Gott als den Schöpfer bezogen sind, an seinem Leben Anteil haben und seine Ehre verherrlichen (Ps 19; 104). Einen eigenen Wert und Sinn zu haben bedeutet nicht, daß jedes individuelle Lebewesen oder jede Art erhalten werden müssen (zur Bewahrung der Artenvielfalt. Wo jedoch der Gedanke des Eigenwerts Anerkennung findet, kann er als Begrenzung und Korrektur dienen gegenüber einer Haltung, der das nichtmenschliche Leben nichts als Material und Verfügungsmasse in der Hand des Menschen darstellt.

Der Gedanke eines Eigenwerts und Eigenrechts der Natur führt mitten hinein in das Spannungsverhältnis von Recht und Markt. Interessenabwägungen können sich im Markt erfolgreich und ökologisch zuträglich niederschlagen, falls und insofern sich die langfristigen und fernen Folgen in die Preise einbeziehen lassen. Schon eine Orientierung am langfristigen Gemeinnutz der Menschen würde es verbieten, die Kosten des vorherrschenden Naturverhältnisses den fernen Menschen und der fernen Natur aufzubürden. Doch selbst wenn es gelänge, den Markt zu reformieren - was sind die Äquivalente für verloren gegangene einmalige Arten, für klimatische Veränderungen, unfruchtbar gewordene Böden? Für das unersetzlich Lebensnotwendige kann es keinen Preis geben. Die Natur hat zweifellos Nutzwert und Preis, aber sie ist offensichtlich darüber hinaus unersetzlich und hat darin eigenen Wert und eigenes Recht. Sie sind auch durch die Rechtsordnung zu schützen. So hätte sich ein neues Verhältnis zur Natur nicht allein in einer veränderten Moral niederzuschlagen, sondern müßte sich auch auf die Regeln ökonomischen Handelns und die Rechtsordnung auswirken. In diesen Zusammenhang gehört schließlich noch die Frage, ob und in welchem Sinne es ein Eigentum von Menschen an ihren Mitgeschöpfen geben könne und solle. In der neuesten Rechtsentwicklung zeigen sich erste zaghafte Ansätze, Tiere nicht mehr ohne jede Einschränkung als Sachen zu behandeln. Zu denken gibt der Umstand, daß noch das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 ein Eigentum an Tieren nur gegenüber den Bestreitern dieses Rechtes kannte, während das Verhältnis zu den Tieren selbst nicht als Eigentumsrecht gefaßt wurde. Darin steckt die Einsicht, daß Menschen mit den Mitgeschöpfen, die in ihrer Verfügung stehen, nicht nach freiem Belieben verfahren dürfen.

3. Besondere Perspektiven für die Gentechnik

a) Artgerechtheit

Die Lebewesen begegnen den Menschen in einer Vielheit von Arten. Lebensraum und Lebensweise jeder Art stehen in einem Wechselverhältnis von Anpassung, Lernen und fremder Einwirkung. In dieser Wechselwirkung bildet sich, verändert sich und bewahrt sich die Identität der Arten innerhalb bestimmter Grenzen ihrer Entwicklung und innerhalb bestimmter Zeiträume. Eine Art kann nicht beliebig jeder Anpassung und Veränderung ausgesetzt werden.

Die Menschen besitzen im Maße der ihnen zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Erkenntnis Einsicht in die Lebensfähigkeit der Arten. Sie wissen - und können dieses Wissen noch vermehren -, welcher Lebensraum und welche Lebensweise einer Art gerecht werden. Es geht auch hier um Gerechtigkeit im Sinne der Verträglichkeit: Artgerechte Lebensverhältnisse und ein artgerechter Umgang sind daran zu messen, ob sie mit den Erfordernissen des Lebensraums und der Lebensweise des betreffenden Lebewesens vereinbar sind. Dies läßt einen gewissen, aber nicht einen beliebigen Raum für Abweichungen und Veränderungen. Es ist gut, beim Umgang vor allem mit Pflanzen und Tieren das verfügbare Wissen über den artgerechten Lebensraum und die artgerechte Lebensweise als Hinweis auf eine notwendige Grenze ernstzunehmen. Die Einsicht in Anforderungen der Artgerechtheit ist eine Mahnung zur Vorsicht.

Die vorliegenden Erfahrungen mit der gentechnischen Veränderung von Pflanzen und Tieren unterstreichen die Berechtigung dieser Mahnung. So hat die Anpassung an sehr begrenzte künstliche Lebensbedingungen bei transgenen Schweinen schon jetzt Krankheitscharakter erreicht. Die auf Leistungssteigerung abgestellte Zucht ist nur solange sinnvoll, wie auf die Erhaltung der Gesundheit geachtet wird.

b) Artgrenzen

Wie im Falle der Artgerechtheit ist die Artgrenze eine Mahnung zur Vorsicht. Zwischen den Arten besteht eine natürliche Barriere, die in der Regel eine spontane Kreuzung und Vermischung verhindert. Organismen, die bei einer Überspringung der Artgrenzen entstehen, sind nicht fortpflanzungsfähig. Die Artgrenze stellt eine offenkundig sinnhafte Gegebenheit dar, die nicht ohne Not übergangen werden sollte. Jedenfalls ist sorgfältig zu prüfen, ob Gründe namhaft gemacht werden können, die die Nichtbeachtung der Artgrenze rechtfertigen. Dabei sind die Unterschiede zwischen Pflanzen und Tieren entsprechend zu berücksichtigen. Auf keinen Fall ist die Neukombination von Erbmaterial unterschiedlicher Arten ein Vorgang, der zum Gegenstand von spielerischen Versuchen oder von ungehemmten Experimenten werden darf.

c) Artenvielfalt

Die Artenvielfalt der Natur ist Grundlage und Bedingung des Lebens. Der evolutionäre Prozeß ist auf einen großen 'Genpool' angewiesen. Eine Verarmung des genetischen Bestandes schränkt die Entfaltungsmöglichkeiten des evolutionären Prozesses ein. Die Artenvielfalt bedeutet aber in einem noch elementareren Sinne einen erhaltenswerten Reichtum. Schon für die Menschen selbst gilt: Verschiedenartigkeit und Fülle ist zugleich eine lockende Weite. So wenig aber ein Einheitstyp Mensch erstrebenswert ist, so wenig soll es eine 'Natur von der Stange' geben. Daß der Reichtum der Artenvielfalt und unsere Freude an ihr letztlich nicht erklärlich sind, besagt keineswegs, daß er vernachlässigt werden kann. Es ist den Menschen gegenwärtig nicht möglich, das notwendige und wünschenswerte Maß der Vielfalt festzulegen, und es ist auch die Frage, ob sie es überhaupt wollen sollen. Die Menschen können aber dazu beitragen, die Bedingungen zu erhalten, unter denen die Natur die ihr eigene Vielfalt zu bewahren und zu entfalten imstande ist. Die Aufbewahrung von Samen in Genbanken bietet langfristig keine hinreichende Sicherheit für die Erhaltung der Artenvielfalt.

d) Fehlerfreundlichkeit

Gentechnische Veränderungen von Lebewesen zielen im allgemeinen darauf, sie auf den menschlichen Nutzen hin zu "verbessern". Die Verbesserung ist auf bestimmte Funktionen oder Eigenschaften bezogen. Ein solches gezieltes Vorgehen entspricht dem technischen Vermögen, bestimmte Funktionen oder Eigenschaften von Werkstoffen und Maschinen zu optimieren. Dabei kommt es erfahrungsgemäß zu einer weitgehenden Spezialisierung von Arbeitsabläufen, die jeweils durch Programme der Koordination wiederum in einem einheitlichen Produktionsprozeß verbunden werden. Optimierung und Spezialisierung bedingen eine geringe Fehlertoleranz. Der kleinste technische Defekt und die kleinste nicht vorgesehene Abweichung in der Bedienung können nicht korrigiert oder kompensiert werden. Bereits ein Minimum an Ölverlust wird einem hochgezüchteten Motor gefährlich.

Die Gentechnik überträgt dieses Prinzip technischer Entwicklung auf Lebewesen und ihr Zusammenspiel. Darin weicht sie von den im evolutionären Prozeß gegebenen Verhältnissen markant ab. Denn in diesem sichert gerade die Fehlerfreundlichkeit der Organismen ihr Überleben auch gegenüber einem breiten Spektrum nicht vorgesehener bzw. vorhersehbarer Belastungen und Abweichungen. Der Begriff der Fehlerfreundlichkeit bezeichnet die eigentümliche Verbindung von Fehleranfälligkeit und Fehlertoleranz: Organismen sind zweifellos äußerst fehleranfällig; zugleich ist ihnen - etwa durch den Überschuß an Funktionen, die durch Mutation hervorgerufenen Abweichungen, das Immunsystem oder die Wundheilung - ein hohes Maß an Fehlertoleranz eigen. Übergenaue Tüchtigkeit für eine bestimmte gegebene Situation ist ein Mangel an Fehlerfreundlichkeit und läuft auf Stagnation und schließlich Versagen bei neuen Herausforderungen hinaus. Nur eine Pflanze mit einem hohen Maß an Anpassungs- und Kompensationsmöglichkeiten kann Fehlernährung oder Veränderungen am Standort ertragen und ausgleichen.

Wie für jede Technik ergibt sich auch für die Gentechnik daraus die Anforderung, sich mehr an der Fehlerfreundlichkeit des evolutionären Prozesses als an der Optimierung und Spezialisierung technischer Entwicklungsprozesse zu orientieren. Auch ökonomisch gesehen lohnt es sich nicht, extrem anfällige oder schutzbedürftige Kulturen zu produzieren, die aber hohe Nebenkosten verursachen. Selbst wenn die ökonomische Rechnung, auf begrenzte Zeiträume und Verantwortlichkeiten bezogen, aufgeht, fallen die Nebenkosten lediglich zu einem späteren Zeitpunkt oder außerhalb der eigenen Zuständigkeit an. Der Blick auf das evolutionäre Prinzip erfordert aber eine weiträumige Rechnung.

4. Hinweise und Anregungen

Dieser Schlußabschnitt wäre mißverstanden, wenn er als Summarium und umfassende Bilanz gelesen würde. Auch die vorangegangenen Teile enthalten zahlreiche Hinweise, welche Konsequenzen für einen verantwortlichen Umgang mit der Gentechnik zu ziehen sind. Die hier vorgelegte Studie ist überhaupt nicht darauf angelegt, die konkrete Urteilsbildung durchgängig vorwegzunehmen. Es geht vielmehr - auch in den folgenden Anregungen - um eine Hilfe und Richtungsangabe für die eigene Urteilsbildung.

a) im Blick auf Einstellungen und Weisen des Vorgehens

Die beste Lösung zu finden ist der Glücksfall, der im nachhinein mit Staunen und Dankbarkeit konstatiert werden kann. Für das praktische Handeln jedoch setzt die Suche nach der besten Lösung unter einen schädlichen Erfolgsdruck. Es bedeutet eine spürbare und förderliche Entlastung, wenn auch die zweitbeste Lösung akzeptiert wird. Es geht um Verbesserung, nicht Optimierung. Das pragmatische "Durchwursteln" ("muddling through") verdient jedenfalls vor der Vorstellung einer "endgültigen" Lösung den Vorzug. Eine solche Einstellung bewährt sich auf dem politischen Feld ebenso wie bei Prozessen der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklung. Das schließt grundlegende Optionen nicht aus.

Die Gentechnik steht in einer stürmischen Entwicklung. Die Anwendungsorientierung und Verwirtschaftlichung der Forschung trägt ihr Teil dazu bei. Wer ein bestimmtes Verfahren oder Produkt als erster wirtschaftlich verwerten kann, hat einen erheblichen ökonomischen Vorteil. Zeit ist Geld. Die Gentechnik ist aber noch in einer weiteren Hinsicht mit einer Beschleunigung verbunden: Veränderungen am Genom können erheblich schneller als bei konventionellen Methoden erreicht werden. Gentechnik arbeitet - nach einer Formulierung von Erwin Chargaff - geradezu in einem "diabolischen Zeitraffer": Lebens- und Wachstumsprozesse, für die die Evolution riesige Zeiträume gebraucht hat und brauchen würde, werden technisch gerafft. Hier liegen unwägbare Gefahren. Fehlentwicklungen, für deren Korrektur und Rücknahme der evolutionäre Prozeß Raum ließ, können sich unter den neuen Gegebenheiten verfestigen und ihre schädlichen Auswirkungen entfalten, bevor die Menschen auch nur eine Chance zum Eingreifen haben. In dieser Situation wird die Langsamkeit zur Tugend. Zwar läßt sich damit nichts objektiv festlegen; immer noch bleibt es der subjektiven Einschätzung überlassen, ob ausreichende Klarheit bereits geschaffen ist oder weiter zugewartet werden muß. Aber es wird nicht ohne Auswirkungen auf die wissenschaftliche Entwicklung der Gentechnik und ihre wirtschaftliche Anwendung bleiben, wenn sich die Einstellung in der Gesellschaft und Kultur insgesamt dahingehend wandelt, sich selbst und der Natur mehr Zeit zu lassen.

Zeit zu gewinnen und das Tempo des Entwicklungsprozesses abzubremsen ist auch der Kern der Forderung nach einem Moratorium für die Gentechnik. Ein Aussetzen bestimmter Forschungsarbeiten oder Produktionsvorhaben könnte auf freiwilliger Basis erfolgen und insofern eine Selbstbeschränkung der Betreiber darstellen - die Ergebnisse der Konferenz von Asilomar 1975 bedeuteten faktisch für kurze Zeit ein solches Moratorium. Es könnte aber auch angestrebt werden, ein Moratorium mit staatlichem Zwang, also vor allem durch rechtliche Regelungen, durchzusetzen. Die Moratoriumsforderung wird unterschiedlich begründet: Vor allem wird darauf abgehoben, daß das Wissen über Auswirkungen und mögliche Gefahren noch zu gering ist und daß darum mehr Forschung über Risiken und Alternativen betrieben werden muß. Andere verweisen auf tiefgreifende Differenzen im normativen Bereich, die allererst ausgeräumt werden müßten. Ein Moratorium stellt prinzipiell eine wichtige konkrete Möglichkeit dar, die erwünschte Verlangsamung zu erreichen. Folgende Gesichtspunkte müssen freilich bedacht werden:

  • Bei einem Moratorium geht es nicht um Bejahung oder Verwerfung der Gentechnik insgesamt. Die Moratoriumsforderung muß sich auf bestimmte Arbeiten oder Vorhaben beziehen, die mit dem Risiko eines besonders großen Schadens verbunden sind.
  • Die Moratoriumsforderung muß ehrlich sein. Sie muß auf einen Zeitgewinn für die Urteilsbildung zielen und damit auf ein späteres Ja oder Nein zugehen. Eine Moratoriumsforderung ist letztlich unglaubwürdig, wenn sie als verkappte Ablehnung auf eine unabsehbare Verzögerung spekuliert.
  • Die Internationalisierung von Forschung und wirtschaftlicher Anwendung tangiert gerade auch den Gedanken des Moratoriums. Ein Moratorium lediglich in einem Land kann leicht umgangen werden. Darum ist auf international abgestimmte Schritte - sowohl der Bewußtseinsbildung als auch der rechtlichen Regelung - zu drängen.

Der gegenwärtige Entwicklungsstand der Gentechnik nötigt darüber hinaus zu der Frage, ob sich der Prozeß mit dem Instrument des Moratoriums faktisch überhaupt noch beeinflussen läßt. Dieser Umstand stellt, insofern er eine bedrohliche Reduzierung der Handlungsmöglichkeiten anzeigt, in sich ein gravierendes ethisches Problem dar.

b) im Blick auf die Wahrnehmung des Lebens und die Lebensführung

Ein neues Naturverhältnis wirkt sich aus im alltäglichen Leben, in der
Wahrnehmung des Lebens und der Lebensführung.

Alles, was auf Erden ist, vor allem auch sich selbst, als geschöpflich verstehen heißt: es wahrnehmen als etwas, das in sich lebendig ist und aus Gott seinen eigenen Wert hat. Das jeweils einzelne Lebewesen in seiner Besonderheit, die Zusammenhänge, in denen die einzelnen Dinge stehen, auch das, was von menschlichen Eingriffen betroffen ist - es ist so als von Gott geschaffen und gewollt zu sehen. Nichts ist da auszunehmen. Schöpfung ist nach diesem Verständnis nicht etwa nur eine "reine", unverzweckte, vom Menschen nicht bearbeitete Natur, nicht etwa nur das "Natürliche", sondern gerade auch all das, was wir bearbeiten, womit wir täglich umgehen und das doch in sich ein eigenes Leben hat. Augenblicke gibt es, in denen wir unversehens empfinden: Diese "Dinge" um mich herum, das Wasser, an dem ich entlanggehe, der mit Laub bedeckte Fahrradweg, der helle Himmel über allem - das gehört zusammen, und ich gehöre da hinein, darf hier sein, bin doch zuhause in der Welt, auf dieser Erde. Wir sind - zusammen - gehalten, am Leben gehalten, von einer und derselben Kraft.

Wer all dies in seiner Geschöpflichkeit wahrnimmt, der wird aufmerksamer, offener tun, was wir auch sonst tun: sich freuen, wenn die Sonne kommt; miterleben, was in der Natur im Wechsel der Jahreszeiten vor sich geht; und auch den eigenen Körper in seiner Lebendigkeit - z.B. wie man die Hand bewegt - bewußter erleben. Mein Körper ist ja nicht nur ein Instrument, das mir nützlich ist, um etwas zu erreichen. Sondern ich bin mit meinem Leib begabt, immer schon mit ihm verbunden: In ihn zeichnet sich meine Lebensgeschichte ein, meine Lebenskraft und Empfindungsfähigkeit habe ich in ihm. Er altert mit mir, und ich sterbe, wenn er stirbt. Und dies teile ich mit allem Lebendigen um mich. So geht Menschen auf, daß um sie Leben ist und sie inmitten von vielfältigem Leben leben. Menschen können sich verstehen in einer Reihe von Generationen und offen werden für die kommende Generation und aus solcher Offenheit auch dafür Verantwortung übernehmen. Sie können, kurz gesagt, über sich hinausgehen und wirklich hinsehen auf das, was ist. Freilich, dazu gehört auch, sich genauso dem Eindruck des Zerstörerischen, des Sterbenden und des Totseins auszusetzen. Ja, auch bei sich selbst am eigenen Leib einzuwilligen in das, was man ist, obschon man doch auch anders - schöner etwa - sein möchte, als man ist.

Auf diese Weise werden Menschen gegenüber allem, was lebt, hinkommen zu einer engagierten Haltung, in der es den Schmerz über das geschehene Leid und das Erschrecken über Naturverbrauch und -zerstörung ebenso gibt wie die Freude über das, was bleibt und sich am Leben erhält. Daraus ergeben sich mit Notwendigkeit Konsequenzen für die Lebensführung. Bei Forderungen an andere, z.B. an die Wissenschaft, die Landwirtschaft oder den Staat, kann es nicht bleiben - so nötig sie sind. Vielmehr stehen jeder und jede vor der Frage, wie groß ihre Bereitschaft und Fähigkeit sind, die eigene, persönliche Lebensweise zu ändern: Wie wollen wir leben? Wie gehen wir mit dem eigenen Körper, mit seinen Schwächen und Beschwerden um? Was hindert uns daran, unsere Nahrung besser darauf abzustimmen, was die Natur von sich aus bereithält und ermöglicht? Was hält uns davon ab, im Umgang mit den uns anvertrauten Lebewesen Rücksichtnahme und Aufmerksamkeit zu üben? Die heutige Lebensweise ist weitgehend davon bestimmt, die vorhandenen technischen Errungenschaften auch in Gebrauch zu nehmen und sich überdies auf neue, erweiterte technische Möglichkeiten einzustellen. Dies geht Hand in Hand mit einer Versorgungsmentalität, in der uns durch immer neue Angebote vorgegeben wird, was gut für uns sei, aber die Erkenntnis verlorengeht, daß wir schon versorgt sind. Ein neues Naturverhältnis muß sich konkret zeigen in einem bewußten "Annehmen" der Natur, in dem ein "Hinnehmen" (etwa des Leidens) mit einem verantwortlichen "Entgegennehmen" verbunden ist.

c) im Blick auf das Gespräch zwischen Experten, Politikern und Laien

Eine Reihe von Grundsatz- und Einzelfragen der Gentechnik ist strittig - zunächst unter den Experten, den Politikern und den Laien selbst, dann aber vor allem zwischen ihnen. Zur sachgemäßen Austragung dieser Kontroversen bedarf es einer Gesprächs- und Streitkultur. In einer lebendigen und kritischen Kultur müssen Sachverstand und Gemeinwohl zusammenfinden. Auf verschiedenen Ebenen - im kirchlichen Bereich etwa in den Akademien oder auf den Kirchentagen/Katholikentagen - sind bereits Möglichkeiten für den öffentlichen Diskurs geschaffen worden. Diese Einrichtungen müssen erhalten und gefördert werden.

Zu den wichtigen Voraussetzungen solcher kontrovers geführten Gespräche gehört es, daß sich alle Beteiligten im Maße ihrer Möglichkeiten sachkundig machen: Die Laien auf dem Gebiet der Gentechnik müssen sich in den Sach- und Fachfragen Orientierung verschaffen. Die naturwissenschaftlichen Experten, die auf eine Orientierung in der ethischen Diskussion angewiesen sind, müssen bereit sein, auf kritische Anfragen zu hören. Solche Anfragen dürfen, auch wenn sie noch nicht zu überzeugenden Antworten führen, nicht allein mit dem Hinweis auf mangelnde Kompetenz und fehlenden Sachverstand zurückgewiesen werden. Es gibt eine hinderliche Arroganz von Experten und von Laien. Allerdings wäre die Forderung absurd, daß sich jeder genau so sachverständig machen muß wie der andere. Man muß sich auch den Sachverstand des anderen gefallen lassen. Ohne Kompetenzzutrauen kann es keine sinnvolle Kooperation geben.

d) im Blick auf die Handlungsmöglichkeiten von Wissenschaft und Forschung

In der Ausbildung der Biologen dürfen Wissenschaftsgebiete, die nicht biochemisch orientiert sind (wie Morphologie, Systematik und Ökologie), nicht nur eine untergeordnete Rolle spielen. Gerade angesichts der Ausweitung der Gentechnik muß die Fähigkeit erhalten werden, molekulare Phänomene in übergeordnete biologische Zusammenhänge einzuordnen und das neuerworbene Wissen im Licht vorhandener Erfahrungen und Theorien zu überprüfen. Darüber hinaus kann eine Einführung in die Wissenschaftsgeschichte und in die Wissenschaftsforschung, in der die Verfahren und Strukturen der Wissenschaft selbst zum Forschungsgegenstand gemacht werden, dazu beitragen, Wissenschaft in ihrer Eigenschaft als soziale Tätigkeit zu begreifen und die Fähigkeit zur Selbstreflexion in der Wissenschaft zu steigern. Die wissenschaftliche Schwerpunktsetzung muß ergänzt werden. Auch diejenigen Wissenschaftsgebiete müssen gefördert werden, die der Bewertung der Entwicklung bei der Gentechnik dienlich sind. Dazu gehört die Analyse der sozialen, ökologischen und ökonomischen Konsequenzen der Einführung dieser neuen Technologie, ihrer Verfahren und Produkte, aber auch die Erarbeitung systemarer Alternativen.

In der Welt von Wissenschaft und Technik führt die Ethik als institutionalisierte Reflexion der Begründungspflichten des Handelns weithin noch ein Schattendasein. Die ethische Aufgabe der Technikbewertung muß aber ein integraler Bestandteil der Aus- und Fortbildung von Naturwissenschaftlern und Technikern sein. Grundlegend ist es dabei, auch das Wissen des Nichtwissens zu lernen und in der eigenen Arbeit benachbarte Gebiete wahrzunehmen und mitzubedenken.

Die Risikoabwägung im konkreten Einzelfall durch die Beteiligten, eine (auch öffentliche) Kontrolle der Durchführung der Risikoabwägung und eine begleitende Risikoforschung sind unerläßlich.

Besonders umstritten ist die absichtliche, geplante Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen. Auf jeden Fall ist hier eine Differenzierung geboten: Freisetzung ist nicht gleich Freisetzung; es gibt Freisetzungen mit unterschiedlichem Risikopotential. Bei dessen detaillierter Einschätzung hat jedoch eine Polarisierung der Meinungen stattgefunden, die sich auch in unterschiedlichen Positionen innerhalb der Arbeitsgruppe widerspiegelt. Während die einen dafür plädieren, daß Freisetzungen nach sorgfältiger Risikoanalyse möglich sein sollen, sprechen sich die anderen gegen solche Experimente aus, da weder die Größenordnung der Gefahren bekannt noch die Rückholbarkeit einmal freigesetzter Organismen oder der gentechnisch veränderten Erbinformation gesichert sei und auch die mit solchen Freisetzungen verbundenen Nutzenerwartungen einer genauen Überprüfung nicht standhielten. Diese Kontroverse macht deutlich, daß bei Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen - soweit sie überhaupt für vertretbar gehalten werden - besondere Begründungspflichten bestehen und strenge Kriterien anzuwenden sind. Die stetige Weiterarbeit an übereinstimmenden rationalen Kriterien und Begründungen ist eine große Herausforderung auch an die "scientific community", also an die Fachöffentlichkeit. Angesichts der weltweit stark anwachsenden Zahl von Freisetzungen muß der Fachdiskurs, unter Einbeziehung der Wissenschaftler aus den Ländern der Dritten Welt, intensiviert werden. Auch wenn die "scientific community" als solche keine legitimierende Instanz darstellt, hat sie in jedem Fall eine kritische Funktion: Wenn man die besondere Urteilsfähigkeit der Fachleute bejaht und ihre Bereitschaft zu innerfachlicher Kontrolle beim Wort nimmt, sind Freisetzungsversuche, die offenen, internationalen wissenschaftlichen Fachgesprächen nicht standhalten, nicht zu rechtfertigen. Angesichts der Vielfalt von Betroffenheitsfeldern ist der Konsens innerhalb der Fachöffentlichkeit ein notwendiger, freilich nicht ein abschließender Beitrag bei der Urteilsfindung.

e) im Blick auf die staatlichen Handlungsmöglichkeiten

Die staatlichen Handlungsmöglichkeiten betreffen neben der Forschungs- und Industriepolitik vor allem die rechtliche Regelung. Der Anspruch der Legislative und Exekutive, in die gentechnische Forschung durch Gesetze und Vorschriften regelnd einzugreifen, steht zur Freiheit der Wissenschaft nicht in einem Widerspruch: Die Freiheit der Wissenschaftler selbst bewährt sich gerade auch in der Selbstbeschränkung, und das verfassungsmäßig garantierte Recht der Freiheit der Wissenschaft muß innerhalb der Verfassung mit anderen Rechten in Einklang gebracht werden. Das 1990 vom Deutschen Bundestag verabschiedete Gentechnik-Gesetz und die zugehörigen Verordnungen der Bundesregierung werden von vielen als ungenügend eingeschätzt. Unbestritten ist jedoch, daß der Gesetzgeber die weitere Entwicklung sorgfältig beobachten und unter Umständen zusätzliche rechtliche Regelungen treffen muß. Insbesondere kommt es darauf an, die internationale Rechtsentwicklung, vor allem in der Europäischen Gemeinschaft, zu beeinflussen.

Ein spezielles Problem der internationalen Rechtsentwicklung stellt die Patentierung gentechnischer Verfahren und Produkte dar. Die Auswirkungen auf die wissenschaftliche Forschung, insbesondere auf ihre Transparenz sind bereits erörtert worden. Vom Gedanken des Eigenwerts der Kreatur her sind verschiedentlich aber auch grundsätzliche ethische Vorbehalte gegen eine Patentierung von Pflanzen oder Tieren geltend gemacht worden. Dies würde in der Konsequenz bedeuten, daß entsprechenden gesetzlichen Regelungen oder Initiativen entschieden zu widersprechen wäre. Doch nötigt die zugrundeliegende ethische Argumentation keineswegs zu solchen Folgerungen. Der Gedanke des Eigenwerts der Kreatur legt es zwar - zumal angesichts der mit der Möglichkeit einer Patentierung gestellten Fragen - nahe, über die Art des Eigentums an Pflanzen und Tieren neu nachzudenken; aber jedenfalls gegen ein Eigentumsrecht an Lebewesen, das gegenüber den Mitmenschen begründet ist, läßt er sich nicht ins Feld führen. Er steht dann aber auch der Patentierung eines gentechnisch veränderten Organismus nicht grundsätzlich entgegen. Entsprechend hat es bisher auf dieser Basis keine Bestreitung des schon länger bestehenden Sortenschutzes gegeben. Freilich bedeutet dies keineswegs, daß eine Patentierung von Pflanzen und Tieren als unproblematisch anzusehen wäre. Die Bedenken und Einwände liegen aber auf einer anderen Ebene. Es ist nämlich zu fragen, ob eine Patentierung von Pflanzen bzw. Tieren mit den Lebensverhältnissen der Bereiche verträglich ist, die auf die Nutzung von Pflanzen und Tieren angewiesen sind. Dies gilt insbesondere für die Landwirtschaft hierzulande und für Ernährungssituation und Entwicklungsmöglichkeiten der Dritten Welt. Kleinere Betriebe, die die erforderlichen Lizenzen für patentgeschützte Pflanzen oder Tiere nicht erwerben könnten, wären im Wettbewerb benachteiligt - dies um so mehr, als die Patentierung zu einer Beschleunigung der Erneuerung von Pflanzensorten führt.

Die absehbaren Auswirkungen sind es somit, die zu einer kritischen Betrachtung der Patentierung von Pflanzen und Tieren führen. Darum ist auch zu fragen, ob eine zwar nicht finanzielle, wohl aber faktische Förderung der Produktion gentechnisch manipulierter Pflanzen und Tiere, wie sie die Ermöglichung der Patentierung darstellt, zum jetzigen Zeitpunkt ratsam ist.

f) im Blick auf die kirchlichen Handlungsmöglichkeiten

Auf die Formung von Einstellungen und Lebensweise hat die Kirche nach wie vor einen mehr oder minder großen Einfluß. Im Blick auf die Gentechnik kommt es in diesem Zusammenhang darauf an, das Einverständnis mit der Schöpfung zu wecken und zu fördern. Dabei betreffen die notwendigen Aktivitäten der Kirche nicht allein und nicht zuerst die kirchenleitende Ebene. Die kirchlichen Handlungsmöglichkeiten sind vielmehr in ihrer reichen Vielfalt zu nutzen: von der Ebene der Gemeinden und der Gruppen über die verschiedenen Arbeitszweige (Unterricht, Jugendarbeit, Bildungsarbeit usw.) bis hin zu den Organen, die die gesamte Kirche repräsentieren.

Die Prägung von Einstellungen und Lebensweise geschieht vorrangig im Bereich von Bildung und Erziehung. Erziehung zu einem Einverständnis mit der Schöpfung beginnt bei der Anleitung, das Wunder des Lebens vertieft wahrzunehmen. Sie kann den Grund legen für eine Einstellung, die dem Leben in der Schöpfung mit Dankbarkeit, Ehrfurcht und Barmherzigkeit begegnet. Das schließt ein, verzichten zu lernen, um die Mitgeschöpfe zu schonen und zu bewahren. Darüber hinaus werden Bildung und Erziehung immer auch in altersgemäßer Weise die Konflikte aufgreifen und bearbeiten müssen, in denen über die Konsequenzen aus einem Einverständnis mit der Schöpfung gestritten wird. Schließlich dürfen in einer Erziehung zum Einverständnis mit der Schöpfung Mut und Zivilcourage als Erziehungsziele nicht fehlen. Eine lebensfreundliche und lebensbewahrende innere Einstellung nützt solange wenig, wie es an der Fähigkeit mangelt, die fälligen Auseinandersetzungen zu suchen, Konflikte durchzustehen und auch persönliche Nachteile auf sich zu nehmen. Die stärkste Infragestellung der dominierenden wissenschaftlich-technischen Entwicklung geht häufig von denen aus, die sich der weiteren Mitwirkung verweigern und als 'Aussteiger' ihre angestammte Tätigkeit und Karriere zum Teil unter großen persönlichen Opfern aufgeben. Eine solche Entscheidung, die prinzipiell nicht mehr und nicht weniger Achtung verdient als die Wahrnehmung der Verantwortung innerhalb der gegenwärtigen wissenschaftlich-technischen Praxis, setzt voraus, daß gelernt worden ist, eigenständig zu urteilen, sich nicht anzupassen und Konfliktstärke zu zeigen.

Von besonderer Bedeutung für die Begleitung von Wissenschaftlern in ihrer Arbeitswelt und für das interdisziplinäre Gespräch sind Institutionen wie Evangelische Akademien, wissenschaftliche Institute und kirchliche Kommissionen. Die ethischen Herausforderungen durch die Entwicklung der Gentechnik werden es auch in Zukunft immer wieder nötig machen, daß die Kirchenleitungen besondere Aufträge an kirchliche Forschungseinrichtungen oder Kommissionen erteilen.

Die Einrichtung von Ethikkommissionen hat sich - trotz mancher Einschränkungen - als ein wichtiger Faktor in dem Bemühen erwiesen, in der Welt von Wissenschaft und Technik die Reflexion der Begründungspflichten des Handelns zu institutionalisieren. Die Kirchen können diesen Prozeß stärken, indem sie die Einrichtung von Ethikkommissionen auch in weiteren Forschungseinrichtungen und Unternehmen verlangen, ihre Arbeit kritisch begleiten und sich selbst mit kompetenten Vertretern beteiligen.

Im Blick auf Gottesdienst und Kirchenjahr bietet ein erneuertes Erntedankfest einen besonders geeigneten Bezugspunkt für den Gedanken des Einverständnisses mit der Schöpfung. Es muß dem Dank für die Natur Ausdruck geben und darf nicht bloß auf die Erntegaben bezogen werden. So gibt es Gelegenheit, zu lernen, was es heißt: die Schöpfung bejahen.

Auf dieser Grundlage können dann auch die Vertrauenskräfte entbunden werden, derer es zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben bedarf. Sie erwachsen aus dem Vertrauen, daß Gott seine Schöpfung bewahrt. Damit ist nicht die Einschätzung gemeint, daß angesichts der Größe der Herausforderung und Bedrohung die Vernunft vieler Menschen erweckt werden wird und daraufhin die erforderlichen Einsichten und Maßnahmen zustandekommen - so nötig dies ist. Vielmehr geht es um eine Einstellung, die es erlaubt, angesichts der Zwiespältigkeit und der unabsehbaren Nebenfolgen allen Handelns dennoch zu handeln. Der Glauben daran, daß Gott auch aus dem Zerstörten, ja dem Bösen Gutes entstehen lassen kann, macht fähig, die Unvollkommenheit der eigenen Person wie der Mitmenschen anzunehmen und der Möglichkeit des Schuldigwerdens ins Gesicht zu sehen. Es kommt darauf an, diesen Glauben zu leben.

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