„Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“

Die Agenda 2030 als Herausforderung für die Kirchen. Ein Impulspapier der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung. EKD-Texte 130, 2018

6. Was wir in Dankbarkeit tun wollen

Es ist höchste Zeit, dass die Menschheit Wege findet, innerhalb der ökologischen und sozialen Grenzen unseres Planeten zu leben. „Weiter so“ geht nicht. In den Jahren vor uns muss die Transformation zu einem nachhaltigen Leben für alle gelingen. Mit der Transformations-Agenda 2030 haben wir einen international anerkannten Kompass der Nachhaltigkeit in der Hand. Wir sind dankbar für die Orientierung, die er gibt und die Richtungsdebatten, die er bewirkt hat. Wir sehen die hohen Anforderungen, die sich damit für Politik, Unternehmen, Verbände und viele weitere gesellschaftliche Gruppen auf dem Weg der Nachhaltigkeit ergeben. Nicht zuletzt ist diese Agenda ein Auftrag an jeden Menschen, sich mit aller Kraft am Transformationsprozess zu beteiligen. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Die Weltgesellschaft gleicht einem Tanker, der nur langsam die Richtung ändern kann. Nur wer den Kurswechsel rechtzeitig einleitet, kann die Kollision verhindern. In wichtigen Bereichen ist die internationale Gemeinschaft weiter auf Kollisionskurs mit den Zielen der Agenda. So ist die Zahl der chronisch unterernährten Menschen seit 2015 sogar noch gestiegen, obwohl doch eigentlich bis 2030 der Hunger vollständig besiegt sein soll. Die Zeit, auf den Kurs der Nachhaltigkeit zu gelangen, drängt. Selbst wo sich erste Erfolge eingestellt haben, bleiben sie ungenügend – und die anhaltenden Misserfolge können sie nicht annähernd aufwiegen. Bei einigen Zielen der Agenda ist die Menschheit sogar dabei, sich davon immer weiter zu entfernen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt.

Der Kirche kommt in diesem Kairos der Transformation eine eigene und besondere Chance zu: Wie wenige andere gesellschaftliche Akteure vermag sie „Mahnerin, Mittlerin und zugleich Motor“ zu sein. Das Gerechtigkeitsprojekt einer nachhaltigen Entwicklung ist tief verankert in der christlichen Botschaft und schon lange mit dem ökumenischen und konziliaren Prozess verbunden. Aus dieser Kraft erwächst den Kirchen eine besondere Rolle in der öffentlichen Debatte. Kirchen und ihre Teilorganisationen sind Orte, an denen nachhaltige Entwicklung erprobt und umgesetzt werden kann. Durch das Vertrauen auf Gott, durch Glauben, Spiritualität und durch ihre globale Vernetzung verfügen Christinnen und Christen über besondere Geschenke, mit denen sie jetzt den Agenda 2030-Prozess mitprägen können. Kirchen und Werke, Gemeinden und Gemeindemitglieder müssen sich den Herausforderungen einer nachhaltigen Entwicklung stellen. Nur so sind sie selber als Motor, Mittler und Mahner authentisch und stark. Gerade in der Verbindung dieser drei Funktionen liegt die besondere Chance und Verantwortung von Kirche.

Der vorliegende Text hat den Bogen gespannt zwischen theologischer Orientierung, politischer Rahmensetzung und dem konkreten Handeln auf allen Ebenen. An vier konkreten Themenbereichen der Agenda 2030 (Ungleichheit, verantwortungsvoller Konsum, Landwirtschaft, Klimaschutz) wurde beispielhaft deutlich, wie Kirchen und Gemeinden die Transformation nicht nur anmahnen und vermitteln, sondern zudem vorantreiben können. Viele heute schon existierende und inspirierende Beispiele machen uns dankbar und ermutigen uns zur Nachahmung.

So sehr jeder Beitrag zählt, so sehr wurde aber auch deutlich, dass zwischen weitreichenden Stellungnahmen, Empfehlungen und Beschlüssen von kirchenleitenden Organen und der konkreten Umsetzung in kirchlichen Einrichtungen und Gemeinden noch ein Graben klafft.

Der Text ermutigt deshalb die Kirchen ausdrücklich, sich selbst ehrgeizige Ziele für nachhaltige Veränderungsprozesse zu setzen. Dazu gehört, sich mit messbaren und erkennbaren Resultaten in der eigenen Praxis transparent zu zeigen. Dies kann und sollte auf allen Ebenen geschehen. Wir brauchen Nachhaltigkeitsstrategien bzw. Initiativen und Pläne, wie die Umsetzung der Transformations-Agenda 2030 auf der Ebene der EKD, der Landeskirchen und Gemeinden wie auch der großen kirchlichen Einrichtungen und Werke gelingen kann. Ein transparenter und partizipativer Überprüfungs- und Lernprozess sollte dies begleiten, der regelmäßig durch unabhängige Dritte durchgeführt wird.

Je mehr Kirche hier erreicht, umso glaubwürdiger wird sie in ihren Mahnungen und Forderungen an andere. Die Kraft, die Verheißungen und die Visionen des Glaubens sind wichtig für große, langfristige und ehrliche Transformationsprozesse.

Wir wissen, dass die Zeit umzusteuern drängt. Wir bekennen, dass die Erde Gott gehört und nicht uns. Wir wissen, dass der Stern, auf dem wir leben, nur geliehen ist. So wie es in einem Gesangbuchlied heißt:

„Die Erde ist des Herrn.
Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben.
Drum sei zum Dienst bereit,
gestundet ist die Zeit, die uns gegeben.“
[60]

In unserem Dienst für die Zukunft dieses Sterns, Gottes wunderschöner Erde, und in der gestundeten Zeit, die uns gegeben ist, wissen wir uns doch getragen und ermutigt durch Gottes Geist, der die Zukunft offenhält – wie es in der dritten Strophe dieses Liedes heißt:

„Gebrauche deine Kraft,
denn wer was Neues schafft, der lässt uns hoffen,
vertraue auf den Geist, der in die Zukunft weist,
Gott hält sie offen.“[61]

 

[60]    Lied 634, Vers 1, Evangelisches Gesangbuch der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Text: Jochen Rieß.
[61]    A.a.O., Vers 2, Text: Jochen Rieß.

 

Nächstes Kapitel