„Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“

Die Agenda 2030 als Herausforderung für die Kirchen. Ein Impulspapier der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung. EKD-Texte 130, 2018

5. Was zu tun ist

Im Folgenden beleuchten wir in diesem Impulspapier beispielhaft vier Themenbereiche, jeweils mit Bezügen auf mehrere SDGs. Es sind die Themenfelder „Den Hunger beenden, nachhaltige Landwirtschaft fördern“, „Nachhaltig konsumieren und produzieren“, „Ungleichheiten überwinden“ und „Klima schützen, Kohleausstieg und nachhaltige Mobilität fördern“.

Wir haben diese vier Themenbereiche ausgewählt, weil

  • Deutschland selbst nach Aussage der Bundesregierung in diesen Feldern noch relativ weit von umfassender Nachhaltigkeit bzw. der Erreichung der Ziele der Agenda 2030 entfernt ist,
  • in ihnen Zielkonflikte besonders deutlich werden und
  • die Kirche in diesen Bereichen selbst herausgefordert ist und wertvolle Beiträge leisten kann, auch in den Landeskirchen oder auf Gemeindeebene.

Dies bedeutet nicht, dass die in diesem Impulspapier nicht näher beleuchteten SDGs und Themenbereiche oder Beispiele kirchlichen Engagements weniger wichtig wären. Es soll auch nicht bedeuten, dass wir uns nur einige Ziele herausgreifen und dafür andere vernachlässigen. Uns ist die Interdependenz aller Ziele durchaus bewusst. Die Behandlung aller SDGs und Themenbereiche in diesem Impulspapier würde jedoch den Rahmen sprengen.

Die folgenden Kapitel sind so aufgebaut, dass in ihnen jeweils zunächst die Aussagen der Agenda 2030 und die der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie beleuchtet werden, bevor die besondere Herausforderung für die Kirchen dargestellt wird.

5.1  Den Hunger beenden, nachhaltige Landwirtschaft fördern

5.1.1 . . . in der Agenda 2030

SDG 2 der Agenda 2030 ist besonders ehrgeizig: den Hunger bis 2030 vollständig zu besiegen. Jeder Mensch, egal wo er lebt, soll die Möglichkeit haben, sich ausreichend und gesund zu ernähren – angesichts der mehr als 800 Millionen Hungernden und zwei Milliarden armutsbedingt Mangel- und Fehlernährten eine riesige Herausforderung. SDG 2 verbindet den Kampf gegen den Hunger mit der Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft und nimmt dabei besonders diejenigen in den Blick, die in vielen Ländern zu kurz kommen: die kleinbäuerlichen Familienbetriebe und die Fischerinnen und Fischer. Bis 2030 sollen Produktivität und Einkommen von „kleinen Nahrungsmittelproduzenten“ verdoppelt werden, aber auf eine Art und Weise, die nicht den Druck auf die Ökosysteme (Klima, Gewässer, Böden, biologische Vielfalt) erhöht.

Die Strategie im Kampf gegen den Hunger kann also nicht bedeuten, ohne Rücksicht auf die ökologischen Folgen die Produktion zu steigern. Alle Umweltziele der Agenda 2030 sind mit zu berücksichtigen, ebenso SDG 10, das eine Verringerung der Ungleichheit in allen Gesellschaften und zwischen den Staaten anstrebt. Eine Agrarstrategie nach dem Motto „wachsen oder weichen“, die zu immer größeren Einheiten führt und viele kleinbäuerliche Betriebe zum Aufgeben zwingt, wäre mit SDG 10 kaum in Einklang zu bringen – besonders nicht in Ländern, in denen es für Menschen, die zuvor in der Landwirtschaft tätig waren, keine Arbeitsplatzalternativen gibt.

In Kombination mit den anderen Zielen der Agenda 2030 wird bei der Umsetzung von SDG 2 auch auf Geschlechtergerechtigkeit, Gesundheit (Stichwort Antibiotika-Resistenzen), den Aufbau und die Stärkung sozialer Sicherungssysteme, die „Korrektur von Handelsverzerrungen auf den Agrarmärkten“ (Zitat aus der Agenda 2030) und die „Begrenzung extremer Schwankungen der Nahrungsmittelpreise“ infolge hochspekulativer Aktivitäten auf den Nahrungsmittelmärkten zu achten sein. Auch der Erhalt der „genetischen Vielfalt von Saatgut, Kulturpflanzen sowie Nutz- und Haustieren und ihren wildlebenden Artverwandten“ sowie der „Zugang zu den Vorteilen der genetischen Ressourcen und des damit verbundenen traditionellen Wissens“ werden in der Agenda 2030 gefordert. In einer Zeit zunehmender Machtkonzentration im Saatgutsektor (unter anderem durch Übernahme von Monsanto durch Bayer) und der Erteilung von Patenten auf Pflanzen und Tiere sind diese Aussagen hochaktuell.

5.1.2  . . . in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie

Im Kapitel zu SDG 2 zählt die Bundesregierung viele Maßnahmen auf, die der Erreichung von SDG 2 dienen sollen. Die Verschränkung mit anderen Zielen der Agenda 2030 und die Thematisierung der sich daraus ergebenden Zielkonflikte finden jedoch nur unvollständig statt.

Im Kapitel zu SDG 2 gibt es in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie zwei Indikatoren, die beide auf die Situation in Deutschland gerichtet sind: Der Stickstoffüberschuss der Gesamtbilanz für Deutschland soll auf 70 Kilogramm je Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche bis 2030 (bzw. im Jahresmittel 2028 bis 2032) begrenzt werden. Und der Anteil des ökologischen Landbaus an der landwirtschaftlich genutzten Fläche soll auf 20 Prozent in den nächsten Jahren erhöht werden. Ein konkretes zeitliches Ziel fehlt hier allerdings.

Von der Erreichung beider Ziele ist Deutschland noch weit entfernt. Der Anteil der ökologisch bewirtschafteten landwirtschaftlich genutzten Flächen stagnierte in den letzten Jahren und liegt zurzeit nur bei 7,5 Prozent. Da ist es noch ein weiter Weg bis zu den anvisierten 20 Prozent. Und ohne ein ehrgeiziges Zeitziel, veränderte Rahmenbedingungen und eine erhebliche Steigerung der Fördermittel für Landwirte, die auf Ökolandbau umstellen wollen, wird sich wenig ändern.

Ein Indikator, der auch direkt auf die internationale Ebene zielt und das deutsche Engagement im Kampf gegen den Hunger und die Umsetzung des Rechts auf Nahrung misst, fehlt bisher in der Nachhaltigkeitsstrategie, soll aber zumindest geprüft und so bald wie möglich integriert werden.

Wenn SDG 2 ernstgenommen und mit all den anderen Zielen der Agenda 2030 verschränkt wird, ergeben sich zwangsläufig Zielkonflikte, denen sich die Bundesregierung stellen muss. Das in Deutschland (und auch international) vorherrschende landwirtschaftliche Modell ist eben nicht nachhaltig, sondern trägt massiv zum Klimawandel, zur Belastung des Bodens und der Gewässer und zum Verlust der biologischen Vielfalt bei. Studien des Umweltbundesamtes belegen dies eindrucksvoll.

5.1.3  . . . als Herausforderung für die Kirchen

SDG 2 zielt auf gesunde und ausreichende Nahrung für alle und die Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft. Am dringendsten ist die Überwindung des Hungers. Dazu leisten das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt, die Diakonie Katastrophenhilfe und die Missionswerke wichtige Beiträge. Humanitäre Hilfe erreicht Menschen in Katastrophen- und Kriegsgebieten und Flüchtlingslagern. Und im Rahmen der langfristig angelegten Entwicklungszusammenarbeit werden nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ Gemeinschaften darin unterstützt, für ihr Recht auf Nahrung zu streiten und aus eigener Kraft für ihr „tägliches Brot“ zu sorgen. Über ihre Hilfs- und Missionswerke und auch direkt setzt sich die Kirche im Dialog mit Entscheidungsträgern und Entscheidungsträgerinnen aus Politik und Wirtschaft auch dafür ein, dass die strukturellen Ursachen von Hunger und extremer Armut thematisiert und überwunden werden.

Nahezu alle Kirchengemeinden unterstützen mit ihren Kollekten und Aktionen Brot für die Welt, die Diakonie Katastrophenhilfe und die Missionswerke. Viele Gemeinden und Kirchenkreise, Dekanate und Propsteien unterhalten Nord-Süd-Partnerschaften, in denen es unter anderem auch um Fragen der Gerechtigkeit und Solidarität geht.

Dass die Art, wie wir produzieren und konsumieren, den Hunger in den Entwicklungsländern verschärft, hat die EKD-Kammer für nachhaltige Entwicklung in ihrer 2015 veröffentlichten Studie „Unser tägliches Brot gib uns heute“[29] dargelegt und darin unter anderem empfohlen, in den Gemeinden – zum Beispiel im Konfirmandenunterricht und im Rahmen der Erwachsenenbildung – diese Zusammenhänge und die Lebensstilfrage zu thematisieren. Die EKD-Kammer empfahl den Landeskirchen und Kirchengemeinden ebenfalls, bereits in ihren Kindertagesstätten auf gesunde und ethisch vertretbare Ernährung zu achten sowie mit ihrem Grundbesitz verantwortungsbewusst umzugehen und bei der Verpachtung von landwirtschaftlich genutzten Flächen dafür zu sorgen, dass darauf nachhaltig gewirtschaftet wird.

Die EKD-Synode verabschiedete auf ihrer Tagung im November 2013 in Düsseldorf eine Kundgebung („Es ist genug für alle da“ – Welternährung und nachhaltige Landwirtschaft), in der sie Kirchengemeinden auffordert, ihre Vergabepraxis für Pachtland an den „Ethischen Leitlinien für eine nachhaltige Landwirtschaft“ auszurichten, wie sie der gemeinsame Text „Neuorientierung für eine nachhaltige Landwirtschaft“ der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz von 2003 vorsieht. Weiter heißt es in dem Synodenbeschluss:

„ Neben einer ordnungsgemäßen umweltgerechten Bewirtschaftung sollten auch die Regionalität der Pächter und die Stärkung des ländlichen Raums eine Rolle spielen. Bewirtschaftung durch ortsansässige Landwirte sollte gegenüber überregionalen Unternehmen bevorzugt werden. Ökologische und konventionelle Betriebe, die nachhaltig wirtschaften, sollen Vorrang haben.“[30]

Um den letzten Satz zu diesem Thema hatte es auf der Synode 2013 eine Kontroverse gegeben, so dass schließlich – anders als im Entwurf einer Arbeitsgruppe, in dem nur vom Vorrang ökologisch wirtschaftender Betriebe die Rede war – noch eingefügt wurde:­ „Ökologische und konventionelle Betriebe, die nachhaltig wirtschaften . . .“.

Diese scheinbaren Feinheiten weisen auf erhebliche Konflikte hin, um die es in der gesamten Agrardiskussion und auch in Fragen der Verpachtung von kirchlichem Land geht.

In den „Ethischen Leitlinien für eine nachhaltige Landwirtschaft“[31], auf den sich der Beschluss der EKD-Synode von 2013 bezieht, wird einerseits beklagt, dass sich noch zu wenige kirchliche Einrichtungen und Gemeinden in ihrer Praxis für den ökologischen Landbau engagieren, andererseits begrüßt, dass mehrere Landeskirchen Empfehlungen für die naturschonende Bewirtschaftung von Kirchenland herausgegeben hätten. Darüber hinaus gibt es auch Empfehlungen für den Umgang mit kirchlichen Liegenschaften und Flächen wie zum Beispiel Friedhöfen, Gärten usw.[32]

Um die Begriffe nachhaltige Landwirtschaft, naturschonende Bewirtschaftung, Beachtung agrarökologischer Gesichtspunkte und ökologischer Landbau gibt es außerhalb von Fachkreisen viel Verwirrung. Was mit dem EKD-Synodenbeschluss von 2013 wohl gemeint ist (und auch durchaus sinnvoll scheint, aber nicht präzise ausgedrückt wurde): Die Kirche sollte ihre Flächen vorrangig an ökologisch wirtschaftende Betriebe, die bereits zertifiziert sind oder sich in der Umstellungsphase befinden, verpachten – und/oder an konventionelle Betriebe, die über die gesetzlichen Vorgaben hinaus besondere Leistungen im Blick auf Umweltschutz und Tierwohl erbringen.

Die beiden großen Volkskirchen mit ihren Gemeinden gehören zu den größten Grundbesitzern in Deutschland. Exakt kann dies nicht beziffert werden, da die Angaben zum Grundbesitz der katholischen Kirche nicht zur Verfügung stehen. Die EKD verweist für ihren Bereich auf ihrer Homepage auf eine Schätzung, nach der die ca. 15.000 evangelischen Gemeinden über ca. 325.000 Hektar Land verfügen. Rund 80 Prozent davon sind landwirtschaftlich genutzte Flächen. Ca. 260.000 Hektar werden also an Landwirte verpachtet. Die Erträge, die sich daraus für die Kirchengemeinden ergeben, werden auf ca. 110 Millionen Euro jährlich geschätzt.

Die Baurechts- und Grundstückskommission der EKD hat bereits 1990 Empfehlungen für Musterpachtverträge erarbeitet, die später weiterentwickelt wurden.[33] Einige – aber nicht alle – Landeskirchen haben diese für eigene Musterpachtverträge genutzt und auch Vorgaben bzw. Empfehlungen für die Vergabe von Pachtland entwickelt. Sowohl bezüglich der Agrarstruktur als auch mit Blick auf die Bedeutung der Pachteinnahmen gibt es zwischen den Gliedkirchen große Unterschiede.[34] Ein Vergleich dieser Musterpachtverträge, Vorgaben und Empfehlungen ergibt Gemeinsamkeiten, aber auch große Unterschiede.

Bis auf wenige Ausnahmen verbieten inzwischen alle Landeskirchen auf den kirchlichen Flächen strikt die Aussaat bzw. Anpflanzung von gentechnisch veränderten Pflanzen und das Ausbringen von Klärschlamm und begründen dies vor allem mit den nicht absehbaren Risiken der grünen Gentechnik und mit giftigen, die Bodenqualität schädigenden Rückständen in Klärschlämmen.

In den meisten Landeskirchen gibt es darüber hinausgehende Empfehlungen für die Bewirtschaftung der Flächen, die von den Kirchengemeinden in die Pachtverträge eingearbeitet werden können. Diese Empfehlungen betreffen ökologische und auf das lokale Umfeld bezogene soziale Aspekte. Kriterien, die auch die internationale Dimension berücksichtigen, sind hingegen kaum zu finden, sollten aber im Geist der Agenda 2030 noch integriert werden. Die Anwendung des so genannten Do-no-harm-Prinzips würde bezogen auf die Landwirtschaft in Deutschland bedeuten, auch negative Auswirkungen auf Mensch und Natur in anderen Ländern zu vermeiden. Die massive Verwendung von Kraftfutter, das größtenteils aus Entwicklungsländern eingeführt wird, in denen die ausreichende Ernährung der Bevölkerung nicht sichergestellt ist, wirft ethische Fragen auf, die bearbeitet und in den Vorgaben bzw. Empfehlungen für die Verpachtung von kirchlichem Land berücksichtigt werden sollten.

In der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) haben – anders als in fast allen anderen Landeskirchen – die übergeordneten Behörden die Kompetenz für die Landverpachtung an sich gezogen. Dies betrifft auch die Vergabe, die in der EKM nach einem Punkteverfahren vorgenommen wird. Dabei werden ökonomische (Höhe des Pachtpreises), ökologische (umweltschonende Bewirtschaftung über das gesetzlich vorgegebene Mindestmaß hinaus) und soziale Aspekte (Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, Beschäftigung von Behinderten / Vermeidung von sozialen Härten) sowie regionale Herkunft und Kirchenzugehörigkeit des Bewerbers bzw. Betriebsleiters berücksichtigt.

Während die Anwendung des Punktesystems in der EKM verbindlich ist, wird es im neuen Leitfaden der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) nur zur Orientierung empfohlen. Mehrere andere Landeskirchen haben sich bewusst gegen ein Punktesystem entschieden, weil es ihrer Meinung nach den Ermessensspielraum der Kirchengemeinden, die in den meisten Fällen diejenigen sind, die über die Vergabe des Pachtlandes zu entscheiden haben, einschränkt.

Nahezu alle Landeskirchen empfehlen, nach den Grundsätzen der Pächtertreue den bisherigen Pächter gegenüber neuen zu bevorzugen, Kirchenmitglieder gegenüber Nicht-Kirchenmitgliedern, bäuerliche Familienbetriebe aus der Kirchengemeinde oder zumindest aus der Region gegenüber Großinvestoren, Einzellandwirte gegenüber Lohnunternehmen. Und bessere Chancen soll bekommen, wer mehr zahlt, wer mehr für die Umwelt tut und auch besondere soziale Leistungen herausstellen kann. Soziale Härten sollen vermieden werden, die zum Beispiel dann auftreten, wenn einem bisherigen Pächter nicht die Pachtverlängerung ermöglicht wird, er dadurch aber Flächen verliert, was seinen Betrieb in Existenznot bringen kann.

Die Vielzahl der sehr unterschiedlichen Kriterien stellen die Kirchengemeinden vor die schwierige Frage, welche Kriterien im Zweifel ausschlaggebend sein sollen. Viele Kirchengemeinden nutzen ihren Handlungsspielraum deshalb nicht und bitten das Kirchenkreisamt oder eine Person ihres Vertrauens, einen „vernünftigen“ Vorschlag zu unterbreiten, der dann im Kirchenvorstand nur noch „abgenickt“ wird. Langjährige Pachtverträge werden häufig einfach (ungeprüft) fortgeschrieben.

Kirchengemeinden, die bei der Landverpachtung ökologische und soziale Gesichtspunkte stärker berücksichtigen, handeln sich nicht selten erhebliche Konflikte ein. Dass jedoch bei frühzeitiger Einbeziehung der bisherigen Pächter und einem Dialog auf Augenhöhe tiefgreifende Konflikte vermieden und im Konsens Erfolge erreicht werden können, zeigt ein positives Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern.
 

Erfolg durch frühzeitige Einbeziehung der bisherigen Pächter: Ein Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern

Die evangelische Kirchengemeinde Kieve-Wredenhagen im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte umfasst 390 Gemeindeglieder in sechs Kirchdörfern und verpachtet 181 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, zehn Hektar Wald und einen Hektar Gartenland. Die Agrarflächen bewirtschaften sechs Haupt- und vier Nebenerwerbslandwirte. Die Einnahmen aus der Verpachtung betragen pro Jahr rund 26.000 Euro, davon gehen je 20 Prozent in die Kirchengemeinderats- und in die Baukasse. 60 Prozent gehen an den Kirchenkreis und werden dort für Personalkosten verwendet.

Der elfköpfige Kirchengemeinderat befasste sich jahrelang nicht mit dem Thema Landverpachtung, sondern überließ es der Kirchenkreisverwaltung, Pachtverträge vorzubereiten. Deren Beschlussvorlagen wurden vom Kirchengemeinderat immer ohne Aussprache beschlossen. Erst die Bitte des Landesministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz, anderthalb Hektar Kirchenland für ein zusammenhängendes Biotop, ein Wiedervernässungsgebiet, zur Verfügung zu stellen, brachte den Kirchengemeinderat dazu, sich intensiv mit seinem „Bodenschatz“ Kirchenland zu beschäftigen. Die Fläche wurde aus der Pacht genommen und der Stiftung Umwelt- und Naturschutz Mecklenburg-Vorpommern überlassen. Der Kirchengemeinderat bildete eine  Arbeitsgruppe  „Pachtverträge“, die sich intensiv mit der Situation der Landwirtschaft, der ländlichen Entwicklung und des Umwelt- und Naturschutzes in der Region befasste und der Frage nachging, was einem verantwortungsbewussten Umgang mit dem Kirchenland entsprechen würde. Dazu wurden viele Höfe besucht und auch externe Fachleute verschiedener Disziplinen eingeladen. Im Dialog, in den auch die bisherigen Pächter einbezogen waren, wurden fünf neue Punkte in die Pachtverträge aufgenommen:

  • Der Pächter wird verpflichtet, zu Beginn des Pachtvertrags, nach sechs Jahren und im Jahr vor Beendigung bzw. Verlängerung des Pachtvertrages (Pachtzeit zwölf Jahre) von einem anerkannten Fachlabor eine Bodenanalyse vornehmen zu lassen, die den Nährstoff und Humusgehalt des Bodens bestimmt. Dabei sollte am Ende der Laufzeit eine Verbesserung des Humusgehalts erreicht sein.

  • Der Pächter verpflichtet sich zu einer fünfgliedrigen Fruchtfolge mit mindestens einer Leguminose.

  • Der Pächter verzichtet auf Breitband- bzw. Totalherbizide wie Glyphosat.

  • Zum Schutz vor Bodenerosion bei Maisanbau wird eine Untersaat oder eine anschließende Winterzwischenfrucht  vorgeschrieben.

  • Der erste Mahdtermin auf Grünflächen muss nach dem 20. Mai liegen.

Der Kirchengemeinderat verständigte sich darauf, gegebenenfalls auf einen Teil der Pachteinnahmen zu verzichten, wenn einzelne Pächter aufgrund der neuen Auflagen Verdienstausfälle befürchten bzw. in der Umstellungszeit nachweisen können. Dieses Angebot ist bisher in keinem Fall in Anspruch genommen worden. Mit sieben von zehn ehemaligen Pächtern – einem Ökobetrieb und sechs konventionell wirtschaftenden Betrieben – sind inzwischen neue Pachtverträge für zwölf Jahre abgeschlossen worden.

Quelle: Regine Hapke-Solf, Christine Jantzen, Reinhard Sander und Jean-Dominique Lagies (2017): Was leitet unsere Kirchengemeinde? Bericht der AG „Pachtverträge“ der Kirchengemeinde Kieve-Wredenhagen, Loccumer Protokoll 52/16, Rehburg-Loccum.


Generell sollten Kirchengemeinden neue Kriterien für die Landverpachtung zunächst mit ihren bisherigen Pächtern besprechen, ihnen ihre Beweggründe verständlich machen, eventuelle Bedenken und Einwände ernst nehmen und im Sinne eines Prozesses kompromissorientiert Umstellungsfristen und ggf. finanzielles Entgegenkommen in Betracht ziehen. Es ist mehr gewonnen, wenn konventionell wirtschaftende bäuerliche Familienbetriebe mit Bezug zur Kirchengemeinde (kleine) Schritte in Richtung mehr Nachhaltigkeit im Sinne der Agenda 2030 aus Überzeugung mitgehen (und ohne dadurch in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu kommen), als wenn rigoros vorgegangen wird.

Gleichzeitig ist aus der Bundesregierung der Wunsch zu hören, die Kirchen mögen mit ihrem insgesamt großen Landbesitz dazu beitragen, dass Deutschland sein in der Nachhaltigkeitsstrategie verankertes Ziel, den Anteil der nach EU-Richtlinien ökologisch bewirtschafteten Flächen von derzeit rund 7,5 auf 20 Prozent zu steigern, bis möglichst 2030 – besser noch früher – erreicht. Dies sollten die Kirchen stärker berücksichtigen, aber nicht durch generelle Bevorzugung von Ökobetrieben, sondern eher durch Anreize bzw. Vergünstigungen für konventionelle Familienbetriebe, die auf Ökolandbau umstellen.

Die kleinen und mittleren bäuerlichen Familienbetriebe stehen unter einem enormen wirtschaftlichen Druck. Viele kämpfen um ihre Existenz und sehen ihre einzige Chance darin, möglichst kostengünstig ihre Produktion zu steigern. Forderungen von Umwelt- und Naturschützern und Kirchenvertretern nach strengeren Auflagen und stärkerer Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien werden dann oft als Zumutung oder gar Bedrohung empfunden. Viele Landwirte weisen zu Recht darauf hin, dass sie bereit wären, mehr für den Umweltschutz und das Tierwohl zu tun. Es müsse sich aber auch „rechnen“ und dürfe den Betrieb nicht in die Pleite treiben. Um die strukturellen Probleme zu lösen, bedarf es einer Neuausrichtung der gemeinsamen Agrarpolitik der EU und der konsequenten Nutzung der Spielräume des Bundes und der Länder, um agrarökologische Leistungen der Landwirte stärker zu fördern und zu honorieren. Dazu hat die EKD-Kammer für nachhaltige Entwicklung mehrere Vorschläge gemacht.[35]

In den Agrardialogen, zu denen die Kirche immer wieder einladen sollte, muss deutlich werden, dass die Kirche die Zwangslage, in der sich viele landwirtschaftliche Betriebe befinden, sieht und nicht den Bauern die Schuld für Fehlentwicklungen geben will. Es sollte darum gehen, dass alle Akteure gemeinsam nach Lösungen suchen, sich für bessere Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft einsetzen und das anpacken und gestalten, was schon jetzt möglich ist – zum Beispiel auf den Flächen, die die Kirchen verpachten.

Unabhängig davon ist freilich der Anteil der landwirtschaftlich genutzten kirchlichen Flächen, die ökologisch bewirtschaftet werden, auch systematisch zu erfassen; dass derzeit weder die EKD noch die Landeskirchen imstande sind, entsprechende Anfragen seitens der Politik oder interessierten Öffentlichkeit korrekt zu beantworten, ist ein verwaltungstechnisches Versäumnis.

5.2 Nachhaltig konsumieren und produzieren

5.2.1   . . . in der Agenda 2030

Das SDG 12 „Nachhaltig konsumieren und produzieren“ enthält insgesamt elf Unterziele. Im Wesentlichen stehen die Vermeidung und Verringerung von Abfällen – von Lebensmitteln bis zu Chemikalien – sowie langlebig hergestellte Güter im Vordergrund, deren Produktion die Umwelt schont und sozialverträglich ist. Zunächst wird der bereits bei der Rio+20-Konferenz (2012) beschlossene und anschließend weiterentwickelte Zehn-Jahres-Rahmen zur Sicherstellung nachhaltiger Konsum- und Produktionsweisen bestätigt, für den alle Länder bis 2030 nationale Aktionspläne entwickelt und entsprechende Politiken umgesetzt haben sollen. Konkretisiert wird dies durch weitere Zielformulierungen, wie die „nachhaltige Bewirtschaftung und effiziente Nutzung der natürlichen Ressourcen bis 2013“, der bis 2020 zu erreichende umweltverträgliche Umgang mit Chemikalien oder das bis 2030 deutlich zu verringernde Abfallaufkommen „durch Vermeidung, Wiederverwertung und Wiederverwendung“.

Das Ziel, nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen sicherzustellen, steht darüber hinaus in engem Zusammenhang mit vielen anderen SDGs (etwa sparsamem Wasser- und Energieverbrauch, Klima- und Bodenschutz, Biodiversität u.v. a.). Es ist im Grunde der Kern des Nachhaltigkeitsgedankens, dass der gegenwärtige Verbrauch wie auch die Herstellung von Produkten das Leben künftiger Generationen nicht beinträchtigen darf. Der zentrale Bezugsrahmen bleibt dabei die Belastungsgrenze der Erde. Mithin verkörpert SDG 12 die besondere Anforderung an die Industrieländer, universalisierbare suffiziente Lebensstile zu entwickeln. Im Folgenden werden die Unterziele SDG 12.7 „Öffentliche Beschaffung“ und 12.8 „Informations- und Bewusstseinsarbeit“ in den Fokus genommen.

5.2.2   . . . in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie

Auch die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie hebt die globale Verantwortung der Industrieländer hervor, deren Produktions- und Konsumweisen deutliche Auswirkungen auf die Lebensbedingungen in Entwicklungsländern haben. Zunächst setzt die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie beim Konsumenten an. Der Marktanteil von Produkten mit staatlichen Umweltzeichen soll von sechs Prozent im Ausgangsjahr 2014 auf 34 Prozent bis 2030 ansteigen. Dies allein garantiert jedoch noch keine umfassende starke Nachhaltigkeit im Bereich der Konsum- und Produktionsmuster – insbesondere, wenn gleichzeitig „neue bürokratische Kosten“ vermieden werden sollen. Derzeit ist der Indikator zudem auf bestimmte Produktgruppen begrenzt; deren Ausweitung sowie die Nutzung auch von Sozialsiegeln soll geprüft werden, „wenn in diesem Bereich geeignete Kennzeichnungen vorliegen“. Aus Sicht der EKD-Kammer für nachhaltige Entwicklung wäre es sehr wünschenswert, wenn künftig auch Produkte mit dem etablierten Fairtrade-Siegel einbezogen würden, das von den Kirchen mitgetragen wird.

Die Bundesregierung will selbst mit gutem Beispiel vorangehen und setzt sich für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung ein. Im Bereich der öffentlichen Vergabe hat sich aufgrund einer veränderten Gesetzgebung – in Folge von drei neuen EU-Richtlinien zur öffentlichen Auftragsvergabe – bereits einiges verändert. Die Vergabe orientiert sich nicht mehr allein am Prinzip der Wirtschaftlichkeit, sondern einhergehend mit der Leistungsbeschreibung können auch Kriterien der Nachhaltigkeit aufgenommen werden und damit zur Vergabevoraussetzung gemacht werden. Hierbei spielt allerdings die Umsetzung der Gesetzgebung eine große Rolle, wie jüngst länderspezifisch das „Entfesselungspaket“ in NRW zeigt.[36] Bereits 2015 hat die Bundesregierung das „Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit“ mit Zielen zur nachhaltigen Beschaffung verabschiedet. Auch der 2016 beschlossene Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte verweist auf menschenrechtliche Sorgfaltspflichten im öffentlichen Beschaffungswesen und kündigt vielfältige Maßnahmen an, darunter die Prüfung verbindlicher Mindestanforderungen im Vergaberecht. Das Beschaffungsvolumen der öffentlichen Hand liegt bei geschätzt rund 260 bis 400 Milliarden Euro im Jahr. Die Bundesregierung beabsichtigt nun auch die Prüfung eines weiteren Indikators für die Nachhaltigkeitsstrategie, mit dessen Hilfe die nachhaltige Beschaffung in den Behörden und Einrichtungen der Bundesverwaltung erfasst werden soll.

Der zweite Indikator der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie zu SDG 12 erfasst den „Energieverbrauch bzw. die CO2-Emissionen aus dem Konsum privater Haushalte“. Angestrebt wird eine kontinuierliche Absenkung nicht nur im Hinblick auf die direkten CO2-Emissionen (z. B. durch Heizungen), sondern auch bei den Konsumgütern, deren Herstellung und Distribution miteinbezogen wird. Der dritte Indikator zielt schließlich darauf ab, den Anteil der nachhaltigen Produktion zu steigern und misst dafür die Anzahl der in Deutschland für das Umweltmanagementsystem EMAS (Eco-Management and Audit Scheme) registrierten Organisationsstandorte. EMAS soll freiwillige Beiträge zum betrieblichen Umweltschutz ausweisen, die über gesetzliche Vorgaben hinausgehen. Auch hier fragen Kritiker zu Recht, warum die Bundesregierung nicht stärker über gesetzliche Vorgaben steuernd eingreift.

Insgesamt setzt die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie bei SDG 12 fast ausschließlich auf Bildung und Information. Die Nachhaltigkeitsstrategie verweist auch auf das „Nationale Programm für nachhaltigen Konsum“ von 2016. Danach soll mit Bildung und Information das Verbraucherbewusstsein geschärft werden. Eine Umweltbewusstseinsstudie dokumentiert alle zwei Jahre die Haltung mit Blick auf nachhaltigen Konsum. Dieser Ansatz liegt auf der Linie der Agenda 2030, die als Unterziel 12.8 formuliert: „Bis 2030 sicherstellen, dass die Menschen überall über einschlägige Informationen und das Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung und eine Lebensweise in Harmonie mit der Natur verfügen.“ Es wird deutlich, welch große Bedeutung der Bildungs- und Informationsarbeit in Fragen der Nachhaltigkeit beigemessen wird. Sie soll den Konsum in Richtung auf nachhaltige Produkte lenken und gleichzeitig im Bereich der Herstellung die Innovation von konsequent nachhaltigen Konsumgütern voranbringen. Einerseits ist das zu begrüßen und zu unterstützen. Andererseits muss nachhaltiger Konsum aber auch von der Produktionsseite herangegangen werden. Das von der Bundesregierung initiierte und auch in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie verankerte Textilbündnis könnte hier mehr als bisher die Unternehmen in die Pflicht nehmen und auch obligatorische Regelungen und Sanktionsmaßnahmen anstreben.[37] Hier braucht es eine Kohärenz aller Nachhaltigkeitsthemen im wirtschaftlichen Bereich, wofür der RNE zum Beispiel den Deutschen Nachhaltigkeitskodex erarbeitet hat, der branchenspezifische Erweiterungen ermöglicht, aber eine weitgehende Standardisierung erlaubt. Darüber hinaus sollten zukünftig Indikatoren oder Maßnahmen eingearbeitet werden, die stärker an bereits laufende gesellschaftliche Debatten und Veränderungsprozesse anknüpfen, wie die Verringerung des Fleischkonsums, die Kreislaufwirtschaft, sharing economy und ein verändertes Mobilitätsverhalten.

Die Politik sollte entschlossener politische Rahmenbedingungen schaffen, die nachhaltigen Konsum ermöglichen und erleichtern, und die Verantwortung nicht allein auf die Verbraucherinnen und Verbraucher abschieben.

5.2.3   . . . als Herausforderung für die Kirchen

Mit Blick auf das SDG 12.8 mit seinem Fokus auf der Bildungs- und Bewusstseinsarbeit hat die evangelische Kirche bereits einiges vorzuweisen. Unzählige Seminare, Tagungen und Konferenzen wurden zum Themenbereich Nachhaltigkeit veranstaltet, Vorträge und Diskussionsrunden durchgeführt. Der Gedanke des übermäßigen Verbrauchs von Ressourcen zu Lasten künftiger Generationen und schon jetzt zu Lasten von Menschen auf der Südhalbkugel hat in der Eine-Welt-Arbeit seit Anfang der 1990er Jahre seinen festen Platz. Das Messen des zu großen ökologischen Fußabdrucks oder Rucksacks gehört auf Landesjugendcamps und Kirchentagen in kreativer Form schon länger zum Bestandteil des Programms. In Gottesdiensten, Andachten und Einkehrtagen wird zu einer „Ethik des Genug“ eingeladen, in Aktionen zum „Klimafasten“, in Exerzitien und auf Pilgerwegen wird diese Ethik exemplarisch eingeübt.

Darüber hinaus haben die Inlandsförderung von Brot für die Welt und landeskirchliche Fonds die Aktivitäten von Gruppen, Initiativen und Kampagnen in der Bildungsarbeit durch Beratung und finanzielle Förderung ermöglicht. Ebenso wird an vielen Stellen in der kirchlichen Bildungsarbeit (Kindergärten, Schulen, Konfirmandenunterricht, Erwachsenenbildung) das Thema ethischer und nachhaltiger Konsum bearbeitet. Auch die Partnerschaftsarbeit als ein traditionelles Arbeitsfeld internationaler Begegnung und gegenseitigen Lernens hat das Thema nachhaltigen Konsums mehr und mehr aufgegriffen. Mit Blick auf das SDG 12.7 der öffentlichen Beschaffung waren die Kirchengemeinden, die Dritte- und Eine-Welt-Gruppen vom Anfang der 1990er Jahre (im Nachgang des 1992er Gipfels von Rio) die Protagonisten auf der Ortsebene. Sie haben nicht nur ihre Eine-Welt-Läden betrieben, sondern auch versucht, gemeinsam mit anderen Initiativen im Ort die Stadtverwaltung davon zu überzeugen, dass die Agenda 21 praktische Konsequenzen hat.

Mittlerweile gibt es die Fairtrade Towns, die von dem Engagement ungezählter ehrenamtlicher Mitarbeitender auf lokaler Ebene leben. Diese Gruppen haben ebenfalls versucht, die Abgeordneten mit den Themen des nachhaltigen Konsums und der gemeinsamen Verantwortung in ihren Wahlkreisen zu sensibilisieren. Die Impulse von dort wurden auch auf die Ebene nationaler Politikdiskurse getragen.

Ein wesentlicher Akteur im Feld der nachhaltigen Beschaffung ist der faire Handel selbst. Die Gepa, das größte Fairhandelshaus in Europa, ist ein kirchlich getragenes, ökumenisches Unternehmen. Es ist entstanden aus dem Engagement ehrenamtlich engagierter Menschen in der „Dritte-Welt-Bewegung“, wie sie damals noch hieß. Die Ausweitung dieses Engagements mit dem Transfair-Siegel wird auch heute noch sehr deutlich aus dem Feld der ökumenischen Eine-Welt-Arbeit unterstützt.

Das Engagement für den nachhaltigen Konsum innerhalb der evangelischen Kirche baut also auf einem breit aufgestellten Arbeitsfeld der Eine-Welt- und Umweltarbeit auf. Das Projekt „Zukunft einkaufen“, die Initiative „Der Grüne Hahn“, das Projekt „Ökofaire Gemeinde“, die Rahmenverträge der Wirtschaftsgesellschaft der Kirchen in Deutschland mbH (WGKD), der ökumenische Eine-Welt-Preis – diese Maßnahmen sind wichtige Beiträge für die positive Veränderung der Beschaffung.

Mit Blick auf die von der Bundesregierung angestrebte Ausweitung des nachhaltigen Konsums auf die öffentliche Beschaffung stößt das Engagement in den evangelischen Kirchen allerdings an deutliche Grenzen. Die Umstellung bedeutet in jedem Fall, einen geplanten und strukturierten Prozess anzulegen, der die erfolgreiche Organisation interner Beteiligungs- und Abstimmungsprozesse leistet. Dies erfolgreich zu organisieren, heißt, daraus ein eigenständiges Projekt zu machen. Das geht nicht ohne personelle Ressourcen.

Mit Blick auf die großen Einrichtungen bleibt für die evangelische Kirche und die Diakonie noch viel zu tun. Unabhängig davon, bei welchen Produkten im Bereich des verantwortungsvollen Konsums Umstellungen erfolgen, ist klar, dass diese Prozesse professionell zu organisieren sind. Gerade weil die evangelische Kirche aus guten Gründen die Umstellung auf verantwortungsvollen Konsum anmahnt, muss sich das Engagement im Sinne der Glaubwürdigkeit noch steigern.

Transfair hat mittlerweile Fairtrade-Standards für Textilien entwickelt.[38] Inzwischen gibt es Lizenznehmer, die unter anderem Bettwäsche und Handtücher für Tagungshäuser sowie für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen anbieten. Hier könnte die evangelische Kirche eine Vorreiterrolle einnehmen und anhand von einzelnen diakonischen Einrichtungen und Tagungshäusern beispielhaft zeigen, dass eine Umstellung auf fair produzierte Textilien möglich ist.

Beispiel Christus-Gemeinde Hasbergen

Der Ausschuss für entwicklungsbezogene Bildung und Publizistik (ABP) der evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen hat die evangelisch-lutherische Christuskirchengemeinde Hasbergen ausgezeichnet. Dort wurde erreicht, in Kernbereichen gemeindlicher Arbeit globale Gerechtigkeit und nachhaltiges Wirtschaften zu thematisieren. Dabei gelang es, das Engagement auf viele Füße zu stellen und starke Beteiligung in den einzelnen Projekten der Umsetzung zu schaffen. Gleichzeitig sollte auch in die politische Gemeinde hineingewirkt werden, was mit Kooperationen z. B. mit dem Deutschen Roten Kreuz und dem NABU realisiert wird. Die im Folgenden genannten Bereiche werden kontinuierlich erweitert:

Mittlerweile wurde die Bewirtung auf fair gehandelte ökologisch hergestellte Produkte umgestellt. Eine Frauengruppe betreibt den Verkauf fair gehandelter Produkte mit einem dafür eigens hergestellten Verkaufsstand im Gemeindehaus. Die Anzahl der Produkte ist von anfangs zwölf auf inzwischen 80 verschiedene Lebensmittel angestiegen. Jubilare, Gäste, Mitarbeiterinnen und  Mitarbeiter  werden  mittlerweile  mit  Geschenken  aus dem  fairen Handel bedacht. Bei lokalen Flohmärkten verkaufen Gemeindemitglieder fair gehandelte Produkte. In thematisch ausgerichteten Gottesdiensten, im Konfirmandenunterricht, im Familienzentrum, in der Kindertagesstätte hat der Faire Handel seinen festen Platz und es gibt eine Beteiligung an der jährlichen „Fairen Woche“.

In Kooperation mit der örtlichen Oberschule werden alte Handys gesammelt.

Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter repariert im Laufe des Jahres defektes gespendetes Spielzeug. Dies wird beim Adventsbasar zu einem geringen Preis an bedürftige Menschen verkauft.

Die Gemeinde hat das alte Gemeindehaus abreißen lassen und durch ein neues energiesparendes Gebäude ersetzt. Das Gemeindehaus und die Kirche werden mit Klimagas beheizt. Die Steuerungsanlage wurde erneuert, die Türen der Kirche saniert, so dass mit weniger Energie geheizt wird. Die Beleuchtung in der Kirche wurde auf dimmbare Halogenlampen umgestellt. Auf dem Dach des Gemeindehauses wurde eine Fotovoltaik-Anlage eingebaut, die einer Genossenschaft im Ort gehört. Der gewonnene Strom wird ins allgemeine Netz eingespeist und für diese Menge gibt es einen günstigeren Strompreis. Eine Trinkwasseranlage liefert Tafelwasser für den Bedarf im Gemeindehaus.

Quelle: DVD mit dem Titel „ Ev.-luth. Christuskirche Hasbergen – Faire Gemeinde 2016“

Die Beispiele könnten andere Häuser – auch staatliche – anregen, die Initiative aufzunehmen und selbst aktiv zu werden. Auf diesem Wege würde ebenfalls ein Anreiz für Unternehmer geschaffen, fair produzierte Produkte anzubieten. Die evangelische Kirche würde ihrer Rolle als innovativer Organisation gerecht und könnte dazu beitragen, das von der Bundespolitik auf den Weg gebrachte Textilbündnis weiter voranzubringen.


5.3 Ungleichheiten überwinden

5.3.1  . . . in der Agenda 2030

SDG 10 „Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern“ ist ein wichtiges Ziel der Agenda 2030. Dass es bei den Verhandlungen gelang, ein eigenständiges Ziel zur Reduzierung der Ungleichheit aufzunehmen, ist ein Erfolg. Alle Regierungen haben damit eingestanden, dass die wachsende Ungleichheit weltweit ein großes Problem ist. So hat sich die Einkommensungleichheit in den meisten Ländern der Welt in den vergangenen Jahrzehnten erhöht, genauso wie die wachsende Konzentration von Reichtum in den Händen Weniger. Insbesondere in den reichen Ländern Europas und Nordamerikas hat die soziale Ungleichheit deutlich zugenommen, sodass Armut hier wieder große Bevölkerungskreise betrifft.[39]

Die ersten vier der zehn Unterziele von SDG 10 thematisieren die Verringerung der innerstaatlichen Ungleichheit. Das Einkommen der unteren Einkommensgruppen soll bis 2030 überdurchschnittlich wachsen. Dieses Ziel wird ergänzt um eine verbesserte Inklusion, die Gewährleistung von Chancengleichheit, eine progressive Besteuerung und größere Gleichheit in lohnpolitischen und den Sozialschutz betreffenden Bereichen. Die weiteren Unterziele beziehen sich auf die globale Ungleichheit. So sollen globale Finanzmärkte besser reguliert werden und Entwicklungsländern eine verstärkte Mitsprache in den internationalen Wirtschafts- und Finanzinstitutionen eingeräumt werden. Durch eine planvolle und gut gesteuerte Migrationspolitik soll Menschen eine geordnete, sichere, reguläre und verantwortungsvolle Migration erleichtert werden. Schließlich sollen öffentliche Entwicklungsgelder vor allem den Staaten zu Gute kommen, in denen der Bedarf am größten ist. Die Transaktionskosten für Heimatüberweisungen von Migranten sollen bis 2030 auf weniger als drei Prozent gesenkt werden.

Es ist begrüßenswert, dass Ungleichheit im SDG 10 nicht allein ökonomisch und finanziell verstanden wird. Ungleichheit bedeutet fehlende gesellschaftliche, soziale und kulturelle Beteiligung sowie die Verfestigung von Armut und Diskriminierung der Betroffenen. Kritisch wird hier festgestellt, dass die Zielvorgabe, bis 2030 ein über dem nationalen Durchschnitt liegendes Einkommenswachstum der ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung zu erreichen und aufrecht zu erhalten, nicht unbedingt geeignet ist, die Einkommensungleichheit substantiell zu verringern. Zudem wird die Reduzierung von Ungleichheit abhängig von einem zukünftigen stetigen Wirtschaftswachstum gesehen. Das Ausmaß der bestehenden Ungleichheit von Vermögen und Einkommen sowie die Verantwortung der Reichen und Besserverdienenden werden nicht hinreichend thematisiert. Eine auseinandergehende „soziale Schere“ zwischen Arm und Reich schadet jeder Gesellschaft und hat einen negativen Einfluss auf nahezu alle Indikatoren von Wohlstand und Lebensqualität, vom Gesundheitszustand über die Lebenserwartung bis zur inneren Sicherheit, zum Bildungsstand und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Relevant für das Thema Ungleichheit ist auch SDG 5 „Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen“. So gehen dessen Unterziele auf Formen der Diskriminierung von Frauen und Mädchen, der Gewalt gegen Frauen, von Ausbeutung sowie schädlicher Praktiken wie Kinderheirat, Zwangsheirat und Genitalverstümmelung ein. Darüber hinaus werden die Wertschätzung von Pflege und Hausarbeit sowie geteilte Verantwortung im Haushalt und in der Familie, der Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit, sowie die gleichen Rechte von Frauen auf wirtschaftliche Ressourcen, Zugang zu Grundeigentum, Grund und Boden sowie Finanzdienstleistungen gefordert. Hinsichtlich der Chancengleichheit fordert Unterziel 5, „die volle und wirksame Teilhabe von Frauen und ihre Chancengleichheit bei der Übernahme von Führungsrollen auf allen Ebenen der Entscheidungsfindung im politischen, wirtschaftlichen und öffentlichen Leben“ sicherzustellen. Auch in Deutschland gibt es hier noch Handlungsbedarf, wie die Unterrepräsentierung von Frauen in Führungspositionen und das überproportional hohe Armutsrisiko von Alleinerziehenden und Seniorinnen zeigt.

5.3.2  . . . in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie

Mit Blick auf die Ungleichheit in Deutschland heißt es in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie: „Deutschland verzeichnete bis Mitte der letzten Dekade einen Anstieg der Einkommensungleichheit, der mit einer Zunahme des Niedriglohnsektors zusammenfiel. Allerdings stärkten die Zunahme der Erwerbstätigkeit, der Abbau der Arbeitslosigkeit und der Mindestlohn zugleich die Teilhabemöglichkeiten.“[40] Grundsätzlich tragen in Deutschland Sozialleistungen, Sozialversicherungen und Steuern erheblich zum Abbau von Ungleichheiten beim verfügbaren Einkommen bei. Vermögen sind in Deutschland dagegen wesentlich ungleicher als die Einkommen verteilt. Die von der Bundesregierung geplanten oder bereits umgesetzten Aktivitäten zur Erreichung des SDG 10 in Deutschland beziehen sich auf die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohnes, ein Gesetzesvorhaben, das den missbräuchlichen Einsatz von Werkvertragsgestaltungen verhindern soll und auf die Weiterentwicklung von Arbeitnehmerüberlassung abzielt. Allerdings ist die bisherige Höhe des Mindestlohnes zu gering, um eine nachhaltige Reduzierung von Armut im unteren Einkommensbereich zu erreichen. Nach wie vor steigt in Deutschland die relative Armut bei gleichzeitig abnehmender Erwerbslosigkeit. Eine inklusiv gestaltete Bildung soll selbstverständlich werden, die Chancengerechtigkeit im Bildungssystem erhöht werden. Die Bundesregierung benennt jedoch kaum fiskalische, lohnpolitische und den Sozialschutz betreffende Maßnahmen, die dazu beitragen könnten, durch eine umverteilende Steuer- und Transferpolitik eine größere soziale Gleichheit im eigenen Land herzustellen. Auch das immer wieder betonte bildungspolitische Ziel der Entkoppelung von Bildungserfolg und sozioökonomischer Herkunft wird nicht ausreichend mit wirkungsvollen Maßnahmen unterlegt. Gezielte Maßnahmen, um die bisherigen Fehlsteuerungen beim Familienlastenausgleich zu beheben, fehlen ebenfalls. Nach wie vor ist die Unterstützung Alleinerziehender und Kinderreicher unzureichend.

Hinsichtlich der internationalen Dimension will die Bundesregierung über eine aktive Handelspolitik und das Bündnis für nachhaltige Textilien sowie eine Einflussnahme auf die menschenrechtlichen Standards der Weltbank dazu beitragen, Ungleichheit weltweit zu mindern. Gleichzeitig gibt es aber in der Handelspolitik der EU noch zahlreiche Vorgaben, die in starkem Widerspruch zu den Interessen vieler Entwicklungsländer stehen – und für deren Abbau sich die Bundesregierung verstärkt einsetzen sollte. Zudem sollte die Nachhaltigkeitsstrategie Bezug nehmen auf den Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte und auf eine umfassende Kohärenz von Außenwirtschaftspolitik und Menschenrechten abzielen.

Darüber hinaus will die Bundesregierung Partnerregierungen unterstützen, durch eine progressive Fiskalpolitik die Einkommens- und Vermögensungleichheit einzudämmen. Sie sieht die Stärkung von Staatlichkeit und Zivilgesellschaft als wichtige Faktoren für die Armutsbekämpfung und die soziale Inklusion. Die Bundesregierung will sich auch für eine geordnete, sichere und verantwortungsvolle Migration einsetzen – allerdings werden kaum passende Maßnahmen benannt. Hierfür müssten die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten Vorgehensweisen entwickeln, die es Flüchtlingen ermöglichen, sicher und im Rahmen eines ordentlichen Verfahrens ihre Asylanträge stellen zu können. Auf Grund der demographischen Entwicklungen wie auch in entwicklungspolitischer Hinsicht wäre eine Migrationspolitik wünschenswert, die einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht.

Als Schwerpunkt ihrer Gleichstellungspolitik nennt die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer mit dem Ziel der partnerschaftlichen Aufgabenteilung der Familienarbeit.[41] Sie nimmt sich dafür als ersten Indikator die Messung des Unterschiedes des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes von Frauen und Männern als Zeichen sozialer Ungleichheit vor. 2015 verdienten Frauen in Deutschland durchschnittlich 21 Prozent weniger als Männer. Dieser Wert ist seit 1995 konstant gleichbleibend. Wichtige Gründe dafür sind sowohl die Tätigkeit in schlechter bezahlten Berufen und Hierarchieebenen als auch die nach wie vor z. T. geringere Entlohnung für gleichwertige Tätigkeiten. Die Bundesregierung will diese Differenz bis 2030 auf zehn Prozent verringern. Dies soll erreicht werden durch Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf wie z. B. Ausbau der Kitas, Elterngeld, Pflegeunterstützungsgeld und durch die Einführung von Mindestlöhnen.[42] Als weiteren Indikator führt die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie die Zahl der Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft auf. Konkret misst er den Anteil von Frauen in den Aufsichtsräten der börsennotierten und voll mitbestimmungspflichtigen Unternehmen. Diese waren im September 2016 zu durchschnittlich 27,3 Prozent mit Frauen besetzt. Seit 2016 sind diese Unternehmen jedoch gesetzlich verpflichtet, ihre Aufsichtsräte zu 30 Prozent mit Frauen zu besetzen, andernfalls bleiben die Sitze unbesetzt. Bei den 20 Unternehmen, die im DAX enthalten sind, war das 2016 zwar der Fall, aber nur 9,4 Prozent der Vorstandspositionen sind weiblich. In 76 Prozent aller Vorstände gibt es überhaupt keine Frauen. Als dritter Indikator wird die berufliche Qualifizierung von Frauen und Mädchen durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit genannt. Die Zahl der Mädchen und Frauen, die im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit berufliche Qualifikationsmaßnahmen bekommen, soll von derzeit 350.000 auf 470.000 im Jahr 2030 gesteigert werden.

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat sich immer wieder zu Fragen der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit geäußert. So beklagt sie in ihrer Denkschrift „Solidarität und Selbstbestimmung im Wandel der Arbeitswelt“ von 2015, dass das Kapitaleinkommen im Vergleich zum Arbeitnehmereinkommen stärker angewachsen ist.[43] Sie hält fest, dass wachsende Ungleichheiten sowohl im nationalen als auch im internationalen Kontext aus der Sicht christlicher Ethik nicht hinnehmbar sind: „Auf die Dauer ist eine wachsende soziale Ungleichheit in keiner Gesellschaft der Welt positiv für den gesellschaftlichen Zusammenhalt [. . .] Wer gesellschaftliche Teilhabe für die Menschen in der Gesellschaft fordert, wie dies in christlicher Ethik unabdingbar ist, der kann sich mit sozialer Ungleichheit nicht abfinden.“[44] Demgemäß fordert die evangelische Kirche wirksame Regulationen des Staates zum Abbau von Ungleichheiten, wie etwa Besteuerung von Einkommen oder auch staatliche Transfer- und Sozialleistungen. „Die Verteilung der Einkommen kann nicht allein dem Marktgeschehen überlassen werden. Die Einkommensstarken müssen mehr zu einem funktionierenden Gemeinwesen beitragen und die schwächeren Mitglieder der Gesellschaft bedürfen einer höheren Unterstützung.“[45]

5.3.3  . . . als Herausforderung für die Kirchen und die Diakonie

Die Kirchen engagieren sich auf zahlreichen Arbeitsfeldern, die die Verringerung der Ungleichheit in Deutschland, in Ländern des Südens aber auch zwischen den Ländern zum Ziel haben. Dennoch gibt es auch in der kirchlichen Arbeit noch viel zu tun.

(1)   In Deutschland ist die diakonische Arbeit wichtig, wenn es um die Unterstützung von Menschen geht, die Hilfe benötigen, die am Rande der Gesellschaft stehen, die benachteiligt sind, oder Beratung und Angebote in Anspruch nehmen wollen, um sich aus ihrer Notlage zu befreien. Die Diakonie setzt sich gemeinsam mit den Landeskirchen auf unterschiedliche Weise dafür ein, dass alle Menschen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Es gibt vielfältige Projekte der evangelischen Kirchen und der diakonischen Werke für mehr Teilhabe und Inklusion. ­Kirchen, Kirchengemeinden und diakonische Einrichtungen können dazu beitragen, ein Bewusstsein für Unterschiede, Verschiedenheit und Vielfalt zu entwickeln und diese als etwas Bereicherndes und die Auseinandersetzung Belebendes wahrzunehmen. Ein wertschätzendes Miteinander bedeutet, Barrieren abzubauen, Zugänge für alle zu schaffen und eine Kultur der Teilhabe in diakonischen Werken und an kirchlichen Orten zu gestalten. Dazu dienen auch gemeinsame Projekte, z. B. zur Stärkung von Nachbarschaften und zur Inklusion,[46] kirchlich-diakonische Projekte zur Armutsbekämpfung sowie zur Begegnung und Zusammenarbeit von Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft. Hier sind insbesondere die vielen Tafeln, die Vesperkirchen, Mittagstische, aber auch Kleider- und Bücherläden sowie Begegnungscafés in Gemeindehäusern oder Kirchen- und Diakonieläden in den Fußgängerzonen von Klein- und Großstädten zu nennen.[47] Menschen in privilegierten Positionen können von den täglichen Überlebenskämpfen von Menschen an der Peripherie viel lernen. In gemeinsamen Suchprozessen herauszufinden, was dem gemeinsamen Leben dient und was es zerstört, ist ungemein hilfreich.

Solche Suchprozesse sind auch deshalb sehr wichtig, weil den Kirchen darin deutlich wird, dass es die wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten, die sie in ihren Gesellschaften beklagen, auch in ihren eigenen organisatorischen Strukturen gibt. Das gilt nicht nur international, sondern auch national, innerhalb der evangelischen Kirchen in Deutschland und der Diakonie. Auch wenn die Gehaltsspreizung in den Kirchen nicht mit denen in der freien Wirtschaft vergleichbar ist, gibt es in den Landeskirchen und in der Diakonie immer noch ein deutliches Gehaltsgefälle. In den anstehenden regionalen finanziellen Verteilungsdebatten in Synoden und Haushaltsausschüssen sollten sich die Kirchen um ihrer eigenen Glaubwürdigkeit willen noch mehr um den Abbau von Ungleichheiten und eine angemessene Entlohnung ihrer Mitarbeitenden in ihren eigenen Reihen bemühen.[48] So beschäftigen die evangelische Kirche und die Diakonie ganz überwiegend Frauen, mehr als 70 Prozent der Beschäftigten sind weiblich. Allerdings sind viele kirchliche und diakonische Beschäftigte in sozialen und pflegerischen Berufen tätig, die sich durch ein vergleichsweise niedriges Entlohnungsniveau auszeichnen, obwohl diese Berufe hohe Verantwortung für das Wohl von Menschen haben, zudem sie das Profil von Kirche und Diakonie maßgeblich mitprägen. Eine Strategie zur Anhebung des Entlohnungsniveaus für diese Berufsgruppen steht auch hier noch aus.
 

Die Nationale Armutskonferenz

Die Nationale Armutskonferenz (nak) ist im Herbst 1991 als deutsche Sektion des Europäischen Armutsnetzwerks EAPN (European AntiPoverty Network) gegründet worden. Sie ist ein Bündnis von Organisationen, Wohlfahrtsverbänden (darunter auch der Caritas und der Diakonie) und Initiativen, die sich für eine aktive Politik der Armutsbekämpfung einsetzen. Die nak versteht sich als primär im Bereich des politischen Lobbyismus und der Öffentlichkeitsarbeit tätiger Verbund. Sie arbeitet z. B. im Beirat zum Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung mit, hat mit anderen Organisationen eine nationale Sensibilisierungskampagne zum Armutsthema mit angestoßen und beteiligt sich an der Kampagne For- Teil (Forum Teilhabe). Die nak erarbeitet in Fachtagungen sogenannte „Sozialpolitischen Bilanzen“ zu Teilgebieten des Armutsthemas wie Kinderarmut, Armut und Gesundheit oder Soziokulturelles Existenzminimum (Hartz IV) und verbreitet sie in Pressekonferenzen. Außerdem gibt sie Stellungnahmen ab zu aktuellen gesellschaftlichen Debatten und Politikvorhaben. Auf europäischer Ebene arbeitet sie mit bei sozialpolitischen Veranstaltungen der Europäischen Kommission wie dem Sozialpolitischen Forum und durch Beteiligung an Konferenzen und Seminaren des internationalen Netzwerks EAPN. Die Zusammenarbeit in der nak setzt sich auf Länder-, Kreis- und Ortsebene fort. So existieren bereits fünf Landesarmutskonferenzen (Saarland, Niedersachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen) und weitere regionale Bündnisse. Die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland sind Gastmitglieder in der nak. Den Vorsitz hat derzeit Barbara Eschen, Direktorin der Diakonie Berlin-Brandenburg, inne. (www.nationale-armuts-konferenz.de)


Verein „Gewaltfrei handeln“

Der Verein „Gewaltfrei handeln“ hat seine Wurzeln in der christlichen ökumenischen Friedensarbeit und setzt sich auf vielfältige Weise für Gewaltfreiheit ein. Sein besonderes Profil ist die Verbindung von Aus- und Fortbildung ziviler Konfliktbearbeitung mit religionsübergreifender Spiritualität. Auch in seinen eigenen Strukturen setzt er mit der Zahlung einheitlicher Gehälter und der Entscheidungsfindung durch Konsens Zeichen zur Überwindung von Ungleichheiten. In dem Leitbild des Vereins heißt es:

Mission

Wir arbeiten für die Ausweitung einer gewaltfreien Konfliktkultur und setzen uns für Gewaltverzicht und Rüstungsabbau ein. Dafür braucht es einen Bewusstseinswandel mit persönlichen Entscheidungen für eine Haltung der Gewaltfreiheit. Zu diesem Wandel tragen wir durch Fort- und Ausbildungen in Konfliktbearbeitung und gewaltfreiem Handeln bei.

Unser Handeln lebt aus jüdisch-christlichen Wurzeln. Wir sind offen für Menschen aller Religionen und Weltanschauungen und bieten Raum für die Entwicklung einer eigenen gewaltfreien Haltung.

Konkretion

In unserer Bildungsarbeit verbinden wir gewaltfreies Handeln mit fachlicher Kompetenz und religionsverbindender Spiritualität. Wir bieten Workshops und Seminare für verschiedene Zielgruppen an. Berufsbegleitende Fort- und Ausbildungen zur Fachkraft und zum/zur TrainerIn für gewaltfreie Konfliktbearbeitung ermöglichen weitergehende, lebensprägende Lernerfahrungen. Innerhalb unseres Vereins praktizieren wir übend und selbst lernend das, was wir in unserer Bildungsarbeit vermitteln. Wichtige Entscheidungen treffen wir im Konsens, alle MitarbeiterInnen der Geschäftsstelle erhalten das gleiche Grundgehalt.“
(www.gewaltfreihandeln.de)

(2)   Im internationalen Kontext haben der kirchliche Entwicklungsdienst und die Missionswerke mit ihren Partnern und die kirchliche Partnerschaftsarbeit das Ziel, Menschen in konkreten Notlagen zu unterstützen, Armut zu verringern, Menschen ein Auskommen und Teilhabe in ihren Gesellschaften zu ermöglichen. Gleichzeitig unterstützen die kirchlichen Werke ihre Partner, sich für politische, wirtschaftliche und soziale Rechte und Reformen in ihren Ländern einzusetzen. So fördert Brot für die Welt in über 90 Ländern mehr als 600 Projekte zur Armutsbekämpfung sowie zur Wahrnehmung von grundlegenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rechten und engagiert sich für die Stärkung sozialer Sicherungssysteme weltweit. Brot für die Welt standen für ihre Arbeit im Jahr 2016 Spendenmittel in Höhe von 61,8 Millionen Euro, Mittel des Kirchlichen Entwicklungsdienstes in Höhe von 54,4 Millionen Euro und 141,0 Millionen Euro Bundesmittel zur Verfügung.[49] Hinzu kommt das umfangreiche Engagement in den Landeskirchen, Kirchenkreisen und Kirchengemeinden für ähnliche Projekte im Rahmen ihrer kirchlichen Partnerschaften weltweit – in geschätzter mindestens zweistelliger Millionenhöhe jährlich. Im Bereich Migration engagieren sich die Kirchen derzeit ganz besonders intensiv durch ihre praktische Arbeit mit Flüchtlingen als auch durch ihre Lobbyarbeit für eine bessere Asyl- und Migrationspolitik. Generell verweisen die Kirchen und ihre Werke auf Basis ihrer Erfahrungen aus der konkreten Arbeit immer wieder auf strukturelle Ursachen, die durch ein einzelnes Hilfsangebot zwar gelindert, aber nicht überwunden werden können. Mit Blick auf die gestiegene Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit, wie sie in der Agenda 2030 beschrieben wird, ist es wichtig, dass die Kirchen aus ihren Steuereinnahmen den „Kirchlichen Entwicklungsdienst“ finanzieren und auch Spendenmittel beitragen; ihr Engagement darf hier nicht nachlassen, sondern müsste eher zunehmen.

SDG 10 betrifft aber auch das nationale und internationale Beziehungsgeflecht der Kirchen, in dem sie selbst stehen – hier sind sie in ihrer eigenen Organisation und Prioritätensetzung herausgefordert, selbst geschwisterliche Solidarität für andere vorzuleben, in dem sie ihre Ressourcen noch mehr teilen als bisher. Die evangelischen Kirchen in Deutschland sind trotz der Schrumpfungsprozesse, die durch den demographischen Wandel und die zunehmende Säkularisierung bedingt sind, sowohl finanziell als auch strukturell im Vergleich zu Kirchen in anderen Ländern noch immer sehr gut ausgestattet. Diese Vorteile sollten sie noch stärker nutzen, um die Arbeit der Kirchen in anderen Ländern u. a. auch zur Umsetzung der SDGs zu unterstützen. Zwar gibt es zahlreiche Finanzflüsse von deutschen Kirchen in Partnerkirchen weltweit (Haushaltszuschüsse, Projektfinanzierungen, Finanzierung von Mitarbeitenden, Ausbildungsförderung, Hilfe in Notlagen usw.); jedoch bedarf es hier noch stärkeren Engagements, diese Programme in den Partnerkirchen weiter auszubauen und insbesondere solche Programme zu stärken, die zum Ziel haben, Kirchen und Gemeinden zukünftig finanziell unabhängiger zu machen (z. B. über eigene Kapitalbildung oder Einkommen schaffende Maßnahmen).

(3) Fragen der Geschlechtergleichstellung sind in den evangelischen Kirchen – parallel zu den gesellschaftlichen Entwicklungen – seit langem präsent. Auch in der Kirche erlangten Frauen nach und nach das aktive und – zum Teil zeitlich verzögert – das passive Wahlrecht für gemeindeleitende Gremien und Synoden auf kreis- und landeskirchlicher Ebene.[50] Die volle rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern im Pfarramt wurde in den 1970er und 1980er Jahren gesetzlich verankert. Letzte Ausnahmeregelungen wie das Vetorecht männlicher Pfarrkollegen in Bayern bestanden noch bis 1997.[51] Ausgelöst durch die „Neue Frauenbewegung“ wurde seit Ende der 1970er Jahre auch in der evangelischen Kirche thematisiert und diskutiert, wie nicht nur die formale Gleichbehandlung, sondern auch die gleiche Teilhabe von Frauen in allen Bereichen der evangelischen Kirche befördert und durchgesetzt werden kann. Beschlüsse wie die der EKD-Synode von Bad Krozingen im Jahr 1989 zur Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche begründeten eine aktive kirchliche Gleichstellungspolitik. Sie erklärten die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an allen Ämtern und Diensten und an Leitungspositionen zum Ziel, setzten einen Schlusspunkt hinter die religiös begründete Legitimation patriarchaler Traditionen in der Kirche und trugen die bisher unberücksichtigten Perspektiven von Frauen in Theologie, Kirchengeschichte und liturgische Praxis ein. Seither sind in den Landeskirchen und in der EKD viele Wege zur Gleichstellung der Geschlechter beschritten worden, manche Umsetzung steht aber auch noch aus.

Mit der Dekade „Solidarität der Kirchen mit den Frauen“ des Ökumenischen Rates der Kirchen von 1988 bis 1998 begann in Gemeinden, Landeskirchen und EKD der Diskurs über die Diskriminierung von Frauen in der Kirche und über Maßnahmen, mit denen diese Benachteiligung zu beenden sei. Dabei spielte die Auseinandersetzung mit ­Gewalterfahrungen von Frauen und der Bedeutung von Theologie und Kirche für die Legitimierung dieser Gewalt stets eine bedeutsame Rolle.[52] Eine Stellungnahme der EKD zum Thema Genitalverstümmelung hatte das Ziel, den Kenntnisstand über diese schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte in der Kirche und bei Partnerorganisationen in Mission, Ökumene und Entwicklungsdienst zu erhöhen und das Bewusstsein für die Strafbarkeit dieser Praxis in Deutschland zu unterstreichen.

In den meisten Landeskirchen und in der EKD wurden in den 1990er Jahren Frauenreferate eingerichtet, die mit ihrer Arbeit die Gleichstellung der Geschlechter in der Kirche befördern sollten. Heute existieren in 15 der 20 Landeskirchen Gleichstellungsstellen oder andere Personalressourcen, um die tatsächliche Umsetzung der Geschlechtergleichstellung in der Kirche zu unterstützen. Qualifizierungs- und Mentoringprogramme sollen zu einer Erhöhung des Frauenanteils in Leitungspositionen führen. Zielvorgaben für die ausgewogene Besetzung von Entscheidungsgremien finden sich in verschiedenen kirchlichen Rechtsnormen (in Gesetzen, Ordnungen, Satzungen etc.). Die EKD verabschiedete 2013 ein Gremienbesetzungsgesetz, das für EKD-Gremien das sog. Reißverschlussverfahren etabliert. Einige Landeskirchen haben diese Regelungen in landeskirchliches Recht übernommen. Offen ist bisher, ob die Regelungen dauerhaft ihren Zweck erfüllen, da sie für den Fall der Nichteinhaltung keine Sanktionen vorsehen. Der Atlas zur Gleichstellung von Männern und Frauen in der evangelischen Kirche (2014) weist unter anderem einen auffällig niedrigen Frauenanteil auf der mittleren Leitungsebene der Kirche von EKD-weit nur 21 Prozent aus. Die Studie „Kirche in Vielfalt führen. Eine Kulturanalyse der mittleren Leitungsebene der evangelischen Kirche“ (2017) zeigt deutlichen Handlungsbedarf bei der Gestaltung von Personalauswahlprozessen und Arbeitsbedingungen in den Landeskirchen auf. Nach wie vor behindern stereotype Geschlechterbilder und intransparente Verfahrensabläufe, dass das kirchliche Leitungspersonal vielfältiger wird. Die fehlende Vereinbarkeit der Ämter mit familiärer Sorge und mit Dual-Career-Konstellationen stellt die Landeskirchen ebenfalls vor neue Herausforderungen, die in den kommenden Jahren zu bearbeiten sind.

Hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf versteht sich die Kirche als Anwältin für die Belange von Familien, wobei hier ein erweiterter Familienbegriff zugrunde liegt. Eine familienorientierte Personalpolitik ist in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen allerdings noch selten regulär implementiert.[53] Zwar beinhaltet das kirchliche Arbeitsrecht – anders als die derzeitigen gesetzlichen Regelungen – in der Regel Möglichkeiten der zeitlichen Befristung von Teilzeittätigkeit. Oft hängt es allerdings von der Haltung des jeweiligen Vorgesetzten ab, welche Möglichkeiten der Vereinbarkeit tatsächlich genutzt werden können. Zur stärkeren Etablierung einer familienorientierten Personalpolitik haben Kirche und ihre Diakonie 2017 ein „Evangelisches Gütesiegel Familienorientierung“ auf den Weg gebracht, das kirchliche und diakonische Einrichtungen bei der Etablierung einer familienorientierten Personalpolitik unterstützen soll. Hier wie auch in anderen Fragen ergeben sich also bleibende Herausforderungen für Politik und Gesellschaft. Auf diese hinzuweisen, bleibt nach wie vor eine Aufgabe von Kirche und ihre Diakonie.

5.4  Das Klima schützen, Kohleausstieg und nachhaltige Mobilität fördern

5.4.1 . . . in der Agenda 2030

Die Bewahrung der Schöpfung wird als Zielsetzung internationaler Umweltpolitik besonders sichtbar in den Bemühungen um den Klimaschutz. Seit der UNCED-Konferenz von Rio de Janeiro vor 25 Jahren gab es eine Reihe von Meilensteinen auf dem Weg, die durchschnittliche Erwärmung der Erde zu beschränken, insbesondere das Kyoto-Protokoll vom Dezember 1997 und das Pariser Übereinkommen vom Dezember 2015, in dem eine Begrenzung der von Menschen verursachten Klimaerwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten als Ziel vereinbart wurde. Dieses Abkommen erkennen alle Staaten der Erde an – bis auf Nicaragua, Syrien und neuerdings auch die USA nach der Politikwende durch Präsident Trump.

Der Klima-Konferenz von Paris war die Verabschiedung der SDGs um vier Monate vorausgegangen. SDG 13 fordert, „umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen“ zu ergreifen. Dort wird auch auf die Klimarahmenkonvention und die dazugehörigen Verhandlungen verwiesen. Damit soll die Kontinuität der Ziele aus dem Rio-Prozess gewährleistet werden. Erfasst werden soll unter anderem, wie viele Länder melden, dass sie Klimaschutzmaßnahmen in ihre nationalen Politiken, Strategien und Planungsprozesse integriert haben. Darüber hinaus haben die Verhandler von SDG 13 die in Paris beschlossenen Verpflichtungen zur Minderung von Klimagasen komplementär mit den Herausforderungen der Frühwarnung, Anpassung und Risikominimierung zusammengebracht.

So fordert das erste Unterziel, die „Widerstandskraft und die Anpassungsfähigkeit gegenüber klimabedingten Gefahren und Naturkatastrophen in allen Ländern zu stärken“. Dazu passend sollen die Bildung und das Bewusstsein sowie menschliche und institutionelle Kapazitäten gestärkt werden. Vielfältige Bezüge bestehen zu anderen SDGs, wie etwa zu SDG 7 (bezahlbare und saubere Energie), SDG 2 (Landwirtschaft) oder 9 (Industrie, Innovation und Infrastruktur). Da es um Transformation und damit um strukturelle Umbrüche geht, sind immer auch soziale Probleme in den Blick zu nehmen (SDG 8 zu Arbeit und SDG 10 zu Ungleichheit), vor allem mit Blick auf verletzliche und marginalisierte Gruppen.

Bei der Umsetzung der Klimaziele wird gerade in entwickelten Ländern wie Deutschland deutlich, dass Kohleausstieg und nachhaltige Mobilität besondere Herausforderungen darstellen. In der Agenda 2030 fehlt ein klares Bekenntnis zum Kohleausstieg. Stattdessen heißt es in SDG 7, man wolle „den allgemeinen Zugang zu einer bezahlbaren, verlässlichen, nachhaltigen und modernen Energieversorgung“ erweitern, dabei „bis 2030 den Anteil erneuerbarer Energie am globalen Energiemix deutlich erhöhen“. Außerdem sollen Forschung und Technologie sowie „Investitionen in die Energieinfrastruktur und saubere Energietechnologien“ sowohl für erneuerbare Energien als auch fossile Brennstoffe gefördert werden.

Der Verkehr – und hier vor allem der Flugverkehr, der motorisierte Individualverkehr und der Güterverkehr – haben in den letzten Jahren bei weitem nicht die Reduktionsbeiträge erbracht, die zur Erreichung des Klimaziels 2020 erforderlich wären. Nicht nur, dass die Vorstellungen zum Ausbau der Elektromobilität nicht erreicht werden konnten – auch ist das Transportaufkommen, sowohl im Personen- als auch im Güterbereich stetig gewachsen. Mobilität wird nun in den 17 SDGs nicht direkt als eigenständiges Entwicklungsziel repräsentiert. Aber Mobilität spielt zur Erreichung anderer SGDs eine herausgehobene Rolle: im Bereich Nahrungsmittelsicherheit und Gesundheit, Energie und Infrastruktur sowie insbesondere beim Ziel „nachhaltige Städte und Gemeinden“ (SDG 11). Danach soll bis 2030 der Zugang zu „sicheren, bezahlbaren, zugänglichen und nachhaltigen Verkehrssystemen für alle“, insbesondere durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, ermöglicht werden.

5.4.2  . . . in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie

Die Bundesrepublik Deutschland hat in ihrer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie das Klimaziel mehrfach aufgenommen: Zentral zunächst durch die Zielvorstellungen im Indikator 13.1.a, der Entwicklung der Treibhausgasemissionen in CO2-Äquivalenten. Hier ist das Ziel der Bundesregierung, die Emissionen bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu senken. Da bis 2015 ein Rückgang vermutlich nur um 27,8 Prozent erreicht war, gilt es derzeit als höchst fraglich, ob das Ziel noch realisiert werden kann. Weitere Reduktionen sollen bis zur Jahrhundertmitte folgen: mindestens 55 Prozent bis 2030, 70 Prozent bis 2040 und schließlich 80 bis 95 Prozent bis 2050. Mit einem zweiten Indikator werden internationale Zahlungen vorwiegend an Entwicklungs- und Schwellenländer zur Reduktion von Treibhausgasen und zur Anpassung an den Klimawandel ausgewiesen.

In den Diskussionen um die Transformation in Richtung auf zukunftsfähige Energieversorgungssysteme, ohne die ein Erreichen der Klimaschutzziele gar nicht möglich sein wird, ist zunehmend deutlich geworden, dass Kohleverbrennung nur als Übergangstechnologie genutzt werden kann und möglichst bald zu beenden ist. Durch die notwendige Umstrukturierung ganzer Industrie- und Bergbauregionen stellen sich hier auch soziale Probleme, die nicht einfach zu bewältigen sind. Berufliche Fähigkeiten und Kenntnisse werden nicht mehr benötigt, Beschäftigungsbereiche fallen in größerem Stil weg; dem steht der Erhalt von Ortschaften gegenüber, die bei einer Fortführung des Bergbaus hätten aufgegeben werden müssen. An diesem Punkt müssen Entscheidungen für eine langfristig zukunftsfähige Infrastruktur getroffen werden. Nach dem Atomausstieg muss nun der Kohleausstieg geplant und umgesetzt werden. Dabei müssen die politischen Entscheidungen terminiert werden, ab wann der Verbrauch der Kohle und ihre Förderung beziehungsweise ihr Import zu reduzieren und schließlich einzustellen ist. Der überwiegende Anteil der heute bekannten fossilen Brennstoffreserven muss unter der Erde bleiben, wenn die Klimaschutzziele erreicht werden sollen.

Das bedeutet, dass der kritische Zeitpunkt bereits erreicht ist, wenn es um die Planung und den Neubau von Kohlekraftwerken geht. Sie sind im Betrieb unflexibel und wären daher in einer neuen Struktur der Stromversorgung nicht mehr zeitgemäß. Derzeit werden Szenarien diskutiert, die den Ausstieg aus der Braunkohle bis 2030 und aus der Steinkohle bis 2040 vorsehen – unter der Annahme, eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien bis 2050 erreichen zu können. Überdies hätten neu errichtete Kohlekraftwerke bis zur Mitte des Jahrhunderts keinesfalls das Ende ihrer wirtschaftlichen Lebensdauer erreicht. Allerdings hängt das Kriterium der Wirtschaftlichkeit stark von den jeweiligen politischen Rahmenbedingungen ab. Nur weil der europäische Emissionshandel im Grunde keine ausreichende Lenkungs-wirkung entfalten kann, da zu viele CO2-Emissionsrechte auf dem Markt sind, ist es derzeit so billig, Braunkohle zu nutzen.

Ein Ausstieg aus der Kohle würde daher bedeuten,

  • den europäischen Emissionshandel zu einem wirkungsvollen Instrument zu machen, um die externen Effekte in die Stromentstehungskosten der verschiedenen Energieträger besser mit einzubeziehen,
  • die Planung und Errichtung neuer Anlagen sofort zu beenden,
  • Braunkohleabbau nur noch im Rahmen der Kapazitätsplanung eines Ausstiegs bis 2030 zuzulassen und unter diesen Rahmenbedingungen die Genehmigung neuer Tagebaugebiete – wie etwa in der Lausitz – zu überprüfen,
  • die rechtlichen Rahmenbedingungen des Ausstiegs zügig vorzubereiten und umzusetzen, um Pannen wie bei dem Atomausstieg zu vermeiden,
  • Kapitalanlagen aus dem Bereich Braunkohle, Steinkohle und der damit betriebenen Energiegewinnung im Rahmen des Ausstiegsszenarios zu beenden (Divestment) oder diese Form der Kapital-Anlagen allenfalls in Form eines „Engagement-Ansatzes“ fortzuführen.

In die Indikatorenliste der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie sind im Abschnitt 11.2 drei Mobilitätsindikatoren aufgenommen worden. Hier wird deutlich, dass gerade beim Endenergieverbrauch im Güterverkehr der Anstieg der Güterverkehrsleistung nicht durch technische Fortschritte kompensiert werden konnte. Zudem sind die Auswirkungen der Mobilität auf die Umwelt gerade in Deutschland durch den „Dieselskandal“ intensiv in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt. Die Überlegungen zur Gestaltung der Mobilität sind zwar nicht neu, aber nicht weniger aktuell und drängend geworden: Verkehrsvermeidung durch Veränderung der Gütertransporte und auch der (unfreiwilligen) Mobilität im Bereich des Personenverkehrs, etwa durch Vermeidung von Pendlerströmen durch intelligente Siedlungsstrukturen, weitere Erhöhung der Effizienz, die sich im Energieverbrauch je Tonnen- oder Personenkilometer niederschlägt, Ausbau alternativer Transportformen, Umstellung auf schadstoffarme Antriebstechnologien, nicht zuletzt durch Förderung des nicht motorisierten Verkehrs, schließlich langfristig geplante Änderung der rechtlichen Rahmenstrukturen.

5.4.3  . . . als Herausforderung für die Kirchen

Auch viele evangelische Kirchen haben sich eigene Reduktionsziele gesetzt. Mit ihrem Beschluss vom November 2008 hatte die Synode der EKD weitreichende Ziele und Maßnahmen zur praktischen Umsetzung des Klimaschutzes in Form einer Bitte an den Rat der EKD gerichtet, der in einen intensiven Dialog mit den Gliedkirchen zu Fragen der Schöpfungsverantwortung treten sollte:[54]

  1. Der Rat der EKD möge den Gliedkirchen vorschlagen, das Ziel anzustreben, im Zeitraum bis 2015 eine Reduktion ihrer CO2-Emissionen um 25 Prozent – gemessen am Basisjahr 2005 – vorzunehmen. Dazu mögen die Gliedkirchen zur Klimaproblematik­ Runde Tische bilden.
  2. Der Rat der EKD möge den Gliedkirchen vorschlagen, das notwendige energie- und klimapolitische Umdenken in der Gesellschaft durch Bildungs- und Jugendarbeit, insbesondere mit Hilfe der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt“, in den Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen zu befördern.
  3. Die Synode greift die Empfehlung X der Botschaft der Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Sibiu auf und bittet den Rat der EKD, für einen gemeinsamen europäischen ökumenischen Tag der Schöpfung im Zeitraum vom 1. September bis 4. Oktober einzutreten.
  4. Der Rat der EKD wird gebeten, nach drei Jahren der Synode über den Stand der Umsetzung zu berichten.

Die Synode der EKD hat in entsprechenden Klimaberichten 2011 und 2014 Zwischenberichte zu dieser Zielsetzung zur Kenntnis genommen und mit weitergehenden Beschlüssen zur Umsetzung reagiert. Bereits damals konnte festgestellt werden, dass durch das „Förderprogramm der nationalen Klimaschutzinitiative“ des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) zum Teil eine gewisse Standardisierung des Vorgehens erreicht werden konnte. Landeskirchen und Kirchenkreise, die das Programm nutzen wollen, können bei der Antragstellung und der Durchführung Beratung durch das „Projektbüro Klimaschutz“ in Anspruch nehmen; die EKD ist außerdem Mitgesellschafterin der mittlerweile ökumenisch und auch international agierenden Klima-Kollekte, mit deren Hilfe verbleibende CO2-Emissionen kompensiert werden können. Mittlerweile sind weit über die Hälfte der Landeskirchen mit der Umsetzung eines integrierten Klimaschutzkonzeptes beschäftigt.

Im Klimabericht 2017, der der Synode der EKD im November 2017 vorlag,[55] wird davon ausgegangen, dass das Einsparziel für 2015 – 25 Prozent Emissionsreduktion im Vergleich zu 2005 – in den Gliedkirchen der EKD insgesamt mit hoher Wahrscheinlichkeit erreicht werden konnte. Die Synode der EKD hat in einem erneuten Beschluss zu Fragen der Klimapolitik die EKD, die Gliedkirchen und die Werke noch einmal gebeten, bis 2020 ein Ziel von 40 Prozent Emissionsreduktion zu verwirklichen. Dazu müssen ausreichende Finanzmittel insbesondere für investive Maßnahmen im Gebäudebereich zur Verfügung gestellt werden; außerdem müssen Konzepte zur nachhaltigen Mobilität und zur umweltfreundlichen Beschaffung umgesetzt werden. Die Beratungs- und die Bildungsarbeit müssen auch nach einem Auslaufen der Förderung durch die nationale Klimaschutzinitiative aufrechterhalten werden. Insgesamt stehen die Kirchen vor der Herausforderung, im Horizont der Klimaneutralität, die bis 2050 erreicht werden sollte, weitere Zwischenziele bis 2030 zu planen.[56] [57]

Der Grüne Hahn/Der Grüne Gockel
Umweltmanagement für Kirchengemeinden

Beim „Grünen Gockel“ oder „Grünen Hahn“ – je nachdem, wo man sich in Deutschland befindet – handelt es sich um ein speziell auf Kirchengemeinden und kirchliche Einrichtungen zugeschnittenes Umweltmanagementsystem. Grundlage hierfür ist die EMAS-Verordnung sowie die DIN EN ISO 14001.

Der „Grüne Hahn/Gockel“ zielt, im Vergleich zu EMAS und ISO 14001, sehr konkret auf die Bedingungen kirchlicher Einrichtungen und garantiert damit weniger Aufwand bei vergleichbarer Wirksamkeit. Damit soll eine einfachere Anwendung in Kirchengemeinden, die doch überwiegend durch ehrenamtliche Arbeit geprägt sind, gewährleistet werden. Jede Kirchengemeinde kann den „Grünen Hahn/Gockel“ einführen. Die teilnehmenden Gemeinden werden dabei von ehrenamtlichen Umweltauditoren beraten. Die Anforderungen des „Grünen Hahns/Gockels“ sind in einem Leitfaden beschrieben und in einem Handbuch dokumentiert. Diese Arbeitshilfen verdeutlichen der Kirchengemeinde Schritt für Schritt, wie sie zu einem zertifizierten Umweltmanagementsystem kommt, mit dem eine kontinuierliche Verbesserung der Umweltleistungen einhergeht. Ziel des „Grünen Hahns/Gockels“ ist es, die Umweltleistungen der geprüften Einrichtungen kontinuierlich zu verbessern. Dazu zählen nicht nur der Klimaschutz, sondern auch die Reduktion des Wasserverbrauchs oder des Abfallaufkommens und auch Aspekte der Umweltbildung oder Öffentlichkeitsarbeit. Neben der Schonung der Umwelt hat das Umweltmanagementsystem auch den Vorteil, dass sich die Betriebskosten verringern lassen und somit der finanzielle Spielraum der Einrichtungen vergrößert wird.

Quelle: KirUm-Dokumentation „Klimaschutz konkret: Grüner Hahn/Grüner Gockel, Informationen zum Kirchlichen Umweltmanagement“, Stuttgart Oktober 2008 (Auflage vergriffen).

Der „Grüne Hahn/Gockel“ wurde zwischen 1999 und 2002 im Rahmen eines DBU-Projektes vom Umweltreferat der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Evangelischen Landes- kirche in Württemberg gemeinsam mit zahlreichen Kooperationspartnern entwickelt. Die Akteure des kirchlichen Umweltmanagements haben sich im KirUm-Netzwerk zusammengeschlossen, einem Vernetzungs- und Dienstleistungsangebot unter dem institutionellen Dach von KATE e. V. Fast 70 kirchliche Organisationen sind Mitglied im KirUm-Netzwerk.57 Neben dem Kirchenamt der EKD und seiner Dienststelle in Berlin haben sich bislang schon sechzehn Landeskirchen an Umweltzertifizierungssystemen – EMAS oder Grüner Hahn/ Grüner Gockel – beteiligt.

Quelle: Der Text beruht teilweise auf Teichert, Volker / Tenzer, Frank / Zeibig, Michael (2011): Alternative Globalisierung im Dienst von Menschen und Erde. Karlsruhe: Abteilung Mission und Ökumene der Evangelischen Landeskirche in Baden, 34 ff.

Auch für die Kirchen ist der Ausstieg aus der Kohle eine Herausforderung, weil die sozialen Folgen dieses Ausstiegs auch in den Kirchengemeinden zu spüren sind. Das betrifft Kirchengemeinden im Rheinland ebenso wie in der Lausitz. Hier ist Kirche zum einen in ihrer seelsorgerlichen Rolle wie auch als Mittlerin zwischen verschiedenen Interessen gefordert, wie das „Zentrum für Dialog und Wandel“ in der Niederlausitz anschaulich verdeutlicht.

Das „Zentrum für Dialog und Wandel“ in der Niederlausitz

Mit dem „Zentrum für Dialog und Wandel“ (ZDW) beschreitet die Evangelische Kirche Berlin- Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) einen neuen Weg. Zum 1. September 2017 ist die gemeinsame Einrichtung der Landeskirche und der vier Lausitzer Kirchenkreise in der EKBO an den Start gegangen, um den Strukturwandel in der Lausitz kirchlich zu begleiten.

Das ZDW bietet eine Plattform zur Verständigung von Akteuren in den vielfältigen Bereichen, die zu einem guten Leben in der Lausitz einen eigenen Beitrag leisten können. Hier werden künftig Dialogformate gestaltet und Zukunftswerkstätten durchgeführt, die sich aus der genauen Wahrnehmung der Situation und aus den Gesprächen mit Menschen, die in der Lausitz leben und für die Lausitz arbeiten, entwickeln. Dazu werden auch die Partnerbeziehungen der EKBO, vor allem auch nach Polen und Tschechien, einbezogen.

Generalsuperintendent Martin Herche, Kuratoriumsvorsitzender, erläutert dazu: „Die Herausforderungen in der Lausitz angesichts des ja schon langen währenden Strukturwandels sind riesig, aber kein Grund zur Resignation. Ich bewundere alle, die sich mit Herz und Verstand für die Gestaltung einer guten Zukunft in der Region einsetzen. Unsere Kirche will das große Engagement der Menschen in der Region unterstützen und sich mit dem Zentrum für Dialog und Wandel profiliert in diesen Gestaltungsprozess einbringen.“

Die Gründung des Zentrums geht auf einen Beschluss der Landessynode zurück. Die Landeskirche beteiligt sich mit zunächst 100.000 Euro pro Jahr für sechs Jahre, die Kirchenkreise Cottbus, Niederlausitz, Schlesische Oberlausitz und Senftenberg-Spremberg mit insgesamt 25.000 Euro pro Jahr.

Quelle: Niederlausitz aktuell, 8.9.2017; http://www.niederlausitz-aktuell.de/cottbus/68410/lausitzer- strukturwandel-zentrum-fuer-dialog-und-wandel-in-cottbus-eroeffnet.html.

Ein weiteres praktisches Beispiel für den Kohleausstieg als Herausforderung an die Kirchen ist die Frage nach kirchlichen Empfehlungen zum Investment oder Divestment von Kapital in die Kohleförderung. Solche Empfehlungen finden sich z. B. in aktuellen Synodenbeschlüssen, die besagen, sich mit Blick auf kirchliches Anlagekapital nach und nach aus Kohle-, Öl- und Gasunternehmen zurückzuziehen.

Divestment für Kohle, Öl- und Gasindustrie

Der EKBO (Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz) wurde im Mai 2017 von der Gruppe Fossil Free Berlin der „Positive-Divestment-Award“ verliehen. Denn seit Januar 2017 schließt die Landeskirche Unternehmen aus ihren Investitionen aus, die „Atomenergie produzieren oder die in ihrer Wertschöpfungskette Umsatzanteile von mehr als 30 Prozent aus den fossilen Brennstoffen Kohle, Erdöl und Erdgas generieren“. Es ist ihr „nicht mehr gleichgültig, wo und für was ihr Geld investiert wird“, und sie bezieht sozialverträgliche, ökologische und generationengerechte Kriterien mit ein. Die EKBO ist damit eine der Landeskirchen in Deutschland, die Gelder aus der klimaschädlichen Kohle-, Öl- und Gasindustrie abzieht. Die Evangelische Landeskirche Hessen-Nassau ist bereits im November 2015 diesen Schritt gegangen und gehört damit zu den Vorreitern in Deutschland.

Quelle: https://gofossilfree.org/de/zur-wahrung-der-schoepfung/

Der Arbeitskreis Kirchlicher Investoren (AKI) der EKD befasst sich seit 2015 intensiv mit diesem Thema, führt Gespräche mit NGOs und Dienstleistern für die Umsetzung von Klimastrategien und hat als Ergebnis dieser Gespräche seinen Leitfaden[58] dahingehend aktualisiert, dass er eine Anlageempfehlung zum Divestment beschlossen hat. Unter anderem werden auch Sektoren in Betracht gezogen, die Öl und Kohle weiterverarbeiten, insbesondere die Zement- und Stahlindustrie. Die evangelischen Landeskirchen haben sich in der Regel keine eigenen Mobilitätsziele gesetzt, sondern betrachten das Management der Mobilität der Mitarbeitenden sowie Besucherinnen und Besucher kirchlicher Einrichtungen als Bestandteil ihrer integrierten Klimaschutzprogramme – wohl wissend, dass Mobilität neben ihren Beiträgen zur Klimaproblematik noch zahlreiche andere externe Effekte hat. In diesem Sinn sind aber kirchliche Mobilitätsprogramme auch als Beitrag zur Erreichung der Klimaziele zu verstehen. Eine besonders klimaschädliche Form der Mobilität sind Flugreisen. Daher haben zahlreiche Landeskirchen und Einrichtungen Flugverbote für innerdeutsche Dienstreisen in ihren Reiseordnungen festgelegt. Brot für die Welt, das Kirchenamt der EKD, Landeskirchen und kirchliche Organisationen wie zum Beispiel das Institut für Kirche und Gesellschaft kompensieren Auslands-dienstreisen über die Klima­kollekte.[59] Dies ist aber nur ein erster Schritt. Es gilt, die Mobilität in allen kirchlichen Handlungsfeldern klimaschonender zu gestalten: Anreize zu schaffen, um auf den ÖPNV umzusteigen, im Nahbereich Fahrräder mit und ohne elektrische Unterstützung einzusetzen, bei Großveranstaltungen die öffentliche Anreise attraktiv zu organisieren und vieles mehr.

Elektrisch unterwegs in der Kirche: ein Projekt der Nordkirche

Eine Möglichkeit, die Emissionen im Verkehrssektor zu senken, ist der Umstieg auf Elektro- fahrzeuge. Denn auch mit Elektroautos sind Pastoren und Pastorinnen sowie andere Mitarbeitende der Kirchen mobil. Die meisten Autofahrer in Deutschland fahren selten mehr als 80 Kilometer an einem Tag. Die jüngste E-Auto-Generation bewältigt Strecken von ca. 250 Kilometer mit einer Akkuladung.

Die Speicherkapazitäten der Akkus werden größer, die Ladezeiten kürzer. Für die Nordkirche sind solche Elektroautos interessant, die eine große Reichweite haben und zudem innerhalb von zwei bis drei Stunden ihren Akku beinahe wieder voll aufladen können. Damit möglichst viele Orte mit Elektroautos erreichbar sind, baut die Nordkirche eigene Ladepunkte auf. Dazu sollen geeignete Stellen identifiziert werden. Möglich sind vor allem Tagungs- und Bildungseinrichtungen, Beherbergungsstätten und Gebäude mit größeren Sitzungsräumen, aber auch Parkplätze an Kirchenvorplätzen oder Gemeindehäusern.

Die Nordkirche will eigene Ladepunkte installieren. Dadurch soll das Netz der Ladeinfrastrukturen engmaschiger und attraktiver werden, sodass auch im gesamten Gebiet der Nordkirche der Einsatz von Elektrofahrzeugen möglich ist. Dazu werden zurzeit die Stand- orte bestehender Ladepunkte, die der Nordkirche gehören oder von Mitarbeitenden der Nordkirche genutzt werden können, aufgelistet. Die Liste sollte anschließend folgende Informationen beinhalten:

  • Wo kann geladen werden? (genaue Adresse und Standort; z. B. Tiefgarage)

  • Wie kann geladen werden? (Ladekapazität und Kompatibilität)

  • Wer ist der Ansprechpartner? (Name, Telefonnummer, muss man sich anmelden?)

Quelle: Evangelisch-lutherische Kirche für Norddeutschland (Hrsg.): Kirche für Klima – Elektromobilität (2017); https://www.kirchefuerklima.de/mobilitaet/elektromobilitaet.html.

 

[29]   Vgl. Unser tägliches Brot gib uns heute. Neue Weichenstellung für Agrarentwicklung und Welternährung, EKD-Texte 121, Hannover 2015; https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/ekd_texte_121.pdf.

[30]   Vgl. Kundgebung der EKD-Synode 2013: Es ist genug für alle da. Welternährung und nachhaltige Landwirtschaft; https://www.ekd.de/synode2013/s13_beschluss_kundgebung.html

[31    Vgl. Neuorientierung für eine nachhaltige Landwirtschaft. Ein Diskussionsbeitrag zur Lage der Landwirtschaft mit einem Wort des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und des Vorsitzenden des Rates der EKD, Gemeinsame Texte 18, Hannover/Bonn 2003, S. 28 – 37; https://www.ekd.de/neuorientierung_landwirtschaft2.html

[32]   Vgl. Empfehlungen in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers, Biodiversität auf kirchlichen Friedhöfen, unter: http://www.kirchliche-dienste.de/arbeitsfelder/umweltschutz/Naturschutz-auf-Friedhof

[33]   Das Landpachtvertragsmuster der EKD einschließlich der zugehörigen Hinweise und Empfehlungen wurde zuletzt 2016 überarbeitet. Hinzuweisen ist auch auf das Positionspapier der Grundstückskommission der EKD zur Nutzung und Vergabe kirchlicher Flächen „Kirchliche Strategien und Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Bodenpolitik und Landnutzung“, das den Gliedkirchen der EKF April 2017 übersandt wurde.

[34]   Während in einigen Landeskirchen die Pachteinnahmen für die Finanzierung der kirchlichen Arbeit nur eine untergeordnete Rolle spielen, decken sie in anderen bis zu 25 Prozent der Pfarrbesoldung ab, was zu Konflikten bei der Bewertung von ökologischen und ökonomischen Zielen führen kann.

[35]   Vgl. z. B.: Leitlinien für eine multifunktionale und nachhaltige Landwirtschaft. Zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union. Eine Stellungnahme der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung, EKD-Texte 114, Hannover 2011; https://www.ekd.de/6-Empfehlungen-der-Kammer-fur-nachhaltige-Entwicklung-fur-den-weiteren-Reformprozess-der-Europaischen-Agrarpolitik-850.htm.

[36]    Erst im April 2017 trat das überarbeitete Tariftreue- und Vergabegesetz (TVgG) in NRW in Kraft. Die neue Landesregierung konterkarierte dies jedoch bereits im Sommer, indem sie das „Entfesselungspaket I“ vorstellte, mit dem sie die enthaltenen Regelungen zur Einhaltung internationaler Arbeitsrechte und Umweltstandards beim öffentlichen Einkauf wieder abschaffen will. (Quelle: https://www.femnet-ev.de/index.php/124-pressemitteilungen/769 – 11 – 07 – 2017-produkte-aus-kinderarbeit-wieder-zulaessig)

[37]    Ein positives Beispiel dafür ist der Accord, ein Abkommen für Brandschutz- und Gebäudesicherheit, das im Zuge der Rana-Plaza-Katastrophe in Bangladesch initiiert wurde. Hierbei geht es nicht um einen freiwilligen Zusammenschluss von Multistakeholdern, sondern um ein verpflichtendes, mit Sanktionen belegtes Abkommen; vgl. http://bangladeshaccord.org.

[38]    Neben der fairtrade-zertifizierten Baumwolle gibt es mittlerweile auch den Fairtrade-Textilstandard, der nicht mehr auf Baumwolle beschränkt ist, alle Stationen der Wertschöpfungskette umfangreicher fördert, sowie einen existenzsichernden Lohn anstrebt. Momentan durchlaufen die ersten Unternehmen die Auditierungen; vgl.

       https://www.fairtrade-deutschland.de/fileadmin/DE/01_was_ist_fairtrade/02_fairtrade-siegel/02.2Spezialsiegel/Textilstandard_und_-programm/fairtrade_textile_briefing_extern.pdf.

[39]    Vgl. Branko Milanovic (2013): Global Income Inequality in Numbers: in History and Now, in: Global Policy Nr. 4, Jg. 2, S. 198 – 208.

[40]    Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie (Neuauflage 2016), S. 149; https://www.bundesregierung.de/Content/Infomaterial/BPA/Bestellservice/Deutsche_Nachhaltigkeitsstrategie_Neuauflage_2016.pdf?__blob=publicationFile&v=19.

[41]    A.a.O., S. 96.

[42]    A.a.O., S. 100.

[43]    Vgl. Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, Gütersloh 1997, S. 51; https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/sozialwort_1997.pdf.

[44]    A.a.O., S. 11.

[45]    A.a.O., S. 53.

[46]    Ein Beispiel ist die Initiative der Diakonie und der evangelischen Kirchen „Wir sind Nachbarn. Alle“, bei der sich Kirchengemeinden, diakonische Träger, Vereine, Kitas und Schulen etc. um mehr Zusammenhalt und stärkere Nachbarschaft im Quartier bemühen. Vgl. www.wirsindnachbarn-alle.de.

[47]    Vgl. www.diakonie.de. Die Zahl der Tafeln ist in den letzten Jahren enorm angestiegen, vgl. www.tafel.de.

[48]    Das gilt insbesondere für die ca. 460.000 Mitarbeitenden in diakonischen Trägern, die vor der schwierigen Herausforderung stehen, sich auf dem Sozialmarkt zu behaupten und zugleich dem eigenen diakonischen Anspruch gerecht zu werden.

[49]    Vgl. Jahresbericht von Brot für die Welt für 2016; https://www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/40_Ueber-uns/Jahresbericht_2016.pdf.

[50]    Das Studienzentrum der EKD für Genderfragen in Kirche und Theologie erarbeitet zum 100jährigen Bestehen des Frauenwahlrechts im Jahr 2018 einen Ergänzungsband zum Gleichstellungsatlas, der die Geschichte der politischen Partizipation von Frauen in der evangelischen Kirche aufarbeitet.

[51]    Gleichstellung im geistlichen Amt, Ergänzungsband 1 zum Atlas zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der evangelischen Kirche, Hannover 2017.

[52]    Vgl. Gewalt gegen Frauen als Thema der Kirche. Ein Bericht in zwei Teilen. Im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland herausgegeben vom Kirchenamt der EKD, Gütersloh 2000.

[53]    Sozialwissenschaftliches Institut der EKD (2012): Familienorientierte Personalpolitik in Kirche und Diakonie, Hannover; https://www.si-ekd.de/download/Familienorientierte_Personalpolitik.pdf.

[54]    https://www.ekd.de/synode2008/beschluesse/beschluss_schoepfung.html.

[55]    Hans Diefenbacher, Oliver Foltin, Rike Schweizer, Volker Teichert (2017): Klimabericht für die Evangelische Kirche in Deutschland 2017. https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/s17 – 10 – 1-klimabericht.pdf.

[56]    Beschluss der 12. Synode der EKD auf ihrer 4. Tagung zum Engagement für Klimagerechtigkeit; https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/s17 – 2-6-Beschluss-zum-Engagement-fuer-Klimagerechtigkeit.pdf.

[57]    Vgl. http://www.kirum.org/index.php/mitglieder.html

[58]    Vgl. https://www.aki-ekd.de/leitfaden-ethisch-nachhaltige-geldanlage/

[59]    Vgl. www.klimakollekte.de. Die Klimakollekte wurde 2018 von der Stiftung Warentest mit dem Qualitätsurteil „sehr gut“ ausgezeichnet.

 

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