EKD-Klimakampagne will konkrete Schritte fördern
Bischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt zu Hintergründen und Zielen der Kampagne „Du zählst!“
Die EKD-Klimakampagne „Du zählst!“ ist gerade gestartet. Warum war es aus Ihrer Sicht notwendig, diese Kampagne ins Leben zu rufen?
Kristina Kühnbaum-Schmidt: Die Klimakrise ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Sie betrifft nicht nur das Leben heute, sondern auch das künftiger Generationen. Wenn die evangelische Kirche über diese Kampagne mit Menschen in Kontakt kommt, die das Thema zwar interessant finden, für die es aber nicht im Mittelpunkt steht, dann hat sie etwas Wichtiges erreicht. Ich bin gespannt, wie es gelingen wird, über diese Kampagne auf kreative Weise zu unserer menschlichen Mitverantwortung für Gottes Schöpfung ins Gespräch zu kommen.
Sie nennen die Klimakrise einen „Weckruf, der nicht überhört werden darf“. Aktuelle hat man aber den Eindruck, dass der Ruf von vielen in der Politik, aber auch im Alltag überhört wird. Warum blenden wir das Thema immer wieder aus?
Kühnbaum-Schmidt: Viele Menschen wissen um die Dringlichkeit. Zugleich haben sie den Eindruck, ihr eigenes Handeln könne dabei wenig ausrichten. Anderen erscheinen die Folgen der Klimakrise zeitlich wie geografisch noch weit entfernt. Aber die Folgen der Klimakrise sind ja längst auch bei uns zu spüren. Was dieses Thema angeht, habe ich zuweilen den Eindruck, dass Politik und Gesellschaft dazu neigen, die Realität der Klimaveränderungen beiseitezuschieben – denn wenn man die wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu ernst nimmt, geht es um konkretes und entschlossenes Handeln. Handeln, das auch für jede und jeden Einzelnen unbequem sein kann. Deshalb ist auch die neue Form des Energiewende-Monitorings von Wirtschaftsministerin Reiche zu kritisieren: Wenn Ereignisse weichgespült oder beschönigt werden, verlieren wir wertvolle Zeit. In der Bibel heißt es: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ (2. Tim 1,7). Das gibt uns die Freiheit, uns den Herausforderungen zu stellen – und Mut, im Vertrauen auf Gott auch unbequeme Veränderungen anzugehen.
Ein zentrales Stichwort ist „Klimagerechtigkeit“. Was verstehen Sie darunter und warum ist dieses Thema für die Kirche besonders wichtig?
Kühnbaum-Schmidt: Die Lasten der Klimakrise sind weltweit sehr ungleich verteilt. Menschen im globalen Süden, die am wenigsten zu ihren Ursachen beigetragen haben, leiden schon heute am stärksten unter ihren Folgen wie Dürren, Überschwemmungen und Ernteausfällen. All das trägt auch zu Flucht und Auseinandersetzungen um weniger werdende Ressourcen bei. Aber auch bei uns in Europa sind die Lasten ungleich verteilt. Schauen Sie sich die Steigerungen bei den Lebensmittel- oder den Energiepreisen an: Das trifft Haushalte mit kleineren und mittleren Einkommen viel härter als Gutverdienende und Wohlhabende. Und im Blick auf die Generationenfolge sind es unsere Kinder und Enkelkinder, also die kommenden Generationen, die mit den Folgen unseres heutigen Handelns oder Nichthandelns leben müssen. Klimagerechtigkeit bedeutet, diese ungleiche Lastenverteilung der Konsequenzen unseres Handelns zu benennen und nach Ausgleich zu suchen.
Gerechtigkeit ist ein zentrales Anliegen unseres Glaubens. In der Bibel hören wir immer wieder, dass Gott sich den Schwachen und Schutzlosen zuwendet, etwa in den Psalmen oder bei den Propheten, die für Recht und Gerechtigkeit eintreten. Jesus selbst stellt in der Bergpredigt die Armen und Trauernden, die Hungernden und Durstigen nach Gerechtigkeit in die Mitte seiner Botschaft. Klimagerechtigkeit ist deshalb für uns auch eine zutiefst geistliche Aufgabe: Sie gehört zu unserem Auftrag, achtsam mit Gottes Schöpfung umzugehen und solidarisch an der Seite derer zu stehen, die besonders verletzlich sind.
Außerdem stehen die Alltagsbereiche „Mobilität“ und „Einkaufen“ im Blickpunkt. Warum wurden gerade diese drei Schwerpunkte gewählt?
Kühnbaum-Schmidt: Mobilität, Ernährung und Konsum gehören zu den Bereichen, in denen wir alle täglich Entscheidungen treffen. Hier können wir ganz persönlich einen Unterschied machen. Es geht nicht darum, Menschen zu belehren oder ihnen Schuldgefühle zu machen, sondern darum, wirksame Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Wer klimabewusst einkauft oder das Auto öfter stehen lässt, trägt ganz konkret dazu bei, CO₂ einzusparen. Das sind scheinbar kleine Schritte, die in der Summe große Wirkung entfalten – und zugleich Selbstwirksamkeit erfahrbar machen.
Welche Rolle spielt der Glaube bei der Motivation, sich für Klimaschutz und eine gerechte Welt einzusetzen?
Kühnbaum-Schmidt: Glaube und Spiritualität sind entscheidende Kraftquellen im Einsatz für Klimaschutz und Gerechtigkeit. Christinnen und Christen vertrauen darauf, dass Gott diese Welt in Liebe geschaffen hat, sie rettet und erhält. Zugleich nimmt er uns als seine Mitarbeitenden dabei an seine Seite. Martin Luther hat unsere menschliche Rolle als „cooperator Dei“ – als Mitarbeitende Gottes – beschrieben, nicht mehr, nicht weniger. Der Glaube an den rettenden und erhaltenden Gott schenkt uns darüber hinaus die Zuversicht: Wir sind nicht allein. Wir handeln im Vertrauen darauf, dass Gott selbst diese Welt nicht loslässt und in der Gemeinschaft mit denen, die sich davon ermutigt fühlen. Diese Hoffnung macht uns frei, mutig Schritte zu gehen, auch wenn sie klein erscheinen.
Welche Verantwortung hat die Kirche im Vergleich zu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft?
Kühnbaum-Schmidt: Die Klimakrise ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Mit ihr zu leben und umzugehen und sich ihr zu stellen, braucht Orte zur Artikulation von Angst und Verzweiflung sowie des Zuspruchs von Hoffnung und Kraft. Kirchengemeinden und kirchliche Institutionen sind solche Orte. Sie sind präsent, etwa in Form von Einkehrtagen, Klimabarcamps oder Klima-Andachten und anderen geistlichen Veranstaltungen, auch im Zusammenhang von Klima-Demonstrationen oder den Auseinandersetzungen um den Hambacher Forst. Die „Schöpfungszeit“ zwischen 1. September und 4. Oktober und der Ökumenische Tag der Schöpfung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), der jedes Jahr am ersten Freitag im September gefeiert wird, sind fest etablierte Zeiten und Orte von Schöpfungsspiritualität, wie es früher nur das Erntedankfest war. Schöpfungsspiritualität kann dazu verhelfen, im ökologischen Engagement eine Bereicherung des eigenen Lebens zu erfahren. Sie kann dafür sensibilisieren, welche neuen Chancen in der ökologisch-sozialen Transformation liegen.
Neben dieser besonderen spirituell geprägten Rolle hat die Kirche auch eine besondere Stimme. Gerade weil sie keine parteipolitische Akteurin ist, kann sie die Politik an ihre Zusagen und ihre Verantwortung erinnern. Und dabei darf und kann sie auch unbequem sein – weil sie aus dem Evangelium heraus spricht, weil sie den Blick auf die Würde und das Wohl aller Menschen richtet, und weil sie mahnt, was leicht verdrängt oder verschwiegen wird: die Verantwortung für die Schöpfung, für Gerechtigkeit und für Frieden – heute und in Zukunft.
Viele Menschen fühlen sich ohnmächtig angesichts der Klimakrise. Welche Botschaft möchte die Kampagne dagegensetzen?
Kühnbaum-Schmidt: Die Kampagne will darauf aufmerksam machen, dass jeder Beitrag zum Klimaschutz zählt! Sie ermutigt auch zu kleinen Schritten. Außerdem will sie Verbindungen knüpfen, aufzeigen, was bereits geschieht und dazu einladen, sich mit anderen zu vernetzen.
Wie sind Einrichtungen und Kirchengemeinden in die Kampagne eingebunden?
Kühnbaum-Schmidt: Die Mitglieder unserer Kirchengemeinden und die Mitarbeitenden in den Einrichtungen sind wie unsere vielen ehrenamtlich Engagierten der wesentliche Teil. Sie können eigene Aktionen starten, durch ihr Handeln Vorbild sein, in Gottesdiensten Schwerpunkte setzen oder in Bildungsangeboten für das Thema sensibilisieren. Damit wird etwas nicht einfach zentral gesteuert oder vorgesetzt, sondern wächst von vielen Orten her. Das stärkt die Glaubwürdigkeit und zeigt die Vielfalt kirchlichen Engagements für den Klimaschutz.
Gibt es konkrete Ziele, messbare Erfolge, die Sie mit der Kampagne erreichen wollen?
Kühnbaum-Schmidt: Ich habe die Entscheidung der EKD für diese Kampagne so verstanden: Sie will Bewusstsein schaffen, Verbindungen knüpfen und konkrete Schritte fördern. Dazu gehört, dass Gemeinden, Einrichtungen und Einzelne ihre CO₂-Bilanzen im Blick behalten, nachhaltiger einkaufen oder ihre Mobilität klimafreundlicher gestalten. Messbar ist das zum Beispiel an der Zahl der Mitwirkenden oder an Projekten, die umgesetzt werden. Durch all das wird ein grundlegender Wandel unterstützt – hin zu einer Kirche, die mit ihrem Glauben wie ihrem Lebensstil glaubwürdig für einen achtsamen Umgang mit Gottes Schöpfung einsteht und andere dazu einlädt.
Interview: Jörg Echtler
