Was Familien brauchen

Familien brauchen soziale Absicherung

Bei der Weiterentwicklung der Familienförderung ist in Zukunft stärker als bisher das soziale Sicherungssystem zu integrieren. Dieses ist in erheblichem Umfang darauf angewiesen, dass in einer Gesellschaft Kinder erzogen werden. In seinen vier Urteilen vom April 2001 zur Pflegeversicherung hat das Bundesverfassungsgericht darauf verwiesen, dass immer mehr Personen keine Kinder haben. Dieser Tatbestand ist sozialpolitisch relevant. Das Gericht hat daher mehrere Grundsätze herausgearbeitet, welche die Berücksichtigung des Tatbestandes der Kindererziehung in den sozialen Sicherungssystemen betreffen und die vom Gesetzgeber nicht nur in der Pflegeversicherung, sondern auch in anderen Zweigen der Sozialversicherung bis zum Jahre 2004 zu berücksichtigen sind. In Zweigen der Sozialversicherung, deren Stabilität von der Erziehung von Kindern abhängt, muss der Tatbestand der Kindererziehung bei der Beitragsfestsetzung berücksichtigt werden. Die Entlastung der Familien mit Kindern im Vergleich zu Kinderlosen muss in der Phase der Kindererziehung erfolgen. Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten, die erst im Alter zu höheren Renten führt, wird nicht als ausreichend angesehen. Außerdem wird die Verfassungsmäßigkeit einer allgemeinen Versicherungspflicht bejaht. Maßnahmen der Familienförderung können damit auch aus Beiträgen finanziert werden. Beitragsäquivalenz wird nicht nur auf monetäre Größen begrenzt. Kindererziehung ist nach dieser Auffassung ein zu berücksichtigender realer Beitrag. Familienpolitische Gesichtspunkte sind daher bei der Neugestaltung der sozialen Sicherungssysteme stärker als bisher zu berücksichtigen.

Ein kindbezogener Solidarausgleich in der Sozialversicherung nach Vorstellungen des Verfassungsgerichts ist allerdings nicht vertretbar, wenn man sich ihm entziehen kann. Eine Konsequenz der Urteile ist daher auch die Überprüfung der Beitragsbasis und der Versicherungspflicht.

Kinderlose verfügen nicht nur in der Erwerbsphase über eine deutlich bessere Einkommensposition als vergleichbare Personen oder Paare mit Kindern, sondern auch im Alter. Sie können in der gesetzlichen Rentenversicherung erhebliche Rentenansprüche erwerben. Soweit Ehepaare wegen der Kindererziehung ihre Erwerbstätigkeit reduzieren, ist dies mit Einbußen in der späteren Alterssicherung verbunden. In der Regel werden diese auch nicht durch die spätere Anerkennung von Kindererziehungszeiten kompensiert.

Erfolgt die Reduzierung der Erwerbstätigkeit asymmetrisch, unterbricht z.B. nur die Frau ihre Erwerbstätigkeit bzw. reduziert sie, werden die Lasten im Alter ungleichmäßig verteilt. Für die Frau ergibt sich in der Regel ein dauerhafter Karriereknick, der auch spätere Einkommensbezüge im Vergleich zu einer Situation ohne Kinder reduziert. Im Alter hat sie deshalb deutlich niedrigere Alterseinkommen als ihr Mann. Dies ist insbesondere nach dem Tode eines der beiden Ehepartner relevant. Dieser Unterschied wird auch nicht ausgeglichen durch die Hinterbliebenenansprüche, bei denen die Anrechnungsvorschriften weiter verschärft worden sind, oder durch die Zuschläge für die Kindererziehung. An dieser Stelle gibt es also nicht nur eine Benachteiligung von Familien mit Kindern gegenüber Kinderlosen, sondern auch eine erhebliche Benachteiligung von Frauen im Vergleich zu ihren Männern.

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz haben deshalb in ihrer gemeinsamen Erklärung zur Reform der Alterssicherung in Deutschland „Verantwortung und Weitsicht“ eine eigenständige Sicherung für jeden Mann und jede Frau gefordert. Eine eigenständige Rentenbiographie für Frauen ist notwendig, denn „Frauen leisten mit der Geburt und Versorgung von Kindern, aber auch mit der Pflege von Angehörigen einen auch gesellschaftlich höchst bedeutsamen Beitrag für die weitere Entwicklung des Gemeinwesens. (...) Dabei ist sicherzustellen, dass in Perioden der Kindererziehung die Beitragszahlung durch den Staat übernommen wird. (...) Der sozialen Einheit in Ehe und Familie entspricht es, wenn die aus Erwerbs- und Familientätigkeit resultierenden Rentenansprüche beiden Partnern für die Dauer ihrer Ehe zu gleichen Teilen gutgeschrieben werden.“

Die Forderung nach einer eigenständigen Sicherung nichterwerbstätiger Ehepartner/innen ist heute weit verbreitet. In der aktuellen Rentenreform ist sie jedoch nicht berücksichtigt worden. Frauen können ihre eigenständige Sicherung nur durch Erwerbstätigkeit erreichen. Damit ist das Alterssicherungssystem nicht neutral in Bezug auf die familiale Arbeitsteilung, in Bezug auf die Wahl zwischen Familien- und Erwerbstätigkeit. Entscheidet sich z.B. die Frau gegen die Erziehung von Kindern, erhält sie eine relativ bessere eigenständige Sicherung. Da jedes Alterssicherungssystem auf die Erziehung von Kindern angewiesen ist, hat eine solche Lösung keine Perspektive.

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