Was Familien brauchen

Vorwort

In der Geborgenheit einer Familie aufzuwachsen ist längst nicht mehr selbstverständlich; mit zunehmender Anzahl von Ein-Personen-Haushalten geht nicht mehr jeder Wunsch in Erfüllung, in Krankheit und Alter, Krisen und Umbruchsituationen Familienmitglieder um uns zu haben, die stützen und pflegen, beraten und trösten. Und doch ist die Familie - so hat es der Rat der EKD 1994 in einem Wort aus Anlass des Internationalen Jahres der Familie formuliert - "eine Schule der Mitmenschlichkeit". Die Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass Menschen behütet aufwachsen und sorgsam herangebildet werden. Kinder und Erwachsene brauchen die Familie als Ort verlässlicher Beziehungen, als Lern- und Übungsfelder für soziales Verhalten, wo Hilfsbereitschaft erfahren wird und unbedingtes Füreinander-Dasein sich bewährt. Persönlichkeit und Stabilität eines Menschen erfahren ihre Begründung und ihre Reifung im Schoß der Familie.

Aber man muss die Perspektive auch umkehren: Damit Familien die Aufgaben und Lasten tragen können, brauchen sie nicht nur einzelne starke und belastbare Mitglieder. Sie brauchen auch ein intaktes Umfeld, dazu gehören Begleitung durch Nachbarn, Zuwendung von Freunden und die flankierende Unterstützung von Gesellschaft und Staat. Sie brauchen ein kinderfreundliches Umfeld. Dazu wollen die Kirchen beitragen durch eigene Angebote, aber auch durch ihr gesellschaftliches Engagement. Unter der Überschrift "Was Familien brauchen" konzentriert sich der hier vorgelegte Text auf familienpolitische Fragen.

Die neue Legislaturperiode bietet wichtige neue Gelegenheiten für dringend notwendige Schritte in der Familienpolitik. Die mangelnde Vereinbarkeit von Familienarbeit und Erwerbsarbeit und die hohe finanzielle Belastung, der viele junge Familien unterworfen sind, führen dazu, dass die Zahl der Kinder in unserer Gesellschaft weiter zurückgeht. Der Rat der EKD plädiert mit seiner familienpolitischen Stellungnahme für energische Bemühungen, die materielle Sicherheit und die soziale Absicherung der Familien zu verbessern und eine Infrastruktur zu gewährleisten, zu der nicht nur Beratungen und haushaltsbezogene Bildung, sondern insbesondere auch Angebote zur Ganztagsbetreuung gehören. Dabei tritt der Rat ausdrücklich für die Wahlfreiheit von Eltern ein: Eltern, die beide arbeiten wollen oder müssen, benötigen die entsprechenden Betreuungsangebote; Eltern, bei denen sich einer der Partner ganz oder teilweise für einen Verzicht auf Erwerbstätigkeit entscheidet, müssen auch dies ohne Nachteil tun können. Zu den familienpolitischen Prioritäten gehören nach Auffassung des Rates vor allem die Weiterentwicklung eines bedarfsgerechten Familienlastenausgleichs, der Einsatz für eine familienfreundliche Arbeitswelt sowie die Realisierung einer Alterssicherung, die Zeiten in der Erziehung und Pflege ebenso wie in der Erwerbsarbeit gleichermaßen berücksichtigt.

Der hier vorgelegte Text ist von einer Arbeitsgruppe vorbereitet worden, der ich im Namen des Rates nachdrücklich für die kompetente Erfüllung des ihr gegebenen Auftrags danke. Der Rat hat sich auf seiner Sitzung am 6. September 2002 das in der Arbeitsgruppe erzielte Ergebnis zu eigen gemacht und übergibt den Text der Öffentlichkeit.

Hannover, 25. September 2002

Präses Manfred Kock
Vorsitzender des Rates
der Evangelischen Kirche in Deutschland

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