Schritte zu einer nachhaltigen Entwicklung

Vorbemerkungen zum Anlass des Textes

Mit der Millenniumserklärung zu Armutsbekämpfung und Entwicklung hat die internationale Gemeinschaft einen Schritt nach vorn gemacht: Die im Jahre 2000 versammelten Staats- und Regierungschefs haben sich auf Ziele verpflichtet, deren Umsetzung überprüfbar ist. Diese Chance muss genutzt werden. Das Jahr 2005 kann sich dafür als besonders bedeutsam erweisen. Die Tsunami-Katastrophe in Südasien am Jahreswechsel 2004/2005 offenbarte in dramatischer Weise die Verletzlichkeit der menschlichen Gemeinschaft, aber in vergleichbarer Weise auch das Potenzial zu geschwisterlicher Hilfe und Unterstützung. Sie hat ein Bewusstsein weltweiter Verantwortung zum Ausdruck gebracht, das all diejenigen stärken kann, die Mitverantwortung tragen in dem weltweiten Kampf gegen die Armut. Eng verbunden mit der Reduzierung der Armut ist die Stärkung der Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen. Zu beiden Themen soll die kommende UN-Vollversammlung im September 2005 Beschlüsse fassen. Dies geschieht auf der Grundlage eines umfassenden Berichtes (2), den der Generalsekretär der Vereinten Nationen anhand des Sachs-Reports (3) und des High Level Panel-Reports (4), zweier Studien zur Umsetzung der Millenniumsziele und zu den gegenwärtigen Bedrohungen der Weltgesellschaft, erstellt hat. Im Vorfeld der Vollversammlung wird es eine Reihe von Konferenzen auf Regierungsebene und von Nicht-Regierungsorganisationen geben. Zu Beginn der UN-Vollversammlung soll eine Sondervollversammlung (Weltgipfelkonferenz) abgehalten werden.

Es steht viel auf dem Spiel: Die Regierungen und Gesellschaften sind herausgefordert, sich über die Grundlagen und Perspektiven einer menschenwürdigen, freien, gerechten und solidarischen Weltordnung zu verständigen.

Die vorliegende Stellungnahme will dazu beitragen, das öffentliche Interesse an den bevorstehenden Entscheidungen zu stärken. Sie stellt konkrete Anforderungen an die Politik, die auch für die Kirchen bedeutend sind. Angesichts knapper Kassen müssen auch die Kirchen Prioritäten setzen und deshalb mit Zielkonflikten umgehen. Sie sind als gesellschaftliche Kraft genauso herausgefordert wie die Regierungen, das eigene Handeln im Lichte der Millenniumsziele kritisch zu bedenken.

Wo Ungerechtigkeit herrscht, verlieren letztlich alle. Die Gitter und Wachtposten, mit denen die Bessergestellten in vielen Ländern der Erde heute sich und ihr Eigentum schützen, mögen zwar Sicherheit bieten, sie stehen aber auch für einen Verlust an Freiheit und Zusammengehörigkeit, ohne die keine Gesellschaft in Frieden bestehen kann. Geleitet und ermutigt durch das christliche Verständnis vom Menschen, durch die biblische Botschaft und die christliche Sozialethik wollen die Kirchen ihren Beitrag zu der notwendigen Neuorientierung der internationalen Staatengemeinschaft leisten, wie sie in der Millenniumserklärung zum Ausdruck kommt. Diese Neuorientierung ist schwierig, aber um der Armen, des Friedens und der Würde aller Menschen willen notwendig.

Unsere Welt ist zwischen Wohlstand und Armut zerrissen. Globales wirtschaftliches Handeln, das sich nicht an Solidarität und Gerechtigkeit orientiert, vergrößert diesen Riss. Daher ist für die evangelischen Kirchen in Deutschland der „Skandal weltweiter wirtschaftlicher Ungerechtigkeit (…) die zentrale Herausforderung an die Gestaltung der globalen Entwicklung“ (Kundgebung der 6. Tagung der 9. Synode der EKD, 2001 in Amberg). Hergebrachte Formen des Ausgleichs innerhalb nationaler Grenzen geraten unter Druck. Gewinner und Verlierer sind in allen Ländern, in reichen wie in armen, zu finden. Ein Ausgleich der vielfältigen Interessen stellt sich in einer globalen Marktwirtschaft nicht von selbst ein, da im Konkurrenzkampf die Starken bessere Chancen und die Schwachen weniger Möglichkeiten haben. Umso wichtiger ist die Bildung eines gemeinsamen politischen Willens auf der Basis eines Wertekonsenses. Solidarität und Gerechtigkeit genießen heute keine unangefochtene Wertschätzung, sondern werden häufig Gewinnstreben und Wettbewerb nachgeordnet. Dem Egoismus auf der individuellen Ebene entspricht auch in der internationalen Staatengemeinschaft die Neigung der wirtschaftlich und politisch starken Staaten, ihre partikularen Interessen der Förderung des Weltgemeinwohls und dem Schutz der Schwachen vorzuordnen. Im Blick auf die Globalisierung der Wirtschaft ist es unabdingbar, einen neuen politischen Rahmen für wirtschaftliches Handeln auf internationaler Ebene zu setzen.

Werte- und Interessenkonflikte prägen die Diskussion darüber, auf welchen Wegen eine globale Zukunftssicherung, wie sie in der Millenniumserklärung als Oberziel des gemeinsamen internationalen Handelns beschrieben ist, erreicht werden kann. Wenn sich Kirchen dazu als Gesprächspartner einbringen, dann tun sie dies, um aus dem christlichen Glauben heraus Entscheidungshilfen anzubieten. Die Kirche verkündet den Glauben an Gott, der Schöpfer und Erhalter der Welt ist und der den Menschen als sein Ebenbild beauftragt, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Aus christlicher Sicht ergeben sich die Gerechtigkeit innerhalb der heutigen Generation und die Gerechtigkeit zwischen den Generationen sowie das daraus folgende Gebot solidarischen Handelns als Dreh- und Angelpunkte für eine globale Zukunftssicherung. Ohne Gerechtigkeit und Solidarität kann es keine nachhaltige Entwicklung, ohne nachhaltige Entwicklung keine globale Zukunftssicherung geben. Solidarität und Gerechtigkeit gehören zu den Herzstücken jeder biblischen und damit auch jeder christlichen Ethik.

Der grundsätzlichen Option für schwächere und benachteiligte Menschen ist der vorliegende Text verpflichtet. Im biblischen Zeugnis nimmt Gott immer wieder Partei für die Schwachen und fordert, an die Hungrigen Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen und Nackte zu bekleiden (vgl. Jes. 58,7). In der Option für die Schwachen konkretisiert sich die Einheit von Gottes- und Nächstenliebe. Sie fordert auf, die Perspektive jener einzunehmen, die im Schatten des Wohlstandes leben und nur schwer in der Lage sind, sich selbst als gesellschaftliche Gruppe bemerkbar zu machen oder eine Lobby zu bilden, die ihre Interessen vertritt.

Fussnoten

(2) In Larger Freedom – Toward Development, Security And Human Right For All; (http://www.un.org/largerfreedom/, 21.3.05)
(3) Investing in Development, A Practical Plan to Achieve the Millennium Development Goals, Januar 2005; (http://www.unmillenniumproject.org/reports/index.htm)
(4) A more secure World: our shared Responsibility, Report of the High-level Panel on Threats, Challenges and Changes, Dezember 2004; (http://www.un.org/secureworld/report.pdf)

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