Schritte zu einer nachhaltigen Entwicklung

Sozialpolitische Schwerpunkte der Millenniumspolitik

Bekämpfung der Armut, Förderung der Bildung, Überwindung von Diskriminierung

Armut ist nicht nur durch fehlendes oder geringes Einkommen gekennzeichnet. Armut bedeutet auch, keine oder nur geringe Chancen zu haben, am sozialen, politischen und kulturellen Leben teilzuhaben, ausgeschlossen zu sein und nicht anerkannt zu werden. Frauen sind hiervon doppelt betroffen. Sie sind der Armut besonders ausgesetzt und leiden noch zusätzlich unter Diskriminierung. Die Chancen, dem durch eine bessere Bildung zu entkommen, sind in vielen Ländern gering. Mädchen leiden in besonderem Maße an Defiziten der schulischen Grundbildung.

Der Sachs-Bericht macht detaillierte Vorschläge, wie Abhilfe geschaffen werden kann und welche Investitionen zu diesem Zweck am effizientesten und wirksamsten sind. Leitbild dieser Vorschläge ist ein entwicklungsorientierter Staat, der wirtschaftliche und soziale Investitionen plant und lenkt. Damit kann eine selbsttragende wirtschaftliche Wachstumsdynamik in Gang kommen, in deren Folge die Armut abnehmen wird. In vielen Entwicklungsländern fehlen die dafür nötigen Voraussetzungen. Das wird in der Entwicklungspolitik immer wieder zu Recht beklagt. Armutsbekämpfung, Bildungsförderung und Überwindung von Diskrimi-nierung müssen folglich mit der Ausweitung der wirtschaftlichen und sozialen Gestaltungskompetenz des Staates einhergehen. Diese Kompetenz steht heute in den Industrieländern selbst zur Debatte. Zunehmend werden öffentlich-private Partnerschaften angestrebt, um solche öffentlichen Aufgaben zu bewältigen, die die Gestaltungskompetenz des Staates unter den gegebenen Umständen überfordern. Sollen öffentlich-private Partnerschaften funktionieren, bedarf es einer starken Zivilgesellschaft. Gerade diese fehlt in den bedürftigsten Entwicklungsländern.

Bei der Behandlung der Armutsproblematik werden Gerechtigkeitsfragen weitgehend in den Hintergrund gerückt. Für die Weltbank steht die Entwicklung von "Humankapital" im Vordergrund. Die Entwicklungsagenturen der Industrieländer preisen Entwicklungspolitik zur Zeit gern als Sicherheitspolitik an. Bei der Politik für die Armen geht es in der Tat auch um den Schutz vor Gewalt. Das betrifft in erster Linie nicht unseren eigenen Schutz, sondern den der Armen und unter ihnen besonders den der Frauen. Eine Verkürzung der Entwicklungsproblematik auf Sicher-heitsfragen wäre jedoch fatal.

  • Die Bundesregierung hat mit ihrem Aktionsprogramm zur Bekämpfung der Armut konzeptionelle Pionierarbeit geleistet. Sie wird aufgefordert, das Handlungspotential dieses Aktionsprogramms auszuschöpfen und dabei das Konzept des gender mainstreaming, d.h. die Beachtung der unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern als zentralen Bestandteil aller Entscheidungsprozesse, zu berücksichtigen. Darüber hinaus geht es auch um das der Entwicklungspolitik in diesem Bereich zugrunde liegende Staatsverständnis. Die Staatsgewalt wird in vielen Entwicklungslän-dern oftmals nicht als Instrument zur Gestaltung des Gemeinwesens betrachtet, sondern als Quelle persönlicher Bereicherung. Eine den MDGs verpflichtete Entwicklungszusammenarbeit muss Demokratie, Transparenz, gute Regierungsführung und die Verpflichtung des Staates auf das Gemeinwohl stärken. Die Industrieländer müssen sich fragen lassen, inwieweit sie mit ihren Forderungen nach Liberalisierung und Deregulierung nicht gerade diesen Zielen entgegenwirken.

Förderung der Gesundheit

Drei der acht Millenniumsziele beziehen sich direkt auf die Verbesserung der Gesundheitsversorgung (Ziele Nr. 4, 5 und 6), während die Ziele 1 bis 3 indirekt von einer besseren Gesundheit der Bevölkerung profitieren. Umgekehrt tragen insbesondere das Ziel einer besseren Bildung gerade von Frauen und das der Versorgung mit sauberem Trinkwasser in starkem Maße zu besserer Gesundheit der jeweiligen Bevölkerung bei. Der Sachs-Bericht geht darum ausführlich auf die Ursachen von Krankheit und Unterentwicklung ein und macht detaillierte Vorschläge, wie die Mütter- und Kindersterblichkeit gesenkt sowie die Ausbreitung der Hauptinfekti-onskrankheiten HIV/AIDS und Malaria eingedämmt werden können.

Ein Hauptaugenmerk gilt der Senkung der Kindersterblichkeit, die als ein besonders sensibler Indikator für die Qualität der Gesundheitsversorgung in ärmeren Ländern gilt. Malaria ist nach wie vor weltweit die häufigste Todesursache von Kindern unter fünf Jahren. Vorbeugung und Behandlung von Malaria sind durch den Einsatz von imprägnierten Moskitonetzen und neuer, auf einer chinesischen Heilpflanze beruhender Medikamente einfach und wirksam durchführbar.

In vielen Ländern ist die Bekämpfung von HIV/AIDS aufgrund der außerordentlich hohen Sterblichkeitsrate dieser Krankheit auch für das Erreichen anderer Millen-niumsziele von entscheidender Bedeutung. Dies erfordert ein breiteres Spektrum von Maßnahmen im Bereich von Prävention und wirksamer Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten.

Neben der Bekämpfung der wichtigsten Infektionskrankheiten spielt der Zugang zu Impfungen eine besondere Rolle. Auf diesem Gebiet sind durch die Gründung der Global Alliance for Vaccines and Immunization (GAVI) wichtige Fortschritte erzielt worden. Zur Finanzierung von GAVI soll noch vor dem G 8-Gipfel im Juli 2005 ein Pilotprojekt der International Finance Facility (IFF-IM) beschlossen werden (siehe Punkt 3).

  • Die Bundesregierung ist gefordert, sich an dem Pilotprojekt der International Finance Facility zur Finanzierung von Impfmaßnahmen (IFF-IM) zu beteiligen. Dies ist für das Erreichen der Millenniumsziele im Bereich Gesundheit unabdingbar.

Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen

Armut geht an vielen Orten mit einer Übernutzung natürlicher Ressourcen einher – meist in Wechselwirkung mit einem industriell betriebenen Raubbau großen Stils (Bergbau, extensive Weidewirtschaft, Monokulturen – auch zur Gewinnung „grüner Energie“). Die Armen sehen sich gezwungen, die ihnen verbleibenden Ressourcen immer intensiver zu nutzen. Durch die Folgewirkungen (Bodenerosion, Abholzung) werden ihre Lebensgrundlagen weiter eingeengt. Eine in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzende Aufgabe der Armutsreduzierung ist daher der Schutz natürlicher Ressourcen. Das hat auch für die Industrieländer Konsequenzen. Sie tendieren dazu, bei Zielkonflikten zwischen Umweltschutz und wirtschaftlichen Interessen letzteren Vorrang einzuräumen. Dabei spielen machtvolle Einzelinteressen wie z.B. im Streit um genveränderte Organismen (Genetically Modified Organisms – GMOs) eine wichtige Rolle. Die Konsequenzen des allgemeinen und weltweit betriebenen Raubbaus treten bereits zutage: Luftverschmutzung, Klimaveränderung, Zunahme extremer Wettersituationen, Verlust biologischer Vielfalt, Wüstenbildung, weltweite Verknappung von Süßwasser. All das sind Problemlagen, denen die Bevölkerung in armen Ländern nahezu ungeschützt ausgesetzt ist.

In dieser Situation steht erneut eine Debatte über alternative Formen der Ressourcennutzung an, über Lebens- und Konsumstile und über die regionale Ausdifferen-zierung der Weltwirtschaft durch die Stärkung lokaler und regionaler Wirtschafts-kreisläufe. Bei der Armutsbekämpfung geht es auch in diesem Zusammenhang darum, öffentliche und private Interessen unter den Bedingungen der Globalisie-rung in ein neues Gleichgewicht zu bringen.

Ein wesentlicher Faktor bei der Erreichung der MDGs ist der Zugang zu einer gesicherten Ernährung. Fachleute sind sich einig, dass die Probleme, die es erschweren, alle Menschen weltweit zu ernähren, nicht in einer zu geringen Nahrungsmittelproduktion zu suchen sind. Es sind in erster Linie wirtschaftliche, soziale und politische Faktoren, die die Ernährungssicherung gefährden. Es gilt daher, die landwirtschaftliche Produktion vor Ort zu stützen und zu sichern. Insbesondere die kleinbäuerliche Landwirtschaft muss erhalten und gestärkt werden, um die Versorgung der Bevölkerung mit regional produzierten Lebensmitteln langfristig zu gewährleis-ten und der Landflucht entgegen zu wirken. Der Anbau von traditionellen Sorten, die an das jeweilige Klima und den Boden angepasst sind, trägt zur Ernährungs-sicherung auch angesichts zunehmend extremer Wetterbedingungen (Dürre, Überschwemmungen) bei. Ob die Verbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen eine Alternative bietet, ist höchst umstritten. Die Herstellung transgener Pflanzen ist auf die Bedürfnisse einer stark exportorientierten Landwirtschaft ausgerichtet. Es ist abzusehen, dass sie die Verdrängung der kleinbäuerlichen zugunsten der industriellen Landwirtschaft vorantreiben wird. Die gesundheitlichen Risiken, die mit einer Genveränderung von Pflanzen einhergehen, sind bisher nicht ausreichend erforscht. Schwerer wiegen möglicherweise Sekundäreffekte wie die Anreicherung von Pestiziden in den Nahrungsmitteln, die Verödung von Böden, der weitere Verlust von Artenvielfalt oder eine wachsende Konzentration der Weltlandwirtschaft.

  • Wir appellieren an die Bundesregierung, auf dem Gebiet der ländlichen Entwicklungspolitik die Förderung der Kleinbauern, eine umweltbewusste Produktion und eine Stärkung lokaler und regionaler Zulieferbetriebe und Märkte konsequent voranzutreiben. Die Sicherung der Märkte muss in Kooperation mit den lokalen Kleinbauern erreicht werden. Der ungesteuerten Verbreitung transgener Pflanzen muss durch internationale Regelungen und Monitoring entgegengetreten werden, um die Folgen in der Natur und in der Nahrungskette transparent zu machen. Nur so hat der Verbraucher eine Chance, das Marktgeschehen zu beeinflussen. (5)

Dafür, dass eine Armutsbekämpfung, die die Teilhabe an der gesellschaftlichen Wohlfahrt erweitert, keine rein sozialtechnische Aufgabe ist, bietet die zur Zeit heftig umkämpfte Wasserfrage ein eindringliches Beispiel. Ohne ausreichenden Zu-gang zu sauberem Wasser ist keinerlei menschliche Entwicklung möglich. Deshalb hat die internationale Staatengemeinschaft sowohl in der Millenniumserklärung als auch beim Nachhaltigkeitsgipfel in Johannesburg (2002) diesem Thema besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Staatengemeinschaft hat sich vorgenommen, bis 2015 mindestens der Hälfte der jetzt ausgeschlossenen Menschen Zugang zu Trink-wasser und sanitärer Entsorgung zu verschaffen.

In der deutschen Entwicklungspolitik hatte der Bereich „Versorgung mit sauberem Wasser“ bereits vor der Millenniumserklärung einen hohen Stellenwert. Bilateral stellt Deutschland nach Japan den weltweit zweitgrößten Betrag für Vorhaben in diesem Bereich bereit. Im Mittelpunkt stehen dabei die Weiterentwicklung der öffentlichen Institutionen und der politischen Rahmenbedingungen der Trinkwas-serversorgung ebenso wie der Ausbau der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Es ist jedoch strittig, inwieweit auf diesem Wege diejenigen erreicht werden, die am dringlichsten auf eine Verbesserung des Zugangs zu sauberem Wasser angewiesen sind, also die Armen.

Eine Maßnahme, die als Beitrag zur Verbesserung der politischen Rahmenbedin-gungen der Trinkwasserversorgung dienen soll, stellt gegenwärtig die Privatisierung der Wasserversorgung dar. Es gibt begründete Zweifel, ob private Betreiber die Versorgungssituation in ärmeren Ländern, Regionen oder Bevölkerungsgruppen nachhaltig verbessern. In einigen Ländern hat diese Art der Armutsbekämpfung zu heftigen Auseinandersetzungen geführt. Deutlich wird dabei die gesellschaftspolitische Brisanz einer Nutzungsstrategie, bei der sich Effizienzüberlegungen, wirtschaftliche Einzelinteressen und ordnungspolitische Präferenzen (Übernahme öffentlicher Aufgaben durch private Unternehmen) in einer schwer durchschaubaren Weise vermischen. Die Privatisierung kann mit Effizienzgewinnen bei der Wassernutzung einhergehen. Umstritten ist jedoch, ob die Beteiligung des Privatsektors an der Wasserversorgung geeignet ist, die Ärmsten in Slums und ländlichen Gebieten zu erreichen und die Wasserressourcen langfristig zu schützen.

  • Die Bundesregierung trägt in der Diskussion um Wasserversorgung hohe Verantwortung. Diese Verantwortung ist an der Einsicht auszurichten, dass die Bereitstellung von Wasser zu sozialverträglichen Bedingungen Vorrang hat vor dem ordnungspolitischen Ziel, die Versorgungsprobleme vorzugsweise durch Privatisierungskonzepte lösen zu wollen. Im Interesse einer Stärkung der Armen sollten partizipative Konzepte der Wassernutzung gefördert werden. Dies gehört zu den konkreten Möglichkeiten einer Umsetzung der Millenniumsziele.

Fussnoten

(5) Dazu hat sich die EKD bereits in früheren Veröffentlichungen geäußert: (1) Einverständnis mit der Schöpfung. Ein Beitrag zur ethischen Urteilsbildung im Blick auf die Gentechnik und ihre Anwendung bei Mikroorganismen, Pflanzen und Tieren, vorgelegt von einer Arbeitsgruppe der EKD, 2., um einen Anhang erweiterte Auflage, Gütersloh 1997; (http://www.ekd.de/EKD-Texte/2086_einverstaendnis_1997_schoepfung.html) (2) Ernährungssicherung und Nachhaltige Entwicklung. Studie der Kammer der EKD für Entwicklung und Umwelt, EKD-Texte 67, Hannover 2000; (http://www.ekd.de/EKD-Texte/2110_1876.html)

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