Schritte zu einer nachhaltigen Entwicklung

Finanzielle und handelspolitische Anforderungen an die Industrieländer

Erhöhung der Haushaltsmittel für die Entwicklungszusammenarbeit (EZ)

Trotz der bisherigen Defizite bei der Umsetzung der Millenniumsziele kommt der Sachs-Bericht zu der Einschätzung, dass die Millenniumsziele bei entsprechender Anstrengung aller Länder noch zu erreichen seien. Die Industrieländer müssten jedoch laut Sachs-Bericht ihre bisherigen Aufwendungen für die Entwicklungszusammenarbeit schon im Jahre 2006 mehr als verdoppeln und bis zum Jahre 2015 mehr als verdreifachen (Steigerung von 65 auf 195 Milliarden US Dollar jährlich). Das würde auf Aufwendungen hinauslaufen, die durchschnittlich einem halben Prozent des Bruttonationalprodukts (BNP) der Geberländer entsprechen. Der Sachs-Bericht empfiehlt aber insbesondere der Bundesrepublik Deutschland und Japan, sich verbindlich auf das 0,7-Prozent-Ziel festzulegen, um ihrem Mitgestaltungsanspruch in der Weltpolitik (über einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat) Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die Kommission der Europäischen Union (EU) empfiehlt demgegenüber allen Alt-Mitgliedern der EU, auf die Erreichung eines Zieles von 0,7 Prozent im Jahre 2015 hinzuarbeiten (neue Beitrittsländer 0,33 Prozent). Dabei müsste schon im Jahr 2010 ein Anteil von 0,51 Prozent am BNP erreicht sein.

ÿ Die Bundesregierung bekennt sich uneingeschränkt zu den MDGs. Sie sollte deshalb genaue Vorgaben machen, wie sie ihren Beitrag zur Erfüllung der Millenniumsziele zu leisten gedenkt. Die Umsetzung entsprechender Selbstverpflichtungen sollte weiterhin von unabhängigen Einrichtungen geprüft werden (Monitoring). Die Größenordnung der Beträge, um die es bei der Erreichung von 0,7 Prozent des BNPs geht, liegt gemessen an der gleichen Bezugsgröße immer noch etwas unter den von der Bundesregierung zur Zeit geleisteten Subventionen für die deutsche Industrie.

ÿ Auch die Kirchen sind aufgerufen, zur Erfüllung der Millenniumsziele beizutragen. Die evangelischen Kirchen in Deutschland dürfen deshalb – trotz aller finanziellen Schwierigkeiten – in ihrem Engagement für die Entwicklungszusammenarbeit nicht nachlassen. Wir erinnern an die Empfehlung der EKD-Synode aus dem Jahr 1968 anlässlich der Gründung des Kirchlichen Entwicklungsdienstes (KED), in die Haushalte der Gemeinden und Landeskirchen Mittel für Aufgaben einzusetzen, „die der Überwindung der Armut, des Hungers und der Not in der Welt und ihrer Ursachen dienen“. Die EKD-Synode rief damals die Gliedkirchen dazu auf, „schrittweise steigend Mittel in Höhe von 2 bis 5 Prozent der Kirchensteuereinnahmen“ für die Gemeinschaftsaufgabe zur Überwindung der Armut, des Hungers und der Not in der Welt und ihrer Ursachen bereitzustellen.

Neue Finanzierungsinstrumente

Ob es selbst bei intensivierten Anstrengungen gelingen wird, hinreichende Mittel für die Finanzierung der MDGs in den Haushalten der Geberländer bereitzustellen, bleibt fraglich. Schon deshalb – ganz zu schweigen von darüber hinausgehenden Entwicklungsanstrengungen – kommt neuen Finanzierungsinstrumenten eine besondere Bedeutung zu. Darüber ist unter Industrie- und Entwicklungsländern weitgehende Einigkeit erzielt worden. Offen ist aber die Frage, in welcher Form zusätzliche Gelder aufgebracht werden können. Drei Vorschläge wurden von verschiedenen Staatengruppen gemacht.

Erstens haben Großbritannien und Frankreich die Initiative zur Einführung einer International Finance Facility (IFF) ergriffen, in deren Rahmen zusätzliche Finanzressourcen durch die Auflage von Staatsanleihen auf den internationalen Finanzmärkten mobilisiert werden sollen. Der zweite Vorschlag will Sonderziehungsrechte (also eine Erweiterung des Kreditrahmens für die Finanzierung von Entwicklungsvorhaben beim Internationalen Währungsfonds (IWF)) zuteilen sowie Goldreserven des IWF verkaufen. Drittens hat eine von Brasilien angeführte Staatengruppe, an der sich auch Deutschland beteiligt, die Einführung innovativer Finanzierungsinstrumente vorgeschlagen, so zum Beispiel die Erhebung internationaler Steuern auf den Kerosinverbrauch für den Flugverkehr. Selbst die Diskussion über die Besteuerung von internationalen nicht-investiven Finanztransaktionen (in Anlehnung an die Tobin-Steuer) ist neu aufgenommen worden.

Bei aller Vorsicht gegenüber diesen Vorschlägen im einzelnen hält es auch die Kammer für nachhaltige Entwicklung für notwendig, zusätzliche Finanzmittel zu mobilisieren. Dazu gehört unter anderem die Besteuerung internationaler Wirtschaftsaktivitäten. Zwar handelt es sich bei der Umsetzung der MDGs immer noch um Aufgaben, die in erster Linie in der Verantwortung der einzelnen Nationalstaaten liegen. Die meisten Entwicklungsländer werden finanzielle Unterstützung von außen benötigen, um ihren Verpflichtungen im Rahmen der Millenniumsziele nachkommen zu können. Auch die multinationalen Unternehmen haben dabei einen Beitrag zu leisten. Enttäuschend wenige multinationale Unternehmen haben sich bisher dem Global Compact des UN-Generalsekretärs angeschlossen. Mit ihm hat der UN-Generalsekretär die Unternehmen aufgefordert, öffentliche Aufgaben wahrzunehmen und ihre Verantwortung für das Gemeinwohl zu übernehmen.

Die Vorschläge werden international (z.B. in der EU und in der G 8) kontrovers diskutiert. Noch zeichnet sich kein Kompromiss ab.

  • Vorschläge für neue Finanzierungsinstrumente scheitern immer wieder an ordnungspolitischen Einwänden. Das gilt insbesondere für die Erhebung internationaler Steuern. Wir bitten die Bundesregierung, Initiativen zur Schaffung neuer Finanzierungsinstrumente zu ergreifen und diesen Impuls auch auf europäischer Ebene stark zu machen. Die EU trägt als große Wirtschaftsmacht in diesem Feld eine besondere Verantwortung.

Schuldenerlass

In der bisher praktizierten Form hat sich die Entschuldungspolitik der Gläubigerländer als nicht ausreichend erwiesen. Sie greift nicht schnell genug und trägt nach bisherigen Erkenntnissen kaum zu einer flächendeckenden Bereinigung der Schuldenproblematik bei. Von der Schuldenkrise sind viel mehr Länder betroffen als bisher von Weltbank und IWF anerkannt. Die erweiterte Initiative zur Entschuldung der ärmsten hoch verschuldeten Länder (Heavily Indebted Poor Countries – HIPC), die von der Bundesregierung beim Kölner Wirtschaftsgipfel von 1999 vorangetrieben wurde, konnte auf Grund unzureichender Ressourcen nicht wie vorgesehen umgesetzt werden. Von der Liste mit 38 Ländern haben seit 1999 lediglich 14 den Punkt erreicht, an dem die Entschuldung eingeleitet werden kann (completion point), weitere 13 befinden sich immer noch in einem Vorstadium (decision point), während die restlichen 11 nach den derzeitigen Kriterien nicht berücksichtigt werden. Zudem drohen weltwirtschaftliche Krisen, kriegerische Konflikte und Naturkatastrophen die bescheidenen Erfolge der Entschuldungsinitiative immer wieder zunichte zu machen.

  • Wir bitten die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass allen 38 von der Verschuldung besonders betroffenen armen Ländern (HIPC) die Schulden vollständig erlassen werden. Um einer erneuten Überschuldung vorzubeugen, sollte auch in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit grundsätzlich ein höheres Zuschusselement gewährt werden. Zu den gegenwärtigen Kriterien der Tragfähigkeitsanalyse sollten auch die MDGs stärker herangezogen werden. Mit Blick auf den Finanzierungsbedarf der MDGs ist auch für Länder mit mittlerem Einkommen eine Schuldenreduzierung zu prüfen. Dabei ist erneut darüber zu befinden, was als Höchstgrenze einer noch tragfähigen Verschuldung gelten soll und wieweit die Konditionen, die der IWF an die Vergabe seiner Kredite knüpft, mit den Zielen der Armutsreduzierung vereinbar sind. Die Kirchen und kirchlichen Organisationen, die sich seit dem Kölner Wirtschaftsgipfel für die Entschuldung eingesetzt haben, fordern wir auf, sich für eine weitere Entschuldung zu engagieren.

Handelspolitik

Zu einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft gehört der Aufbau eines offenen, regelgeleiteten und nicht-diskriminierenden Handelssystems. Die Industrieländer verlangen von den Entwicklungsländern eine Liberalisierung ihres Außenhandels, während die Industrieländer selbst vereinbarte Liberalisierungsmaßnahmen immer wieder unterlaufen. Es werden nicht nur sensible Wirtschaftsbereiche gegen die Konkurrenz aus dem Süden geschützt. Vielmehr werden Exporte in den Süden vor allem auf dem Gebiet der Landwirtschaft immer noch in einem so weit gehenden Maß subventioniert, dass damit die lokale Produktion der Entwicklungsländer ihre Absatzchancen verliert. Jüngstes Beispiel ist der hoch subventionierte Export von Geflügelteilen aus Europa nach Westafrika mit der Folge, dass die dortigen Kleinbauern ihre Ware auf den lokalen Märkten häufig nicht mehr kostendeckend verkaufen können. So vertiefen hiesige Subventionen die Armut in Ländern des Südens. Die Problematik ist seit langem bekannt. Den Entwicklungsländern wurden in zahllosen Verhandlungen zwar Zugeständnisse gemacht. Aber je größer die Zugeständnisse sind, desto größer ist die Versuchung, sie durch einen versteckten Protektionismus (Subventionen) zu unterlaufen. Seit dem Pearson-Bericht aus dem Jahre 1968 gilt das Motto „Hilfe durch Handel“. Die breite Mehrheit der Entwicklungsländer benötigt aber Hilfe für Handel. Der Sachs-Bericht schlägt sogar die Einrichtung eines entsprechenden Fonds vor.

  • Die Industrieländer haben auf der Welthandelskonferenz von Doha im Dezember 2001 (unter dem Schock der Terroranschläge vom 11. September) zugesagt, handelsverzerrende Subventionen abzubauen und den Zugang zu ihren Märkten für Entwicklungsländer weiter zu erleichtern. Diese Zusagen müssen erfüllt werden. Die Neuausrichtung der landwirtschaftlichen Subventionspolitik in der EU bietet einen Ansatz für den Umgang mit Zielkonflikten in den Industrieländern. Bei der Forcierung weiterer Liberalisierungsmaßnahmen (vor allem im Dienstleistungssektor) muss berechtigten Schutzinteressen von Entwicklungsländern Rechnung getragen werden. Im Übrigen muss der Multilateralismus in der Welthandelspolitik gegenüber Verlockungen des Bilateralismus beibehalten und gestärkt werden. Die Gruppe der 20 (Industrie- und Entwicklungsländer), die die Bundesregierung im Jahre 1999 mit ins Leben gerufen hat, war ein erster Schritt zur Stärkung des Multilateralismus, dem weitere Schritte folgen müssen (z.B. in Gestalt einer Einbeziehung des UN-Wirtschafts- und Sozialrates und von Vertretungen ärmerer Entwicklungsländer in diese Gruppe).
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