Bedford-Strohm: „Europa verrät seine eigenen humanitären Traditionen“

„Ich finde es skandalös, dass ganz offensichtlich die menschenunwürdigen Zustände in den Flüchtlingslagern an den Außengrenzen zunehmend zur Abschreckung missbraucht werden“

provisorische Zelte und Wäsche und Schuhe zum Trocknen

Privisorische Zelte im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos (Foto vom 28.02.2020). Flüchtlinge sind in Griechenland zum ueberwiegenden Teil auf den Aegaeis-Inseln Lesbos, Kos, Samos Leros und Chios untergebracht. Dort harren zum Teil seit Jahren rund 40.000 Asylsuchende in völlig überfuellten Lagern aus. Für knapp 3.000 Personen ausgelegt, muessen im Lager und auf Feldern und Olivenhainen aussen herum mehr als 20.000 Menschen ausharren. 

 

München (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, kritisiert die Zustände in den Flüchtlingslagern an den Außengrenzen der EU. „Ich finde es skandalös, dass ganz offensichtlich die menschenunwürdigen Zustände in den Flüchtlingslagern an den Außengrenzen zunehmend zur Abschreckung missbraucht werden“, sagte Bedford-Strohm dem Evangelischen Pressedienst (epd). Anders könne er sich die Lage dort nicht erklären.

Es sei für ihn unerträglich, dass auf dem Boden Europas solche Zustände herrschten. „Europa verrät seine eigenen humanitären Traditionen, wenn wir das weiter zulassen“, sagte der bayerische Landesbischof.

Laut eines EU-Berichts müssen etwa im bosnischen Flüchtlingslager Lipa und in dessen Umgebung rund 1.900 Menschen bei bis zu minus 15 Grad Celsius im Freien schlafen. Einige Migranten weisen laut dem Bericht Corona-Symptome auf. Es sei höchste Zeit, dass Deutschland vorangeht und Menschen aufnimmt - zuallererst aus den Lagern aus Griechenland und an den EU-Außengrenzen, sagte Bedford-Strohm. Auch auf der griechischen Insel Lesbos sind nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria im September Tausende Menschen obdachlos. 7.300 Flüchtlinge harren im Flüchtlingslager Kara Tepe aus, das nach dem Brand in Moria errichtet worden war.

Gerade wenn Europa die Verantwortung für die Versorgung Schutzsuchender an die Staaten an der EU-Grenze delegiere, müsse es die Verantwortung dafür übernehmen, was dort geschehe, betonte der Ratsvorsitzende. Wenn Staaten sich weigerten, aus Lebensgefahr gerettete Menschen aufzunehmen, könne die Antwort nur sein: „Diejenigen, die bereit dazu sind, müssen auch loslegen. Zu warten, bis alle mitmachen, kann nicht die Lösung sein.“

Es sei frustrierend, dass auf die Stimme der Kirchen in diesem Europa nur sehr bedingt gehört werde, sagte Bedford-Strohm. “Die Europäische Kommission ist zwar offen für unsere deutliche Position, aber es ist ihr noch nicht gelungen, hier in der Diversität der einzelnen Staaten zu einer Lösung zu kommen.“

Bedford-Strohm kritisierte auch die Bundesregierung. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) habe die Zahl von nur knapp 100.000 aufgenommenen Flüchtlingen im vergangenen Jahr als Erfolg gewertet. „Wenn eine niedrige Zahl von Asylanträgen nicht eine Konsequenz aus der Überwindung der Not der Menschen ist, sondern die Konsequenz der erfolgreichen Abschottung, ist es kein Erfolg. Dann ist es sogar eine moralische Niederlage. Deutschland kann mehr tun", sagte er.“

epd-Gespräch: Corinna Buschow und Franziska Hein



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