Impulsvortrag auf der DGB-Konferenz „Zusammenhalten, zusammen handeln“

Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Bannerbild: Anna-Nicole Heinrich Präses der Synode der EKD, Impulsvortrag DGB

Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der EKD

Guten Abend!

Der Abend steht unter einer einfachen Frage: Braucht unsere Gesellschaft ein Update?

Bei Technik ist die Sache recht klar: Ein Betriebssystem braucht von Zeit zu Zeit ein Update. Nicht, weil es kaputt ist, sondern weil sich die Umgebung verändert. Neue Anforderungen, neue Sicherheitslücken, neue Möglichkeiten.

Auch bei der Gesellschaft erscheint mir das schlüssig: Wir müssen sie regelmäßig erneuern, damit sie zukunftsfähig bleibt. Ein Update ist aber keine Revolution. Revolutionen reißen Systeme nieder, erzeugen Brüche und oft auch Gewalt. Ein Update dagegen baut auf dem Bewährten auf, schließt Lücken, passt sich an. Fortschritt ohne den Verlust von Stabilität.

Ich bin überzeugt: Wir brauchen keine „Kettensäge“ und keinen „Kahlschlag“, sondern kontinuierliche Erneuerung – ein Update, das Demokratie und Zusammenleben resilient hält. Reformation statt Revolution!

Wo ein Update nötig ist

Drei Bereiche stechen für mich hervor:

Erstens: Vertrauen.

Es ist schwer aufzubauen, schnell verloren – und in den letzten Jahren stark beschädigt. Das Vertrauen in Politik, Institutionen und auch Grundvertrauen in andere Menschen in der Gesellschaft ist gesunken, nicht zuletzt durch die Pandemie.

Zweitens: Gerechtigkeit.

Die Ungleichheit wächst. Armut trotz Arbeit ist Realität. Gleichzeitig klingen manche politische Diskurse, als wäre der Sozialstaat nur ein „Klotz am Bein“.  Doch große Transformationen – Digitalisierung, Klimawandel, der Umbau der Arbeitswelt – gelingen nur mit sozialer Sicherheit und fairer Lastenverteilung. Fortschritt zählt nur, wenn er allen zugutekommt.

Drittens: Zusammenhalt.

80 Prozent der Menschen in Deutschland nehmen eine Spaltung der Gesellschaft wahr. Polarisierung und Empörungskultur prägen das Klima, die Gewaltbereitschaft steigt. Es wird immer schwerer, im Gespräch zu bleiben. Aber genau das ist Grundvoraussetzung für Demokratie.

Wie ein Update gelingen kann

Erstens: Vertrauen durch Beziehungsarbeit.

Als Christin entspricht „Empathie statt Ego“ natürlich meiner tiefen Überzeugung. Das biblische Wort „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3. Mose 19,18) bringt das auf den Punkt. Das ist kein moralischer Appell, sondern ein Programm für gelingendes Zusammenleben.

Diese Nächstenliebe umfasst beides: die Achtung vor mir selbst und die Achtung vor dem Anderen. Daraus wächst eine Haltung, die in Respekt, Würde und Toleranz zum Ausdruck kommt. Kurz gesagt: „Empathie statt Ego“.

Vertrauen braucht Empathie – die Fähigkeit, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen. Nicht das Eigene durchsetzen um jeden Preis, sondern der Blick darauf, was mein Handeln für den anderen bedeutet. Wer im Mitmenschen etwas von Gottes Mitmenschlichkeit erkennt, kann sich nicht abwenden – weder von sich selbst noch vom anderen.

Vertrauen lässt sich nicht verordnen, es wächst durch Erfahrung und Verlässlichkeit.

Für die Institutionen muss das bedeuten: Es braucht Kontaktflächen. Orte, an denen Menschen Institutionen erleben – sei es Verwaltung, Pflege oder Zivilgesellschaft. Orte, wo Vertrauensbeziehungen aufgebaut werden können. Es sind die Angehörigen einer Organisation, die jeden Tag aufs Neue Vertrauen begründen und die gesamte Vertrauenswürdigkeit einer Organisation darstellen.

Jeder Angriff auf diese Menschen ist ein Angriff auf unser Gemeinwesen. Aber Rückzug darf keine Antwort sein. Wir brauchen mehr Schutz, mehr Prävention, mehr Aufklärung – umso dankbarer bin ich für die Konferenz heute und die DGB-Initiative „Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch“.

Zweitens: Einen zukunftsfesten Sozialstaat.

„Der Vorrang für die Schwachen“ – das zeichnet nicht nur meinen Glauben als Christin aus. Das ist auch die Grundlage von Zusammenhalt. Der Sozialstaat ist kein Hindernis, sondern Voraussetzung für Wohlstand. Aber: Viele Leistungen erreichen die Menschen nicht. Familien verlieren im Bürokratie-Dschungel schnell den Überblick. Die Diakonie fordert deshalb: „Ein Antrag – ein Bescheid.“ Ein kleines Update, das große Wirkung hätte.

Drittens: Mehr Verständigung wagen.

Wir brauchen reale Räume, in denen Menschen miteinander reden – jenseits der Kommentarspalten. Deshalb haben wir als Evangelische Kirche die Initiative #VerständigungsOrte gestartet: Gemeinden und Akademien laden Menschen mit völlig unterschiedlichen Positionen zum Gespräch ein – über genau die Themen, die polarisieren.

Nicht nur Kirchengemeinden, auch Betriebe können Orte sein, wo Menschen mit gänzlich unterschiedlicher politischer Auffassung aufeinandertreffen.

Die evangelische Tradition sagt aus: Jeder Mensch ist Ebenbild Gottes, jeder hat Würde – unabhängig von Leistung, Herkunft oder Meinung. Wenn wir das ernst nehmen, dann ist Empathie kein „nice to have“, sondern eine Grundhaltung. Sie macht es möglich, auch mit Menschen im Gespräch zu bleiben, die uns fremd sind oder mit denen wir uns schwertun.

Und Demokratie lebt vom Aushalten anderer Meinungen – und vom Zuhören. Wer mitreden darf, fühlt sich zugehörig. Orte, an denen solch eine Debattenkultur erfahrbar wird, sind das beste Update für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Abschluss: Endlich updaten

Brauchen wir Updates? Ich würde sagen: Ja – damit die Demokratie stabil bleibt, Vertrauen wächst, Zusammenhalt gestärkt wird. Ich bin gespannt, gleich mit Ihnen allen und euch dazu ins Gespräch zu kommen.

Natürlich kommt so ein Update nie zum passenden Zeitpunkt. Ich ertappe mich selbst dabei, auf „Update später installieren“ zu klicken. Aber wir alle wissen: Ohne Updates wird jedes System irgendwann instabil, verletzlich, unbrauchbar.

Ich wünsche mir Mut: Klicken wir die Updates nicht länger weg. Wagen wir den Neustart!

Kirchen und Gewerkschaften verbindet eine gemeinsame Wertebasis: Jeder Mensch zählt. Das ist eine starke Grundlage für ein Update. Aber ein gesellschaftliches Update gelingt nur, wenn wir es gemeinsam wagen – mit Zivilgesellschaft, Politik, Wirtschaft und allen, die dieses Land tragen.

Ein Betriebssystem bleibt nur leistungsfähig, wenn es regelmäßig geupdatet wird.

Und eine Gesellschaft bleibt nur stark, wenn wir zusammenhalten, zusammen handeln.

Vielen Dank.

Cover: DGB Impulsvortrag Anna-Nicole Heinrich

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