Ideen für die Zukunft der Kirche schmieden

midi-Direktor Thomas Schlegel über eine Kirche mit Vision und Mission

Seit Juni leitet Thomas Schlegel als neuer Direktor die Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung (midi). Im Interview spricht er über seinen Einstand, seine nächsten Pläne und die Erfahrungen bei der Initiative #Verständigungsorte.

Thomas Schlegel midi

Wenn Sie auf Ihre ersten hundert Tage als midi-Direktor blicken - was hat Sie am meisten überrascht? Im positiven, vielleicht auch im problematischen Sinn?

Thomas Schlegel: Beeindruckt war ich von der diakonischen Arbeit vor Ort, die oft unsichtbar bleibt, viel Gutes bewirkt und in einer enormen Breite geschieht – von Pflege bis zur Bildung. In den ersten zwei Monaten war ich bundesweit unterwegs und habe viel gesehen. Was mir gut tut, ist die ökumenische Weite und internationale Perspektive im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung. Die Zähigkeit interner Abläufe und behördlicher Vorgänge ist dann manchmal doch etwas mühsamer als gedacht.

Welche Baustellen wollen Sie denn als nächstes anpacken?

Schlegel: midi versteht sich als Zukunftswerkstatt. Wir entwickeln Produkte, die von der Zukunft her gedacht sind – der erwartbaren aber natürlich auch der projizierten. Ich wünsche mir, dass wir dort noch deutlich nachlegen. Und dabei auch stärker als Team zusammenarbeiten. Von Einsparungen sind wir ähnlich wie Gliedkirchen und Diakonie betroffen. Das heißt, manche Dinge werden wegfallen – etwa die Begleitung mancher  landeskirchlicher Beauftragter für Arbeitsbereiche, die es in den Gliedkirchen gar nicht mehr gibt.

Wenn man sieht, etwa auf der midi-Homepage, wie viele verschiedene Bereiche sie bearbeiten, ist das beeindruckend. Welche Themen werden nach Ihrer Meinung in den nächsten Jahren besonders wichtig werden?

Schlegel: Wir erleben gerade große Schrumpfungsprozesse in den Gliedkirchen. Sie  versuchen, vor allem strukturell auf anstehende Herausforderungen zu antworten. Das Ende dieser Reise wird selten skizziert. Was ist das Ziel des Ganzen, was kommt, wenn die Schrumpfung vollzogen ist? Sich in diese Richtung voranzutasten, vielleicht ein paar Szenarien zu entwickeln, fände ich eine sehr spannende Aufgabe. Außerdem: Fragen des Glaubens, der persönlichen Sprachfähigkeit über das, was uns hält und treibt geraten in den ganzen Strukturbildungsprozessen gern unter die Räder. Räume zu öffnen, wo man über den Glauben redet – über den eigenen erst einmal, dann auch mit anderen – das halte ich auch für ein Zukunftsthema, dem ich mich gern zuwenden  möchte.

In Ihrer Zeit bei der Mitteldeutschen Kirche (EKM) haben Sie sich viel mit sogenannten „Erprobungsräumen“ beschäftigt. Wie können Sie diese Erfahrungen bei midi nutzen?

Schlegel: Als Referatsleiter war ich bei der EKM auch in die ganzen Debatten um strukturellen Rückbau eingebunden. Diese Beidhändigkeit − einerseits von Um- und Rückbau betroffen zu sein und andererseits Innovationen zu fördern, neue Ansätze zu sehen und sie zu vernetzen − hat mich die letzten zwölf Jahre schon sehr geprägt. Das hilft jetzt natürlich enorm.

midi ist ja auch eine Vernetzungsstelle zwischen Kirche, Diakonie und missionarischen Diensten. Wie gut funktioniert diese Vernetzung bisher?

Schlegel: Da ist auf jeden Fall  Luft nach oben. Dass wir stärker zusammenrutschen in allen Bereichen, ist eine Zukunftsaufgabe. Diese drei Bereiche bei midi halte ich für ein Versprechen und eine Verheißung: Diakonie, Kirche und Mission.

Mission ist ja ein immer wieder diskutierter Begriff. Wie könnte eine zeitgemäße Form in Deutschland heutzutage aussehen?

Schlegel: Zunächst einmal kommt es darauf an, den Glauben für sich selbst immer neu durch zu buchstabieren. Darüber im Gespräch zu bleiben. Ich glaube, wenn wir als Christen das Salz in der Suppe dieser Gesellschaft sind, dann wirkt das bereits missionarisch. Der Begriff Mission ist natürlich diskreditiert durch Verfehlungen in der Vergangenheit. Das sind vor allem ethische Themen:  Übergriffigkeit und Vereinnahmung. Ich bin aber überzeugt, dass Kirche eine Sendung hat. Insofern bleibe ich dabei: Kirche ohne Mission ist eigentlich keine Kirche.

Dann geht es einfach darum, eine zeitgemäße Form zu finden?

Schlegel: ich glaube nicht, dass wir uns gleich wieder auf die Form stürzen müssen. Wie ich schon sagte, ist das ist eine Frage von Haltungen, Einstellungen, die bei jedem einzelnen selbst beginnen. Wie wir unseren Glauben praktizieren und über ihn sprechen wird auch nach außen abfärben.  Mission beginnt mit dem Hören auf meinen Glauben, Gott und mein Umfeld. Dann kann man gucken, was das jeweils für Formen findet.

Die #Verständigungsorte sind ein Projekt, mit dem midi ziemlich viel Aufmerksamkeit erzeugt hat, auch über die Kirche hinaus. Wie ist das bisher gelaufen?

Schlegel: Es gibt eine große Resonanz, die durchaus noch weiter gehen kann und intensiver werden sollte. Dass wir Menschen zusammenbringen, die in der Polarisierung unserer Zeit sonst nicht miteinander reden würden, ist ein wichtiges Charakteristikum. Dass Kirche zum Ort der Begegnung und des Gesprächs wird, das habe ich bei den Runden Tischen am Ende der DDR-Zeit als Teenager selbst erlebt.

Da hat Kirche also einen Vorbildcharakter, würden Sie sagen?

Schlegel: Ja unbedingt. Allerdings erwarten den nur noch wenige von uns.

Was hören Sie denn von der Basis, aus Gemeinden, Einrichtungen und Initiativen, die diese Gespräche veranstalten?

Schlegel: Dort, wo man sich darauf einlässt, klare Spielregeln definiert und Menschen findet, die das gut moderieren − so betont es auch unsere Studie zu den #Verständigungsorten − gibt es sehr positive Erfahrungen. Exemplarische Veranstaltungen wie in Coswig oder Dortmund sind inspirierend für andere. Auch in meiner Heimatkirche  in Mitteldeutschland gab es von Anfang an große Resonanz. Natürlich sind dort auch die politischen Verwerfungen größer als anderswo. Hier hat man mancherorts Erfahrungen damit gesammelt, Vertreter aller Parteien zu integrieren. Das kann wirklich funktionieren,  und ich halte es für absolut notwendig, dass wir nicht übereinander reden und verurteilen, sondern uns miteinander hinsetzen und wirklich zuhören.  

„Ich wünsche mir, dass wir auch die wirklich heißen Themen anpacken und Kontroversen zulassen.“

Dr. Thomas Schlegel Direktor Evangelische Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung (midi)

Was ist denn wichtig bei der praktischen Durchführung solcher Veranstaltungen?

Schlegel: Man muss sehr klar auf die Einhaltung der Spielregeln achten und die Moderator:innen vorher genau briefen. Auch das Publikum muss unterstützen und das Setting stärken. Den Rahmen zu setzen, in dem dann ein gutes Gespräch stattfinden kann, ist schon aufwendiger als bei anderen  Veranstaltungen.

Wie kann midi die Leute vor Ort unterstützen?

Schlegel: Die Initiative unterstützt die Praktiker:innen vor Ort mit Tipps, Anleitungen, Praxisbeispielen und Materialien auf der Website www.verständigungsorte.de. Unser Team steht auch direkt für Fragen zur Verfügung und führt Multiplikator:innen auf Anfrage gern in die Möglichkeiten der Initiative ein.

Wie soll sich das Format der #Verständigungsorte weiterentwickeln? Sollten sie zu einer festen Einrichtung werden?

Schlegel: Es wäre auf jeden Fall wünschenswert, dass Kirche wahrgenommen wird als jemand, der das Feld öffnet, für einen verlässlichen Rahmen steht und Menschen Raum gibt. Wo sie im fairen Umgang miteinander Meinungen austauschen können. Ich wünsche mir, dass wir auch die wirklich heißen Themen anpacken und Kontroversen  zulassen. Dass Menschen, mit denen man eigentlich nicht reden würde, sich dem Gespräch stellen − auch überzeugte Anhänger:innen der AfD. Das funktioniert natürlich immer nur, wenn die vereinbarten Spielregeln  eingehalten werden. Herausfordernd ist das zwar, aber es kann funktionieren.

Interview: Jörg Echtler