Kirchen nach Moria-Brand: Europa muss jetzt helfen

CCME-Generalsekretär Moritz: „Stoppen Sie das Hotspot-Verfahren, denn es wird nur noch mehr Opfer bringen“

In der Nacht zum 9. September hatte ein Feuer große Teile des mit mehr als 12.000 Menschen völlig überfüllten Lagers auf Lesbos verwüstet. Tausende Menschen mussten sich vor den Flammen in Sicherheit bringen.

In der Nacht zum 9. September hatte ein Feuer große Teile des mit mehr als 12.000 Menschen völlig überfüllten Lagers auf Lesbos verwüstet. Tausende Menschen mussten sich vor den Flammen in Sicherheit bringen.

Frankfurt a.M./Hannover/Köln/Moria/Passau (epd). Die Kirchen dringen nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos auf eine europäische Lösung für die Verteilung der Schutzsuchenden auf aufnahmebereite Länder.

In der Nacht zum Mittwoch hatte ein Feuer große Teile des mit mehr als 12.000 Menschen völlig überfüllten Lagers auf Lesbos verwüstet. Wie die offenbar mehreren Brände entstanden, war zunächst unklar. Tausende Menschen brachten sich nach Informationen der Hilfsorganisation medico international vor den Flammen in Sicherheit und irren nun über die Insel. Berichte über Verletzte oder Tote lagen zunächst nicht vor.

KEK: „Europa ist stark genug“

Die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) ruft nach dem Brand in Moria dazu auf, den europäischen „HotSpot“- Ansatz in der europäischen Flüchtlingspolitik zu beenden und sichere Zugangswege für Geflüchtete zu schaffen. „Flüchtlinge müssen innerhalb der Europäischen Union verteilt werden und willkommen geheißen werden. Die Bildung von Hotspot-Zentren an den EU-Außengrenzen darf nicht zur regulären Flüchtlingspolitik der EU werden. Europa ist stark genug, um Flüchtlinge aufzunehmen, unterzubringen und geordnete Asylverfahren durchzuführen“, sagte Torsten Moritz, Generalsekretär der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (CCME) in einer Videobotschaft, die die Konferenz Europäischer Kirchen am Mittwoch unter anderem auf Twitter verbreitete.

„30.000 Menschen, die ohnehin bereits unter völlig inakzeptablen Umständen untergebracht waren, sind nun ohne Unterkunft. Wir sind bei ihnen in unseren Gedanken und mit unseren Gebeten und wir hoffen, dass alle Flüchtlinge diesen Brand körperlich unversehrt überstanden haben. Es ist völlig selbstverständlich und eine Frage der Menschenwürde, dass eine der ersten Maßnahmen nun sein muss, den Menschen Unterkünfte bereitzustellen und die Versorgung mit Nahrung und den grundlegenden Dingen für den Alltag zu gewährleisten“, sagte Moritz. Er forderte die Regierung Griechenlands und die Europäische Union auf, die bereits geplanten Anstrengungen griechischer Organisationen einschließlich der Kirchen zu unterstützen.

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Die Leitenden Geistlichen der 20 Mitgliedskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) riefen am Mittwoch in einer an die deutsche Ratspräsidentschaft und den Bundesinnenminister gerichteten Erklärung dazu auf, die Angebote von deutschen Bundesländern und Kommunen anzunehmen, Geflüchtete aus den griechischen Lagern aufzunehmen. Eine gemeinsame Erklärung der Leitenden EKD-Geistlichen hatte es den Angaben zufolge zuletzt 2015 gegeben.

In ihrem Appell mahnen die Leitenden Geistlichen der evangelischen Landeskirchen, sie seien „erschüttert über das Leid, das erneut über die schutzsuchenden Menschen gekommen ist, und entsetzt, dass es der Europäischen Union trotz vielfacher Warnungen nicht gelungen ist, diese Eskalation der menschenunwürdigen Situation in dem Lager zu verhindern“. Es müsse „endlich gehandelt werden“.

Bedford-Strohm mahnt rasche europäische Lösung an

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm erklärte: „Mit diesem Appell wollen wir an die auf erschreckende Weise deutlich gewordene Dringlichkeit erinnern, den Geflüchteten, die in den Lagern unter menschenunwürdigen Bedingungen leben, sofort und dauerhaft zu helfen.“ Wenn Europa sich auf gemeinsame christliche Grundwerte berufe, dann stehe das Abschotten gegen Menschen in Not in klarem Widerspruch dazu, sagte er.

Auch gegenüber der „Passauer Neuen Presse“ mahnte Bedford-Strohm eine rasche europäische Lösung an. Falls dies nicht möglich sei, „muss Deutschland mit den Ländern, die dazu bereit sind, vorangehen“, sagte er. Europa habe es versäumt, sich auf einen gemeinsamen Weg in der Flüchtlingspolitik zu verständigen.

Rekowski: „Jetzt ist Schluss. Jetzt ist Zeit zu handeln.“

Manfred Rekowski, Vorsitzender der Kammer für MIgration und INtegration der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), forderte, nach dem Brand in Moria ein Zeichen für eine europäische Aufnahme Geflüchteter zu setzen. Ein abgestimmtes europäisches Handeln bei der Aufnahme von Geflüchteten sei „dringend notwendig, ja überfällig“, sagte der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Im WDR-Radio forderte Rekowski die Europäische Union und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zu einem Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik auf. Der EU sei es trotz vielfacher Warnungen, auch aus den Kirchen, nicht gelungen, „die Eskalation der menschenunwürdigen Situation in dem Lager zu verhindern“, sagte er in seiner Morgenandacht bei WDR2: „Jetzt ist Schluss. Jetzt ist Zeit zu handeln.“

Rekowski verwies auch auf den Appell der leitenden Geistlichen evangelischer Landeskirchen „Wir erwarten vom Bundesminister des Innern, sich den Angeboten von Bundesländern und Kommunen, Geflüchtete aus den griechischen Lagern aufzunehmen, nicht länger zu widersetzen“, zitierte er aus der gemeinsamen Position. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft müsse umgehend eine europäische Lösung für die Verteilung der Schutzsuchenden auf aufnahmebereite Länder finden.

„Versucht die Kirche hier Politik zu machen, wenn sie sich so deutlich zu Wort meldet? Sollte sie nicht lieber bei ihren Leisten bleiben?“, griff Rekowski mögliche Kritik an der Positionierung der Kirchen auf. „Für mich ist klar: Wir dürfen keinen Menschen aufgeben. Wir dürfen niemanden sich selbst überlassen. Wir sind Lobbyisten der Menschlichkeit“, betonte er.

Heimbucher: „Europa hat hier versagt“

Der hannoversche evangelische Landesbischof Ralf Meister appellierte an die Bundesregierung, den Menschen im Lager Moria zu helfen. „Wir würden als evangelische Kirche alle Möglichkeiten vollständig unterstützen, dass man diesen Menschen einen menschenwürdigen Aufenthaltsort gibt, und dann im Rahmen der Asylgesetze darüber berät und beschließt, wo sie letztlich bleiben können“, sagte er am Mittwoch in Hannover. Meister sprach von einer „absoluten Katastrophe“, die allerdings erwartbar gewesen sei.

Auch der evangelisch-reformierte Kirchenpräsident Martin Heimbucher forderte die Bundesregierung auf, aktive Hilfe zu leisten. „Das seit Monaten hoffnungslos überfüllte Moria erfüllt schon lange nicht einmal humanitäre Mindeststandards“, sagte er am Mittwoch im niedersächsischen Leer: „Europa hat hier versagt. Wir müssen uns für unsere Hartherzigkeit schämen.“

Kardinal Woelki: „Daran wird sich die Menschlichkeit Europas messen lassen müssen“

Der Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, erklärte auf Twitter: „Wir dürfen die Augen nicht länger vor dem Leid unserer Mitmenschen verschließen. Ihnen jetzt zu helfen und sie aufzunehmen ist unsere Pflicht – und daran wird sich die Menschlichkeit Europas messen lassen müssen.“

Die katholische Laienbewegung Sant'Egidio erklärte am Mittwoch, wenn „Europa noch auf der Höhe seiner Traditionen von Zivilisation und Menschlichkeit sein will, muss es sich in einem Akt von kollektiver Verantwortung um dieses Problem kümmern.“ Die Gemeinschaft rief alle Länder der Europäischen Union auf, unverzüglich die Flüchtlinge aufzunehmen, die beim Brand im Lager Moria alles verloren haben: „Es sind Asylbewerber, die seit Monaten oder teilweise seit Jahren unter extrem prekären Umständen leben, nachdem sie lange und sehr gefährliche Reisen auf der Flucht vor Krieg oder unerträglichen Zuständen zurückgelegt haben; die große Mehrheit stammt aus Afghanistan.“ Es seien überwiegend Familien. Insgesamt handele es sich um ungefähr 13.000 Personen und davon 40 Prozent Minderjährige.

Der katholische Flüchtlingsbischof Stefan Heße sagte: „In die Betroffenheit über das Elend der Schutzsuchenden mischt sich die Bestürzung über das politische Versagen.“ Man müsse es wohl so offen sagen: „Es handelt sich um eine Katastrophe mit Ansage“, erklärte der Vorsitzende der Migrationskommission und Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen der katholischen Deutschen Bischofskonferenz.