Kompetenzen und Standards für den evangelischen Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen

Ein Orientierungsrahmen

5. Die Kompetenzorientierung in der beruflichen Bildung

Das Verständnis zentraler Begriffe wie Kompetenz und Qualifikation in der beruflichen Bildung stellt einen wichtigen Bezugsrahmen für das Kompetenzmodell des evangelischen Religionsunterrichts an berufsbildenden Schulen dar. Deshalb wird die Entwicklung der Kompetenzorientierung in der beruflichen Bildung zunächst nachgezeichnet und aus einer evangelischen Perspektive[1] reflektiert.

Der Begriff Kompetenz hat seit den 1990er Jahren in der beruflichen Bildung den Begriff der Qualifikation abgelöst. Mit dem Kompetenzbegriff wird im Unterschied zum Begriff der Qualifikation die Orientierung am Subjekt verstärkt und der dynamische, selbstorganisierte und ganzheitliche Charakter von Bildungsprozessen betont. Er umfasst somit sowohl fachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten als auch individuelle Dispositionen.

Der Begriff der Kompetenz wird in der beruflichen Bildung unterschiedlich definiert und verwendet. Darin wird eine Spannung deutlich, die auf unterschiedliche Ausgangspunkte der Akteure beruflicher Bildung hinweist. Denkt man eher vom zu erlernenden Beruf her, wird Kompetenz als individuelle Voraussetzung für die angemessene Bewältigung beruflicher Aufgaben und Situationen verstanden. Denkt man eher von der staatlich verantworteten berufsbildenden Schule her, bezieht sich der Kompetenzerwerb ausdrücklich auch auf private und gesellschaftliche Situationen. Im ersten Fall besteht das Problem, dass auch die Selbst- und die Sozialkompetenz dem Erwerb beruflicher Leistungsfähigkeit untergeordnet werden. Im zweiten Fall besteht die Herausforderung darin, einen für die Auszubildenden plausiblen Zusammenhang zwischen beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen herzustellen und in schulischen Lernprozessen abzubilden.

Ziel der beruflichen Bildung ist die Handlungskompetenz. Neben diesem Begriff finden sich in den Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz (KMK) auch die Formulierungen „berufliche Handlungskompetenz“ und „umfassende Handlungskompetenz.“[2] Handlungskompetenz wird von der KMK auf berufliche, gesellschaftliche und private Situationen bezogen. In diesen Situationen soll der/die Einzelne bereit und fähig sein, sich sachgerecht und individuell wie sozial verantwortlich zu verhalten. Die Handlungskompetenz wird aufgegliedert in die Dimensionen Fachkompetenz, Humankompetenz und Sozialkompetenz. Methodenkompetenz wird wie kommunikative Kompetenz und Lernkompetenz als immanenter Bestandteil dieser drei Kompetenzdimensionen verstanden.

Der didaktische Ansatz der Kompetenzorientierung ermöglicht es, die Dimensionen des „Wissens“ und des „Könnens“ zusammenzuhalten und als Einheit zu verstehen. Aus evangelischer Perspektive müssen „Wissen“ und „Können“ allerdings zu einem verantwortungsbewussten Handeln führen. Dies ist nur möglich, wenn sie mit einem Wertbewusstsein für die Lebensperspektiven der Natur, der Gesellschaft und des Individuums verbunden werden. Bildung wirft deshalb immer auch Fragen auf, die das ganze menschliche Dasein betreffen und die auf grundsätzlich Nicht-Beherrschbares und Nicht-Verfügbares verweisen. Hinsichtlich solcher Fragen kommt der Kompetenzbegriff an seine Grenzen. Eine Grenze ist vor allem dort zu ziehen, wo alle Entfaltungsmöglichkeiten des Subjekts als Kompetenzen beschrieben werden und damit als unter bestimmten Bedingungen erreichbare Fähigkeiten erscheinen. Der Mensch als Geschöpf Gottes ist mehr als die in ihm ausgebildeten Fähigkeiten. Er wird nicht durch Leistung definiert, sondern – im Sinne der Rechtfertigungslehre – durch Christus, der den Menschen von innen her erneuert.

Die Debatte um berufliche Bildung wird aktuell dadurch herausgefordert, Bildung im europäischen Kontext zu denken. Im Jahr 2008 haben sich die Staaten der Europäischen Union auf den „Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen“ (EQR) verständigt, der ein Mittel sein soll, berufliche Qualifikationen über Landesgrenzen hinweg anzuerkennen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat die europäischen Vorgaben dem deutschen Bildungswesen angepasst und in einem nationalen Qualifikationsrahmen umgesetzt. Dieser „Deutsche Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen“ (DQR) wurde 2013 eingeführt. Er beschreibt Qualifikationen, die eine Person durch formale oder nicht formale Bildung erworben hat. Diesen werden acht Niveaustufen zugeordnet, die einen Vergleich auf europäischer Ebene ermöglichen sollen. In dem einführenden Text zum DQR des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wird der Zusammenhang von Qualifikationen und Kompetenzen folgendermaßen dargestellt:

„Indem der DQR ein System für die Zuordnung von Qualifikationen zu Kompetenzniveaus anbietet, hilft er, Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Qualifikationen besser sichtbar zu machen. Er ist offen für die Zuordnung von Qualifikationen

  • der Allgemeinbildung,
  • der beruflichen Bildung und
  • der Hochschulbildung

jeweils einschließlich der Weiterbildung.“[3]

Der Kompetenzbegriff des DQR wird im Glossar zum DQR dann so gefasst:
„Kompetenz bezeichnet im DQR die Fähigkeit und Bereitschaft des Einzelnen, Kenntnisse und Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und methodische Fähigkeiten zu nutzen und sich durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten. Kompetenz wird in diesem Sinne als umfassende Handlungskompetenz verstanden. Im DQR wird Kompetenz in den Dimensionen Fachkompetenz und personale Kompetenz dargestellt. Methodenkompetenz wird als Querschnittskompetenz verstanden und findet deshalb in der DQR-Matrix nicht eigens Erwähnung. (Im EQR hingegen wird Kompetenz nur im Sinne der Übernahme von Verantwortung und Selbständigkeit beschrieben.)“[4]

Die Fachkompetenz und die personale Kompetenz werden jeweils noch einmal untergliedert und mit Indikatoren versehen, sodass sich folgende tabellarische Darstellung der Kompetenzformulierungen im DQR ergibt:[5]

Die Kompetenzen werden in acht Niveaustufen beschrieben. Die Abschlüsse an berufsbildenden Schulen, in denen evangelischer Religionsunterricht erteilt wird, sind den Niveaustufen zwei bis vier und sechs[6] zugeordnet, die kompetenzbezogen folgendermaßen definiert[7] werden:

„Niveau 2 beschreibt Kompetenzen, die zur fachgerechten Erfüllung grundlegender Anforderungen in einem überschaubar und stabil strukturierten Lern- oder Arbeitsbereich benötigt werden. Die Erfüllung der Aufgaben erfolgt weitgehend unter Anleitung.“

„Niveau 3 beschreibt Kompetenzen, die zur selbständigen Erfüllung fachlicher Anforderungen in einem noch überschaubaren und zum Teil offen strukturierten Lernbereich oder beruflichen Tätigkeitsfeld benötigt werden.“

„Niveau 4 beschreibt Kompetenzen, die zur selbständigen Planung und Bearbeitung fachlicher Aufgabenstellungen in einem umfassenden, sich verändernden Lernbereich oder beruflichen Tätigkeitsfeld benötigt werden.“

„Niveau 6 beschreibt Kompetenzen, die zur Planung, Bearbeitung und Auswertung von umfassenden fachlichen Aufgaben- und Problemstellungen sowie zur eigenverantwortlichen Steuerung von Prozessen in Teilbereichen eines wissenschaftlichen Faches oder in einem beruflichen Tätigkeitsfeld benötigt werden. Die Anforderungsstruktur ist durch Komplexität und häufige Veränderungen gekennzeichnet.“

Dem Niveau 2 ist die Ausbildungsvorbereitung zugeordnet.

Dem Niveau 3 sind die zweijährigen dualen Berufsausbildungen und die zweijährigen Berufsfachschulen mit Berufsabschluss nach Landesrecht zugeordnet.

Dem Niveau 4 sind die drei- und dreieinhalbjährigen dualen Berufsausbildungen und die dreijährigen Berufsfachschulen mit Berufsabschluss nach Landesrecht zugeordnet.

Dem Niveau 6 sind die Fachschule (Fachakademie) für Sozialpädagogik und die Fachschule für Heilerziehungspflege zugeordnet.

Der DQR hat zum Ziel, berufliche Qualifikationen über Kompetenzniveaus zu beschreiben. Ethische und religiöse Themen werden innerhalb der Kompetenzformulierungen nicht ausdrücklich thematisiert. Gleichwohl stehen sie im Hintergrund von Formulierungen wie „Beurteilungsfähigkeit“, „Mitgestaltung“ und „Verantwortung“. Im Vorwort zum DQR werden ethische und religiöse Bildung insofern reflektiert, als dass dort entsprechende Bildungsziele einerseits als „interreligiöse Kompetenz“ beschrieben werden und andererseits dem Begriff „Reflexivität“ zugeordnet werden. Sie werden folgerichtig auch nicht in die acht Niveaustufen eingeordnet, aber dennoch als Ziele beruflicher Bildung festgehalten:

„Dem DQR liegt entsprechend dem deutschen Bildungsverständnis ein weiter Bildungsbegriff zugrunde, auch wenn sich der DQR wie der EQR ausdrücklich nur auf ausgewählte Merkmale konzentriert. Gleichwohl sind beispielsweise Zuverlässigkeit, Genauigkeit, Ausdauer und Aufmerksamkeit, aber auch interkulturelle und interreligiöse Kompetenz, gelebte Toleranz und demokratische Verhaltensweisen sowie normative, ethische und religiöse Reflexivität konstitutiv für die Entwicklung von Handlungskompetenz.“[8]

 

[1] Vgl. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.): Maße des Menschlichen. Evangelische Perspektiven zur Bildung in der Wissens- und Lerngesellschaft. Eine Denkschrift des Rates der EKD. Gütersloh 2003.

[2] Vgl. zum Folgenden: Handreichung für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz für den berufs-bezogenen Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen des Bundes für anerkannte Ausbildungsberufe. Hg. vom Sekretariat der Kultusministerkonferenz, Referat Berufliche Bildung, Weiterbildung und Sport. Berlin, 2011.

[3] Bundesministerium für Bildung und Forschung: Der DQR. URL: http://www.dqr.de/content/60.php, Zugriff am 21.01.2016.

[4] Bundesministerium für Bildung und Forschung, Glossar zum DQR, URL: http://www.dqr.de/content/2325.php, Zugriff am 21.01.2016.

[5] Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen, S. 5, URL: http://www.dqr.de/media/content/Der_Deutsche_Qualifikationsrahmen_fue_lebenslanges_Lernen.pdf, Zugriff am 21.01.2016.

[6] Niveaustufe 5 bezieht sich auf weiterqualifizierende Bildungsgänge für einige technische Berufe, in denen kein BRU vor-gesehen ist.

[7] Bundesministerium für Bildung und Forschung: Der Deutsche Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen.
URL: http://www.dqr.de/content/2332.php (auch 2333.php, 2334.php, 2336.php), Zugriff am 21.01.2016.

[8] Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen, S. 4. URL: http://www.dqr.de/media/content/Der_Deutsche_Qualifikationsrahmen_fue_lebenslanges_Lernen.pdf, Zugriff am 21.01.2016.

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