Predigt von Weihbischof Jörg Michael Peters, Sportbischof der Deutschen Bischofskonferenz

Anlässlich des ökumenischen Gottesdienstes zum DFB-Pokalfinale am 19. Mai 2018 in Berlin

Aus allen Himmelsrichtungen, nicht bloß aus Frankfurt und München, führt das Pokalfinale Menschen hierher nach Berlin. Im Olympiastadion werden es rund 75.000 Fußballbegeisterte sein, die nicht nur als Konsumenten, als stumme Zuschauer, zu diesem Top-Ereignis zusammenkommen. Es wird, das spürt man schon heute früh an vielen Plätzen in der Stadt, ein buntes und frohes Treiben. Die Verantwortlichen und Organisatoren erhoffen sich ein von Störungen ungetrübtes Event. Auch darum wollen wir in diesem Gottesdienst beten.


Schon von Weitem lassen die Farben Rot-Weiß und Rot-Schwarz-Weiß offen zu Tage treten, wess’ Herz für wen schlägt. Und auch von den Tribünen sind lebhafte Anfeuerungs- und Pfeifkonzerte zu erwarten. Ein wahres Begegnungs-Ereignis. Wie schön!


Der Mensch kann nicht nicht kommunizieren, sagte einmal der Philosoph Paul Watzlawick. Kommunikation ist etwas Grundlegendes. Wenn man kommuniziert, mit anderen in Verbindung tritt, geschieht das ganz vielfältig. Bevor ich Worte gebrauche, geschieht das oft doch schon durch die Mimik. Wenn ich lächele oder die Mundwinkel nach unten ziehe – wenn unsere Augen strahlen oder ich die Augenbrauen verziehe, macht das deutlich, ob uns etwas gefällt oder wir es überhaupt nicht mögen.


Und wir kommunizieren mit unserem Körper. Wenn wir die Arme vor dem Körper verschränken, schützen wir uns. Wenn wir die Arme ausbreiten, sind wir bereit, den oder die andere in unsere Arme zu nehmen, zu beschützen, zu trösten, lieb zu haben.


Für mich ist es immer wieder spannend zu sehen, wie sich die Fans gegnerischer Mannschaften, und wie Sie einander, wenige Stunden vor dem mit Spannung erwarteten Pokalfinale, begegnen. Wir können den anderen auf die Pelle rücken, freundlich oder aggressiv auf sie zugehen, – oder einfach cool auf Distanz bleiben.
Uns Deutschen sagt man ja nach, dass wir eigentlich viel weniger emotional als Südländer seien; wer aber je mit dem öffentlichen Nahverkehr zum Pokalfinale in Richtung Olympiastadion gefahren ist, kann bereits dort erleben, dass unter Fußballbegeisterten diese innere Hemmschwelle sehr wohl schon einmal überwunden wird.
Gesten sind meist unmittelbar verständlich. Jeder gebraucht sie. Dennoch kann es auch zu Missverständnissen kommen. Manchmal verrät schon ein Blick, dass ich mit meiner Absicht nicht gut rüber gekommen bin, oder ich muss nachfragen, wenn mir die Mimik oder Gestik eines anderen nicht unmittelbar verständlich ist. Und dann gibt es eben die Sprache als herausragendes Mittel der Kommunikation. Die Muttersprache, mit der wir aufgewachsen sind, vielleicht sogar der zuhause gepflegte Dialekt, bleibt wohl jedem Menschen zeitlebens besonders vertraut. Mit ihr können wir uns, unsere Gedanken und unsere Gefühle besonders präzise ausdrücken.


Sprache ist etwas, was verbindet. Eine Sprache nicht zu verstehen, lässt uns fremd und unbeholfen dastehen. Es kann einen ziemlich verunsichern, nicht so recht ausdrücken zu können, was ich eigentlich meine. Und: Wer kennt das nicht? Im Ausland unterwegs nehmen wir sofort wahr, wenn jemand hinter oder neben uns unsere Sprache spricht. Manchmal kommen wir dann kurz ins Gespräch – weil uns etwas verbindet: die gemeinsame Sprache, vielleicht sogar den eigenen Dialekt zu hören – ein „Stück Zuhause“ in einer fremden Stadt kann das sein. Wie uns dieselbe Sprache mit anderen verbindet, kann Sprache auch etwas Trennendes, Absonderndes haben. Nichtverstehen kann entfremden. Wie fundamental das Sich-verständlich-Machen-Können für unser menschliches Miteinander ist, hat wohl jede und jeder schon erfahren.
Eine Anti-Geschichte haben wir eben in der Lesung aus dem Ersten oder wie wir sagen dem Alten Testament gehört. Die Erzählung aus der Genesis, dem ersten Buch der Bibel, sie erzählt von eben dieser Herausforderung, sich verständlich machen zu können. Da wird von einer den Menschen zweckmäßig erscheinenden, in Wirklichkeit aber eher gewalttätigen Sprachvereinheitlichung erzählt: „Und eine Sprache haben sie alle …“ (Gen 11,6). Das Ganze endet, wir kennen die Geschichte vom Turmbau zu Babel nur allzu gut, in einer heillosen Zersplitterung, im sprichwörtlich gewordenen Tohu Vavohu eben, weil da Menschen am Werk sind, die sich selber absolut setzen, getrieben von einer Machtgier, die über Leichen zu gehen bereit ist.


Es ist eine Urgeschichte menschlichen Missverstehens, menschlicher Verschiedenheit, menschlicher Trennung, die auf menschlicher Anmaßung beruht. Sie ist ein Rückfall in ‚vor-paradiesische’ Zustände, ins Tohu Vavohu, ins Wüste und Wirre eben.

Und es brauchte dann Pfingsten, um die Wunde von Babel wieder zu heilen, es braucht ein wirkliches Wunder von oben, um in der gelebten Vielfalt zu einem Miteinander in Einmütigkeit zu finden – und nicht zu bloß verordneter Eintönigkeit.
Denn, dass ein Gelingen solcher gelebter Vielfalt im Miteinander und in Einmütigkeit keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt uns doch der realistische Blick ins Weltgeschehen. Wie viele Menschen brechen aus ihrer Heimat auf, müssen ihre Heimat zurücklassen, – weil sie vor Krieg und Armut flüchten, weil sie woanders, viele von ihnen auch hier bei uns, eine Perspektive suchen – Ruhe, Arbeit, ein Leben ohne Verfolgung und Angst.


Und auch Sportler wechseln ins Ausland zu einem neuen Verein. Sie teilen zumindest die Erfahrung, wie es ist, woanders ein Zuhause – eine neue Heimat zu finden; – und anfänglich sicher auch die Erfahrung, eine neue Sprache erlernen zu müssen. Dass da der Sport wunderbare Brücken bauen kann, erleben wir, Gott sei Dank, landauf und landab; gerade ein Mannschaftssport wie der Fußball bietet hier tolle Chancen. Wenn auch die Sprache trennt oder anfangs unverständlich ist – die Regeln des Fußballs sind bekannt. Selbst dort, wo die Sprache nicht verständlich ist, kann die Verständigung auf dem Platz doch recht einfach gelingen. Man begreift ohne Sprache die Laufwege seiner Mitspieler, weiß mehr und mehr, wie sie am besten angespielt werden sollen. Auch wer eine Sprache nicht ganz gut versteht, ist Teil des Teams, verfolgt das gleiche Ziel; man freut sich gemeinsam über ein Tor oder leidet gemeinsam nach einer Niederlage.


Sport hat in diesem Sinne eine ungeheure integrierende Kraft. Ja, Sport kann Brücken bauen, wo die Sprache (noch) trennt, haben sich doch in den letzten Jahren viele Vereine auf den Weg gemacht, um im Sport Menschen willkommen zu heißen, sie in ihren Mannschaften aufzunehmen und auf diese Weise Integration zu leben. Viele kleine Vereine vor Ort, die oft über keine großen finanziellen Mittel, aber umso mehr Herzlichkeit und Engagement verfügen, sind ein tolles Beispiel dafür. Ihnen gilt meine große Sympathie, mein Respekt und mein Dank.


Morgen feiern wir mit Pfingsten ein Fest, in dem die Sprache auch eine große Rolle spielt. Ist die Erzählung vom Turmbau zu Babel eine Urgeschichte, wie sprachliche Unterschiede Menschen trennen können, so bewirkt Pfingsten gerade das Gegenteil: „Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab. In Jerusalem aber wohnten fromme Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie waren fassungslos vor Staunen und sagten: Seht! Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören?“ (Apg 2,1–2,8)

Die Apostelgeschichte berichtet darüber, wie mit dem Ausgießen des Heiligen Geistes die sprachlichen Grenzen wieder überwunden werden. Pfingsten ist ein Fest des Hinausgehens, des Aufbrechens. Die Gabe des von den Toten erstandenen Herrn Jesus Christus ist die heilige Geistkraft, die Totes lebendig macht, Getrenntes verbindet, Erstarrtes wärmt, Glühendes kühlt und Müdes erfrischt.


In der Taufe werden wir in diesem Geist neu geboren und wird uns ein neues Leben geschenkt. Der Heilige Geist verbindet uns und macht uns zu Kindern Gottes, egal welche Sprache wir sprechen. Durch unsere Taufe können wir uns Schwestern und Brüder nennen, ganz gleich, woher wir kommen oder welche Sprache wir sprechen. Der Heilige Geist hebt unsere Unterschiede nicht auf; wir werden nicht gezwungen, gleich zu sein – dieselbe Sprache zu sprechen oder die uns vertraute Kultur aufzugeben; wohl aber, einander auf Augenhöhe zu begegnen im Respekt vor der Würde, die Gott einer und einem jeden von uns zugedacht hat.


Wenn uns gleich im Stadion ein solches Miteinander aller Beteiligten in Vielheit und Buntheit gelingt, kann, – ja, dann wird es einmal mehr das Freudenfest einer Gemeinschaft werden, zu der auch dort Gottes Geist uns ermuntern will.

Amen