Seelsorge in stürmischen Zeiten

Herausforderungen für die Seelsorge in der Bundeswehr

Dr. Bernhard Felmberg

Der Nachbau einer Militaerkapelle aus dem Afghanistaneinsatz dient kuenftig beim Einsatzfuehrungskommando der Bundeswehr als Ort fuer Gedenken und Gebete. Das "Haus Benedikt" wurde am Dienstag (11.10.2022) von Vertretern von Bundeswehr und Militaerseelsorge mit einem Gottesdienst in Schwielowsee bei Potsdam eingeweiht (Foto: Evangelischer Militärbischof Bernhard Felmberg). In dem kleinen siebeneckigen Gebäude finden bis zu 30 Menschen Platz. In der rund 34 Quadratmeter grossen Kapelle haben auch der Altarstein aus dem Camp Marmal bei Masar-i-Sharif und weitere Stuecke aus der dortigen Kapelle einen neuen Ort gefunden.

Die Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr befindet sich zurzeit in einer entscheidenden Phase der Umstellung und Neuausrichtung. Nach der Gründungszeit mit der seelsorgerlichen Betreuung der Wehrpflichtarmee des Kalten Krieges und dem Wechsel zur Begleitung der Einsatzkontingente der ersten beiden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts stehen jetzt Fragen der Landes- und Bündnisverteidigung im Vordergrund. Die neue Situation und der gesamtgesellschaftliche Bewusstseinswandel – hervorgerufen durch einen Angriffskrieg mitten in Europa – bedeuten eine Herausforderung für die Seelsorge in dreierlei Hinsicht: in der Zuwendung zu den Soldatinnen und Soldaten in ihrer neuen Situation, in der friedensethischen Reflexion des bewaffneten Dienstes und in der Organisation unseres kirchlichen Handlungsfeldes.

In der Begleitung der Soldatinnen und Soldaten sind wir zunehmend mit existenziellen Themen von Krieg und Frieden konfrontiert und mit Menschen, die sich fragen, ob ihr Dienst möglicherweise die direkte Beteiligung an bewaffneter Verteidigung in einem konventionell geführten Krieg bedeuten wird. Das bewegt die unmittelbar Betroffenen genauso wie ihre Familien und ihr Umfeld.

In der friedensethischen Reflexion werden uns die Defizite der Diskussionen der vergangenen Jahrzehnte deutlich, in denen es mehr um die Frage der Intervention in ferne Krisen und um die Abwägung politischer und humanitärer Interessen ging. Schmerzhaft wird uns jetzt bewusst, dass auch Szenarien vorstellbar sind, in denen die Möglichkeit einer Abwägung nicht besteht, wenn nämlich ein Aggressor der anderen Seite eine kriegerische Auseinandersetzung aufzwingt. Wir müssen als Kirche lernen, hierzu sprachfähig zu werden.

Organisatorisch müssen wir uns mittelfristig auf mögliche Szenarien einstellen, in denen seelsorgliche Betreuung nicht nur in der relativen Stabilität von Feldlagern, Ausbildungssituationen oder Kasernen im Friedensbetrieb stattfindet, sondern in denen wir damit rechnen müssen, dass eine größere Anzahl von Soldatinnen und Soldaten in Kampf- und Gefechtssituationen steht.

Bei der 66. Gesamtkonferenz Evangelischer Militärgeistlicher, die jetzt im friesischen Wangerland stattfand, hat sich die Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr diesen Fragen gestellt. Mehr als einhundert Militärgeistliche und eine große Anzahl von Gästen aus Bundeswehr, Politik und Kirche haben sich unter dem Tagungsmotto „Seelsorge in stürmischen Zeiten“ über die aktuellen Herausforderungen informiert, darüber beraten und Fragen des Dienstes besprochen. Dabei sind wir manches Mal an Grenzen gestoßen, wenn es zum Beispiel galt, sich auf das Unvorstellbare eines konventionellen Krieges einzulassen.

Dennoch bin ich überzeugt, dass es Aufgabe der Militärseelsorge ist, sich auch auf solche Szenarien einzustellen. Aber ich hoffe und bete, dass wir nicht in diese Situationen kommen. Und ich wünsche den Menschen, die jetzt schon mitten in Europa von Krieg und Gewalt betroffen sind, Frieden und Gerechtigkeit. In stürmischer Zeit halten wir an der Hoffnung auf Christus fest, der allein dem Sturm Einhalt gebieten kann.

Berlin, 20. Januar 2023

Dr. Bernhard Felmberg
Bischof für die Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr

 

Evangelische Militärseelsorge