Was ist vertretbar? Ethische Probleme der Organtransplantation

Wolfgang Huber

Berlin

1.

Von den frühchristlichen Ärztebrüdern Cosmas und Damian berichtet die Heiligenvita, sie hätten einem Kranken das Bein eines Mohren übertragen. In dieser Legende spricht sich eine uralte Heilungshoffnung aus: Menschen soll das Leben dadurch gerettet und Lebensqualität dadurch gesichert werden, dass zerstörte Organe ersetzt und Organe anderer Menschen transplantiert werden. Aber erst zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts konnten die Voraussetzungen für erfolgreiche Gewebeübertragungen der Haut, des Blutes oder auch des Bindegewebes geschaffen werden. Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts war man so weit, dass man Organe übertragen konnte, zuerst die Niere, dann auch Herz und Leber. Gegen Ende des hinter uns liegenden Jahrhunderts schuf man Voraussetzungen dafür, nichtmenschliche Organe auf den Menschen zu übertragen (Xenotransplantation). Und am Beginn des 21. Jahrhunderts sind die Anstrengungen darauf gerichtet, Gewebe und eines Tages vielleicht auch ganze Organe aus Stammzellen zu züchten und auf diese Weise zur Organimplantation fähig zu sein, ohne dass man dafür der Organexplantation, also der Entnahme eines Organs bei einem anderen Menschen bedarf.

Große Heilungshoffnungen hat man auf diese Möglichkeiten von Anfang an gerichtet. Lange Zeit gingen diese Hoffnungen weit über die realen medizinischen Möglichkeiten hinaus. Dann aber gingen die medizinischen Möglichkeiten oft weit über das hinaus, was man noch kurz zuvor für realisierbar gehalten hatte. Und in jeder Entwicklungsstufe verbanden sich solche Hoffnungen auch mit der Gefahr des Missbrauchs. Der Handel mit Organen zunächst und heute die mögliche Instrumentalisierung menschlicher Stammzellen sowie die Erzeugung von Embryonen ausschließlich zu wissenschaftlichen Zwecken sind die markantesten Beispiele für solche Missbrauchsgefahren. Aber dies ist wohl kennzeichnend für die Ambivalenz wissenschaftlichen Fortschritts überhaupt: Wo seine Verheißungen am größten sind, lauern auch die größten Gefahren.

2.

Die Diskussion über neue Möglichkeiten der Biotechnologie hat sich in den letzten Monaten ganz und gar auf die Frage der Stammzellenforschung einerseits, der Präimplantationsdiagnostik andererseits konzentriert. Das Thema der Organtransplantation ist demgegenüber in den Hintergrund getreten. Zur relativen Ruhe über dieses Thema hat in Deutschland gewiss die Tatsache beigetragen, dass mit dem Transplantationsgesetz von 1997 einige Grundfragen geklärt und wichtige Eckdaten gesetzt wurden.

Aber das Thema ist älter. Der Tod des südafrikanischen Transplantationsmediziners Christian Barnard hat deutlich gemacht, wie alt es ist. Dessen erste Herztransplantation fand Anfang der siebziger Jahre statt; schon seit einer Generation also leben wir mit der Möglichkeit der Organtransplantation. Aus dem Raum der Kirchen hat es in Deutschland bereits in den siebziger und achtziger Jahren eine Reihe von Beiträgen zu den ethischen Aspekten der Organtransplantation gegeben. Jedoch erst Ende der achtziger Jahre haben sich evangelische und katholische Kirche gemeinsam in zwei Veröffentlichungen zu diesem Themenkomplex ausführlich geäußert. 1989 veröffentlichten sie – gemeinsam mit allen anderen christlichen Kirchen in Deutschland – ein Grundlagendokument zu Fragen der Lebensethik unter der Überschrift “Gott ist ein Freund des Lebens”. 1990 schloss sich daran eine separate Veröffentlichung der beiden großen Kirchen zu “Organtransplantationen” an.

Der Ausgangspunkt lag in dem Respekt vor der Würde des Menschen und der damit verbundenen Pflicht zur Lebenserhaltung und Lebensförderung. Deshalb werden Organtransplantationen von den Kirchen grundsätzlich bejaht; soweit der Organentnahme aus freien Stücken zugestimmt wird, kann man in ihr einen Akt der Nächstenliebe über den Tod hinaus sehen. Doch mit dem Hinweis auf die in diesem Fall vorausgesetzte freie Zustimmung ist auch schon das Problem benannt. Organtransplantationen sind grundsätzlich ethisch zulässig; sie können und dürfen aber nicht für alle zur Pflicht gemacht werden. Vielmehr bedarf es klarer Richtlinien im Blick auf die Zulässigkeit und die Modalitäten der Transplantation.

Dem dient das Transplantationsgesetz von 1997, dessen Entstehung die Kirchen intensiv begleitet haben. Es verschafft einer breiten gesellschaftlichen Zustimmung zur Organtransplantation rechtlichen Ausdruck. Es gießt die Zustimmung zu dieser Möglichkeit, leidenden oder gar in ihrem Leben bedrohten Menschen zu helfen, in die Form des Gesetzes. Volle Einhelligkeit in den ethischen Voraussetzungen für ein solches Gesetz konnte in der Diskussion freilich nicht erreicht werden. Umstritten blieben bis zuletzt vor allem die Frage der Todesdefinition und die Möglichkeit der Organentnahme auf der Grundlage einer Zustimmung Dritter.

Unstrittig ist, dass im Hirntod nach dem gegenwärtigen Stand wissenschaftlicher Erkenntnis ein untrügliches Todeszeichen zu sehen ist. Umstritten dagegen ist, ob dieses untrügliche Todeszeichen mit dem Tod der menschlichen Person schlechthin gleichgesetzt werden kann. Denn wenn eine Organentnahme beabsichtigt ist, werden auch nach Eintreten des Hirntodes die Herzkreislauffunktionen aufrecht erhalten. In welchem Sinn von einem Menschen gesagt werden kann, er sei tot, wenn Herz und Kreislauf noch aktiv sind, ist für viele Menschen eine offene Frage. Umgekehrt erklären viele Mediziner es für einen unerträglichen Zustand, wenn nicht die menschliche Person als tot erklärt werden kann, bevor eine Explantation vorgenommen wird; deshalb beharren sie auf der Gleichsetzung des Hirntodes mit dem Tod der menschlichen Person.

Das Organtransplantationsgesetz von 1997 hat darauf verzichtet, den Hirntod ohne weiteres mit dem Tod der menschlichen Person gleichzusetzen oder überhaupt eine Todesdefinition vorzulegen. Vielmehr wird die Todesfeststellung an den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis gebunden. Damit wird der Vorläufigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis Rechnung getragen; die Offenheit für bessere wissenschaftliche Einsicht wird in die rechtliche Regelung integriert. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass wir menschliches Sterben als einen Prozess zu begreifen und zu beschreiben haben. Daraus erklärt es sich, dass wir auch in unserem Umgang mit Gestorbenen, in der Fürsorge für ihren Leichnam, in der Bereitschaft, sie pietätvoll zu Grabe zu tragen, und in der Ehrerbietung gegenüber dem Ort der Beisetzung einen Respekt vor der Würde der menschlichen Person zum Ausdruck bringen, der über den Tod hinauswirkt. Einstweilen ist es noch eine Minderheit, die schnöde sagt, der Leichnam eines Menschen sei vom Zeitpunkt des Todes an sowieso nichts anderes als der verwesliche Rest einer gewesenen Person. Und auch die zunehmende Praxis anonymer Bestattungen hebt ein kulturelles Orientierungsmuster nicht vollständig auf, in welchem wir das Sterben des Menschen als einen Prozess betrachten und auch dem Leichnam des Verstorbenen denjenigen Respekt entgegenbringen, der sich aus einem umfassenden Verständnis menschlicher Würde ergibt. Im christlichen Glauben hat dieser Respekt seinen tiefsten Grund in der Verheißung, dass der verwesliche Körper des Menschen unverweslich auferstehen wird: “Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich; ... es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib” (1. Korinther 15, 42 f.). 

In der Diskussion über die Organtransplantation sind diese sehr grundsätzlichen, auf unser Bild vom Menschen und auf unser Verständnis menschlicher Sterblichkeit bezogenen Fragen immer wieder angeklungen. Ebenso grundsätzlich waren und sind die Fragen, die sich auf die Bedeutung von menschlicher Freiheit und Autonomie für das Thema beziehen. Wenn die Freigabe der eigenen Organe zur Transplantation als Verfügung des Menschen über sich selbst verstanden wird, kann sie im Grunde nur auf der Basis freier Zustimmung erfolgen. Sieht man die Dinge so, nimmt man freilich zugleich an, dass auch die menschliche Freiheit eine Ausstrahlungswirkung über den individuellen Tod hinaus hat. Auch das spricht dagegen, dass die Würde der Person mit dem Eintreten des Todes an ein abruptes Ende kommt. Dem hat das deutsche Transplantationsgesetz von 1997 Rechnung getragen, obgleich es sich nicht kompromisslos an eine enge Zustimmungslösung gebunden hat, die eine Organentnahme nur dann ermöglichen würde, wenn eine ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen für den Fall seines Todes vorläge. Vielmehr hat es auch die Möglichkeit eröffnet, dass nächste Angehörige in Übereinstimmung mit dem mutmaßlichen Willen eines Organspenders die Zustimmung zur Organentnahme erklären können.

Die Kluft zwischen dieser Regelung und der Überzeugung derer, die einer engen Zustimmungslösung anhängen, lässt sich umso eher überbrücken, je mehr unter den Bürgerinnen und Bürgern die Bereitschaft wächst und gefördert wird, sich zu Lebzeiten mit diesem Thema auseinanderzusetzen und eine ausdrückliche Entscheidung über die Bereitschaft zur Spende der eigenen Organe zu treffen. Dabei muss in der gesellschaftlichen Diskussion die Freiheit gewahrt werden, eine Organentnahme für sich selbst zu bejahen oder auch zu verneinen. Organentnahme kann eine Tat der Nächstenliebe über den Tod hinaus sein. Aber sie ist keine Bringschuld. Die Kirche setzt sich dafür ein, die Bereitschaft zur Organspende zu wecken und zu stärken; aber sie wertet diejenigen nicht moralisch ab, die sich nicht für die Organspende entscheiden.

3.

Besondere Probleme verbinden sich mit dem Bereich der Lebendspende. Sie hat in den letzten Jahren in bemerkenswertem Maß an Bedeutung gewonnen. Im Jahr 2000 waren es nach Angaben der Bundesärztekammer in Deutschland 436 Menschen, die einem Angehörigen eine Niere oder einen Teil der Leber gespendet haben. Die Bundesärztekammer hat mit guten Gründen gerade für diesen Bereich eine besondere Pflicht zur Qualitätssicherung festgestellt. Denn Menschen, die zu einer Lebendspende bereit sind, setzen sich damit auch einem besonderen gesundheitlichen Risiko aus. Die Frage, ob dieses Risiko aus Liebe zum Nächsten übernommen werden kann und soll, muss besonders sorgfältig bedacht werden. Einen Menschen zu veranlassen, langfristig nur mit einer Niere zu leben, bringt den in eine Mitverantwortung, der ihm diesen Schritt nahelegt. Im Letzten kann darüber jeder Mensch nur persönlich entscheiden. Auch Eltern dürfen ihre Kinder nicht zu einer Organspende verpflichten oder diese Entscheidung stellvertretend für ihre Kinder treffen. Für Christen ist sowohl die Zustimmung zu einer Lebendspende als auch deren Ablehnung eine ethisch verantwortbare Möglichkeit.

Das Transplantationsgesetz hat diesen ethischen Überlegungen durch Sonderbestimmungen für den Bereich der Lebendspende Rechnung getragen. So hat es eigens die Bedingung aufgenommen, eine Lebendspende nur durchzuführen, wenn sich die organspendende und die organempfangende Person vorher zur Teilnahme an einer ärztlichen Nachbetreuung bereit erklärt haben und wenn eine Kommission bei der Ärztekammer gutachterlich zur Frage der Freiwilligkeit Stellung genommen hat. Das Gesetz hat generell Lebendspenden nur unter Verwandten oder Menschen mit einer vergleichbar engen persönlichen Beziehung zugelassen; dadurch ist der gerade in diesem Fall besonders hohen Gefahr des Organhandels hoffentlich wirkungsvoll vorgebeugt.

4.

Besonders umstritten ist eine neuere Entwicklung auf dem Gebiet der Neurochirurgie, nämlich die Transplantation von fetalem Hirngewebe. Weltweit wurde bereits über 200 Personen fremdes Hirngewebe implantiert, das von abgetriebenen Föten stammte. Erklärtes Ziel der Forschung an wie des Einsatzes von fetalem Hirngewebe ist es, neurologische Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer, Chorea Huntington oder Multiple Sklerose auf diese Weise heilen oder doch zumindest in ihren Folgen lindern zu können. Im Unterschied zu Schweden, Frankreich, den USA und anderen Ländern wird dieses Verfahren in Deutschland bisher nicht angewandt. Die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer hat vielmehr ein Moratorium erwirkt, das den Einsatz dieses Mittels von weiterer Grundlagenforschung abhängig macht.

Die Kirchen haben hierzu in ihrer gemeinsamen Erklärung zu Organtransplantationen von 1990 erklärt: “Die Übertragung bestimmter Gehirnzellen von Embryonen auf Parkinsonkranke ist solange abzulehnen, wie sie eine Abtreibung voraussetzt.” Denn kein Forschungs- oder Heilungsziel, wie hochrangig es auch sein kann, vermag eine Abtreibung zu rechtfertigen. Würden wir die Abtreibung zu therapeutischen Zwecken freigeben, so würden wir vielmehr den menschlichen Embryo zu einem bloßen Mittel zum Zweck machen; wir würden ihn instrumentalisieren. Wir würden dadurch demonstrieren, dass der Embryo ohne jeden Anteil an der Würde der menschlichen Person ist. Es könnte nicht einmal die Rede davon sein, dass – wie derzeit viele argumentieren – der Schutz der Menschenwürde in der vorgeburtlichen Entwicklung Stufen und Stadien durchläuft und erst mit der Geburt des Menschen zu seiner vollen Entfaltung kommt. Bei einem Schwangerschaftsabbruch zu therapeutischen Zwecken wäre vielmehr mit einem hohen Zweck zugunsten Dritter die vollständige Negation der Menschenwürde des werdenden Menschen verbunden. Umstritten ist freilich in diesem Zusammenhang vor allem auch, ob bei Schwangerschaftsabbrüchen, die aus anderem Grund ohnehin erfolgt sind, und unter der Voraussetzung, dass die Mutter dieser Verwendung von fetalem Gewebe aus freien Stücken zugestimmt hat, eine solche Verwendung denkbar und verantwortbar sein kann. Aber die Frage zu stellen, heißt deutlich zu machen, in welcher menschlichen Grenzlage man sich mit derartigen Überlegungen bewegt. Was mutet man einer Frau zu, die unmittelbar nach dem Schwangerschaftsabbruch mit einer solchen Frage konfrontiert wird, die man ihr vorher noch nicht hat stellen dürfen, wenn man denn nicht schon die Entscheidung über den Schwangerschaftsabbruch selbst durch eine solche Perspektive beeinflussen wollte?

Ohne Zweifel bedeutet eine solche Verwendung von abgetriebenen Embryonen eine zusätzliche Belastung für die schwangere Frau. Das medizinische Verwertungsinteresse würde sich de facto doch schon auf Zeitpunkt und Methode des Abbruchs auswirken; in seinem unmittelbaren Zusammenhang müsste die Frau eine zusätzliche, sehr weittragende Entscheidung treffen. Vor allem aber muss man bedenken, dass Eltern, die der Bitte um eine solche “Verwertung des abgetriebenen Kindes” zugestimmt haben, damit eine Art “Rechtfertigung” für die Abtreibung, die schließlich doch einem guten Zweck dient, angeboten erhalten, die mit dem eigentlichen Schwangerschaftskonflikt nichts zu tun hat.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht abzusehen, ob und wann die Transplantation von fetalem Hirngewebe die Hoffnungen erfüllen könnte, die in diese Methode gesetzt werden. In jedem Fall wäre eine solche Therapie auf eine große Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen angewiesen. Denn bis zu acht Embryonen aus der achten bis zwölften Schwangerschaftswoche werden für einen Heilversuch benötigt. Man möchte wünschen, dass ein solcher Weg, der für Missbrauch, ja auch für Kommerzialisierung in besonderem Maß anfällig ist, nicht eingeschlagen werden muss.

5.

Die Hoffnungen, die sich gegenwärtig auf die Forschung an embryonalen Stammzellen und auf den schon vollzogenen therapeutischen Einsatz von adulten Stammzellen richten, sind auch deswegen so hoch, weil sie den Umfang verringern könnten, in dem Organtransplantationen notwendig sind, und weil sie eine Alternative zur Transplantation von fetalem Hirngewebe darstellen könnten. Mit dem Einsatz adulter Stammzellen zur Therapie des Herzinfarkts ist in dieser Richtung möglicherweise ein wichtiger Schritt nach vorn gelungen. Er ist kirchlicherseits auch deshalb mit Freude begrüßt worden, weil die Forschung an und der Einsatz von adulten Stammzellen ethisch weit eher zu akzeptieren ist als die Forschung an oder der Einsatz von embryonalen Stammzellen. Denn mit letzterer verbindet sich erneut die Gefahr, dass ein Embryo nur und ausschließlich dazu erzeugt wird, Mittel zum Zweck, nämlich Lieferant von embryonalen Stammzellen zu sein. Der Hinweis darauf, es handle sich eben um einen “überzähligen Embryo”, ist nur ein schwacher Trost – und dies erst recht in einem Land, das die Produktion “überzähliger” Embryonen absichtsvoll ausgeschlossen hat. Am Horizont eines solchen Weges erscheint das therapeutische Klonen, also die Vorstellung von einem nach der Methode Dolly erzeugten menschlichen Klon, der als Vorratslager für körperverträgliche Organtransplantate dienen kann.

Mit den Fortschritten der Lebenswissenschaften tastet sich die Forschung offenbar auch zum Kern menschlicher Identität vor. Am Problem der Xenotransplantation stellt sich hintergründig die Frage, ob personale Identität auch eine somatische Entsprechung hat. Während zunächst gefragt wurde, ob die Transplantation eines fremden Menschenherzen die Identität und Individualität des Menschen antastet, stellt sich nun die Frage, ob die Transplantation von Organen einer anderen Gattung - konkreter: eines Schweineherzen - die Identität und Individualität des Menschen berührt. Manche Mediziner nehmen die Tatsache, dass eine Gehirntransplantation bisher als nicht möglich erscheint, als einen Hinweis darauf, wo die somatische Entsprechung zur Identität des Menschen zu suchen ist  - eben im Gehirn. Bei einer solchen Überlegung orientieren sie sich implizit am Verständnis des Menschen als animal rationale. Sie machen also - ähnlich wie bei dem Umgang mit dem Hirntodkriterium - von einer höchst voraussetzungsreichen anthropologischen Prämisse Gebrauch. Doch dieser innere Zusammenhang heutiger forschungsethischer Probleme mit weitreichenden anthropologischen Grundfragen ist noch weithin unaufgeklärt. Schon die Fragen zu stellen ist nicht leicht. Oft sind schon die Zugänge zu diesen Fragen interessenbesetzt. Oft leidet der forschungsethische Dialog darunter, dass schon die Fragestellungen unter dem Gesichtspunkt gemustert werden, ob sie die Konkurrenzfähigkeit in einer globalisierten Wissenschaft einschränken können. Manchmal scheint das Tor zu forschungsethischen Fragen wie von sechsflügeligen Seraphen bewacht, die verhindern wollen, dass resultathaft orientierte und entsprechend interessengebundene Forschungsvorhaben beeinträchtigt werden.

Dabei läßt sich nicht leugnen: In Bereichen wie der Genmanipulation, der Züchtungsforschung, der Intensiv-, Transplantations-, Reproduktions- und Fertilitätsmedizin kann die Forschungsfreiheit in Konflikt mit anderen Grundrechten bis hin zur menschlichen Personwürde geraten. Solche Konfliktmöglichkeiten müssen ernsthaft erwogen und geprüft werden. Es sollte nicht dahin kommen, dass die Bioethik als wissenschaftliche Bemühung und dass Ethikkommissionen oder Ethikräte auf den verschiedenen Ebenen in den Verdacht geraten, lediglich Instrumente zur Absicherung unbeschränkter Forschungsfreiheit und möglichst umfassender wirtschaftlicher Nutzung neuer wissenschaftlicher Möglichkeiten zu sein.

Vielmehr muss es gelingen, beides miteinander zu verbinden: die Leidenschaft der Liebe, die leidenden Menschen zu Hilfe kommen will, und den vorbehaltlosen Respekt vor der Menschenwürde, die keinen Menschen und deshalb auch nicht das werdende menschliche Leben zum bloßen Mittel macht. Jede forschungsethische Argumentation ist nach meiner Überzeugung daran zu messen, ob sie beide Gesichtspunkte berücksichtigt. Einseitigkeiten und Polarisierungen kommen regelmäßig dadurch zustande, dass einer dieser Gesichtspunkte gegen den anderen ausgespielt wird. Demgegenüber ist festzuhalten, dass der Respekt vor der Würde der menschlichen Person und die Kultur des Helfens zwei zusammengehörige Merkmale des Menschenbildes sind, das in der christlichen Tradition wurzelt und in unser kulturelles Paradigma Eingang gefunden hat. Wie dieses Paradigma bewahrt und weiterentwickelt werden kann, ist ein Schlüsselthema der gegenwärtigen Debatten zur Ethik der Forschung, gerade auch zur Ethik der biomedizinischen Forschung. Es ist ein Schlüsselthema auch für den Umgang mit der Organtransplantation in der Vielfalt ihrer Aspekte.