Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft

Initiative des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz für eine erneuerte Wirtschafts- und Sozialordnung, GT 22, hrsg. EKD und DBK, Februar 2014

Gemeinsame Verantwortung heißt, die Staatsfinanzen zu konsolidieren.

4. Staatsfinanzen

In den letzten Jahren ist die Staatsverschuldung auch in Deutschland erheblich angewachsen. Viele Gründe hierfür sind nachvollziehbar und das Ergebnis von politischen Entscheidungen, die sinnvollerweise parteiübergreifend getragen wurden. Die deutsche Wiedervereinigung war nicht zum Nulltarif zu verwirklichen. Die Investitionen in das Zusammenwachsen von West- und Ostdeutschland haben zu einem Anwachsen des deutschen Schuldenstandes von etwa 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf rund 60 Prozent geführt. Und auch der letzte große Schub in der Staatsverschuldung auf eine Quote von über 80 Prozent hatte Gründe: Die Eindämmung der internationalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise durch Programme zur Bankenrettung und zur Konjunkturbelebung waren notwendig, um einen Kollaps der Weltwirtschaft zu verhindern. Heute bergen Maßnahmen zur Bekämpfung der Euro-Krise, wie z. B. die hohen Bürgschaften, die mit anderen Ländern zusammen auch Deutschland übernommen hat, die Gefahr einer weiter ansteigenden Neuverschuldung.

Zu hohe Staatsschulden sind jedoch ein Problem, weil sie die Handlungsund Gestaltungsfähigkeit der öffentlichen Hand auf allen Ebenen stark einschränken. Wenn ein immer höherer Anteil der Staatseinnahmen für den Schuldendienst aufgewendet werden muss, bleiben Kommunen, Ländern und dem Bund nicht genügend Mittel, um dringende öffentliche Aufgaben zu erfüllen. Darunter leiden vor allem diejenigen, die in besonderer Weise auf unterschiedliche öffentliche Leistungen angewiesen sind. Wie viel Staatsschulden vor den kommenden Generationen zu rechtfertigen sind, hängt vor allem von der Frage ab, ob die damit finanzierten Ausgaben auch in deren Interesse sind. Hier ist eine differenziertere Betrachtung als die herkömmliche Unterscheidung von Investitions- und konsumtiven Ausgaben erforderlich, da bei dieser Aufteilung die zum Beispiel im Bildungsbereich gezahlten Löhne und Gehälter als konsumtive Ausgaben nicht als Investitionen betrachtet werden.

Auch mit Blick auf die Europäische Union bleibt die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte eine dringliche Aufgabe. Diese Notwendigkeit wird durch die derzeitige Finanzkrise im Euro-Raum unterstrichen. Dabei sind die Ursachen für die zu hohe Verschuldung der Krisenstaaten durchaus unterschiedlich. In manchen Ländern hat sich erst durch die Finanzmarktkrise der Jahre 2007–2009 und staatliche Unterstützungsmaßnahmen für den Finanzsektor die Überschuldung verschärft. Auch zeigt sich, dass hinsichtlich der Möglichkeit der Refinanzierung nicht allein die Höhe der Schuldenquote eines Landes entscheidend ist, sondern primär die Beurteilung seiner Fähigkeit, Schulden fristgerecht zu bedienen. Auch bei einer vergleichsweise niedrigen Schuldenquote kann in wirtschaftlichen Krisenzeiten das Vertrauen der Investoren nachhaltig erschüttert werden. Das ist, bei allen nationalen Unterschieden, das gemeinsame Problem der europäischen Krisenländer. Darüber, wie es zu nachhaltigen strukturellen Lösungen kommen kann, gehen die Meinungen allerdings noch auseinander. Sozialethisch kritisch zu bewerten ist jedenfalls, dass die Sparer zur Zeit besondere Belastungen tragen müssen.

Die Stabilität der gemeinsamen Währung ist eine konstitutive Bedingung für die Errichtung einer wettbewerbsfähigen Sozialen Marktwirtschaft, wie sie im Vertrag von Lissabon als gemeinsames Ziel der EU-Staaten gefordert wird. In einem gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsraum können zielführende Lösungen aber nur gemeinsam gefunden und umgesetzt werden. Sie müssen sowohl die erheblichen Ungleichgewichte in der Wirtschaftskraft einbeziehen als auch die Probleme, die durch nationale Politik sowie durch unterschiedliche Steuer- und Sozialversicherungssysteme bei nahezu unbegrenzter Kapitalmobilität und hoher Intransparenz im Finanzsektor entstanden sind. Ohne einen wirksamen politischen Rahmen kann die gemeinsame Währung keinen Bestand haben.

Die in Deutschland auf der Ebene von Bund und Ländern verfassungsrechtlich verankerte Schuldenbremse kann ein hilfreiches Instrument zur Haushaltskonsolidierung sein. Die mit einer nachhaltigen Haushaltskonsolidierung verbundenen Belastungen müssen dabei gerecht verteilt werden. Dafür muss nicht nur gefragt werden, welche öffentlichen Ausgaben gestrichen oder gekürzt werden sollten, sondern es muss auch die Einnahmenseite einbezogen werden. Dies gilt auch mit Blick auf den Europäischen Fiskalpakt, der eine Übertragung der Idee der Schuldenbremse auf alle EU-Länder vorsieht. Wir sehen mit großer Sorge, dass in einigen Euro- Ländern die Ausgabenkürzungen zur Haushaltskonsolidierung zu schweren sozialen Verwerfungen geführt haben. Insbesondere die in manchen Krisenländern drastisch gestiegene Arbeitslosigkeit, vor allem auch unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen, ist für die betroffenen Gesellschaften und ganz Europa eine auf Dauer nicht tragbare Belastung.

Gerade vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass im Zuge der Debatte über die richtige Krisenpolitik in der EU eine zunehmende Kritik laut wurde an der Steuerpolitik und der laxen Steuermoral, aber auch an der wenig effektiven, teilweise sogar korrupten Steuerverwaltung in einigen EU-Ländern. Beides ermöglichte, Gewinne transnationaler Unternehmen sowie hohe private Einkommen und Vermögen der Besteuerung weitgehend zu entziehen. Dass sich inzwischen fast alle europäischen Staaten für mehr Transparenz und Informationsaustausch aussprechen, ist als Reaktion auf die zunehmende öffentliche Aufmerksamkeit und Kritik sowie den eingetretenen Vertrauensverlust in den Finanzsektor zu werten. Der dadurch ermöglichte Kulturwandel muss nun durch eine internationale Kooperation bei geeigneten Maßnahmen umgesetzt werden, um Steuerbetrug und Steuerhinterziehung in Zukunft effektiver zu verhindern und zu verfolgen.

Beachtenswerte Vorschläge in Hinblick auf dieses Ziel sind z. B. ein automatischer Informationsaustausch steuerrelevanter Daten, die Bekämpfung von Verdunkelungsoasen und eine gemeinsame konsolidierte Unternehmensbesteuerung zur Verhinderung von steuerlich motivierter Gewinnverschiebung. Steuerpflicht ist nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine moralische Bürgerpflicht. Wer versucht, sich dieser Pflicht zu entziehen, macht sich an seinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern und am Gemeinwohl schuldig.

Internationale Bemühungen zur konsequenteren Durchsetzung der Steuerpflicht könnten nicht nur wesentlich zur haushaltspolitischen Konsolidierung beitragen, sondern auch die steuerliche Belastung von Gewinneinkünften insbesondere von transnationalen Unternehmen auf ein gerechteres Verhältnis zur Belastung kleiner und mittlerer Unternehmen und von Arbeitseinkünften anheben.

Zwar löst eine gerechte Steuerpolitik keineswegs alle haushaltspolitischen Probleme, sie würde aber erheblich zu einer größeren Akzeptanz der weiterhin erforderlichen Sparmaßnahmen beitragen. Außerdem würde sie den Regierungen mehr Spielraum verschaffen, um konjunkturelle Entwicklungen einbeziehen und langfristigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schäden durch soziale Verwerfungen sowie unterlassene Strukturinvestitionen entgegenwirken zu können.

Bei allem notwendigen Bemühen um eine Haushaltskonsolidierung darf die Lösung der europäischen Krise nicht auf dem Rücken von Millionen von Menschen ausgetragen werden, die sie nicht verursacht haben. Insgesamt ist ein Schuldenabbau, der vor allem auf Kosten der sozial Schwachen und auf Kosten notwendiger Zukunftsinvestitionen geht, aus ethischer Sicht nicht hinnehmbar. Darüber hinaus ist es nach unserer Überzeugung weder im Interesse der heutigen noch der zukünftigen Generationen, das Projekt Europa aufgrund nationaler Egoismen an grundsätzlich lösbaren finanz- und geldpolitischen Problemen scheitern zu lassen.

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