Das Abendmahl

Eine Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis des Abendmahls in der evangelischen Kirche

Vorwort

Es gibt kaum ein anderes Gebiet christlichen Lebens und christlicher Frömmigkeit, auf dem so viel gestritten und gelitten, so viel gelehrt und gespalten, so viel geglaubt und verzweifelt wurde, als Verständnis und Praxis des Abendmahls. Wenn man die Taufe als die Eintrittstür in die christliche Gemeinschaft bezeichnet, dann ist das Abendmahl der Heimathafen jeden Glaubens. Beim Abendmahl erfährt und feiert der Glaubende in einer gottesdienstlichen Gemeinschaft die Nähe zu Christus, hier ist die Mitte des Erlösungsglaubens gleichsam mit Händen zu greifen, und deswegen wurde sie immer wieder auch mit Ellbogen verteidigt.

Denn so ist es ja immer: Je inniger es zugeht, desto heftiger können die Verletzungen sein; je größer die Liebe, desto tiefer die Risse; das ist bei zwischenmenschlichen Beziehungen so und im Glauben erst recht. Deswegen gab es um die Frage nach dem rechten Verständnis und der angemessenen Praxis des Abendmahls seit den Anfängen der Christenheit Dissens und Streit, aber auch Annäherung und Klärung. Auch über dieser Frage zerbrach die Einheit des abendländischen Christentums, und die grundlegende Einheit der reformatorischen Bewegung des 16. Jahrhunderts konnte im Blick auf das Abendmahl ebenfalls nicht bewahrt werden, obwohl immer wieder miteinander um die Einheit gerungen wurde. Heute ist kaum noch nachvollziehbar, daß selbst in der bedrängenden Situation des »Kirchenkampfes« gegen eine nationalsozialistisch bestimmte Kirche und Theologie (beispielsweise auf der Barmer Theologischen Synode 1934) kein gemeinsames Abendmahl zwischen lutherischen, reformierten und unierten Christen gefeiert werden konnte. Allerdings stellte das schmerzvolle theologische Ringen um das Abendmahl und die Wiederaneignung der eigenen konfessionellen Traditionen eine unabdingbare Voraussetzung für die theologisch begründete Aufnahme der Abendmahlsgemeinschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dar. Die jeweiligen Positionen zu Verständnis und Praxis des Abendmahls sind eng mit vielen anderen wichtigen theologischen Fragen wie zum Beispiel der Frage nach dem kirchlichen Amt verbunden. Diese besondere Nähe zum Kern des Glaubens mag nun auch erklären, warum die evangelische und katholische Kirche bis heute keinen Weg gefunden haben, gemeinsam offiziell zum Abendmahl einzuladen. Auch der Ökumenische Kirchentag in Berlin 2003 wird an dieser Lage nichts ändern, und wir alle sollten uns daran erinnern lassen, daß man Nähe so wenig erzwingen wie man Gemeinschaft einfordern kann. Keiner sollte in Fragen einer gemeinsamen Abendmahlsfeier den anderen nötigen wollen.

Gleichwohl gehört es zu den Grundaufgaben der Kirche vor solch einem großen ökumenischen Fest, sich ihres eigenen Verständnisses des Abendmahls in knapper Form zu vergewissern. Dabei wird sich evangelische Theologie nicht nur immer wieder an den biblischen Quellen orientieren, sondern auch an den erreichten Konsens der Leuenberger Konkordie von 1973 erinnern und von dort aus das evangelische Abendmahlsverständnis mit seinen unterschiedlichen Ausprägungen in lutherischer und reformierter Tradition darlegen. Dieses kann dann auch im Blick auf die An- und Rückfragen näher entfaltet werden, die sich aus der Mitte der evangelischen Kirche und ihrer Frömmigkeit selbst ergeben. Denn nicht wenige zentrale Begriffe der theologischen Überlieferung wie Schuld und Sünde, Fleisch und Blut, Sühne und Opfer bedürfen einer Erläuterung und vertragen sie.

Der Rat der EKD hat im Oktober 2001 eine Ad-hoc-Kommission einberufen, die ihre Ergebnisse im Oktober 2002 erstmals dem Rat vorlegen konnte. Im Dezember 2002 hat sich der Rat den Text zu eigen gemacht und der Kommission – insbesondere ihrem Vorsitzenden, Herrn Professor Markschies – gedankt für ihren großen Einsatz. Der vom Rat der EKD nun vorgelegte Text zum Verständnis und zur Praxis des evangelischen Abendmahls soll eine Orientierungshilfe sein. Weder will der Text die Gesamtheit aller theologischen Fragen zum Abendmahl klären noch die in den Kirchen vorhandenen Lebensordnungen ersetzen, sondern lediglich einige Grundzüge unterstreichen, die das evangelische Abendmahl identifizierbar machen.

Der Text beschreibt daher in drei Schritten die biblisch-theologischen Grundlagen, die heutigen Anfragen und theologischen Klärungen und die Praxis des evangelischen Abendmahls, ohne dabei die Unterschiede zwischen lutherischer und reformierter Tradition einzuebnen. Dabei verfolgt der Text die Leitfrage, welche Dimensionen der Abendmahlsfeier von Anfang an den Kern bilden und welche Dimensionen zur Ausgestaltung und Interpretation einladen. Der Text beschreibt so zugleich den stiftungsgemäßen Kern evangelischen Abendmahlsverständnisses und den sich darum rankenden Reichtum evangelischer Abendmahlstraditionen. Damit hofft der Rat der EKD, die gemeinsame Mitte aller unterschiedlichen Akzentuierungen des einen evangelischen Abendmahlsverständnisses zu stärken und zugleich auf die breite, schon heute mit der römisch-katholischen Kirche gemeinsame Basis hinzuweisen, die künftige Weiterarbeit in ökumenischer Perspektive zugleich notwendig und verheißungsvoll sein läßt, – daß nämlich die stiftungsgemäße Feier in Orientierung an den biblischen Quellen die Zusage gültig und glaubwürdig macht: Jesus Christus ist selbst »Gastgeber und Gabe« des Mahles, »gewährt Vergebung der Sünden und befreit uns zu einem neuen Leben aus Glauben« (Leuenberger Konkordie 15).

Hannover, im Advent 2002

Präses Manfred Kock

Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

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