Leitlinien für eine multifunktionale und nachhaltige Landwirtschaft

Zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union. Eine Stellungnahme der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung, EKD-Text 114, 2011

6.4 Eröffnung positiver sozioökonomischer Perspektiven

Die Gesellschaft darf keine unzumutbare Anforderungen an die Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung stellen, die ganze Branchen oder Regionen der Landwirtschaft an den Rand der Existenz bringen. Auf die Verlässlichkeit der Unterstützung durch den Staat müssen die Landwirte der unterschiedlichsten Betriebstypen rechnen können. Alle Änderungsprozesse der Agrarpolitik müssen entsprechend vorbereitet und langfristig durch planbare Übergangszeiträume eingeleitet werden. Der Haupt-Begründungszusammenhang für eine öffentliche Förderung muss sich – entsprechend des Modells der multifunktionalen Landwirtschaft – an der Honorierung gesellschaftlich erwünschter jedoch nicht marktfähiger Leistungen ausrichten. Allein die Agrarpreise ermöglichen es den Landwirten nicht, gewünschte öffentliche Güter ohne eine öffentliche Förderung dieser Leistungen bereit zu stellen.

Bei diesen Leistungen handelt es sich u. a. um

  • die quantitative und qualitative Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln für die europäische Bevölkerung,
  • die Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen,
  • die Erhaltung von Artenvielfalt und Habitaten,
  • die Pflege der Kulturlandschaften und
  • die Gewährleistung von lebensfähigen regionalen Strukturen im Rahmen nachhaltiger ländlicher Entwicklung.

Dabei sollen auch innovative Betriebsumstellungen weiterhin förderungswürdig sein, die der Erschließung neuer innovativer Produkte, Vermarktungswege, Vermarktungsformen und Produktstandards für Märkte dienen.

Neben einer ökologischen Qualifizierung treten auch zunehmend soziale Gesichtspunkte, wie z. B. Kleinerzeugerregelungen, Förderung von Junglandwirten, Begrenzung der Zahlungen nur auf "aktive Landwirte", und – besonders umstritten – eine pro Betrieb degressiv gestaffelte Kappung mit einer absoluten Obergrenze der Förderung. Dabei sollten die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze pro Betrieb berücksichtigt werden. Allerdings sind dabei die sehr großen Unterschiede unter den EU-Mitgliedsstaaten im Blick auf den allgemeinen Lebensstandard und die Lohnkosten einzubeziehen. Das langfristige Ziel der Teilhabe der in der Landwirtschaft Tätigen an der allgemeinen Einkommensentwicklung gilt nach wie vor. Derzeit decken die Erzeugerpreise häufig nicht die Produktionskosten. Die wesentlich stärker ökologisch und sozial qualifizierte öffentliche Förderung dient deshalb auch in Zukunft in Teilen der Einkommensstabilisierung. Mittelfristig sollte das Ziel die Zahlung fairer Erzeugerpreise sein, die den Betrieben ein ausreichendes Einkommen ermöglichen.

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