Leitlinien für eine multifunktionale und nachhaltige Landwirtschaft

Zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union. Eine Stellungnahme der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung, EKD-Text 114, 2011

5. Was leitet uns als Christinnen und Christen in unserem  Eintreten für eine schöpfungsbewahrende und gerechtigkeitsorientierte Landwirtschaftspolitik?

In unserem Eintreten für Reformen hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft sind wir als Christen geleitet von unserem Glauben an Gott den Schöpfer und Erlöser. Im Glauben an den Schöpfer verstehen wir alle Menschen als Ebenbilder Gottes, die die Erde gestalten und bebauen sollen – wie es im 1. Buch Mose Kapitel 2,15 heißt. Wir tragen Verantwortung dafür, das Land so zu bebauen, dass für die Ernährung aller Menschen Sorge getragen wird. Mit Dankbarkeit und Staunen sehen wir die große Fülle an Gaben, die uns Gott mit seiner Schöpfung geschenkt hat. Diese Fülle ist uns gegeben, damit alle davon leben können. Ein egoistisches Nutzen seiner Gaben, das auf Kosten anderer geschieht und ihnen die Nutzung von Gottes Gaben verwehrt, widerspricht dem Glauben an den Gott, der alle Menschen liebt.

Der Glaube an den Schöpfer stellt uns in die Verantwortung, Gottes Schöpfung zu bewahren. Bei allem Gestalten und Bebauen sollen wir die Vielfalt der Schöpfung achten und erhalten. Die Natur als Schöpfung Gottes hat für uns einen eigenen Wert, den wir zu respektieren haben. Das heißt, dass der Freiheit zur Nutzung der Schöpfungsgaben Grenzen gesetzt sind. Ein rücksichtsloses und grenzenloses Ausplündern der Naturressourcen ist mit dem Glauben an den Schöpfer und der Achtung seiner Schöpfung nicht vereinbar. Das Prinzip der Nachhaltigkeit ist daher eng mit dem christlichen Schöpfungsglauben verbunden. "Beiden geht es darum, das geschaffene Leben zu achten, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten – auch für kommende Generationen – und die Güter der Erde gerecht zu verteilen." [4]

Der Glaube an Jesus Christus, in dem Gott sich als unser Befreier und Erlöser offenbart hat, ruft uns als Christinnen und Christen dazu auf, für Gerechtigkeit und solidarisches Teilen einzutreten. Christus hat sich in besonderer Weise der Armen angenommen und ruft uns in seiner Nachfolge zum konkreten Teilen mit den bedürftigen Nächsten auf. In ihnen begegnet uns Christus selbst. "Was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan", heißt es in Matthäus 25, 40. Auch der Apostel Paulus ruft die Gemeinde in Korinth zum solidarischen Teilen mit den fernen Brüdern und Schwestern in der Gemeinde in Jerusalem auf: "Euer Überfluss diene ihrem Mangel" (2. Kor 8,14).

Auch im Alten Testament wird das solidarische Teilen mit den Hungrigen als Ausdruck und Teil des Glaubens und des Gottesdienstes verstanden. "Brich dem Hungrigen dein Brot" so heißt es in Jesaja 58,7. Eine Frömmigkeit, die den Glauben vom Tun abspaltet, ein Gottesdienst, der das Gebet vom Teilen mit den Hungrigen trennt, wird kritisch hinterfragt. Ein Glaube, der sich im Teilen zeigt, wird dagegen als etwas Heilsames verstanden. "Dann (...) wird deine Heilung schnell voranschreiten (…). Wenn du den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen" (Jesaja 58, 8 und 10). Im Teilen des Brotes sollen nicht nur die Hungrigen gesättigt und ihrer Würde entsprechend behandelt werden, auch die Reichen sollen durch die Liebe zum Nächsten, die sich im solidarischen Teilen und Leben konkretisiert, geheilt werden. Solidarisches Leben zeigt sich dabei nicht nur im persönlichen Lebensstil, sondern auch im Eintreten der Christen für gerechtere ökonomische und politische Strukturen, die dem Leben aller dienen.

Eine Ökonomie des Teilens ist wesentlicher Bestandteil der biblischen Auffassung von einer lebensdienlichen Wirtschaft, neben dem Auftrag, die Schöpfung und die Mitgeschöpfe zu achten und zu bewahren. Die besondere Verantwortung gegenüber den Armen und Hungernden kommt auch in Gottes "vorrangiger Option für die Armen" zum Ausdruck, die uns aufträgt, den Wert unseres Wirtschaftens daran zu messen "inwiefern (es) die Armen betrifft, ihnen nützt und sie zu eigenverantwortlichem Handeln befähigt" [5].

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