Andacht auf Knopfdruck

Lichterkirchen bieten Besuchern persönlichen Zuspruch

Altarraum einer Kirche violett angeleuchtet

Auf dem Terminal der Kirche St. Matthias können Besucher zwischen Kurz-Andachten, Psalmen und Liedern auswählen. Der Altarraum wird dazu passend mal gelb, mal rot oder blau beleuchtet. ​

Der Altarraum der Kirche St. Matthias ist in blaues Licht getaucht. Die Lichtspots auf der Klinkerwand lenken den Blick auf das große Kreuz in der Mitte. „Es war ein hammerharter Alptraum“, tönt es dazu aus den Lautsprechern. In Rap-Form wird die Geschichte vom barmherzigen Samariter erzählt. Die katholische St. Matthias-Kirche in Netphen-Deuz im Siegerland ist seit Mai eine Lichterkirche. Besucher können an einem Terminal selbst Andachten mit passender Musik und Beleuchtung auswählen. Für Kinder und Jugendliche gibt es Geschichten und Lieder wie den Bibel-Rap.

„Die Kirche muss neue Wege gehen“, ist Alexander Weber überzeugt, der Vorsitzende des Kirchenvereins von St. Matthias. Die katholische Gemeinde in dem 2.000-Seelen-Dorf Deuz spürt wie Kirchen vielerorts die Auswirkungen von Pfarrermangel und immer weniger Gottesdienstbesuchern. Sonntagsmessen finden nur noch alle zwei Wochen statt. Dazwischen war die Kirche abgeschlossen – bis im Mai das Multimedia-System „MediaKi“ installiert wurde. Seitdem steht St. Matthias täglich zwischen 10 und 18 Uhr Besuchern offen, die sich einen persönlichen Zuspruch wünschen oder bei Musik und Bibelversen zur Ruhe kommen wollen.

Andachten zu Freude, Trauer und Zorn

Vertrieben wird „MediaKi“ von dem Wirtschaftswissenschaftler Lars Weber. Er entwickelte das patentierte System mit seinem Vater, dem evangelischen Pfarrer Ulf Weber, als dessen damalige Kirche im hessischen Willingen-Rattlar renoviert wurde. Die Idee: „Eine offene Kirche, in der Besucher nicht nur Kerzen entzünden können, sondern auch einen Zuspruch für ihre momentane Emotion finden“, berichtet Ulf Weber.

Das System ist simpel zu bedienen: Auf einem Terminal mit Touchscreen wählen Besucher zwischen Kurz-Andachten, Psalmen und Liedern aus. Der Altarraum wird dazu passend mal gelb, mal rot oder blau beleuchtet. Am beliebtesten seien die etwa 15-minütigen Andachten zu Gefühlen wie Freude, Trauer und Zorn, die mit Musik untermalt sind, berichtet Ulf Weber.

Bedarf an Spiritualität und geistlichen Impulsen sei weiterhin da

2014 wurde „MediaKi“ in Rattlar installiert. Mit der Zeit wandten sich andere Gemeinden an Weber, und mittlerweile gibt es sieben Lichterkirchen in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen. Die Kosten – in Deuz lagen sie inklusive Umbaumaßnahmen bei 20.000 Euro – werden oft zum Großteil von Bistümern oder evangelischen Landeskirchen übernommen. Die meisten Lichterkirchen liegen wie St. Matthias im ländlichen Raum, wie Lars Weber berichtet. „Kirchen, die geschlossen werden sollten, konnten sich mit dem Kirchensystem und einem eigenen Konzept über einen großartigen Zuspruch freuen.“

Alexander Weber aus dem Deuzer Kirchenverein ist überzeugt: Auch wenn die Zeiten voller Sonntagsgottesdienste vorbei seien, sei der Bedarf an Spiritualität und geistlichen Impulsen weiterhin da. Das zeige auch die Resonanz auf „MediaKi“ in St. Matthias. Das Gästebuch der Kirche ist voll des Lobs. „Eine schöne Unterbrechung unserer Radtour“, lautet ein Eintrag. Eine andere Besucherin schreibt: „Es tut gut, hier zu entspannen und Kraft zu schöpfen.“

Lichterkirche will keinen Gottesdienst ersetzen

Auch Besucher des nahe gelegenen Bestattungswaldes könnten in der Lichterkirche Trost finden, sagt Alexander Weber. Eine Gemeindereferentin aus Siegen wolle dafür eine Andacht einspielen. Solche eigenen Projekte haben auch andere Lichterkirchen umgesetzt. So widmet sich die St. Antonius-Kirche im sauerländischen Medebach-Oberschledorn dem Thema Kunst. In Ulf Webers aktueller Gemeinde im thüringischen Schmalkalden setzten Jugendliche ein Hörspiel über Luthers Gewittererlebnis um – inklusive Lichtblitzen und Nebelmaschine. Gemeinden können ihre Inhalte dann untereinander austauschen.

Eines kann und will das multimediale Kirchensystem aber ausdrücklich nicht: einen Gottesdienst ersetzen. „In einem Gottesdienst gibt es einen Pfarrer, es wird Segen zugesprochen, man singt miteinander Lieder“, sagt Ulf Weber. Das multimediale Kirchensystem sei eher mit geistlichen Podcasts oder Andachten im Rundfunk vergleichbar. Das Besondere bei „MediaKi“ sei der Ort, sagt der Pfarrer. „Es ist schon etwas anderes, ob ich eine sakrale Atmosphäre habe, oder ob ich im Wohnzimmer sitze, die Füße hochlege und Bibel TV gucke.“ Und vielleicht, ergänzt Lars Weber, führe ein Besuch in einer Lichterkirche manche Menschen auch wieder in den Gottesdienst.

Jasmin Maxwell (epd)