31. Kirchbautag in Berlin: Kirchengebäude zwischen Erhalt und Umnutzung
Unter dem Motto „Wirklichkeiten und Wege“ findet vom 11. bis zum 13. September der 31. Evangelische Kirchbautag in Berlin statt. Diskutiert wird u.a. über die Zukunft kirchlicher Gebäude. Das im Vorfeld erschienene Buch „Leben statt Leere“ wirbt dafür, sie als offene Orte für Kultur, Begegnung und soziale Projekte neu zu beleben.

Schon vor 20 Jahren eröffnete das Restaurant „Glückundseligkeit“ in der ehemaligen Martini-Kirche Bielefeld.
Kirchengebäude sind nach wie vor sehr präsent im öffentlichen Raum. Für Städte und Dörfer haben sie oft geradezu ikonische Bedeutung. Sie sind Orte der Geschichte, ein kulturelles Erbe. Doch den Kirchengemeinden, die in ihnen zuhause sind, werden ihre Gebäude zunehmend zur Belastung. Nach den Personalkosten steht die Gebäudeunterhaltung in den Haushalten meist an zweiter Stelle. Ausgaben, die in Zeiten zurückgehender Mitgliederzahlen und damit Steuereinnahmen mehr und mehr in Frage stehen. Veränderungen sind unvermeidbar.
Rund 40.000 Kirchengebäude gibt es in Deutschland, knapp die Hälfte davon in der evangelischen Kirche. Etwa jedes dritte von ihnen dürfte einer Experten-Prognose zufolge in den nächsten 40 Jahren aufgegeben werden – weil es von den kleiner werdenden Gemeinden nicht mehr genutzt und/oder erhalten werden kann. Bei Pfarr- und Gemeindehäusern ist der Trend zur Auf- und Abgabe seit Jahren schon sichtbar, doch zunehmend sind auch Sakralbauten selbst betroffen.
Ist der Verkauf auf dem Immobilienmarkt, der Übergang in eine private Nutzung von kirchlichen Gebäuden und Grundstücken die einzige Option? Oder gibt es andere Perspektiven? Mit dieser Frage beschäftigt sich schwerpunkthaft auch der diesjährige Kirchbautag vom 11. bis 13. September in Berlin. Das im Vorfeld erschienen Buch „Leben statt Leere – Überlegung zum Umgang mit unseren Kirchen“ greift das Thema in umfassender Form auf. Es führt Perspektiven von Stadtplanung, Architektur, Denkmalschutz, Bildung, Kirchengemeinden und Kommunen zusammen und plädiert für einen Erhalt kirchlicher Orte als Frei- und Sozialräume für alle.
Fähigkeit zum Kompromiss gefragt
Durch viele Verordnungen und Regeln habe man Kirchen in ihrer Nutzung beschränkt und so vielen Menschen entfremdet, so sagt es der Mitautor von „Leben statt Leere“, Klaus-Martin Bresgott vom Kulturbüro der EKD, im Interview mit dem Magazin chrismon. Er verweist auf Luther, für den der Kirchenraum stets Mittel zum Zweck gewesen sei, „nur heilig, wenn darin gebetet wird“. Für die Sonderstellung als rein sakraler Ort fehle inzwischen aber oft das Fundament. „Früher waren Kirchen vielfach offenere Orte – auch in der DDR“, so Bresgott.
Im Osten Deutschlands knüpft man heute an diese Traditionen an. Nicht mehr genutzte Dorfkirchen werden von privaten Initiativen, Freundeskreisen, Vereinen saniert und mit neuem Leben gefüllt – als Kino, Kulturkirche oder als Dorfgemeinschaftshaus, das verschiedenen Gruppen offensteht. „Die Leute wollen ihre Kirche erhalten – auch wenn sie mit den christlichen Inhalten wenig anzufangen wissen“, so Bresgott. Der Kunsthistoriker berät und begleitet viele Umnutzungsprozesse und empfiehlt, von Anfang an mehrere Partner und wenn möglich auch die Kommune ins Boot zu holen. Dies helfe schon bei der Beschaffung von Geld für Sanierung und Umbau und beim Umgang mit dem Denkmalschutz.
Von der Entfernung alten Kirchengestühls bis hin zur Frage, wer den Raum wann nutze und wofür – stets sei Kompromissfähigkeit gefragt. Kirchengemeinden müssten sich von ihrer Rolle als alleinige Hausherrin verabschieden – ein manchmal schmerzhafter Lernprozess. Bresgott rät dennoch zur Offensive: „Raus in den Stadtteil gehen oder auf Suche-brauche-Portalen posten: Wir haben Platz, wer braucht welchen?“
Kirchen als öffentliche Orte erhalten
Ob auf dem Land oder in der Großstadt – die Frage nach der Um- und Neunutzung von Kirchen wird sich überall stellen. Und Ideen, was alles noch möglich wäre, sind vorhanden. Bresgott berichtet aus einem Seminar mit Architekturstudierenden, die ihre Vorstellungen einer „Kirche für alle“ entwickelt haben: Die Liste reicht von Ausbildungsstätten für Handwerker, Küchen und Gärten, Restaurants, Bibliotheken, Ausweichräumen für Schulen bis hin zu Schutzhäusern für Frauen und Sozialstationen. Zuvor hätten die Studierenden die jeweilige Nachbarschaft untersucht und gefragt, was vor Ort gebraucht werde.
Ihn habe „begeistert, wie die Studierenden Kirche und Kommune in gemeinsamer Verantwortung sehen“. Bei aller Skepsis werde Kirche als gesellschaftlicher Akteur ernst und beim Wort genommen: „Wenn sich Kirchen als offene Sozialräume verstehen, dann müssen sie sich darum kümmern, was die sozialen Bedürfnisse ihrer Umgebung sind, nicht nur die eigenen.“
Kirche als Orte kultureller Praxis und bürgerschaftlicher Begegnung zu erhalten, fordert auch die Petition „Kirchen sind Gemeingüter! Manifest für eine neue Verantwortungsgemeinschaft“, die auf der Plattform change.org seit Mai 2024 rund 23.000 Unterstützer gefunden hat. Um das Ziel zu erreichen, schlagen die Initiatoren ebenfalls neue Trägerschaften etwa in Form von Stiftungen vor. Als Modell führen sie die „Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur“ in Nordrhein-Westfalen an.
Kirchen werden als „Vierte Orte“ charakterisiert, die „offene, spirituell bedeutsame Chancenräume einer sorgenden Gemeinschaft“ anbieten. Sie seien „nachhaltiges Kulturerbe“, indem sie „vergangene Energieflüsse und CO2-Emissionen speichern“ und damit heute das Klima entlasten sowie „kühle öffentliche Räume in den sich erhitzenden Städten“ sind. Diese wichtigen Funktionen erfüllten auch nicht denkmalgeschützte Bauten, betonen die Initiatoren und weisen darauf hin, dass gerade Kirchen der Moderne besonders gefährdet seien.
Jörg Echtler