Beteiligung auf Zeit

Individuelle Zugehörigkeit am Beispiel der Tourismuskirchenarbeit, EKD-Texte 132, Juli 2019

Typ B: Projekte als Entdeckungen

Die Konzeption Tourismuskirche in konkreten Beispielen

  • Der Bibelgarten in Hagengeld: Planung

    Ich bin begeistert. Menschen aus unserer Gemeinde sitzen zusammen und wollen einen Bibelgarten anlegen. Doch wie soll er aussehen? Ideen wandern hin und her . . . Die Bibel ist unerschöpflich. Wir brauchen ein Motto – ein Leitthema. Der Garten soll zu unserem Ort, zu unserer Kirche passen. »Antoniusgarten« schlägt eine vor, »denn der heilige Antonius ist der Namensgeber der Kirche.« »Ja«, sagt eine andere, »aber, was hat dieser Mann eigentlich gemacht? Ich weiß nichts von ihm. Ich kenn nur den heiligen Franziskus.« Ich erzähle, dass der ältere heilige Antonius so um 300 nach Christus als Mönch in der Wüste lebte, andere vom mönchischen Leben begeistern konnte und dass es in einem Ort 40 Kilometer weiter eine Statue vom Heiligen Antonius mit Schweinen gibt, ich den Grund dafür leider nicht mehr wüsste. Der jüngere berühmte Antonius lebte in Padua und sei besonders zuständig für alle, die etwas verloren haben. Doch mehr wisse ich nicht und verspreche, mich über unseren Namensgeber der Kirche weiter zu informieren. »Aber wenn du schon nicht so viel weißt,« sagt eine andere, »dann wissen die Besucher des Bibelgartens noch weniger und dann muss man zu viel erklären.« 
    »Genau«, stimmt eine dritte zu, »außerdem klingt Antoniusgarten irgendwie nach ›Pünktchen und Anton‹. Und dann wollen wir den Garten nicht nur zum heiligen Antonius gestalten. Es sollen doch biblische Themen aufgenommen werden.« Das leuchtet allen ein. Wir vertagen uns. Immer wieder kreisen meine Gedanken um die Frage: Was soll unser Leitthema sein?

    »Was willst du denn mit dem Bibelgarten erreichen?«, fragt mich mein Mann, als ich ihm von unserer Suche erzähle. »Nun – ich möchte Verschiedenes: Ich möchte, dass unser alter Friedhof sinnvoll genutzt wird. Ich möchte, dass die Wagenfelder in der Mitte ihres Dorfes einen schönen Garten sehen, den sie gerne aufsuchen und wo sie sich entspannen können. Ich möchte, dass sie und auch Gäste des Ortes unsere Kirche wahrnehmen – nicht nur ab und zu mal ›reinschauen‹. Und ich möchte vor allem, dass biblische Geschichten und Botschaften neu in den Blick genommen und erlebt werden. Ich möchte, dass diese Geschichten einen inneren Zusammenhang haben und dass sie möglichst Traditionen des Ortes und der Kirche aufgreifen. Und außerdem möchte ich, dass….« »Und außerdem möchtest du die Welt retten«, unterbricht mich mein Mann, »jedenfalls möchtest du ziemlich viel.« »Eigentlich nicht«, entgegne ich, »aber es schwirren so viele Gedanken im Kopf und deshalb brauche ich ein Leitthema, das etwas Ordnung schaff .« »Wenn ich dir so zuhöre, scheint mir dein Hauptanliegen ein neuer Blick zu sein – eine neue Sicht auf Bibel, Kirche, Friedhof, Dorf«, fasst er zusammen. »Mmmh«, denke ich, damit lässt sich arbeiten . . .

    Unser Architekt kündigt sich an, fragt nach dem Weg zur Kirche. »Sie hat keine genaue Adresse, da sie nicht direkt an der Straße liegt. Geben Sie Oppenweher Straße 3 ins Navi ein – oder kommen sie zum Gemeindehaus«, sage ich. »Na, so groß ist der Ort doch nicht, da werde ich die Kirche wohl finden«, erwidert er. »Ja, aber sie liegt sehr versteckt«, warne ich ihn. »Kein Problem, wir sehen uns an der Kirche«, meint er. Zur verabredeten Zeit warte ich bei der Kirche . . . Schließlich geht ein Mann mit großer Tasche eilenden Schrittes auf die Kirche zu. Ich begrüße ihn. »Guten Tag, Sie müssen der Architekt sein. Wie schön, dass Sie die Kirche gefunden haben.« »Ja, guten Tag, das war gar nicht so einfach. Ich musste fragen. In der Apotheke kannte man das schon. Diese Kirche duckt sich so hinter die Häuserreihen. Die ist von weitem nicht zu sehen«, antwortet er.

    Ja, denke ich – man muss sich umschauen, umdrehen, um die Kirche zu finden. Ein Blickwechsel ist dran. . . Blickwechsel . . .. vielleicht ist das das richtige Motto. . . Blickwechsel . . .. ja, das könnte passen. . . Wir Menschen sehen neu in die Bibel anhand von Pflanzen, Blumen, Skulpturen und Gott sieht ja auch uns . . .. und unser Blick wechselt, wenn wir uns von Gott gesehen fühlen. »Blickwechsel« – ja, damit kann man arbeiten . . ..

  • Der Bibelgarten in Wagenfeld: Blickwechsel

    »Bei euch siehtʼs ja aus, wie bei Ausgrabungen im Heiligen Land«, sagte eine Kollegin, als der Bibelgarten im Entstehen war und viele Sandsteine angeliefert wurden, um das Labyrinth mit Trockenmauer zu erstellen. Im Ort waren eher andere Stimmen zu hören: »Was soll das denn werden? Ein Bibelgarten? . . . der schöne alte Friedhof . . . was sich die Kirche da nur ausdenkt . . .«

    Inzwischen sind im Dorf wieder andere Stimmen zu hören: »So ein schöner Platz. Da geh ich gern spazieren und genieße die Ruhe auf einer Bank.« Oder: »Mensch, da kommen ja sogar Busse zur Kirche . . .« Ja – es ist manchen Menschen schwer vorstellbar, dass jemand freiwillig und gern zur Kirche kommt. Ein Bibelgarten bietet dazu eine besondere Möglichkeit. Nicht nur deshalb hat sich unser Motto »Blickwechsel« für unseren Bibelgarten bewährt. Menschen können einen neuen Blick auf biblische Geschichten werfen, sich mit der Bepflanzung und Gestaltung dieses besonderen Gartens befassen oder ihn einfach als Ruheort genießen. Die Gestaltung lässt traditionelle kirchliche Handlungen neu erleben. »Ich möchte gern, dass unser Kind im Bibelgarten getauft wird«, sagt eine Mutter, »da erlebe ich die Gemeinschaft in der Kirche viel deutlicher.« Ein Brautpaar wünscht sich eine Trauung im Bibelgarten und stellt fest: »Da können wir uns den Kirchenschmuck sparen. Da blüht genug . . .« Andere wiederum lassen sich von den Fragen auf den Tafeln anrühren. Eine Mitarbeiterin erzählt mir: »Gestern sah ich eine Frau, die durch den Bibelgarten ging und an einer Station weinen musste. Was sie berührt hat, weiß ich nicht. Etwas später kamen wir ins Gespräch und sie sagte mir, dass sie auf jeden Fall noch mal wiederkommen würde und sie diesen Ort sehr schön fände.«

    »Schön« bleibt ein Garten ja nur, wenn er gepflegt wird. Das Bibelgartenteam gibt sich große Mühe  und  es  ist  viel  ehrenamtlicher Einsatz  nötig.  Auch dabei gibt es Frust und Lust: »Heute waren nur so wenige da. Wie sollen wir das alles schaffen?« aber auch: »Es macht so viel Freude. Wie gut, dass ich hier mitmache. Ich liebe Gartenarbeit. Ich  bin  hierhergezogen und  dieses Team hat mich so freundlich aufgenommen, dass ich wieder in die Kirche eintreten möchte . . .«

    Edith Steinmeyer    www.kirche-wagenfeld.de/bibelgarten

  • Kirchenführungen

    In der Passionszeit 2017 rief mich eine Kollegin von der Evangelischen Wittenbergstiftung an, um letzte Absprachen für das nächste Kirchenpädagogik-Modul der Wittenberger Kirchenführerausbildung (es  waren  insgesamt  fünf  Kurse) zu treffen. Am Ende des Telefonates sagte die Kollegin, sie müsse mir noch etwas erzählen, was eigentlich fast »zu schön« ist, um wahr zu sein: Unter denjenigen, die sich in der Osternacht taufen lassen, ist ein Teilnehmer des ersten Kurses, ein Mann, der – befragt nach dem Grund seiner Entscheidung für die Taufe – berichtete, dass er sich schon lange mit dem Gedanken getragen habe. Ausschlaggebend gewesen sei für ihn jedoch sein persönliches Erleben in der spirituellen Erkundung des Kirchenraumes der Schlosskirche. Als kirchenpädagogisches Praxisbeispiel hatte ich diese Erkundung in die Kursplanung eingefügt.

    Diese Geschichte ist in meiner fünfzehnjährigen kirchenpädagogischen Arbeit natürlich ein Einzelfall und sicher kein »Paradebeispiel«. Aber sie zeigt eindrücklich, welche Chancen die Kirchenpädagogik birgt zum Beispiel in der Anbahnung und Ermöglichung einer spirituellen Begegnung mit dem Kirchenraum.

    Neben dem spirituellen Ansatz gibt es viele andere Ansätze von Kirchenführungen. Diese zu kennen, und im  Zielgruppenabgleich didaktisch strukturiert und methodisch sinnvoll anzuwenden, ist Lerninhalt jedes vom  Bundesverband Kirchenpädagogik e. V. zertifizierten Kirchenführerausbildungskurses. Die Qualifizierung und Standardisierung von formalen und  inhaltlichen Kriterien für Kirchenführerausbildungen ist eines der Verdienste des Bundesverbands. In fast allen  Bundesländern  sind  diese zertifizierten  Ausbildungsangebote  heute zu finden. Weit über 1500 Personen wurden bisher nach den einheitlichen Qualifikationsstandards des Bundesverbands zur Kirchenführerin / zum Kirchenführer ausgebildet (www.bvkirchenpaedagogik.de/aktuelles/kirchenfuehrer ausbildungen/).

    All diesen Ausbildungsgängen gemeinsam ist die Mindestanzahl von 120 Unterrichtseinheiten, in denen in curricular vorgegebener Gewichtung Kirchengeschichte, Theologie, Kunstgeschichte und kirchenpädagogische Inhalte vermittelt werden. Neben den Regularien für den Kursabschluss beinhalten die Zertifizierungskriterien auch eine Evaluationsverpflichtung. In Sachsen läuft derzeit der vierte zertifizierte Kirchenführerausbildungsgang. Das Interesse, Kirchenräume nicht nur aufzuschließen, sondern den Gästen behilflich zu sein, sich selbst den sakralen Raum zu erschließen, wächst stetig. Die Landeskirche unterstützt das Vorhaben. Kirchgemeinden im städtischen wie im ländlichen Raum entsenden Teilnehmende, die zukünftig als kompetente Ansprechpartner touristischen Besuchern und Mitgliedern der eigenen Gemeinde einen Zugang zu ihrer Heimatkirche vermitteln sollen, der neben der gottesdienstlichen Nutzung die Facettenvielfalt unserer Gotteshäuser erfahrbar macht. Eine  gelingende  Ausbildung  sensibilisiert  angehende  Kirchenführer*innen  zur Anbahnung von Begegnung: mit dem Kirchenraum, mit sich selbst im Raum und – was sich der »Machbarkeit« entzieht: mit Gott.

    Dr. Anja Häse  www.bvkirchenpaedagogik.de/aktuelles/kirchenfuehrerausbildungen

Nächstes Kapitel

Beteiligung auf Zeit

Individuelle Zugehörigkeit am Beispiel der Tourismuskirchenarbeit, EKD-Texte 132, 2019