Ballett vor dem Altar: Ungewöhnliche Gottesdienste in Dortmund
Entstanden ist dieses ungewöhnliche Gottesdienstformat in Kooperation mit dem Theater Dortmund schon 2015, zuerst als „Oper trifft Kirche“. Später kam „Ballett trifft Kirche“ hinzu. Im heutigen Gottesdienst werden Ausschnitte aus dem Ballett „Carmina Burana“ mit der Musik von Carl Orff aufgeführt, noch vor der Premiere der Inszenierung im Theater Dortmund am 18. Oktober.
Doch bevor getanzt wird, begrüßt Pfarrerin Susanne Karmeier die Gottesdienstbesucher: „Die Musik aus 'Carmina Burana' ist alles andere als eine heilige, geistliche Musik, aber sie ist voller Leben.“ Im Gottesdienst gehe es um die Haltung zum Leben, um Dankbarkeit, sagt sie, und mit welcher Haltung man dem Auf und Ab des Lebens am besten begegne. „Das Ballett malt und tanzt heute dazu seine Bilder.“
Nach Eingangsworten, Orgelmusik und einem Gebet betreten die 18 Tänzerinnen und Tänzer zum ersten Mal den Altarraum. In schwarz-roten Gewändern stellen sie sich im Kreis auf und tanzen zu „O Fortuna“, dem Rad des Schicksals - anmutig und ausdrucksstark. Insgesamt werden drei Ausschnitte aus dem Ballett gezeigt, dazwischen werden zur Musik passende Bibelstellen vorgelesen und von Pfarrerin Karmeier kommentiert. Dabei stellt sie fast schon philosophische Fragen an die Gemeinde. „Was für ein Leben macht Sinn? Wie können wir leben im Wechsel der Zeiten? Was ist Ihre Haltung des Lebens?“
Mögliche Antworten auf diese Fragen gibt Tobias Ehinger, geschäftsführender Direktor des Theaters Dortmund. In seiner Kanzelrede spricht er davon, dass in westlichen Kulturen Dankbarkeit oft als Pflicht angesehen werde. „Ein Kind bekommt ein Geschenk und bedankt sich dafür. Denn so hat es das gelernt.“ Doch wahrer Dank wachse aus der Demut, sagt Ehinger. Dankbarkeit helfe, mit dem Schicksal zurechtzukommen. „Dankbarkeit stellt das Wir ins Zentrum.“ Dankbarkeit müsse als Haltung gesehen werden. „So wird es nicht zur Pflicht, sondern zur Befreiung.“
Gerade auch zu Krisenzeiten komme es darauf an, wie man das Leben sehe, sagt Ehinger. „Demut und Dankbarkeit als Haltung schafft Lebensfreude, es schafft Resilienz, es schafft gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wer dankt, kann nicht spalten, der weitet seinen Horizont.“ Sowohl im Theater als auch in der Kirche würden Räume geschaffen, in denen die Menschen Demut und Dank empfinden könnten. Am Ende des Gottesdienstes gibt es tosenden Applaus von den Gottesdienstbesuchern, die sich alle von ihren Sitzen erheben - ganz wie nach einem Theaterbesuch.
Gottesdienstbesucherin Doris ist begeistert: „Ich fand es überwältigend schön und bin immer wieder überrascht, wie es gelingt, die kirchliche Sprache zu erden, weltlich zu gestalten.“ Auch Besucher Wolfgang Staap findet diese Form des Gottesdienstes gut. „Es ist die Verschränkung von Kunst, Theologie und Lebensweisheit - das finde ich toll, es ist erfüllend.“
In diesem Jahr findet „Ballett trifft Kirche“ bereits zum fünften Mal statt, jetzt erstmals unter dem neuen Ballettintendanten Jas Otrin, der die Kooperation weiterführt: „Ich finde, es ist eine Bereicherung für beide Seiten, sowohl für das Ballett als auch für die Kirche.“ Eine Kirche sei immer ein besonderer Ort mit einer ganz anderen Atmosphäre als im Theater: „Im Theater stellen wir etwas dar, wir spielen Rollen, es ist eine Illusion, die wir schaffen. Die Kirche ist keine Illusion, sie ist echt“, sagt Otrin dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Ich finde, die Kunstform in so einem Setting ist etwas ganz Besonderes.“