„Ich freue mich immer wieder, wenn Menschen diesen Weg gehen“
Eine Erwachsenentaufe ist jedes Mal etwas Besonderes - Interview mit der Pfarrerin Cornelia von Ruthendorf-Przewoski
Cornelia von Ruthendorf-Przewoski ist Pfarrerin in der sächsischen Landeskirche. In dieser Region ist es nicht selbstverständlich, sich zum christlichen Glauben zu bekennen. Dennoch lassen sich in ihrer Gemeinde im Kirchenspiel Bautzen regelmäßig Erwachsene taufen. Im Interview erzählt sie von ihren Erfahrungen.
Frau Dr. von Ruthendorf-Przewoski, Sie taufen gern, oder?
Cornelia von Ruthendorf-Przewoski: Ja, na klar! (lacht) Ich taufe sehr gern, und das sage ich auch oft, wenn ich Leute aus der Gemeinde treffe, deren Kinder noch nicht getauft sind. Das ist schön, das ist festlich, und ich freue mich immer, wenn Menschen sich auf den Weg mit Gott machen.
Ist es anders, Erwachsene zu taufen?
von Ruthendorf-Przewoski: Ja, das ist etwas ganz anderes. Eine Kindertaufe ist vor allem eine Familienfeier. Deshalb wurden während der Corona-Pandemie auch so wenige Kinder getauft, weil Feiern kaum möglich waren. Auch das Taufgespräch führt man da in der Regel mit den Eltern, und da steht das Glaubensbekenntnis nicht so im Mittelpunkt. Bei Erwachsenen ist das anders. Wer sich bei uns in der sächsischen Landeskirche taufen lassen will, braucht davor einen Glaubenskurs. Das heißt, ich gehe mit jedem dieser Menschen einen persönlichen Weg. Man wird vertraut miteinander, man weiß mehr über deren Sorgen und Nöte und auch über deren Gründe. Wenn man merkt, jetzt ist der Moment, in dem sie sagen: Ich lasse mich wirklich darauf ein – das ist schon etwas sehr Besonderes. Ich freue mich immer wieder, wenn erwachsene Menschen diesen Weg gehen!
Gibt es eine Taufe, die Sie besonders berührt hat?
von Ruthendorf-Przewoski: Ja, und das ist auch der Grund, warum ich so gern Glaubenskurse gebe: Mein Schwiegervater stammte aus einem SED-Haushalt. Er war also nicht kirchlich aufgewachsen und nicht getauft. Als ich ihn kennengelernt hatte, hing in seinem Arbeitszimmer ein Wimpel mit dem Kirchentagsmotto „Vertrauen wagen, damit wir leben können“. Ich habe ihn darauf immer wieder angesprochen, und wir haben viel diskutiert. Irgendwann – ich war damals Vikarin – habe ich dann gesagt: Ich habe auch nicht auf alle Fragen eine Antwort. Ich gab ihm dann einen Handzettel von einem Glaubenskurs und sagte: Du kannst da ja mal hingehen, vielleicht kann der Pfarrer dir deine Fragen beantworten. Mein Schwiegervater ist tatsächlich dahin gegangen und hat sich dann mit Mitte sechzig taufen lassen.
„Die Taufe meines Schwiegervaters hat mich unglaublich berührt“
Das hat mich völlig umgehauen, damit hatte ich nicht gerechnet. Normalerweise sagt man ja: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Aber das stimmt nicht! Diese Taufe hat mich unglaublich berührt. Das ist für mich eine ganz wertvolle Erinnerung, dass mein Schwiegervater es wirklich geschafft hat, über diesen Graben zu springen und Vertrauen zu wagen und zu sagen: Ich mach das jetzt.
Inzwischen bieten Sie selbst regelmäßig Glaubenskurse an. Warum lassen sich Menschen darauf ein?
von Ruthendorf-Przewoski: Es gibt ganz viele Gründe dafür, und ich bin mir sicher, dass ich als Pfarrerin dabei nur eine geringe Rolle spiele. Ich bin sozusagen das letzte Glied in einer Kette von vielen Begegnungen, die Menschen schon gemacht haben. Die Familie spielt eine große Rolle. Oft sind es die Partner, manchmal die Kinder. Ich habe auch schon erlebt, dass jemand sagt: Die Jubelkonfirmation meines Vaters war so schön, jetzt will ich auch dazugehören. Es können aber auch Freunde sein, Banknachbarinnen aus der Schule, auch die Diakonie, die Arbeit, Kolleginnen, gute Kirchenmusik, kirchliche Kinder- und Jugendarbeit und vieles mehr.
Sie haben also kein „Erfolgsrezept“, wie man Menschen für die Taufe gewinnt?
von Ruthendorf-Przewoski: Das werde ich oft gefragt, aber es gibt da kein „Erfolgsrezept“. Ich komme erst ins Spiel, wenn Menschen schon auf der Suche gewesen sind und schon einen Weg gegangen sind, wenn es konkret wird: Wo und wie finde ich eine Möglichkeit, meine Fragen loszuwerden? Wo kann ich in Glaubensdingen andocken? Wichtig ist nur, für Leute, die auf der Suche sind, auffindbar zu sein.
Was suchen diese Menschen Ihrer Meinung nach?
von Ruthendorf-Przewoski: Viele suchen Orientierung, glaube ich. So etwas wie Halt. Sinnsuche. Etwas, das bleibt im Chaos dieser Zeit. Und das Gefühl, gehalten und gesegnet zu sein. Letztes Jahr spielte auch Corona eine Rolle: Einige Teilnehmende meinten, während des Lockdowns hätten sie mehr Zeit und Einsamkeit zum Nachdenken gehabt und beschlossen, etwas in ihrem Leben zu ändern.
Wie bewerben Sie Ihre Glaubenskurse?
von Ruthendorf-Przewoski: Ursprünglich wurden diese Kurse nur auf Nachfrage angeboten für Taufwillige. Ich habe dann angefangen, mich einzulesen, und mir Konzepte von der EKD angesehen und schließlich einen Glaubenskurs angeboten, ohne eine einzige Anmeldung zu haben. Ich war so aufgeregt, ob da jemand kommt! Wir haben mit ausgedruckten Handzetteln und selbst gemachten Plakaten dazu eingeladen und gesagt: Wenn vier Leute kommen, machen wir den Kurs. Es kamen dann über zehn. Und so ging das dann immer weiter.
Was passiert in einem Glaubenskurs?
von Ruthendorf-Przewoski: Es gibt unendlich viele Varianten, so einen Glaubenskurs zu machen. Ich habe mir ganz viele angeguckt und dann zusammen mit einem Kollegen einen eigenen Kurs entwickelt. Wichtige Themen sind auf jeden Fall Gottesbilder, Schöpfung, Anfang und Ende des Lebens ... Spiritualität finde ich auch ganz wichtig: Wie kann man im Alltag Christsein umsetzen. Ethik. Was ist überhaupt ein Gottesdienst? Drum herum ist auch ganz viel möglich – gemeinsam essen, Vortragende von außen einladen ... Ich probiere da immer wieder mal etwas aus. Was mich fasziniert, ist die Gruppendynamik in diesen Kursen: Am Anfang sitzen sich da Fremde gegenüber, und am Ende ist das ein vertrauter Kreis, und alle sind traurig, wenn es aufhört. In jedem Kurs sind auch ein oder zwei Leute dabei, die schon getauft sind und sagen: Ich will mich damit noch mal auseinandersetzen. Oder die sagen: Ich bin neu in der Stadt und will irgendwo andocken, aber habe keinen passenden Gemeindekreis gefunden. Aber ich hatte noch keinen Glaubenskurs, wo nicht am Ende auch Taufen standen!
Sehen Sie da einen Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland?
von Ruthendorf-Przewoski: Auf jeden Fall. Bei uns sind nicht mal zwanzig Prozent der Erwachsenen in der Kirche. Wenn die Mehrheit der Menschen sagt: Wer glaubt, ist ein Idiot, dann ist das ein mutiger Schritt, sein Kind taufen zu lassen. Und es ist ein noch mutigerer Schritt zu sagen: Ich lasse mich selbst taufen. Ich habe auch schon Leute getauft, die gesagt haben: Das darf aber niemand in meinem Dorf wissen.
„Musik ist ein ganz wichtiger Türöffner für den Glauben“
Wie feiern Sie die Erwachsenentaufen dann? Machen Sie in Ihrer Gemeinde besondere Tauffeste?
von Ruthendorf-Przewoski: Nein, das ist ein ganz „normaler“ Gemeindegottesdienst zur normalen Gottesdienstzeit. Vielleicht klingt das ein bisschen altmodisch, aber das Ziel ist ja auch, die Getauften in der ganz normalen Kirche zu beheimaten. Natürlich versuchen wir schon, das entsprechend zu gestalten, zum Beispiel mit besonderer Kirchenmusik. Als sich jemand aus dem Chor hat taufen lassen, hat natürlich der Chor gesungen. Musik ist übrigens ein ganz wichtiger Türöffner für Glauben!
Oder wir machen eine Dialogpredigt. Ich versuche dann auch, kürzer zu predigen, und nehme oft die Taufsprüche, die sich die Leute ausgesucht haben, statt des vorgegebenen Bibeltextes. Manchmal klappt es auch, dass Leute aus der Gemeinde, die selbst erst als Erwachsene getauft wurden, die Neuen begrüßen. Das ist mir ganz wichtig, weil die das viel besser einschätzen können, was das bedeutet. Ich selbst bin als Kind getauft worden – ich weiß nicht, wie das ist, wenn man sich als Erwachsener taufen lässt!
Gibt es da eigentlich auch Taufpaten?
von Ruthendorf-Przewoski: Das ist nicht vorgesehen, da Erwachsene ihren Glauben ja selbst bekennen. Ich frage aber immer, ob ihnen jemand sehr wichtig ist, der sie auf ihrem Glaubensweg begleitet hat, und biete an, diese Menschen in den Gottesdienst einzubeziehen. Es gibt da viele Möglichkeiten: eine Fürbitte sprechen, das Taufwasser eingießen, einen besonderen Text lesen oder ein Musikstück spielen.
Welche Rolle spielt die Gemeinde dabei?
von Ruthendorf-Przewoski: Das ist eine ganz schwierige Frage. So ein Glaubenskurs hat viele Seiten: Für die Gemeinde ist das etwas unheimlich Schönes. Wenn Menschen merken, hier geht etwas vorwärts, es kommen noch Leute dazu, dann hellt das die Stimmung auf. Das macht Mut. Die Kerngemeinde merkt es auch, wenn auf einmal Leute im Gottesdienst sitzen, die sie nicht kennen. Die Getauften dann wirklich in die Gemeinde zu integrieren, ist allerdings eine große Herausforderung.
„Diese Menschen sind eine unglaubliche Bereicherung!“
Wie kann das gelingen?
von Ruthendorf-Przewoski: Was gut funktioniert, ist, Leute im Chor unterzubringen. Oder im Frauenkreis. Jetzt gründet sich gerade ein Männerkreis, und ich hoffe, dass ich da wieder Leute reinbringen kann. Das ist aber ein Grundproblem der Kirche: Wenn man nicht gerade Kinder hat, musikalisch ist oder sonst etwas Besonderes kann, kann es echt schwer sein, in einer Gemeinde Fuß zu fassen. Wenn es aber gelingt, diese Menschen einzubinden, sind sie eine unglaubliche Bereicherung!
Haben Sie das so erlebt?
von Ruthendorf-Przewoski: Unser Hausmeister war zum Beispiel im Glaubenskurs und ist da getauft worden, unser Küster, die Vorsitzende vom Förderverein des Kindergartens, die Leiterin eines Altenheims – das sind Menschen, zu denen schon eine stabile Beziehung besteht, mit denen man schon einen engen Weg gegangen ist, die ansprechbar sind und die auch Lust haben mitzumachen. Die haben einen frischen Blick auf Dinge, das ist immer wieder herzerfrischend.
Haben Sie Tipps, was Gemeinden machen können, um einladend zu wirken?
von Ruthendorf-Przewoski: Ich bin ein Fan von ganz schlichter, grundsolider Gemeindearbeit. Weil ich denke, Glaube muss im Alltag lebbar sein. Events sind schön und gut, und die Leute, denen das liegt, sollen das gern machen. Es ist wunderbar, wenn es so etwas gibt, aber Gemeinde lebt vom Alltag, von dem ganz Normalen. So wie in der Familie: Quality Time ist schön, aber irgendjemand muss die Kinder jeden Tag zum Kindergarten bringen und jeden Tag abholen und jeden Tag ins Bett bringen. Und von dieser Grundarbeit zehrt eine Familie und auch eine Gemeinde.
Das Interview führte Andrea Teupke